I. Die französische Gläubigerin erstrebt mit ihrem Antrag vom 23.6.1997 die Erteilung einer deutschen Vollstreckungsklausel an die Ordonnance de référé des Tribunal de Grande Instance de Colmar vom 5.7.1996. Das Landgericht Baden-Baden hat die Erteilung der Klausel mit Beschluß vom 25.7.1997 angeordnet. Die Beschwerde des deutschen Schuldners wendet sich gegen die Klauselerteilung.
Die Ordonnance der Chambre Commerciale des Tribunal de Grande Instance vom 5.7.1996 verurteilt den Schuldner zur Zahlung von 1.003.920,13 FF nebst Zinsen und Nebenkosten. Der Eilentscheidung liegt eine Forderung aus Lieferung von Prospekten zugrunde, die der deutsche Schuldner nach dem Vortrag der Gläubigerin nicht beglichen hat. Die Eilentscheidung erging in Abwesenheit des Schuldners als ordonnance de référé reputée contradictoire. Zum Termin am 21.6.1996 wurde der Schuldner – was inzwischen angesichts vorgelegter Urkunden unstreitig sein dürfte – im Wege der „remise au parquet“ geladen. Der Gerichtsvollzieher übergab am 21.5.1996 der Staatsanwaltschaft beim Tribunal de Grande Instance de Colmar die Klagschrift mit Ladung (S. 111 ff. der Akten). Das am 22.5.1996 vom Gerichtsvollzieher abgesandte Einschreiben gegen Rückschein erreichte die deutsche Schuldneradresse am 25.5.1996, wurde aber nicht entgegengenommen und mit dem Vermerk „refusé“ zurückgeschickt. Die Übermittlung mit Hilfe deutscher Behörden erfolgte am 8.7.1996 an den Schuldner persönlich durch einfache Übergabe. Die Ordonnance selbst wurde dann dem Schuldner wiederum im Wege der remise au parquet zugestellt.
Mit seiner Beschwerde, die der Schuldner am 15.8.1997 (S. 59 der Akten) gegen den am 13.8.1997 zugestellten klauselerteilenden Beschluß des Landgerichts eingelegt hat, rügt der Schuldner die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ). Die Klagschrift habe er nie erhalten, er habe von der Entscheidung erst nach ihrer Rechtskraft Kenntnis erlangt (S. 77 f. der Akten).
Der Senat hat der Gläubigerin durch prozeßleitende Verfügungen aufgegeben, die vollständigen Zustellungsurkunden vorzulegen und zu beschaffen, ferner sich zu den Umständen zu äußern, welche zur Verweigerung der Annahme des Einschreibens geführt haben. Die Gläubigerin hat keine näheren Angaben erlangen können. Sie beruft sich auf Zustellungsvereitelung durch den Schuldner (ausführlicher S. 133, 137 f., 145 f. der Akten). Der Schuldner ist der Aufforderung des Gerichts nicht nachgekommen, sich darüber zu erklären, ob er persönlich oder eine dritte Person die Annahme des Einschreibens gegen Rückschein verweigert hat.
II. Die zulässige Beschwerde (§ 11 AVAG) ist begründet. Denn das Landgericht hat die Erteilung der deutschen Vollstreckungsklausel zu Unrecht angeordnet. Es fehlt an der rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Zustellung der Klagschrift (Art. 34 Abs. 2, 27 Nr. 2 EuGVÜ). Sie ist nach Auffassung des Senats erst am 8.7.1996 erfolgt und damit deutlich nach der mündlichen Verhandlung vom 21.6.1996.
1. Die Anerkennung einer Versäumnisentscheidung setzt ordnungsgemäße und rechtzeitige Zustellung voraus. Es reicht nach der Rechtsprechung des EuGH nicht etwa die Möglichkeit rechtzeitiger Kenntnisnahme aus, vielmehr müssen Ordnungsmäßigkeit und Rechtzeitigkeit kumulativ vorliegen (EuGHE 1990 I, 2725 = IPRax 1991, 177, 178). Das bedeutet, daß eine nicht ordnungsgemäße Zustellung die Rechtzeitigkeit nicht wahren kann und auch dann außer Betracht zu bleiben hat, wenn der Adressat durch sie Kenntnis vom Rechtsstreit erhalten hat und tatsächlich Gelegenheit gehabt hätte, die Verteidigung im Rechtsstreit ausreichend vorzubereiten (BGH NJW 1991, 641, 642 sub 3 b). Nachdem sich der Schuldner zur Behauptung der Gläubigerin nicht substantiiert äußert, er habe am 25.5.1996 die Annahme des Einschreibebriefes wissentlich verweigert und so die Möglichkeit rechtzeitiger Kenntnisnahme vereitelt, ist zu seinen Ungunsten von der Darstellung der Gläubigerin auszugehen (§ 138 Abs. 2 und 4 ZPO). Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt folglich davon ab, ob neben der Kenntnis vom Rechtsstreit spätestens am 25.5.1996 auch die Voraussetzungen ordnungsgemäßer Zustellung gegeben waren.
