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Zusammenfassung der Entscheidung Die italienische Klägerin macht vor dem Landgericht Frankfurt a.M. (DE) Kaufpreisansprüche gegen die deutsche Beklagte geltend. Die Beklagte ließ sich in ihrer Klageerwiderung mit materiellrechtlichen Einwendungen auf die Klage ein und erhob Widerklage. Sie rügte erstmals in der mündlichen Verhandlung die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Sie behauptete, es bestehe eine Gerichtsstandvereinbarung, derzufolge für jede Streitigkeit hinsichtlich des Kaufs das Gericht in Ascoli Piceno (IT) zuständig sei. Die Klägerin verwies auf Art. 18 EuGVÜ.
Das Landgericht Frankfurt a.M. (DE) bejaht seine örtliche und internationale Zuständigkeit. Mit der Rüge der örtlichen Unzuständigkeit sei auch die internationale Unzuständigkeit gerügt worden. Diese sei zwar grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen; dies sei aber dann nicht gerechtfertigt, wenn die internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung der Beklagten nach Art. 18 EuGVÜ begründet wurde. Art. 18 verdränge nationales Prozessrecht. Ergebe sich aus Art. 18 die örtliche Zuständigkeit, so sei auch die internationale Zuständigkeit des Gerichts gegeben. Nach §§ 282 Abs. 3, 275 Abs. 1 der deutschen Zivilprozessordnung sei die Rüge der örtlichen Zuständigkeit als verzichtbare Verfahrensrüge schon in der Klageerwiderung geltend zu machen gewesen. Trotz des Vorbringens materiellrechtlicher Einwendungen in der Klageerwiderung habe die Beklagte dies nicht getan. Somit greife Art. 18 ein. Diese Vorschrift gelte auch dann, wenn die Parteien eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung iSd. Art. 17 EuGVÜ getroffen hätten. Das Gericht sei auch für die Entscheidung über eine Aufrechnung der Beklagten zuständig, da es sich um eine konnexe Gegenforderung handle. Aus diesem Grund sei das Gericht nach Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ auch für die Widerklage zuständig. Auch für eine inkonnexe Widerklage wäre das Gericht zuständig, da die Klägerin die Unzuständigkeit nicht rechtzeitig gerügt habe.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Rüge der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main ist unbegründet. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 53 EuGVÜ. Denn die Beklagte hat ihren Sitz im Gerichtsbezirk des Landgerichts Frankfurt am Main. Es ist daher festzustellen, daß das angerufene Gericht für die erhobene Klage und die Widerklage örtlich zuständig ist.
Mit ihrer Rüge der örtlichen Unzuständigkeit macht die Klägerin auch inzidenter die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts geltend, da sie behauptet, daß aufgrund der behaupteten Gerichtsstandsvereinbarung das Gericht in Ascoli Piceno in Italien für diesen Rechtsstreit ausschließlich zuständig sei. Daher ist hier auch zur Frage der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts Stellung zu nehmen, da sie inzidenter in Frage gestellt wird. Obgleich die internationale Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (BGHZ 44, 46), erfährt dieser Grundsatz eine Einschränkung dahin, daß die Amtsprüfung im kontradiktorischen Verfahren – wie hier – dort nicht gerechtfertigt ist, wo die internationale Zuständigkeit durch rügeloses Einlassen der Beklagten nach Art. 18 EuGVÜ – wie hier – begründet wer- den kann. Art. 18 EuGVÜ verbietet insoweit eine Prüfung von Amts wegen, da entgegenstehendes nationales Prozeßrecht durch Art. 18 EuGVÜ verdrängt wird (siehe hierzu Geimer, in: WM 1986, 1171f.). Soweit sich demnach über Art. 18 EuGVÜ die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt, ist auch die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben. Diese Konsequenz tritt hier ein.
