Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft türkischen Rechts mit Sitz in A., betreibt Charterflugverkehr zwischen Deutschland und der Türkei. Mit der Klage begehrt sie von der Beklagten, einer Reiseveranstalterin, rückständige Vergütung für die Beförderung von Kunden der Beklagten auf der Strecke A. – Ft in der Zeit vom 1.1.1992 bis 24.6.1993.
Die Klägerin verwendet einen vorformulierten „Flugzeug- Bereitstellungs- und Überlassungs-Rahmenvertrag“ (Bl. 50 bis 62 der Akten), den sie am 14.2.1992 unterzeichnet und der Beklagten überlassen hat. Gemäß Art. 12 dieses Vertrages sollte die Anwendung deutschen Rechts vereinbart sein. In Art. 13 war bestimmt: „Gerichtsstand ist A., der Sitz der LVG.“ Nach Art. 15 sollte der Vertrag ab dem Tag der Unterschrift durch die Parteien gelten.
Die Beklagte hat den Vertrag nicht unterzeichnet. Sie nahm jedoch die Leistungen der Klägerin entgegen, auch soweit diese Abreden unter Bezugnahme auf den abgeschlossenen Rahmenvertrag bestätigte.
Die Klägerin hat ihre Forderung unter Bezugnahme auf Listen und Rechnungen (Bl. 16 bis 41 der Akten) dargestellt. Sie hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage unter anderem deshalb für gegeben gehalten, weil Art. 13 des Rahmenvertrages lediglich eine nicht ausschließliche Gerichtsstandsbestimmung treffe, die ihr die Wahl lasse, die Beklagte an ihrem allgemeinen Gerichtsstand zu verklagen.
Die Beklagte hat die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gerügt. Sie hat die Auffassung vertreten, gemäß Art. 13 des Rahmenvertrages sei ein ausschließlicher Gerichtsstand in A. (Türkei) vereinbart worden. Unklarheiten bei der Auslegung der Klausel wirkten sich nach § 5 AGBG zu Lasten der Klägerin aus. In der Sache hat die Beklagte beanstandet, daß die Klageforderung nicht schlüssig vorgetragen sei. Die Verweisung auf zahlenmäßig zudem unstimmige Anlagen reiche nicht aus.
Ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Beklagten wurde am 19.4.1994 mangels Masse abgewiesen. Am 21.9.1994 wurde im Handelsregister eingetragen, daß die Firma der Beklagten gemäß § 2 des Löschungsgesetzes vom 9.10.1934 von Amts wegen gelöscht ist.
Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung eines weitergehenden Zinsbegehrens verurteilt, an die Klägerin DM 177.565,‑ nebst 11 % Zinsen seit dem 6.7.1993 zu zahlen. Wegen aller Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen (Bl. 93 bis 97 der Akten).
Gegen dieses ihr am 5.7.1994 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 5.8.1994 Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel am 17.10.1994, einem Montag, begründet.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie bestreitet nunmehr die geltend gemachten Zinsansprüche. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in zweiter Instanz wird auf die Berufungsbegründungsschrift verwiesen (Bl. 117 bis 120 der Akten).
Für die Klägerin hat sich in zweiter Instanz ein Prozeßbevollmächtigter nicht bestellt. Zum Termin am 19.9.1995 ist für die Klägerin trotz der am 11.11.1994 an ihre Prozeßbevollmächtigte erster Instanz zugestellten Ladung niemand erschienen.
Die Beklagte beantragt, die Klage durch Versäumnisurteil unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. In der Sache hat sie jedoch nur in geringem Umfang Erfolg.
Ein Versäumnisurteil konnte gegen die Klägerin nur hinsichtlich eines Teils des Zinsanspruchs erlassen werden. Im übrigen war die Berufung der Beklagten mangels Schlüssigkeit des Verteidigungsvorbringens durch sogenanntes unechtes Versäumnisurteil zurückzuweisen (§ 542 Abs. 2 ZPO). Das Vorbringen der Beklagten in beiden Instanzen rechtfertigt insoweit den Antrag auf Abweisung der Klage nicht.
Die Klage ist zulässig.
Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht es der Parteifähigkeit einer beklagten GmbH nicht entgegen, wenn sie wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde, weil der Erfolg ihres Rechtsmittels Kostenerstattungsansprüche begründen kann, die die Annahme der Vermögenslosigkeit hindern (BGH NJW-RR 1991, 660; BGH NJW-RR 1989, 752, 753; anders noch: BGH NJW 1982, 238). Dieser Auffassung hat sich der Senat angeschlossen (unter anderem Urteil vom 11.7.1995 – 5 U 69/91 – UA S. 16).
