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Zusammenfassung der Entscheidung Die Parteien haben am 13.9.1996 in Deutschland die Ehe geschlossen. Der Antragsteller ist Deutscher, die Antragsgegnerin Französin. Die bereits vor der Eheschließung geborene gemeinsame Tochter wurde durch die Eheschließung legitimiert. Seit 2002 lebt die Mutter mit dem Kind in Saverne (FR); das dortige Familiengericht hat mit Beschluss vom 7.8.2002 das Umgangsrecht geregelt. Am 4.10.2002 stellte der Antragsteller Scheidungsantrag zum Amtsgericht Lahr (DE). Die Antragsgegnerin stellte am 24.4.2003 ebenfalls Scheidungsantrag und beantragte, ihr die elterliche Sorge für das gemeinschaftliche Kind allein zu übertragen. Am 12.11.2003 begehrte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Umgang mit seiner Tochter. Die Kindesmutter ist diesem Antrag entgegen getreten, da die französischen Gerichte für die Entscheidung über das Umgangsrecht besser geeignet seien.
Das Amtsgericht Lahr (DE) verneint seine internationale Zuständigkeit für die einstweilige Regelung des Umgangs mit dem Kind. Es sei zwar für die Ehescheidung nach Art. 2 Abs. 1 lit. a, 2. Spiegelstrich der Verordnung Nr. 1347/2000 („Brüssel II“) international zuständig, sowie für die Folgeanträge betreffend die elterliche Sorge nach Art. 3 Abs. 2, da die Zuständigkeit von beiden Parteien anerkannt worden sei und auch im Einklang mit dem Wohl des Kindes stehe. Die beiden letztgenannten Voraussetzungen lägen hingegen für die das Umgangsrecht betreffende Entscheidung nicht vor. Zwar erfasse die Verordnung in sachlicher Hinsicht auch Entscheidungen in Umgangsstreitigkeiten. Im vorliegenden Fall bestehe indes weder eine Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 2, noch nach Art. 5. Ein Umgangsantrag sei insbesondere kein Gegenantrag zu einem Antrag auf Regelung der elterlichen Sorge. Da die französischen Gerichte sich bereits mehrfach mit der Umgangsstreitigkeit der Parteien befasst hätten, entspräche eine Entscheidung der deutschen Gerichte nicht dem Wohl des Kindes im Sinne von Art. 3 Abs. 2.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Parteien haben am 13.09.1996 vor dem Standesamt in Lahr die Ehe geschlossen. Der Antragsteller ist deutscher Staatsangehöriger, die Antragsgegnerin französische Staatsangehörige. Die bereits vor der Eheschließung am 7.2.1995 geborene gemeinsame Tochter … wurde durch die Eheschließung legitimiert (Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 10.04.1997).
Bereits am 26. November 1999 erging nach vorheriger Trennung der Parteien ein Urteil des zuständigen Gerichts in Saverne, Frankreich über die Trennung der Parteien. Darin wurde eine gemeinsame elterliche Sorge mit Wohnsitz bei der Mutter geregelt.
In der Folgezeit kam es jedoch immer wieder zu Kontakten der Parteien. Diese lebten zuletzt bis Anfang 2001 in Lahr zusammen.
Inzwischen ist die Kindesmutter mit dem Kind nach Frankreich verzogen.
Der Kindesvater hatte zunächst im Februar 2002 beim Amtsgericht Lahr einen Umgangsantrag gestellt hatte, den er nach richterlichem Hinweis auf die fehlende Zuständigkeit zurücknahm. Schließlich regelte auf seinen Antrag mit Beschluss vom 7. August 2002 das
Familiengericht in Saverne den Umgang wie folgt: Jeden 3. Donnerstag im Monat von 14.00 – 17.00 Uhr in einer Straßburger Kinderschutzeinrichtung. Dem Kindesvater wurde auferlegt, für die Dauer des Umgangs seinen Ausweis zu hinterlegen.
Mit Beschluss vom 14. August 2002 ordnete das Vormundschaftsgericht in Lahr die Bestellung eines Betreuers für den Antragsteller zur Regelung aller familienrichterlichen Angelegenheiten mit seiner getrenntlebenden Ehefrau einschließlich aller Folgesachen an. Ein späteres ergänzendes Gutachten des Familiengerichts ergab aber, dass der Antragsteller nicht prozessunfähig ist.
Mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2002 stellte der Antragsteller Scheidungsantrag. Die Antragsgegnerin stellte mit Schriftsatz vom 24.04.2003 ebenfalls Scheidungsantrag. Sie beantragt außerdem, ihr die elterliche Sorge für das gemeinschaftliche Kind allein zu übertragen.
