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Zusammenfassung der Entscheidung In dem vor dem Amtsgericht Leverkusen (DE) anhängigen Verfahren haben der Großvater und der Vater eines Minderjährigen, der sowohl die griechische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, nach dem Tode der Mutter beantragt, sie beide gemeinsam zum Vormund des Minderjährigen zu bestellen.
Das Amtsgericht Leverkusen (DE) bejaht seine internationale Zuständigkeit für die beantragte Entscheidung auf der Grundlage von Art. 1, 13 des Haager Minderjährigenschutzabkommens von 1961, weil es sich bei der Bestellung eines Vormunds um eine Schutzmaßnahme im Sinne dieses Übereinkommens handele, für die die Gerichte des Staates international zuständig seien, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Das Haager Minderjährigenschutzabkommen werde nicht durch die EG-Verordnung 1347/2000 „Brüssel II“ verdrängt. Denn diese könne nach ihrem Art. 1 Abs. 1 lit. b nur auf Sorgerechtsmaßnahmen im Zusammenhang mit einer anhängigen Ehesache angewendet werden. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall nicht gegeben.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Der am ... geborene ... ist griechischer und deutscher Staatsbürger. Seine Eltern waren nicht miteinander verheiratet. Sie lebten seit einigen Jahren getrennt. In dieser Zeit hielt sich der der Junge überwiegend im Haushalt der Mutter auf, wurde aber von den verfahrensbeteiligten Großeltern mütterlicherseits umfänglich mitversorgt, und wechselte im übrigen zeitweilig jeweils wochenweise zum Vater. In diesem Beziehungsgeflecht bewegte sich ... zur Zufriedenheit aller Beteiligten, bis seine Mutter verstarb. Nach deren Tod lebte der Junge gemäß einer beim Jugendamt getroffenen Absprache in wöchentlichem Wechsel beim Vater und bei den Großeltern. Diese wie auch der Vater wollen die vorerwähnten Lebensumstände von ... nunmehr beenden und ihn dauerhaft in ihren Haushalt aufzunehmen, mit der erklärten Absicht dem Jungen durch eine feste Zuordnung, Stabilität und Orientierung zu geben. Die verfahrensbeteiligten Großeltern des Jungen und der Vater haben deshalb zunächst wechselseitig beantragt, für ... Vormundschaft anzuordnen und ihnen die Vormundschaft jeweils allein zu übertragen. Im Termin zur mündlichen Anhörung haben das beteiligte Jugendamt sowie der Vater und die Großeltern jedoch vereinbart, dass ... zunächst im Haushalt des Vaters wohnt. Überdies wurde das Gericht gebeten, Vormundschaft anzuordnen und diese Aufgabe dem Großvater und dem Vater zur gemeinsamen Ausübung zu übertragen. Diese Verabredung wurde in der erklärten Absicht getroffen, die nach dem Tod der Mutter neu entstandenen Diskrepanzen zwischen den Beteiligten beizulegen, für ... gemeinsam getragene Lösungen zu suchen, und so zu verhindern, dass der Junge bei weiterem Streit der ihm verbliebenen Bezugspersonen erneut personelle Verluste erleben muss.
Der vorerwähnten Anregung, Großvater und Vater gemeinsam zum Vormund für ... zu bestellen, konnte entsprochen werden, weil die damit verbundene Lösung, nämlich das Zusammenwirken aller Erwachsenen, die dem Jungen am nächsten stehen, dessen Wohl am besten entspricht. Zu einer solchen Entscheidung ist das angerufene Familiengericht international zuständig. Nach Art. 1, 13 des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) dürfen für jeden Minderjährigen mit ständigem Aufenthalt in einem Vertragsstaat des Abkommens erforderliche Schutzmaßnahmen getroffen werden. Dass die Bundesrepublik Vertragsstaat dieses Abkommens ist, und dass sich der Minderjährige ... ständig in Deutschland aufhält ist offenkundig. Kein Zweifel besteht auch an der Zuständigkeit des Familiengerichts, nach dem Tod der bisher allein sorgeberechtigten Mutter die Nachfolge in der elterlichen Sorge zu regeln und dieses Recht dem Vater zu übertragen oder eine Vormundschaft anzuordnen. Solche Entscheidungen sind Schutzmaßnahmen im Sinne von § 1 MSA. Dazu gehören alle gerichtlichen Sorgerechtsentscheidungen, welche im wohlverstandenen Interesse des Minderjährigen getroffen werden müssen. Dass