-
Zusammenfassung der Entscheidung Der Kläger, der in Deutschland wohnt und über ein umfängliches Vermögen verfügt, hatte bei der beklagten Schweizer Bank einen Betrag von 20 Mio. DM in einem Wertpapierdepot angelegt. Er schloss über die Beklagte ein sog. "Leerverkaufsgeschäft" über Aktien ab, welches spekulativen Charakter hatte und zu einem Verlust von ca. 1,3 Mio. DM führte. Der Kläger forderte Schadensersatz und erhob vor dem Landgericht Bochum (DE) Klage gegen die Beklagte. Die internationale Zuständigkeit des Gerichts sei gemäß Art. 13 LugÜ gegeben. Es habe sich um ein Verbrauchergeschäft gehandelt, welches in keinem Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit stehe. Das Landgericht nahm seine Zuständigkeit an und wies die Klage als unbegründet ab. Der Kläger legte Berufung zum OLG Hamm (DE) ein.
Das OLG Hamm (DE) weist die Berufung zurück. Es entscheidet, dass es für die Klage bereits an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte fehle. Es liege keine Verbrauchersache vor, sodass der Kläger nicht im Gerichtsstand des Art. 13 LugÜ klagen könne. Der Begriff des "Verbrauchers" in Art. 13 LugÜ sei autonom eng auszulegen. Als Verbrauchergeschäft kämen nur solche Verträge in Betracht, die von einer Person zur Deckung ihres Eigenbedarfs beim privaten Verbrauch geschlossen würden. Von einem solchen könne bei einem Anlagegeschäft spekulativen Charakters über ein Volumen von ca. 2,5 Mio. DM nicht ausgegangen werden. Ergänzend stellt das OLG Hamm darauf ab, dass auch die gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 LugÜ weiterhin erforderliche Voraussetzung nicht erfüllt sei, wonach dem Vertragsabschluss ein ausdrückliches Angebot im Wohnsitzstaat des Klägers vorausgegangen sein muss. Nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts sei die Initiative zu dem fehlgeschlagenen Anlagegeschäft vielmehr von dem Kläger selbst ausgegangen, der trotz Warnungen der Beklagten auf seinem Abschluss bestanden habe.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Der Kläger besitzt ein erhebliches Vermögen, von dem er 10 Millionen EUR in einem Wertpapierdepot der Beklagten, einer Schweizer Bank, angelegt hatte. Dazu war der Zeuge B. (Kundenberater der Beklagten) im September 1997 aus Z. zum Kläger gereist, wobei streitig ist, wie bzw. auf wessen Initiative es zu diesem Erstkontakt kam. Ca. ¾ Jahr nach Eröffnung des Wertpapierdepots schloß der Kläger über die Beklagte ein sogenanntes „Leerverkaufsgeschäft“ über 40.000 Telekomaktien und (hier nicht streitgegenständliche) 1.000 S-Aktien ab, wobei auch hier streitig ist, auf wessen Initiative es dazu kam.
Das S-Geschäft schloß der Kläger nach ca. 2 Monaten durch Eindeckungskauf der S-Aktien mit einem Gewinn von ca. 30.000,‑ EUR. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Kläger auch das Telekomgeschäft mit einem Gewinn von ca. 200.000,‑ EUR schließen können. Der Kläger wartete jedoch zu. In der Folgezeit stieg der Telekomkurs, bis der Kläger das Geschäft am 29.11.1999 über die Beklagte durch einen Eindeckungskauf mit einem Verlust von ca. 1,3 Millionen DM schloß.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz dieses Betrages in Anspruch.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme (Vernehmung der Mitarbeiter B. und L1 der Beklagten) die Klage abgewiesen, wobei es den deutschen Gerichtsstand bejaht, gegenüber einem Anspruch des Klägers aus §§ 812 Abs. 1, 762, 764 BGB jedoch einen Rückforderungsausschluß nach § 762 Abs. 1 Satz 2 BGB angenommen hat. Wegen der Begründung im einzelnen und wegen der tatsächlichen Feststellungen im übrigen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
In der Berufungsinstanz verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter. Beide Parteien wiederholen ihren erstinstanzlichen Vortrag, wobei sie insbesondere die Ausführungen zur internationalen Zuständigkeit vertiefen. Wegen der Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II. Die Berufung bot keinen Erfolg.
