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Zusammenfassung der Entscheidung Der deutsche Kläger war von 1974 bis 1989 als Verkaufsleiter für eine deutsche Gesellschaft tätig. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (DE) verurteilte diese zur Zahlung einer Abfindung an den Kläger. Im Jahre 1994 wurde die Gesellschaft wegen erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten in die Organisation der französischen Muttergesellschaft eingegliedert. Nach Erlass des Urteils des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (DE) wurde ihre Liquidation durchgeführt. Der Kläger hat keine Leistungen auf seinen Abfindungsanspruch erhalten und verlangte vor einem deutschen Gericht von der französischen Muttergesellschaft dessen Erfüllung.
Das OLG Düsseldorf (DE) führt aus, dass Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ im vorliegenden Fall die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht begründe. Obwohl der Anwendungsbereich des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ weit auszulegen sei, komme diese Vorschrift nicht zur Anwendung, weil zwischen den Parteien keine vertragliche Beziehung bestehe. Der Kläger betrachte die Beklagte unter konzernrechtlichen Gesichtspunkten als regresspflichtig. Es handele sich insoweit um eine quasi-vertragliche Haftung aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, auf das Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ nicht anwendbar sei. Weiterhin sei die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte auch nicht gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ gegeben. Es fehle an einer „unerlaubten Handlung" i.S.v. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ. Schließlich begründe auch Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ nicht die deutsche internationale Zuständigkeit. Die Tatsache, dass die Beklagte in einem Ausstellungsverzeichnis einer Fachmesse mit einer Anschrift in Deutschland aufgeführt worden sei, reiche nicht für die Annahme des Vorhandenseins einer Niederlassung i.S.v. Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ in Deutschland. Außerdem sei diese Vorschrift nicht anwendbar, da es an einem erforderlichen Bezug der Streitigkeit zum Betrieb der Niederlassung mangele.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Der Kläger war in der Zeit vom 15. Juli 1974 bis zum 30. Juni 1989 als Verkaufsleiter für die Firma B GmbH & Co KG (nachfolgend: Unternehmen) tätig. Das Landesarbeitsgericht in Düsseldorf verurteilte das Unternehmen zur Zahlung einer Abfindung von 107.283 DM an den Kläger (Urteil vom 21. Juni 1991 – ...).
Im Jahre 1994 wurde das Unternehmen unter Beibehaltung seiner Gesellschaftsform wegen erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten in die Organisation der Beklagten eingegliedert. Die Festlegung der gesamten Geschäftspolitik des Unternehmens erfolgte von dieser Zeit an ausschließlich durch die Direktion der Beklagten. Nach Erlaß des Urteils des Landesarbeitsgerichts wurde die Liquidation des Unternehmens durchgeführt. Leistungen auf seinen Abfindungsanspruch hat der Kläger von dem inzwischen vermögenslosen Unternehmen nicht erhalten können.
Der Kläger verlangt von der Beklagten, die ihren Geschäftssitz in Frankreich hat, die Erfüllung des Abfindungsanspruchs. Er hat die Auffassung vertreten, daß die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 303 AktG hafte, weil sie mit dem Unternehmen in einem faktischen Konzern verbunden gewesen sei.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 115.478,55 DM nebst Zinsen verurteilt und dabei insbesondere die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung•gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (GVÜ) bejaht: Zwar habe zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis bestanden, so daß sich ein direkter vertraglicher Anspruch nicht ergebe. Der Kläger mache jedoch einen Anspruch aus Durchgriffshaftung geltend, der unter Art. 5 Nr. 1 GVÜ falle. Es handele sich um einen Anspruch aus arbeitsrechtlichem Gleichheitsgrundsatz, der nur aufgrund des Umstandes, daß der Kläger sich in einem Arbeitsverhältnis zu der Firma B befunden habe, habe Anwendung finden können. Die deutschen Gerichte seien daher in entsprechender Anwendung von Art. 5 Nr. 1 GVÜ zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergebe sich aus dem Umstand, daß die Beklagte einen Firmensitz in Ratingen unterhalte, wie sich aus dem von dem Kläger überreichten Ausschnitt aus einem Ausstellungskatalog ergebe. Zudem habe der wirtschaftliche Mittelpunkt der Tätigkeit des Klägers bei dem Tochterunternehmen der Beklagten in Ratingen gelegen. – Wegen der näheren Darstellung der Einzelheiten wird auf das landgerichtliche Urteil vom 11. August 1994 verwiesen.