2. Die postalische Zustellung nach Deutschland vom 25.5.1996 allein erfüllt nicht die Voraussetzung ordnungsgemäßer Zustellung. Die Ordnungsmäßigkeit einer Zustellung richtet sich nach dem Verfahrensrecht des Urteilsstaates einschließlich der für ihn geltenden völkerrechtlichen Verträge (EuGH IPRax 1991, 177, 179 I.Sp.). Nach französischem Verfahrensrecht hat der Kläger bei der Zustellung an Ausländer die Wahl zwischen der „signification“ in Gestalt einer „remise au parquet“ (Art. 683 Abs. 1, 684 Abs. 1 n.c.p.c.) und der Zustellung nach Vertragsrecht (Art. 683 Abs. 3 n.c.p.c.). Weder das Haager Zustellungsübereinkommen 1965 (HZÜ) noch die deutsch-französische Vereinbarung von 1954 erlauben postalische Direktzustellung, sondern nur die Zustellung unter Vermittlung deutscher Behörden. Der grundsätzlichen Möglichkeit postalischer Direktzustellung (Art. 10 Abs. a HZÜ) hat Deutschland in völkervertraglich verbindlicher Form widersprochen (Art. 10 HZÜ, § 6 S. 2 AusführungsG 1977).
3. Auch die remise au parquet vom 21.5.1996 bei der Staatsanwaltschaft in Colmar erfüllt nach Auffassung des Senats nicht die Voraussetzungen ordnungsgemäßer Zustellung. Vielmehr hätte die Gläubigerin die vertragliche Zustellung unter Vermittlung deutscher Behörden wählen müssen, deren Voraussetzungen aber erst am 8.7.1996 und damit verspätet erfüllt wurden.
a) Die remise au parquet (Art. 683 ff. n.c.p.c.) ist eine fiktive Inlandszustellung. Sie vollzieht sich in der Weise, daß der Kläger die Klage und Ladung bei der Staatsanwaltschaft niederlegen (Art. 684, 685 n.c.p.c.) und abzeichnen läßt. Die Staatsanwaltschaft leitet die Schriftstücke zur Übermittlung auf vertraglichem bzw. diplomatischem Wege weiter (Art. 685 Abs. 2 n.c.p.c.). Der Gerichtsvollzieher benachrichtigt die ausländische Partei durch Einschreibebrief gegen Rückschein von der erfolgten Zustellung (Art. 686 n.c.p.c.). Der Zeitpunkt der Zustellung richtet sich allein nach der Niederlegung bei der Staatsanwaltschaft (Cass. civ. 2e, 9.3.1978, Bull. civ. II, No. 70; Cass. civ. 1re, 13.6.1982, Bull. civ. I, No. 222). Konstitutiv für die Zustellung sind nur Niederlegung und Absendung des Einschreibebriefes (Art. 693, 684, 686 n.c.p.c.), nicht etwa auch die Übermittlung durch Vermittlung deutscher Behörden. Das französische Gericht kann nach seinem Ermessen nachprüfen, ob der Beklagte rechtzeitig Kenntnis erlangt hat (Art. 687 n.c.p.c.).
