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Zusammenfassung der Entscheidung Im Rahmen der Prüfung des Prozesskostenhilfegesuchs des in Deutschland wohnhaften Antragstellers stellte sich die Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Denn nur wenn diese gegeben ist, bietet die in Deutschland beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichend Aussicht auf Erfolg i.S.v. § 114 ZPO. Mit der erstrebten Klage gegen eine in der Schweiz ansässige Versicherungsgesellschaft wollte der Antragsteller Schadensersatz aufgrund eines in Frankreich erlitten Unfalls mit dem bei der beklagten Gesellschaft haftpflichtversicherten Unfallgegner geltend machen.
Das OLG Karlsruhe (DE) verneint die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Diese richte sich vorliegend nach dem Übereinkommen von Lugano (LugÜ). Der für die Frage, ob der Geschädigte den Versicherer am eigenen Wohnsitz mit einer Direktklage in Anspruch nehmen kann, maßgebliche Art. 8 LugÜ stimme wörtlich mit Art. 8 EuGVÜ überein. Für diesen sei die Möglichkeit einer Direktklage des Geschädigten vor den Gerichten seines Wohnsitzstaates allgemein abgelehnt worden. Der Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 EuGVÜ spreche nur davon, dass der Versicherungsnehmer, nicht aber der Geschädigte, Klage in seinem Wohnsitzstaat erheben könne. Aufgrund des Interesses an einer homogenen Anwendung der Regeln des EuGVÜ und der des LugÜ sei diese Auffassung auch für das LugÜ zugrundezulegen. Ohne Bedeutung für die Auslegung des LugÜ in seiner derzeitigen Fassung sei die Regelung einer Direktklagemöglichkeit des Geschädigten gegen eine Haftpflichtversicherung an seinem Wohnsitz im Rahmen des Art. 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 lit. b der Brüssel I-VO. Bis zu einer Neufassung des LugÜ müsse eine Diskrepanz in der Frage der Zulässigkeit einer Direktklage des Geschädigten an seinem Wohnsitz gegen die Haftpflichtversicherung zwischen Brüssel I-VO und LugÜ hingenommen werden.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Nach dem für die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Verhältnis zur Schweiz maßgeblichen Lugano-Übereinkommen kann der Geschädigte einen ausländischen Versicherer nicht am Wohnsitz des Geschädigten verklagen (anders Vorlagebeschluß des BGH vom 26.09.2006 [VI ZR 2005/05] für Art. 9 Abs. 1 lit: b, 11 Abs. 2 EuGVVO).
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Amtsgerichts Oberkirch vom 15.5.2007 – 1 C 252/06 – wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Der in Oberkirch/Baden wohnhafte Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die in der Schweiz ansässige Antragsgegnerin, eine Versicherungsgesellschaft. Mit der Klage will der Antragsteller Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen eines Unfalls verlangen, den er am 25.5.2006 auf der französischen Autobahn Valence – Marseille erlitten hat und bei dem ein bei der beklagten Versicherung haftpflichtversichertes Fahrzeug auf den Pkw des Antragstellers auffuhr. Das Amtsgericht Oberkirch hat das PKH-Gesuch mit Beschluß vom 15.5.2007 zurückgewiesen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 S. 1 ZPO) habe; die beabsichtigte Klage sei mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abzuweisen.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit der er beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ihm PKH zu bewilligen.
II. Zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Amtsgerichts Oberkirch ist das Oberlandesgericht berufen (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG). Das Rechtsmittel ist zwar zulässig (§ 127 Abs. 2 S. 2 ZPO), in der Sache aber nicht begründet. Das Amtsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß für die beabsichtigte Klage eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht besteht.
1. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist im Verhältnis zur Schweiz nach den Bestimmungen des – in den hier maßgeblichen Vorschriften mit dem EuGVÜ wörtlich übereinstimmenden – Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 – in der Folge: LugÜ (dazu vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl., Rn. 109 ff.) zu beurteilen. Für das EuGVÜ aber war so gut wie allgemein anerkannt („nahezu unisono“, Rauscher-Staudinger, EuZPR, 2. Aufl., Art. 11 Brüssel I – VO, Rn. 6; umf. Nachw. aus Rechtsprechung und Schrifttum aaO in Fn. 17; ebenso Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 11 Rn. 2; s.a. Schack aaO Rn. 284), daß der Geschädigte den Versicherer mit der Direktklage nicht an seinem Wohnsitzgericht verklagen kann. Diese so gut wie einhellige Auffassung, die sich auf den Wortlaut des EuGVÜ stützen konnte – das in Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 nur vom „Versicherungsnehmer“, nicht aber vom „Geschädigten“ spricht – und auch durch den Jenard-Bericht (ABl EG 1979 C 59/1, 32) gestützt wird, ist im Interesse einer homogenen Anwendung der Brüsseler und Luganer Regeln auch der Anwendung des Lugano-Übereinkommens zugrundezulegen (vgl. etwa auch BGH, NJW 2001, 1936 zum Gebot der Auslegung von Art. 5 Nr. 1 LugÜ nach den zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ entwickelten Regeln).
2. Ohne Bedeutung für die Auslegung des LugÜ sind neuere Erkenntnisse im Schrifttum und die jüngere Rechtsprechung zu Art. 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO. Allerdings hat der BGH (NJW 2007, 71 m. Anm. Staudinger aaO S. 73 = IPRax 2007, 324 m. Anm. Fuchs, IPRax 2007, 302) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gem. Art. 234 EG die – vom BGH bejahte – Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO dahin zu verstehen ist, daß der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedsstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat. Wenn der Geschädigte nach Art. 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO an seinem Heimatforum klagen kann, so beruht dies (BGH aaO; vgl. auch Rauscher-Staudinger aaO) auf der Berücksichtigung der weiteren Rechtsentwicklung im Europarecht, namentlich einer Klarstellung im Sinne eines deklaratorischen Hinweises in der am 11.6.2005 in Kraft getretenen fünften Kraftfahrzeug-Richtlinie (RL 2005/14/EG). Diese Entwicklung kann indes bei der Auslegung des LugÜ ebenso wenig berücksichtigt werden wie etwa auch die weitere Entwicklung im europäischen Insolvenzrecht bei der Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 LugÜ (vgl. Jayme-Kohler, IPRax 2005, 481, 492 unter Hinweis auf das Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 15.12.2004, BGE 131 III 227). Bis zu einer Revision des LugÜ (dazu Schack aaO Rn. 110; Jayme-Kohler aaO sowie Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, 28. Aufl., Vorbem. 3 vor Art. 1 EuGVVO mN) muß eine Diskrepanz in der Frage der Zulassung einer Direktklage des Geschädigten an seinem Wohnsitz gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers daher hingenommen werden.