Der Antragsteller stellt mit Schriftsatz vom 6.10.2003 den Antrag, die Antragsgegnerin zu verurteilen, zu erklären, dass sie mit der Aufnahme der Tochter in einen gemeinsamen (deutschen) Staatsangehörigkeitsausweis einverstanden ist. Die Kindesmutter hat die Zuständigkeit des AG Lahr für diese Frage anerkannt.
Mit Schriftsatz vom 12.11.2003 begehrt der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Umgang mit seiner Tochter jeden Sonntag von 10.00 – 19.0o Uhr. Wegen seiner Erkrankung sei ihm die Fahrt nach Straßburg nicht zuzumuten. Außerdem wäre ein Umgang von nur 3 Stunden monatlich viel zu wenig. Der Kindesmutter sei zuzumuten, das Kind nach Lahr jeweils zu bringen.
Die Kindesmutter ist diesem Umgangsantrag entgegengetreten. Sie habe zwar die Entscheidung des deutschen Gerichts für die Sorgerechtsverfahren anerkannt, widerspreche aber einer Entscheidung über das Umgangsrecht, da hierzu die französischen Gerichte besser geeignet seien.
Eine Zuständigkeit des Gerichts für die begehrte einstweilige Regelung des Umgangs besteht nicht. Zwar liegt eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Lahr für die Ehescheidung nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) Spiegelstrich 2 Eheverordnung vor. Auch für die beiden Folgeanträge betreffend die elterliche Sorge dürfte das Gericht gern. Art. 3 Abs. 2 zuständig sein, da insoweit die Zuständigkeit von beiden anerkannt worden ist und dies wohl auch im Einklang mit dem Wohl des Kindes steht.
Die beiden letzten Voraussetzungen liegen aber für die Folgesache Umgang nicht vor. Zwar erfasst der Anwendungsbereich der Verordnung mit dem Begriff der elterlichen Verantwortung auch Umgangsstreitigkeiten. Dies entspricht ganz allgemeiner Ansicht und soll in der Nachfolgeregelung Brüssel IIa in den Begriffsbestimmungen des Artikel 2 auch ausdrücklich präzisiert werden.
Allerdings besteht im vorliegenden Fall weder eine Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 3 Abs. 2, noch nach Art. 5. Weder der „Gegenanträge“ (verstanden als Gegenantrag zum Antrag der Ehefrau auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge), noch der Begriff der „Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen” in Art. 3 Eheverordnung sind zu verstehen, dass das Gericht für alle Entscheidungen zuständig ist. So kann insbesondere in Art. 5 nicht gemeint sein „sämtliche Anträge am Geltungsbereich dieser Verordnung” und somit für diese die Voraussetzungen der Art. 2-4 Eheverordnung nicht zu prüfen wären. Dies ergibt sich bereits daraus, dass anderenfalls der im Art. 4 Eheverordnung geregelte Vorrang des Haager Kindesentführungsübereinkommens nicht gewahrt bleibt.
Beispiel:
Nach Einleitung des Scheidungsverfahrens verzieht die Antragstellerin mit dem gemeinsamen Kind im Einverständnis mit dem Mann ins Ausland, der Mann holt das Kind kurz darauf mit Gewalt zurück. Bei einem (Gegen-)Antrag des Mannes auf Übertragung der elterlichen Sorge wäre nicht Art. 5 anzuwenden, sonst könnte der Vorrang des HKÜ nicht gewahrt werden.
Aber auch innerhalb der Art. 3 und 4 müssen deren Voraussetzungen nochmals geprüft werden. Ein Umgangsantrag ist kein Gegenantrag zu einem Antrag auf Regelung der elterlichen Sorge. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach dem vorrangigen HKÜ unterschiedliche Regelungen für die elterliche Sorge einerseits und Umgang andererseits geltend (vgl. etwa die Sperrwirkung von dessen Art. 16). Im übrigen sind nach den meisten europäischen Rechtsordnungen diese beiden Bereiche der elterlichen Verantwortung rechtlich verselbständigt. Zudem kann die Frage, ob eine Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 Eheverordnung dem Kindeswohl entspricht, nur im Hinblick auf den konkret zu regelnden Sachverhalt entschieden werden, wie gerade der vorliegende Fall zeigt.
Eine (eigenständige) Zuständigkeit für die Folgesache elterliche Verantwortung gem. Art. 3 Abs. 2 Eheverordnung ist hier nicht anzunehmen. Zum einen hat die Ehefrau und Kindesmutter diesem Antrag widersprochen. Im übrigen steht er auch nicht im Einklang mit dem Wohle des Kindes. Der französische Familienrichter ist bereits mehrfach mit der Umgangsstreitigkeit befasst worden und hat eine Regelung getroffen, die angesichts der schwierigen Verhältnisse der Parteien nicht als unangemessen angesehen werden kann. Von daher ist eine Entscheidung des sachnäheren Gerichtes am Wohnsitz des Kindes in Frankreich sinnvoller als eine Zuständigkeit hier in Deutschland.