b) Wenn der Kläger die Zustellung unter dem Haager Zustellungsübereinkommen 1965 und der deutsch-französischen Vereinbarung 1954 wählt (Art. 683 Abs. 3 n.c.p.c), so erfolgt die Übermittlung unter Einschaltung deutscher Behörden (Art. 2 ff. HZÜ; Art. 1 – 3 Vereinbarung 1954). Der Adressat kann die einfache Übergabe ablehnen (Art. 5 Abs. 2 HZÜ, Art. 3 Abs. 1 Vereinbarung 1954) und förmliche Zustellung verlangen (Art. 5 Abs. 1 a HZÜ, Art. 3 Abs. 2 Vereinbarung 1954), die den Formen des Zustellungsstaates und damit deutschem Zustellungsrecht folgt und eine deutsche Übersetzung verlangt (Art. 5 Abs. 3 HZÜ, § 3 AusführungsG 1977, Art. 3 Abs. 2 Vereinbarung 1954). Die Zustellung ist erst bewirkt, wenn die Formen des Rechts des Zustellungsstaates erfüllt sind (Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ, Art. 15 Abs. 1 HZÜ). Art. 15 Abs. 2 HZÜ gestattet aber dem Urteilsstaat unter bestimmten Voraussetzungen den Verfahrensfortgang ohne Kenntnis vom Zustellungszeitpunkt, vor allem vorläufige Maßnahmen (Art. 15 Abs. 3 HZÜ).
c) Ob die „remise au parquet“ die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Zustellung gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ erfüllt, ist vom EuGH und BGH bisher nicht entschieden. Dem Fall Lancray gegen Peters (EuGHE 1990 I, 2725 = IPRax 1991, 177; BGH NJW 1991, 641) lag offenbar eine Sachverhaltsgestaltung zugrunde, bei der für die Zustellung nicht die „remise au parquet“, sondern der vertragliche Zustellungsweg gewählt war. Eine verbreitete Meinung in der Literatur geht davon aus, daß die „remise au parquet“ die Voraussetzungen ordnungsmäßiger Zustellung erfülle und der Beklagte durch das Erfordernis rechtzeitiger Kenntnisnahme ausreichend geschützt sei (z.B. Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 27 – 29 Rn. 14; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 1996, Rn. 610); sie hält teilweise Art. 15, 16 HZÜ auf die Benachrichtigung über die Zustellung in Frankreich für anwendbar (Art. 685 Abs. 2 n.c.p.c.), um so den Beklagten etwas weitergehend zu schützen (insbesondere Schack aaO Rn. 611; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 199 Rn. 25). Ein anderer Teil der Literatur erschließt hingegen aus Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ und Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ von 1968 (BGBl 1994 II, 530) die ausschließliche Geltung der vertraglichen Zustellungswege für verfahrenseinleitende Schriftstücke, so daß die „remise au parquet“ als ordnungsgemäße Zustellung insoweit fortfalle (z.B. Rauscher IPRax 1991, 155 ff.; Stürner JZ 1992, 325 ff., 328 ff.; wohl auch Kropholler, EuGVÜ, 6. Aufl. 1998, Art. 20 Rn. 6 und Art. 27 Rn. 31; MünchKomm/Gottwald, ZPO, 1992, Art. 27 EuGVÜ Rn. 16; unklar Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozeßrecht, 4. Aufl. 1997, § 11 Rn. 225 und Rn. 231 f.). Diese Ansicht entspricht auch der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe EWS 1996, 109, 110; offen OLG Köln EWS 1996, 144 ff.; a.A. aber wohl OLG Düsseldorf IPRax 1985, 289). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an und hält an der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Karlsruhe fest.
d) Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 HZÜ, Art. IV Abs. 1 Protokoll 1968 gibt allerdings letztlich keine Klarheit, weil er – ähnlich wie Art. 1 Abs. 1 des Entwurfs 1997 eines Europäischen Zustellungsübereinkommens – immer auch so verstanden werden kann, daß das Vertragsrecht nur für den Fall einer Auslandszustellung gelten soll, die Unterscheidung zwischen Inland- und Auslandszustellung aber der lex fori vorbehalten bleibe. Auch Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ bringt insoweit keine volle Klarheit, weil er die Notwendigkeit einer Übermittlung nach dem HZÜ ebenfalls voraussetzt, die z.B. im französischen Recht zumindest als konstitutives Element einer remise au parquet gerade nicht besteht. Immerhin legen diese vertraglichen Regelungen eine Handhabung des nationalen Zustellungsrechts nahe, die ihren Zweck nicht unterlaufen. Für den Bereich der Europäischen Union – und nur dieser Fall ist hier zu entscheiden – folgt im übrigen nach Auffassung des Senats die Notwendigkeit vertraglicher Zustellung aus einer Handhabung des Zustellungsrechts, die das Diskriminierungsverbot des Art. 6 Abs. 1 EGV (künftig Art. 12 EGV) ausreichend berücksichtigt. Die Vorschriften der Art. 20 Abs. 3 EuGVÜ, Art. IV Abs. 1 Protokoll 1968 und des Art. 683 n.c.p.c. sind möglichst so anzuwenden, daß eine Diskriminierung von EU-Bürgern weitgehend ausgeschlossen bleibt. Der EuGH hat den Grundsatz prozessualer Gleichbehandlung für den Fall des Arrestgrundes der Auslandsvollstreckung (§ 917 Abs. 2 ZPO) verwirklicht (EuGH NJW 1994, 1271). Im prozessualen Zustellungsrecht sollte nichts anderes gelten.