Die Klage ist schon nicht zulässig, da kein deutscher Gerichtsstand gegeben ist:
1. Die internationale Zuständigkeit ist auch nach Inkrafttreten der ZPO-Reform 2001 und trotz des darin neu gefaßten § 513 Abs. 2 ZPO in jedem Verfahrensabschnitt wegen ihres ungleich großen Gewichts von Amts wegen zu prüfen (BGH NJW 2003, 427).
2. Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit anhand des hier maßgeblichen Art. 13 des Lugano Übereinkommens ergibt, daß eine deutsche Zuständigkeit nicht gegeben ist.
a) Dabei bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob es sich vorliegend um eine Klage handelt „aus einem Vertrag, den eine Person zu einem Zweck abgeschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person (Verbraucher) zugerechnet werden kann“.
Zwar ist der Kläger – bei Anwendung einer formalen Sicht – Geschäftsführer einer Studienkreisgesellschaft für angewandte Methodik im Schulunterricht. Damit hat das vorliegende Wertpapiergeschäft nichts zu tun, wäre damit der privaten Vermögensverwaltung des Klägers zuzuordnen, so daß nach dem Wortlaut des Art. 13 LugÜ der Kläger als Verbraucher angesehen werden könnte.
Der Senat hat jedoch erhebliche Zweifel, ob diese Auslegung mit dem Sinn und Zweck der Regelung vereinbar ist. Denn danach handelt es sich bei Art. 13 LugÜ um eine geradezu „typische“ Verbraucherschutzbestimmung, die den Schutz des Verbrauchers als des wirtschaftlich schwächeren und rechtlich weniger erfahrenen Vertragspartners bezweckt. Es soll also ein „Ungleichgewicht“ beseitigt werden, der schwächere Teil soll davor geschützt werden, mit einem – gegebenenfalls von ihm wirtschaftlich gar nicht tragbaren – Aufwand möglicherweise an einem weit entfernten Ort klagen zu müssen.
Der EuGH hat dazu mehrfach ausgeführt, daß der Verbraucherbegriff des Art. 13 LugÜ „autonom“ auszulegen sei, also losgelöst von nationalen Definitionen, um eine einheitliche Anwendung des Abkommens in den Vertragsstaaten zu gewährleisten, wobei der Begriff Verbraucher im Sinne des Lugano Übereinkommens eng auszulegen sei. Die Frage sei nach der Stellung der Person innerhalb des konkreten Vertrages in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung zu beantworten (EuGH JZ 1998, 896). So könne ein und dieselbe Person im Rahmen bestimmter Vorgänge als Verbraucher und im Rahmen anderer Vorgänge als Unternehmer angesehen werden. Folglich würden nur die Verträge, die eine Einzelperson zur Deckung ihres Eigenbedarfs beim privaten Verbrauch schließt, unter die Vorschriften zum Schutz des Verbrauchers als des Beteiligten fallen, der als der wirtschaftlich schwächere Vertragspartner angesehen wird (EuGH JZ 1998, 896). Aus dem Schutzzweck dieser Vorschrift ergebe sich, daß die im Übereinkommen insoweit vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln nicht auf Personen ausgedehnt werden dürften, die dieses Schutzes nicht bedürften (EuGH NJW 1993, 1251). In einer Sache, in der es um den Kauf bzw. die Erstellung einer Motoryacht zum in 5 Raten zu bezahlenden Preis von 250.000,‑ DM ging, hat der EuGH ausgeführt, daß er nicht danach gefragt sei, ob eine Person in der Situation des Schuldners die in Art. 13 des Übereinkommens aufgezählten Voraussetzungen dafür erfülle, als Verbraucher im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden zu können (IPRax 2000, 411, 413). Damit hat der EuGH im dortigen Verfahren die Frage zwar offengelassen, jedoch zumindest einen Hinweis darauf gegeben, wie er sie entschieden hätte, wenn sie ihm denn vorgelegt worden wäre.
Betrachtet man den vorliegenden Sachverhalt dementsprechend nach dem soeben beschriebenen Sinn und Zweck des Art. 13 LugÜ, spricht vieles dafür, die Verbrauchereigenschaft bei dem Kläger, der bewußt 20 Millionen DM seines Vermögens in die Schweiz gebracht und bei einer Schweizer Bank angelegt hat und daraus sodann ein – unstreitig auch auf Klägerseite als spekulativ angesehenes – Geschäft über 2,5 Millionen getätigt hat, jedenfalls im Hinblick auf dieses konkrete Geschäft nicht als „Verbraucher“ im Sinne der Bestimmung anzusehen.