die Neuregelung des Sorgerechtes nach dem Tod der bisher allein sorgeberechtigten Mutter im Interesse des betroffenen Minderjährigen liegt, liegt auf der Hand und muss nicht weiter begründet werden. Keine Schutzmaßnahmen sind lediglich Einzelmaßnahmen etwa zur Überwachung der Eltern oder zur Durchführung einer Vormundschaft. Um Einzelmaßnahmen dieser Qualität geht es jedoch im Streitfall sicher nicht. Die Anwendbarkeit des Haager Minderjährigen Schutzabkommens wird nicht durch die EU-Verordnung 1347/2000 (Brüssel II) verdrängt. Diese kann nur bei Sorgerechtsmaßnahmen im Zusammenhang mit einer vor Gericht anhängigen Ehesache angewendet werden. Eine solche Sachlage besteht hier nicht. Die internationale Zuständigkeit des durch den Aufenthalt des Jungen im Gerichtsbezirk auch örtlich zuständigen Familiengerichts Leverkusen ist nicht durch Art. 3 MSA beeinträchtigt. Nach dieser Vorschrift müssen gesetzlich geregelte Sorgerechtsverhältnisse des Heimatrechtes vorrangig beachtet werden. Doch im griechischem Recht ist schon im Hinblick auf Art. 1513 ZGB ein in der geschilderten. Art und Weise anerkennungspflichtiges besonderes Gewaltverhältnis nicht ersichtlich. Ob im Hinblick auf die doppelte und die gleichzeitige deutsche Staatsangehörigkeit von D.-L. auf griechische Vorschriften zurückgegriffen werden müßte, kann im Hinblick darauf dahinstehen. Da die deutsche internationale Zuständigkeit angenommen werden kann, richtet sich die Sachentscheidung gemäß dem in Art. 2 MSA vorgesehenen gleichlauf zwischen anzuwendendem Sachrecht und internationaler Zuständigkeit nach deutschen Rechtsvorschriften. Dabei kann offenbleiben, ob sich das gleiche Ergebnis auch aus dem in Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB vorgesehenen Inländerprivileg ableiten ließe. Art. 24 EGBGB hindert die Anwendung deutschen Sachrechtes ebenfalls nicht. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift beschränkt sich überwiegend auf die Vormundschaften über Volljährige, sowie auf die kraft Gesetzes eintretende Vormundschaft über Minderjährige. Im vorliegenden Fall geht es jedoch allein um die Anwendbarkeit von § 1680 BGB und damit um Sorgerechtsregelung. Dies wird von Art. 24 EGBGB sicher nicht erfasst.
Nach deutschem Sachrecht muss eine Vormundschaft angeordnet werden. Dabei liegt es im Interesse von ... dass die Vormundschaft von seinem Vater und seinem Großvater gemeinschaftlich ausgeübt wird. Durch die Einrichtung einer Mitvormundschaft ist dies möglich.
Nach § 1680 Abs. 2 S. 2 BGB soll das Familiengericht die elterliche Sorge zwar grundsätzlich dem Vater übertragen, wenn wie hier die gemäß § 1626 a BGB allein sorgeberechtigte Mutter gestorben ist, und wenn die Übertragung der Sorge für das Kind auf den Vater dem Wohl dieses Kindes dient. Mit dieser Formulierung des Gesetzes scheint jede dem Kindeswohl nicht widersprechende Regelung möglich und ein Vorrang des überlebenden Elternteils errichtet. Eine solch weitreichende Konsequenz ist aber im Hinblick auf die übrigen kindeswohlrelevanten gesetzlichen Vorschriften und das dabei erkennbare einheitliche Bewertungssystem für das Kindeswohl nicht vertretbar. In allen diesen Regelungen müssen durchweg die verschiedenen das Kindeswohl festlegenden Merkmale und deren Bedeutung für das betroffene Kind geprüft werden. In jedem Einzelfall wird geprüft. welche der danach möglichen Ergebnisse dem Kindeswohl am besten entsprechen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb bei der Anwendung von § 1680 BGB eine andere Blickrichtung gelten und statt einer differenzierten Kindeswohlprüfung eine grundsätzliche Zuweisung der Sorgeberechtigung auf den verbliebenen Elternteil erfolgen sollte. Nur eine am Gesamtsystem der Kindeswohlvorschriften ausgerichtete, nicht aber das eingangs angesprochene Verständnis von § 1680 Abs. 2 S. 2 BGB wird dem verfassungsrechtlich untermauerten staatlichen Wächteramt zu Gunsten der Minderjährigen gerecht. In einschränkender Auslegung der gesetzlichen Formel ist deshalb zu prüfen, welche der möglichen Entscheidungen dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.