Im Rahmen ihrer Berufungsbegründung wendet sich die Beklagte in erster Linie gegen die vom Landgericht bejahte internationale Zuständigkeit: Ein Vertragsverhältnis habe zwischen den Parteien nicht bestanden. Art. 5 Nr. 1 GVÜ könne nicht auf Rechtsverhältnisse angewandt werden, in denen die Parteien nicht durch einen Vertrag miteinander verbunden seien. Dies gelte für Ansprüche im Rahmen der sogenannten Konzernhaftung um so mehr, als die Haftung im qualifizierten faktischen Konzern nicht an den Umstand der Leitungsmacht, sondern an die Außerachtlassung der eigenen Interessen des abhängigen Unternehmens geknüpft werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 11. August 1994 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf weiterhin für gegeben und begründet dies im einzelnen gemäß den Ausführungen in der Berufungserwiderung vom 23. März 1995 (Bl. 233 GA) und im Schriftsatz vom 31. August 1995 (Bl. 248 GA).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die vorbereitenden Schriftsätze und die von den Parteien überreichten Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist begründet und führt zur Abweisung der gegen sie auf Zahlung von 115.478,55 DM gerichteten Klage. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf ist nicht gegeben. Die Klage ist mithin nicht zulässig.
Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich nicht aus Art. 5 Nr. 1 GVÜ. Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung zu erfüllen wäre. Die Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf wäre demnach zu bejahen, wenn die Beklagte dem Kläger aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung die Zahlung der begehrten Summe schulden würde. Dies ist nicht der Fall.
Allerdings wird der Anwendungsbereich der Vorschrift weit ausgelegt (MüKo-Gottwald, IZPR, Art. 5 Rn. 4). Die Vorschrift erfaßt jedoch nicht Ansprüche aus Wechselrückgriff, aus Quasi-Kontrakten, aus Geschäftsführung ohne Auftrag, aus ungerechtfertigter Bereicherung oder aus sonstigen gesetzlichen Schuldverhältnissen (Gottwald aaO, Rn. 5; Zöller/Geimer, Art. 5 GVÜ, Rn. 6). Vielmehr ist die Vorschrift unanwendbar, wenn zwischen den Parteien keine vertraglichen Beziehungen bestanden haben (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 5 GVÜ, Rn. 6). Der Kläger nimmt die Beklagte indessen nicht auf Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines zwischen den Parteien bestehenden Vertrages in Anspruch, sondern betrachtet die Beklagte unter konzernrechtlichen Gesichtspunkten als regreßpflichtig. Damit handelt es sich lediglich um eine quasi-vertragliche Haftung aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, auf das Art. 5 Nr. 1 GVÜ nicht anwendbar ist.
Die Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf ist auch nicht gemäß Art. 5 Nr. 3 GVÜ gegeben. Der Kläger ist nicht das Opfer eines schädigenden Ereignisses als Folge einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist. Ein gegen die Beklagte gerichteter Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB scheidet bereits deshalb aus, weil allenfalls das Vermögen des Klägers geschädigt wurde und dieses nicht zu den durch Absatz 1 geschützten Rechtsgütern gehört. Die Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB ist aufgrund des Sachvortrags des Klägers nicht zu erkennen. In Betracht kommt allenfalls eine Beteiligung der Beklagten an einem konkursrechtlichen Vergehen. Dafür fehlt es an konkreten Anhaltspunkten. Nach Darstellung des Klägers hat die Beklagte lediglich die Liquidation des zuvor schon angeschlagenen Unternehmens betrieben.