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist gegeben. Das Landgericht Hanau war gemäß §§ 12, 17 ZPO international zuständig, weil die Beklagte ihren Sitz in Hanau hatte. Die Zuständigkeit war auch nicht durch die in Art. 13 des Rahmenvertrages enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung („Gerichtsstand ist Antalya, der Sitz der LVG.“) derogiert.
Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ist von dem Gericht zu prüfen, das ohne die Gerichtsstandsvereinbarung zuständig wäre und zu dem deshalb Klage erhoben ist, dessen Zuständigkeit aber abbedungen sein soll (OLG Bamberg NJW-RR 1989, 371).
Die Frage, ob der Vertrag zulässig ist und welche Wirkungen er hat, ist entsprechend den Grundsätzen des internationalen Zivilprozeßrechts nach deutschem Prozeßrecht als der lex fori zu beurteilen. Dagegen ist die Frage, ob der Vertrag zustande gekommen ist, nach (deutschem oder ausländischem) materiellem Recht zu entscheiden (BGH NJW 1986, 1438, 1439). Wird eine Klage bei dem ohne Vereinbarung zuständigen deutschen Gericht erhoben und die vereinbarte ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts eingewandt, ist zunächst zu prüfen, ob die Vereinbarung nach deutschem Recht wirksam ist (BGH aaO).
Prüfungsmaßstab sind die §§ 38, 40 ZPO. Die Bestimmungen des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) stehen ihrer Anwendung nicht entgegen.
Zwar sind gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ vorbehaltlich der Vorschriften des Abkommens Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen. Jedoch findet die Anwendung des EuGVÜ ihre Grenze in dem in Art. 17 EuGVÜ verankerten Grundsatz der Prorogationsfreiheit. Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, vereinbart, daß ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftig aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig, und es gelten besondere Formerfordernisse. Art. 17 EuGVÜ befaßt sich nur mit der vereinbarten Zuständigkeit der Gerichte eines Vertragsstaats, nicht – wie hier – mit derjenigen eines Drittstaats. Das bedeutet aber nicht, daß solche Vereinbarungen nicht zulässig wären. Vielmehr gilt in einem solchen Fall nationales Recht (Samtleben NJW 1974, 1590, 1594; Stein-Jonas-Leipold, 20. Aufl., § 38 ZPO Rn. 22; Schack, Internationales Zivilprozeßrecht, 1991, Rn. 463, einschränkend jedoch Rn. 464, 467). Der BGH hat in NJW 1986, 1438 (dort ging es um die vereinbarte ausschließliche Zuständigkeit eines Schweizer Gerichts) ohne weiteres § 38 ZPO angewandt. Schack (aaO, Rn. 467) meint, der Maßstab des Art. 17 EuGVÜ müsse auch dann gelten, wenn durch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Nichtvertragsstaats mindestens in zwei Vertragsstaaten gegebene Zuständigkeiten ausgeschlossen worden seien. Ob dieser Auffassung zu folgen wäre, kann dahinstehen, weil die Zuständigkeit eines anderen Vertragsstaats nach der EuGVÜ nicht ersichtlich ist.
§ 38 Abs. 1 ZPO, der demzufolge anwendbar ist, läßt die Vereinbarung eines Gerichtsstands auch durch stillschweigende Vereinbarung zu, wenn es sich wie hier um Vollkaufleute handelt.
Nach deutschem internationalem Privatrecht wäre für die materiellrechtliche Beurteilung des (Personenbeförderungs-) Vertrages an sich türkisches Recht heranzuziehen (vgl. Palandt-Heldrich, 54. Aufl. 1995, Art. 28 EGBGB Rn. 14), sofern nicht deutsches Recht vereinbart ist (Art. 27 EGBGB). Das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung richten sich nach dem gewählten Recht (Art. 27 Abs. 4 i.V.m. § 31 Abs. 1 EGBGB).
Insofern ist festzuhalten, daß der Rahmenvertrag, in dessen Art. 12 die Anwendung deutschen Rechts vorgesehen ist, zwar nicht schriftlich zustande gekommen ist, weil die zweite Unterschrift fehlt, von der die Wirksamkeit des Vertrages ausdrücklich abhängig gemacht ist. Jedoch haben die Parteien die Vereinbarung praktiziert. Die Beklagte hat sich später ausdrücklich mit einer Regelung einverstanden erklärt, die auf dem Rahmenvertrag beruhte, denn sie hat am 8.7.1992 bestätigt, daß sie eine Bankbürgschaft über zwei Wochenrotationen vorlegen werde, wie sie die Zahlungsbedingungen des Rahmenvertrags vorsahen. Es ist ferner unstreitig, daß die Klägerin Einzelabreden unter Bezugnahme auf den Rahmenvertrag bestätigte und die Beklagte danach Leistungen entgegennahm. Unter diesen Umständen kann sich die Beklagte nach Treu und Glauben nicht auf fehlende Form berufen. Nach deutschem Recht, das wirksam vereinbart ist, ist auch die Gerichtsstandsvereinbarung zustande gekommen.