e) Die französische „remise au parquet“ soll dem französischen Kläger die Zustellung im Ausland ersparen. Ähnlich wie Art. 14 C.c. den französischen Gerichtsstand garantiert, sollen Art. 683 ff. n.c.p.c. die Inlandszustellung fingieren, um den französischen Kläger von Beschwerlichkeiten und Verzögerungen ausländischen Prozessierens zu verschonen. Art. 3 EuGVÜ nimmt dem exorbitanten französischen Heimatgerichtsstand seine Geltung, weil er typischerweise nichtfranzösische EU-Bürger gegenüber französischen Beklagten benachteiligen müßte. Der gleiche Gesichtspunkt hat auch für die Frage der Zulässigkeit einer verfahrenseinleitenden remise au parquet innerhalb der EU ausschlaggebendes Gewicht. Zwar können ihre Nachteile auch französische Bürger treffen, die in anderen EU-Staaten leben. Typischerweise belasten sie aber nichtfranzösische EU-Bürger, was für die Berücksichtigung des Grundgedankens des Art. 6 Abs. 1 EGV bei der Rechtsanwendung ausreichen sollte (EuGH NJW 1994, 1271). Dabei geht es nicht um den pauschalen Vorwurf, französisches Zustellungsrecht sei allgemein unvereinbar mit Art. 6 Abs. 1 EGV. Vielmehr wird mit einer solchen Auslegung der Kläger vor französischen Gerichten nur angehalten, gegenüber EU-Bürgern die vertragliche Zustellungsmöglichkeit zu wählen, die das französische Recht wahlweise selbst vorsieht (Art. 683 Abs. 3 n.c.p.c.). Der Eingriff in das französische Recht ist also vergleichsweise gering, die EU-konforme Handhabung des Zustellungsrechts entspricht auch vielfacher französischer Praxis (z.B. im Falle EuGHE 1990 I, 2725).
f) Die remise au parquet benachteiligt den ausländischen Beklagten gegenüber dem inländischen Beklagten. Dem inländischen Beklagten wird die Klage regelmäßig in der gewohnten Sprache persönlich oder doch in seinem unmittelbaren Herrschaftsbereich zugestellt (Art. 653 ff. n.c.p.c.), formalisierte Möglichkeit der Kenntnisnahme und der Zeitpunkt erwarteter prozessualer Reaktion fallen zusammen. Bei der remise au parquet ist der Beklagte mit dem Nachteil frühzeitiger Zustellungsfiktion belastet, die Berücksichtigung verspäteter Kenntnisnahme bleibt zumindest teilweise richterlichem Ermessen überlassen (Art. 687 n.c.p.c.). Diese Regelung wäre nicht diskriminierend, wenn innerhalb der EU die vertragliche Zustellung, die dem Beklagten inländergleiche Rechtssicherheit schafft, nicht funktionsfähig wäre. Davon kann aber in aller Regel nicht die Rede sein. Dies zeigt auch der zu entscheidende Fall. Die zeitliche Differenz zwischen der remise au parquet am 21.5.1996 und der vertraglichen Zustellung am 8.7.1996 ist nicht so groß, daß ein Abwarten nicht zumutbar gewesen wäre. Die Beschwernis für den Kläger bei vertraglicher Zustellung ist innerhalb der EU regelmäßig eher geringer als die Beschwernis der Vollstreckung in einem anderen EU-Staat, die der EuGH als keinen ausreichenden Gesichtspunkt für diskriminierende prozessuale Rechtsanwendung betrachtet hat. Die vertragliche Zustellung beugt auch möglichen sprachlichen Nachteilen des Beklagten vor, weil sie auf Verlangen eine Übersetzung der Klage und Ladung mitbeinhaltet. Sie enthebt die Gerichte der oft kaum möglichen Entscheidung darüber, ob Übersetzungsmöglichkeiten und Sprachkenntnisse des Beklagten für eine rechtzeitige Kenntnisnahme ausgereicht haben. Vor unziemlichen Verzögerungen schaffen Art. 15 Abs. 2, 20 Abs. 3 EuGVÜ Abhilfe. Auch die Verbesserungen des künftigen europäischen Zustellungsübereinkommens können sinnvoll nur umgesetzt werden, wenn alle EU-Länder von diesem Übereinkommen ausreichenden Gebrauch machen. Die „remise au parquet“ führt im Extremfall dazu, daß ein EU-Bürger mit einer postalisch übersandten Klage in fremder Sprache überzogen wird und es sein Risiko bleibt, die Reaktion zu wählen, die bei späterer Anerkennung die Billigung der Gerichte des Anerkennungsstaates findet. Zum fairen Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 EMRK gehört nicht nur der effektive Rechtsschutz für den Kläger, sondern auch die verständliche Information des Beklagten mit klaren und formalisierten Anforderungen.
