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Zusammenfassung der Entscheidung Die belgische Klägerin stand mit der deutschen Beklagten in Geschäftsbeziehungen. Im April 1993 lieferte die Klägerin Schuhe an die Beklagte. Die Beklagte bezahlte den Kaufpreis vollständig. Im Mai 1993 wurden aufgrund eines neuen Kaufvertrags erneut Schuhe geliefert. Im Juli 1993 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Lieferung vom April Mängel aufweise. Im November 1993 erklärte sie die Aufrechnung gegenüber der Restkaufpreisforderung der Klägerin mit ihren Gewährleistungsansprüchen. Die Klägerin verlangt vor dem Landgericht Köln (DE) die Zahlung des Restkaufpreises für die im Mai erbrachte Lieferung. Die Beklagte erhob Widerklage und erklärte gleichzeitig nochmals die Aufrechnung.
Das Landgericht gibt der Klage im vollen Umfang statt. Für die Widerklage bestehe keine internationale Zuständigkeit. Diese lasse sich nicht mit Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ begründen, da sich Klage und Widerklage auf verschiedene Verträge stützten. Es liege auch kein Rahmen- oder Sukzessivlieferungsvertrag vor. Eine internationale Zuständigkeit folge auch nicht aus Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Beide Verträge unterlägen belgischem Recht; der Erfüllungsort für die Ansprüche aus der Widerklage liege danach am Sitz der Klägerin in Belgien. Für die Aufrechnung hielt sich das Landgericht für international zuständig. Es sei zwischen dem Verteidigungsmittel der Aufrechnung und dem Angriffsmittel der Widerklage zu unterscheiden. Die Beklagte könne sich am Gerichtsstand der Klage gegen diese durch Aufrechnung verteidigen. Die Aufrechnung sei somit zulässig; sie sei jedoch unbegründet, da die Beklagte mit ihren Gewährleistungsansprüchen nach dem anzuwendenden belgischen Recht ausgeschlossen sei.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Für die Entscheidung über die mit der Klage geltend gemachte Kaufpreisforderung sind die deutschen Gerichte nach Art. 2 I EuGVÜ international zuständig, weil die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat. Die unstreitige Klageforderung ist gem. Art. 1605 belg. Code civil begründet.
Für die Widerklage ist eine internationale Zuständigkeit des LG Köln nicht begründet. Eine solche ergibt sich weder aus Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ, noch aus Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Eine Zuständigkeit gem. Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ ist nur begründet, wenn die Widerklage auf denselben Vertrag oder Sachverhalt gestützt wird, wie die Klage selbst. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Klage ergibt sich aus dem Kaufvertrag der Parteien aus Mai 1993, die Widerklage beinhaltet Rückgewähransprüche wegen Sachmängeln aus dem Vertrag vom April 1993.
Es liegt weder ein Rahmenvertrag, noch ein Sukzessivlieferungsvertrag vor. Vielmehr standen die Parteien nur derart in Geschäftsbeziehung, daß die Beklagte bei der Vertretung der Klägerin in Deutschland wiederholt Bestellungen aufgab. Der Konnexitätsbegriff ist, da er zur Ausnahme von dem Grundsatz des Art. 2 I EuGVÜ führt, nicht weit, sondern eng auszulegen.