Es stellt sich somit die Frage, ob ein ausschließlicher Gerichtsstand in A. vereinbart und damit die Zuständigkeit deutscher Gerichte derogiert ist. Die Parteien können vereinbaren, daß ein Gericht ausschließlich oder neben dem gesetzlich zuständigen Gericht zuständig sein soll. Was gewollt ist, ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht eine Vermutung weder für die Ausschließlichkeit der Zuständigkeit des prorogierten Gerichts noch gegen sie (BGH NJW 1972, 1671).
Fehlen wie hier weitere Anhaltspunkte, dann ist anhand der Interessenlage zu entscheiden. Für den Fall, daß die klagende Partei Ausländer ist, liegt eine ausschließliche Zuständigkeit gerade nicht in ihrem Interesse. Im Gegenteil kommt in diesem Fall eine fakultative Zuständigkeit ihren Interessen entgegen. Sie kann wählen, ob sie der aus ihrer Sicht bequemeren Prozeßführung im Inland oder der sicheren Vollstreckung im Ausland den Vorzug geben will, eine für sie optimale Lösung (OLG Bamberg NJW-RR 1989, 371, 372). Der vereinbarte Klägergerichtsstand schließt deshalb im Zweifel eine Klage am Sitz im Land des Beklagten nicht aus (Zöller-Vollkommer, § 38 ZPO Rn. 14). Das hat das Landgericht zutreffend erkannt.
Aus dem AGBG ergibt sich nichts anderes. Die Unklarheitenregelung des § 5 AGBG greift nicht ein, weil sich im Wege der Auslegung ein bestimmter Sinn der Formularklausel bestimmen läßt, nach dem Zweifel nicht mehr verbleiben.
Der Senat vermag der Beklagten nicht darin zu folgen, daß die Interessenlage bei der Auslegung der Klausel außer Betracht zu bleiben habe. Bei der Auslegung von AGB-Klauseln ist zwar ein objektiver Maßstab anzulegen. Der Wille und die Absichten der Parteien des Einzelvertrages sind ebensowenig entscheidend wie deren individuelle Interessen. Dies schließt aber nicht aus, eine typische Interessenlage als Auslegungsmittel heranzuziehen.
Abgesehen davon ist nicht dargelegt, in welcher Hinsicht die Zuständigkeit türkischer Gerichte der Beklagten günstiger wäre. Für den deutschen Schuldner ist es generell vorteilhafter, vor den Gerichten seines Heimatlandes verklagt zu werden, als sich in einem fremden Staat verteidigen zu müssen, in dem die Vertrautheit mit der anzuwendenden deutschen Rechtsordnung zudem nicht in gleicher Weise wie im Inland vorausgesetzt werden kann. Auch bei Anwendung der Unklarheitenregelung würde man daher nicht zu einem ausschließlichen Gerichtsstand in der Türkei gelangen.
Ob die Gerichtsstandsklausel einer Prüfung am Maßstab des § 9 AGBG standhielte, kann dahinstehen. Wäre die Klausel unwirksam, stünde der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ohnehin kein Hindernis entgegen.
Auch in der Sache rechtfertigen die Einwände der Beklagten die Klageabweisung nicht. Die Klageforderung ist noch hinreichend dargelegt. Aus dem schriftsätzlichen Vorbringen in Verbindung mit den vorgelegten Anlagen ergibt sich in ausreichender Weise, welche Forderungen Gegenstand der Klage sind. Soweit der Klageantrag unterhalb der Summe der offenen Rechnungsbeträge liegt, ist davon auszugehen, daß ein entsprechender Teil der zeitlich letzten Rechnungen nicht eingeklagt sein soll.
Entgegen der Auffassung der Beklagten bedurfte es keiner weiteren Substantiierung, weil sie die Berechtigung der Forderungen nicht bestritten hatte. Darauf hat der Senat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hingewiesen.
Das Bestreiten der Beklagten ist jedoch schlüssig, soweit die geforderten Zinsen den gesetzlichen Zinssatz von 5 % (§ 352 Abs. 1 HGB) übersteigen. Insofern war das erstinstanzliche Urteil im Wege des Versäumnisurteils abzuändern und die Klage abzuweisen.