4. Am Ergebnis ändert sich nichts, wenn man den Charakter der Ordonnance als référé-Entscheidung und damit als Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes berücksichtigt (Art. 873 Abs. 2 n.c.p.c.). Zwar erlaubt Art. 15 Abs. 3 HZÜ vorläufige Maßnahmen ohne Vergewisserung über die Wirksamkeit der Zustellung. Es kann offenbleiben, ob befriedigende einstweilige Maßnahmen unter diese Vorschrift fallen, obwohl der EuGH neuestens an die Zulässigkeit solcher Maßnahmen strengere Maßstäbe anzulegen gewillt scheint und z.B. die Zuständigkeit für solche Maßnahmen stark eingeschränkt hat (Urteil vom 17.11.1998 – Rs C-391/95, van Uden Africa Line gegen Deco Line). Jedenfalls sind solche Maßnahmen nur vollstreckbare Entscheidungen im Sinne der Art. 25 ff., 31 ff. EuGVÜ, wenn bei Verfahrenseinleitung das rechtliche Gehör gewahrt ist (EuGHE 1980, 1553 – Denilauler gegen Couchet; hierzu Kropholler, EuGVÜ, Art. 25 Rn. 23). Die Form der Wahrung des Gehörs ist nicht anders zu beurteilen als bei Leistungsurteilen in der Hauptsache (Art. 27. Nr. 2 EuGVÜ).
5. Nicht ausschlaggebend ist schließlich, ob der Schuldner Rechtsbehelf gegen die Ordonnance eingelegt hat. Der Verstoß gegen Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wird nämlich nach der Rechtsprechung des EuGH nicht geheilt, falls der Schuldner einen möglichen Rechtsbehelf gegen die Versäumnisentscheidung versäumt haben sollte (EuGHE 1992 I, 5661 = JZ 1993, 357; Minalmet gegen Brandeis).
6. Der Senat hat erwogen, ob die Berufung des Schuldners auf die Zustellungsmängel gegen Treu und Glauben verstößt (§ 242 BGB). An der Schutzwürdigkeit des deutschen Schuldners mögen durchaus Zweifel bestehen, zumal sein Vortrag zum Hergang der Zustellung mit der Aktenlage teilweise nicht harmoniert und manches dafür spricht, daß er sich dem Zugriff seiner französischen Gläubigerin zu entziehen versucht. Wenn man allerdings die vertragliche Zustellung allein für richtig hält, konnte der Schuldner die Entgegennahme der postalischen Direktzustellung ohne Einschaltung deutscher Behörden verweigern, ohne daß ihm daraus ein rechtlicher Vorwurf gemacht werden könnte. Eine „vorweggenommene“ Heilung der verspäteten vertraglichen Zustellung durch den vorausgegangenen Zugang der Klage (argumentum ex Art. 693, 694, 114 Abs. 2 n.c.p.c., § 187 ZPO) kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil bei Verstößen gegen völkervertragliche Zustellungsformen eine Heilung nach nationalen Rechtsvorschriften ausscheidet (offen EuGHE 1990 I, 2725 = IPRax 1991, 177, 179 I.Sp.; wie hier BGH NJW 1991, 641, 642 I.Sp.).
7. Von einer eigenen Vorlage beim EuGH (Art. 2 Nr. 2, 3 Abs. 2 Protokoll 1971) zur Klärung der anstehenden Rechtsfragen hat der Senat abgesehen, weil er es für ausreichend hält, wenn der BGH über eine Vorlage entscheidet, falls die Gläubigerin Rechtsbeschwerde einlegt.