Schließlich begründet auch Art. 5 Nr. 5 GVÜ nicht die Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf. Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung der Beklagten in Düsseldorf bilden nicht den Gegenstand der Klage.
Daß die Beklagte in Ratingen eine Zweigniederlassung, eine Agentur oder eine sonstige Niederlassung unterhält oder unterhalten hat, ist nicht gesichert. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen einer solchen Niederlassung ist der Zeitpunkt der Klageerhebung oder des Abschlusses der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (Gottwald, aaO, Rn. 45). Der Hinweis des Klägers auf das Verzeichnis der Aussteller auf der 75. Internationalen Schuhmesse 1993 in Düsseldorf reicht zur Darlegung einer Niederlassung oder Agentur der Beklagten in Ratingen nicht aus. Mit diesen Begriffen knüpft das GVÜ an eine dauernde Außenstelle eines Stammhauses an, die auf Dauer geplant Mittelpunkt geschäftlicher Aktivitäten ist, eine eigene Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, daß von ihr aus Geschäfte mit Dritten betrieben werden können. Ein Auslandsbüro ohne jegliche selbständige Geschäftstätigkeit sowie eine Verkaufsstelle ohne Geschäftsführung sind daher nicht als Niederlassung anzusehen (Gottwald aaO, Rn. 40). Der Aufenthalt für die Dauer einer Messe oder Ausstellung oder einer sonstigen nur vorübergehenden Veranstaltung reicht nicht aus (Zöller/Geimer, Art. 5 GVÜ, Rn. 22). Soweit das Landgericht seine Zuständigkeit auch mit dem Hinweis auf einen Firmensitz der Beklagten in Ratingen bejaht hat (S. 6 des Urteils = Bi. 196 GA), ist eine derartige Annahme nicht gerechtfertigt. Der Umstand, daß die Beklagte im Ausstellerverzeichnis der 75. Internationalen Schuhmesse (GDS 1993) mit einer Anschrift in Ratingen aufgeführt wurde, rechtfertigt nicht den Schluß auf das Vorhandensein einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung iSv Art. 5 Nr. 5 GVÜ. Im örtlichen Telefonbuch für die Stadt Ratingen ist, worauf der Senat den Kläger gemäß Verfügung vom 3. August 1995 hingewiesen hat (Bl. 245 GA), ein Teilnehmer mit der Bezeichnung „B S. A.“ oder „B“ nicht verzeichnet. Auch legt der Kläger nicht dar, daß die Errichtung einer Zweigniederlassung der Beklagten im Handelsregister eingetragen wurde oder daß eine entsprechende Anmeldung zum Gewerberegister abgegeben wurde. Weitere Bedenken gegen eine Zuständigkeit des Landgerichts nach Art. 5 Nr. 5 GVü ergeben sich daraus, daß die Betriebsbezogenheit der Klage auf eine Niederlassung der Beklagten in Ratingen nicht zu erkennen ist. Der Gerichtsstand der Niederlassung ist nur für „Streitigkeiten aus dem Betrieb“ der Niederlassung eröffnet. Diese Betriebsbezogenheit besteht beim Streit um vertragliche oder außervertragliche Rechte und Pflichten bezüglich der Führung der Niederlassung sowie um Verbindlichkeiten des Stammhauses, die im Vertragsstaat der Niederlassung zu erfüllen sind. Betriebsbezogen sind auch Verpflichtungen, die aus einer Tätigkeit entstehen, welche am Ort der Niederlassung für Rechnung des Stammhauses ausgeübt werden (Gottwald aaO, Rn. 44). Für die begehrte Konzernhaftung der Beklagten fehlt es indessen an der Betriebsbezogenheit in dem genannten Sinne. Das Landgericht Düsseldorf ist somit zur Entscheidung über den Rechtsstreit nicht international zuständig.