Auch aus Art. 5 I EuGVÜ ergibt sich keine internationale Zuständigkeit des LG Köln für die von der Beklagten erhobene Widerklage. Der Erfüllungsort für die mit der Widerklage erhobenen Ansprüche ist der Wohnsitz der Klägerin nach belgischem Recht. Sowohl der Vertrag aus Mai 1993, als auch der Vertrag aus April 1993 richten sich nach belgischem Recht. Belgien ist nicht Vertragsstaat des Wiener UN Kaufrechtsübereinkommens. Das Abkommen ist daher weder nach seinem Art. 1 (1) a, noch nach Art. 1 (1) b anzuwenden, wie noch auszuführen ist. Die Verträge richten sich auch nicht nach dem Haager Einheitskaufrecht, denn Deutschland hat EAG und EKG gekündigt, sie sind am 01.01.1991 außer Kraft getreten. Mangels Rechtswahl ist daher nach Art. 28 EGBGB maßgebend das Recht des Staates, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist. Beim Fahrniskauf ist das der Staat des Verkäufers. Dieses Vertragsstatut gilt nicht nur für die primären Leistungspflichten, sondern auch für Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche des Käufers (vgl. Münchener Kommentar – Martiny, 2. Aufl. Art. 28 EGBGB Rn. 117). Zum belgischen Recht gehört auch das Haager Einheitliche Kaufrecht über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (EKG). Belgien hat aber bei Ratifizierung des EKG einen Vorbehalt nach Art. 4 gemacht. Es hat erklärt, daß es das EKG nur dann anwendet, wenn das Haager Abkommen betr. das auf internationale Käufe beweglicher Sachen anzuwendende Recht vom 12.06.1955 zur Anwendung des EKG führt. Dieser Vorbehalt ist eine Sachnorm des belgischen Rechts. Nur mit diesem Inhalt ist das EKG von Belgien ratifiziert worden. Es ist nicht einzusehen, warum dieser Vorbehalt bei einer Verweisung auf belgisches Recht nicht beachtet werden soll. Andernfalls würde man dem belgischen Recht einen anderen Inhalt beilegen, als der belgische Gesetzgeber wollte.
In Bezug auf Deutschland ist es aber seit dem 01.01.1991 ausgeschlossen, daß man zur Anwendung des EKG gelangt, weil das EKG seitdem außer Kraft getreten ist. Eine Rückverweisung auf deutsches Recht gem. Art. 3 des Haager Übereinkommens von 1955 kommt aber nicht in Betracht. Einerseits ist Deutschland diesem Übereinkommen nicht beigetreten, andererseits wird eine Rückverweisung gem. Art. 35 EGBGB nicht angenommen. Maßgebend ist danach der belgische Code civil. Nach der erteilten Auskunft des belgischen Ministeriums der Justiz ist Erfüllungsort, sowohl für die Lieferung der verkauften Sache, als auch für Rückzahlung des Kaufpreises nach Wandelung des Kaufvertrages Sitz des Verkäufers bzw. des Schuldners. Eine Veränderung des Erfüllungsorts mit Rücksicht auf die verlangte Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe der Schuhe tritt danach nicht ein. Ein internationaler Gerichtsstand für die Widerklage vor dem LG Köln ist nicht begründet.
Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist zwar zulässig, aber unbegründet. Das Argument des BGH (NJW 1993, 2753), daß bei fehlender Zuständigkeit für die Widerklage die Prozeßaufrechnung „erst recht“ unzulässig sein muß, läßt sich nach der Entscheidung des EuGH (Urt. v. 13.07.1995 NJW 1996, 42) nicht mehr aufrechterhalten. Nach dem EuGH ist vielmehr zwischen dem Verteidigungsmittel der Aufrechnung und der angriffsweise erhobenen Widerklage, die alleine durch Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ geregelt werde, zu unterscheiden. Die Beklagte kann sich danach im Gerichtsstand der Klage gegen diese durch Aufrechnung verteidigen (in diesem Sinne auch Bacher, NJW 1996, 2140). Die Aufrechnung ist aber unbegründet. Denn die Beklagte hat nicht gem. Art. 1648 belg. Code civil innerhalb einer kurzen Frist Klage wegen der versteckten Mängel erhoben. Sie ist daher mit ihren Gewährleistungsrechten ausgeschlossen. Die vorrangige Bedeutung einer fristgemäß erhobenen Klage betont auch das belgische Justizministerium in der von ihm erteilten Auskunft (Seite 9 der Übersetzung). Nach belgischem Recht obliegt Beginn und Dauer der Frist richterlicher Entscheidung. Aus der Antwort des Justizministeriums ergeben sich insoweit keine Erfahrungswerte. Da die Widerklage aber erst im Juli 1994 erhoben wurde, die ersten Mängelrügen aber schon aus Juli 1993 stammen, kann von einer Klageerhebung in kurzer Frist keine Rede mehr sein.