Das ist die Anordnung einer Vormundschaft, welche der Vater und der Großvater gemeinsam ausüben. Die Zuweisung der Sorgeverantwortung auf einen allein wäre für das betroffene Kind schädlich. Dies widerspräche dem Kindeswohl. Dabei kann offenbleiben, ob der Vater oder ob die Großeltern sich in der Vergangenheit die jeweils größeren Verdienste um das Wohl des Jungen erworben haben und deshalb eher die Gewähr für dessen künftiges Wohlergehen bieten. Offenbleiben kann diese Frage ansonsten ebenfalls, weil auch das Jugendamt nach ausführlichen Ermittlungen bei den Großeltern allenfalls nur eine leicht bessere Perspektive sah. Entscheidend ist, dass bei einer einseitigen Festlegung der Sorgeverantwortung eine Fortsetzung der bestehenden Diskrepanzen zwischen den Erwachsenen zu Lasten des Jungen zu befürchten ist. Diese Besorgnis, dass der Junge seine bisher soweit ersichtlich ungetrübten Kontakte zu allen Beteiligten nicht mehr in gleicher Weise wie bisher leben kann, entstand im Anhörungstermin. Dort war der Umgang der Beteiligten miteinander anfangs noch ausgesprochen emotionsbelastet. Es blieb der Eindruck, dass die notwendige Trauerarbeit nach dem Tod der Mutter des Jungen noch nicht geleistet war. Vielleicht ist auch die Einschätzung zutreffend, dass dieser von jedem der Erwachsenen festgehalten werden soll, um so den Verlust der Mutter kompensieren zu können. Für die Richtigkeit dieser Überlegung gab es deutliche Anzeichen im Verhalten der Beteiligten. Bei diesem Ausgangspunkt besteht die Gefahr, dass sich die Großeltern und der Vater hinsichtlich des Jungen eher weiter auseinander als aufeinander zu bewegen, für diesen mit der fatalen Konsequenz, dass er nach dem Tod der Mutter weitere ihm nahestehende Menschen verliert. Dass dies mit seinem Wohl nicht vereinbar sein dürfte, liegt auf der Hand. Zwar versicherte jeder der Beteiligten mit hoher verbaler Aufgeschlossenheit das Gegenteil. Es blieb jedoch die Überzeugung, dass dies wegen der erörterten tieferliegenden Ursache nicht in Verhalten umgesetzt werden kann. Unter diesen Umständen kann die elterliche Sorge für ... jedenfalls derzeit nicht dem Vater allein übertragen werden, weil dies nach dem eingangs entwickelten einschränkenden Verständnis von § 1680 BGB sicher nicht dem Wohl des Jungen entspricht. Damit ist die Anordnung einer Vormundschaft erforderlich, weil diese Gestaltungsform vorgesehen ist, wenn eine Sorgerechtsregelung nicht besteht, §§ 1773, 1774 BGB.
Dass die Vormundschaft dem Großvater und dem Vater zur gemeinschaftlichen Ausübung übertragen werden sollte, ergibt sich nach dem bisher Gesagten von selbst. Diese Lösung zwingt alle diejenigen, welche bisher für ... Verantwortung gemeinsam getragen haben, diese wiederaufzunehmen und im Interesse des Jungen zusammenzuwirken. Dies gibt dem Jungen die Chance nach dem für ihn sicher tragischen Verlust der Mutter nicht weitere Verluste in seinem bisherigen ihn tragenden Beziehungssystem zu erleben. Vielmehr können die nun auf ein Zusammenwirken angelegten Gestaltungsformen für ... genutzt werden. Gegen eine solche Regelung der Erziehungsverantwortung für ein Kind ließe sich einwenden, dass sie von den Beteiligten die klare Bereitschaft fordert, im Interesse ihres Schützlings zusammen zu wirken. Im vorliegenden Fall ist dies mit den Beteiligten erörtert worden. Sie haben sich dazu nach langer Erörterung und Überlegung ausdrücklich bereiterklärt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass sie diese Aufgabe meistern wollen und können. Gegen eine solche Form gemeinsamer Erziehungsverantwortung lässt sich schlußendlich einwenden, dass ein seitens der sorgeberechtigten Eltern benannter Vormund vorrangig bestellt werden muss. Eine solche Erklärung der Kindesmutter liegt jedoch nicht vor.
Im Ergebnis präsentiert sich ein Regelungsmodell, das der gemeinsamen Elternsorge ähnelt, im Interesse des Kindes lediglich mit der Maßgabe, dass die Großeltern an die Stelle der verstorbenen Mutter treten. Ein solches Modell entspricht der sozialen Wirklichkeit, wonach Großeltern in vielfältiger Weise Erziehungsverantwortung mittragen, und dies von den Kindern als elternähnlich erlebt wird. Sicherlich wird dieser sozialen Wirklichkeit bisher durch die Umgangsrechte der Großeltern berücksichtigt. Ob dies darauf reduziert bleiben muss, ist jedoch in Fällen der vorliegenden Qualität fraglich, wenn die Großeltern intensiv in die Eltern-, bzw. Versorgungsverantwortung eingebunden waren, und wenn es dem Wohl des Kindes dient, diese faktische Position nach dem Verlust eines Elternteils auch rechtlich zu untermauern.
Wenn die jetzt angeordnete Regelung Bestand hat, kann sie zur endgültigen werden. Zu gegebener Zeit wird das Verfahren von Amts wegen neu terminiert. Den Beteiligten bleibt vorbehalten, ebenfalls Terminsantrag zu stellen.