b) Zweifelhaft ist des weiteren, ob, auch unter Zugrundelegung eines weiten Begriffs einer „Dienstleistung“ im Sinne des Art. 13 Lugano Übereinkommens, und auch bei Betrachtung sämtlicher von der Beklagten im Zuge des vorliegenden Wertpapiergeschäfts für den Kläger vorgenommenen Tätigkeiten als Teil eines einheitlichen Vertrages, von einer Dienstleistung im Sinne des Art. 13 LugÜ ausgegangen werden kann. Denn die Beklagte hat lediglich einen konkreten Aktienverkaufsauftrag sowie später einen konkreten Aktienkaufauftrag ausgeführt und dem Kläger Aktien geliehen. Ob dies – auch bei einer weiten Auslegung – ausreicht, bereits den Dienstleistungscharakter der Tätigkeit der Beklagten zu bejahen, erscheint dem Senat zumindest fraglich.
c) Jedenfalls aber scheitert die Annahme eines deutschen Gerichtsstands an der weiteren Anforderung des Art. 13 LugÜ, daß „dem Vertragsabschluß in dem Staat des Wohnsitzes des Verbrauchers ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung vorausgegangen ist“.
Hierzu hat die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, daß es der Kläger war, der dieses konkrete Geschäft gewünscht und entgegen der von den Mitarbeitern der Beklagten geäußerten Bedenken schließlich sogar mit der „Drohung“, sein gesamtes Wertpapierdepot zur Konkurrenz zu bringen, durchgesetzt hat. Soweit der Kläger die Beweiswürdigung des Landgerichts angreift, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Aussagen der beiden Zeugen B. und L1 sind in sich stimmig und insbesondere auch nicht schon deswegen falsch, weil die Zeugen als Angestellte der Beklagten möglicherweise ein Eigeninteresse daran haben können, im Sinne des Vortrags der Beklagten auszusagen. Im übrigen fehlt es auch an einer substantiierten Darlegung des Klägers dazu, welche angebliche Initiative der Beklagten zu dem Geschäftsabschluß geführt haben soll. Damit ist dem konkret hier streitgegenständlichen Vertragsschluß kein ausdrückliches Angebot und keine Werbung der Beklagten vorausgegangen.
Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Auführungen unterstellen würde, daß dem streitgegenständlichen Vetragsschluß etwa ein werbender Telephonanruf eines Mitarbeiters der Beklagten vorausgegangen wäre, bestehen weitere Bedenken gegenüber einer Anwendung des Art. 13 LugÜ: Aus dem Abstellen des Art. 13 LugÜ auf das vorausgegangene Angebot oder die vorausgegangene Werbung ergibt sich, daß Sinn und Zweck insoweit der Schutz des Verbrauchers vor einer Überrumpelungssituation sein soll (ähnlich § 1 HWig aF). Eine Überrumpelungssituation ist im vorliegenden Fall aber deswegen nicht gegeben, weil es unstreitig mehrere Gespräche bis zum Abschluß des Geschäfts gegeben hat, schon deshalb, weil die Beklagte zunächst intern abklären mußte, ob sie dieses Geschäft überhaupt mit dem Kläger tätigen wollte.
Es ist nach Auffassung des Senats auch auf diesen konkreten Vertrag und den entsprechenden Zeitpunkt abzustellen und nicht darauf, daß dem Vertragsabschluß über den Beginn der Geschäftsbeziehungen insgesamt, die ca. 9 Monate vor dem hier streitgegenständlichen Geschäft zustandegekommen sind, möglicherweise, was im übrigen auch streitig ist, hier aber dahinstehen kann – ein Angebot oder eine Werbung durch die Beklagte vorausgegangen ist. Zum einen handelt es sich bei dieser allgemeinen Geschäftsbeziehung nicht um den Vertrag im Sinne des Art. 13 LugÜ, aus dem der Kläger vorliegend klagt. Außerdem ist auch hier der o.g. Sinn und Zweck des Art. 13 LugÜ zu beachten, den Verbraucher vor einer Überrumpelung zu schützen. Daraus ist zu folgern, daß zwischen Angebot und Geschäft ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang bestehen muß. Dieser ist jedoch nach Ansicht des Senats nicht gegeben, wenn im Rahmen einer bereits ein ¾ Jahr bestehenden Geschäftsbeziehung, in der es auch bereits mehrere Wertpapiertransaktionen gegeben hat, dann lediglich ein weiteres Geschäft vorgenommen wird.
III. Die Berufung war daher mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Klage bereits als unzulässig abzuweisen war.