(1) Maßgebend für die Frage der örtlichen Zuständigkeit ist hier Art. 18 Satz 1 EuGVÜ. Nach der Zuständigkeitsregel in Art. 18 Satz 1 EuGVÜ wird das Gericht eines Vertragsstaates zuständig, wenn sich die Beklagte vor ihm auf das Verfahren einläßt, selbst wenn es nach den Vorschriften des EuGVÜ sonst unzuständig wäre. Diese Regel kommt zum Zuge, wenn die Rüge der fehlenden Zuständigkeit, hier also der örtlichen Unzuständigkeit, erst nach Abgabe der Stellungnahme erhoben wird, die nach innerstaatlichem Prozeßrecht als erstes (materielles) Verteidigungsvorbringen anzusehen ist (so EuGH v. 24.6.81 im Fall Elefanten Schuh./. Jacqmain, in: IPRax 1982, 234 ff.; ebenso in bfai Rechtsinformationen, Nr. 215 vom Oktober 1987, S. 27 unter Fußn. 76 mit Nachweis weiterer Fälle). Diese Regel gilt sogar auch dann, wenn die Parteien eine Zuständigkeitsvereinbarung im Sinne von Art. 17 EuGVÜ getroffen haben, wie sie hier von der Beklagten behauptet wird (so EuGH in: IPRax 1982, 234 ff.). Die Voraussetzungen dieser beiden Regeln liegen hier vor.
Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde oder nicht, mag hier dahinstehen. Denn eine solche von der Beklagten behauptete Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 17 EuGVÜ bleibt hier unbeachtlich, weil Art. 18 Satz 1 EuGVÜ eingreift. Die Wirkungen des Art. 18 Satz 1 EuGVÜ treten hier allein deshalb ein, weil die Beklagte die Rüge der Unzuständigkeit erst in der ersten mündlichen Verhandlung erhoben hatte und nicht schon in der Klageerwiderung, die innerhalb der Klageerwiderungsfrist erbracht worden war. Die örtliche Unzuständigkeitsrüge hätte nach innerstaatlichem Recht als verzichtbare Verfahrensrüge bereits schriftsätzlich geltend gemacht werden müssen (§§ 275 I, 282 III ZPO). Denn der maßgebliche Zeitpunkt wird durch § 282 III S. 2 ZPO fixiert. Danach war die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit bereits in der Klageerwiderungsschrift vorzubringen. Das hat die Beklagte nicht getan. Sie hat sich das Vorbringen dieser Rüge bis zur mündlichen Verhandlung aufgespart und sie vorher nicht einmal erwähnt. Sie kam erst damit, nachdem sie längst eine Reihe materiellrechtlicher Gründe wie Zurückbehaltungsrechte, Aufrechnungen mit Gegenforderungen zu ihrer Verteidigung ins Feld geführt hatte. Weil dies so ist, hat die Beklagte sich rügelos auf die Sache eingelassen, was die Wirkung des Art. 18 Satz 1 EuGVÜ auslöste.
Das Landgericht Frankfurt am Main wurde deshalb über Art. 2, 53 EuGVÜ örtlich zuständig, zumal eine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts im Sinne der Art. 18 Satz 2, Art. 16 EuGVÜ nicht gegeben und auch nicht ersichtlich ist.
Da das Landgericht Frankfurt a. M. örtlich zuständig geworden ist, ist auch seine internationale Zuständigkeit … über Art. 18 EuGVÜ zu bejahen, die sich aus dem rügelosen Einlassen der Beklagten hier wegen ihrer Verwobenheit mit der örtlichen Zuständigkeit von selbst ergibt.
Das angerufene Gericht ist auch für die zur Aufrechnung gestellten Forderungen der Beklagten zuständig, da ein für den Hauptanspruch zuständiges Gericht nicht daran gehindert werden kann, die Aufrechnung mit konnexen Forderungen zu berücksichtigen.
(2) Was die erhobene Widerklage betrifft, so ist das angerufene Gericht gleichfalls örtlich zuständig. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus der Regel des Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ, da hier Konnexität vorliegt. Da insoweit die örtliche Zuständigkeit gegeben ist, ist auch die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts insoweit zu bejahen, da die Klägerin die internationale Unzuständigkeit in Bezug auf die Widerklage nicht rechtzeitig in limine litis, d. h. nach Erhebung der Widerklage gerügt hat. Auf diese Weise wird der Gerichtsstaat international zuständig, selbst wenn es sich hier um eine inkonnexe Widerklage handeln würde.