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Zusammenfassung der Entscheidung Die niederländische Beklagte hat bei der deutschen Klägerin Ware bestellt. Die Klägerin hat der Beklagten eine Auftragsbestätigung übersandt, auf deren Rückseite ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) abgedruckt waren. Diese Bedingungen enthielten eine Gerichtsstandsklausel, die einen Gerichtsstand in Deutschland begründete. Auf der Auftragsbestätigung befand sich außerdem folgender Hinweis: „Kontrakttext und umstehende Verkaufsbedingungen gelten als akzeptiert, sofern nicht unverzüglich Einspruch bei Empfang durch Telex oder Telefon erfolgt“. Daraufhin hat die Beklagte mit einem Schreiben erklärt, dass sie mit der Auftragsbestätigung der Klägerin nur dann einverstanden sei, wenn die Ware zu ihren eigenen Einkaufsbedingungen geliefert werde. Die Klägerin hat die Ware geliefert und Rechnungen ausgestellt, welche die Beklagte nicht beglichen hat. Sie klagt nunmehr gegen die Beklagte vor einem deutschen Gericht auf Zahlung fälliger Beträge.
Das Landgericht Bayreuth (DE) verneint die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Eine wirksame, deren Zuständigkeit prorogierende Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 17 EuGVÜ liege nicht vor. Die AGB der Klägerin seien nicht Vertragsinhalt geworden, weil die Beklagte ihnen nicht zugestimmt habe. Sie habe vielmehr einer Geltung dieser AGB und somit auch der darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel ausdrücklich widersprochen. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Beklagte den Widerspruch rechtzeitig erklärt habe, da der in der Auftragsbestätigung der Klägerin hierfür bestimmten Frist keine Bedeutung zukomme. Auch Art. 18 EuGVÜ begründe nicht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte, weil eine rügelose Einlassung der Beklagten i.S. dieser Vorschrift nicht vorliege; denn diese habe sich nur hilfsweise zur Sache geäußert.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine internationale Rechtsstreitigkeit im Rahmen von Vertragsstaaten der Europäischen Gemeinschaft, für die das Übereinkommen vom 27.9.1968 (BGBl. 1972 II 774) – GVÜ vorrangig vor § 38 ZPO gilt (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartman, ZPO, 34. Aufl. 1976, Anm. 4 zu § 38 ZPO; Samtleben, NJW 1974, 1590).
Über die Zuständigkeit des von der Klägerin angerufenen LG Bayreuth ist aufgrund abgesonderter Verhandlung gemäß §§ 274 I, II Nr. 1, 275 I ZPO vorab zu entscheiden.
Die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen ist dafür nach § 95 I Nr. 1 GVG, die des Vorsitzenden allein nach § 349 II Nr. 2 ZPO gegeben.
II. Das LG Bayreuth ist örtlich nicht zuständig, weshalb die Klage durch Prozeß-Endurteil abzuweisen und dabei aufgrund des Art. 20 GVÜ ausdrücklich auszusprechen ist, daß sich dieses Gericht für (örtlich) unzuständig erklärt.
Eine Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige niederländische Gericht kommt nicht in Betracht, weil dieses ein ausländisches ist (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, Anm. 1 C zu § 276 ZPO) und das GVÜ keine anderweitige Regelung enthält.
Die Klägerin beruft sich darauf, daß durch eine – sowohl nach deutschem Recht gemäß § 38 I ZPO als auch nach Art. 17 I GVÜ zulässige – Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit des LG Bayreuth begründet worden sei, indem ihre Verkaufsbedingungen Vertragsinhalt geworden seien, in deren Nr. 5 Bayreuth als Gerichtsstand ausdrücklich genannt ist.
Diesen Verkaufsbedingungen müßte, wenn sie Teil der unter den Parteien getroffenen Vereinbarungen (Kaufvertrag über die Lieferung tiefgekühlten Obstes im Wege der Versendung) geworden sein sollen, die Beklagte zugestimmt haben. Das ist jedoch nicht der Fall.
Abweichend von § 38 I ZPO, der – u. a. unter Vollkaufleuten – neben der ausdrücklichen auch die stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung zuläßt, schränkt im internationalen Rechtsverkehr unter den Partnern der Europäischen Gemeinschaft Art. 17 I GVÜ diese Möglichkeit insofern ein, als er voraussetzt, daß die Parteien eine derartige Vereinbarung entweder schriftlich oder mündlich – nicht stillschweigend – treffen, im letzteren Falle der bloß mündlichen Absprache unter der weiteren Voraussetzung, daß sie schriftlich bestätigt wird, wofür freilich die Bestätigung durch eine der Parteien genügt (vgl. die entsprechende Regelung in § 38 II 2 i. V. m. Satz 1 ZPO; Loewe, NJW 1974, 475; v. Hoffmann, AWD 1973, 62 f.).
1. Aus den von der Klägerin vorgelegten Schriftstücken, vor allem dem Schriftwechsel, soweit er dem Gericht unterbreitet worden ist, ergibt sich aber jedenfalls nicht, daß die Beklagte die Verkaufsbedingungen der Klägerin schriftlich angenommen hätte.
Allerdings heißt es schon im Schlußschein des Handelsmaklers W. vom 28.5.1975 unter „sonstigen Bedingungen“:
„im übrigen zu Verkäufers Lieferungs- und Zahlungsbedingungen“, mit dem Zusatz freilich:
„Verkäufers Auftragsbestätigung folgt“,
und sind unstreitig der Beklagten die Verkaufsbedingungen der Klägerin vor Zugang deren Auftragsbestätigung nicht übermittelt worden, sondern mit Datum 4.6.1975 erst mit dieser. Beim Schlußschein des Maklers handelt es sich zwar um eine „Schlußnote“ im Sinne des § 94 I HGB, aber es ist ersichtlich nicht nach § 94 II HGB verfahren worden (offenbar weil das Geschäft bei der Verderblichkeit der zu liefernden Ware möglichst umgehend abgeschlossen werden sollte), und es fehlt mithin an einer von der Beklagten unterschriebenen Schlußnote.
Nach Zugang der Auftragsbestätigung der Klägerin mit deren der Rückseite aufgedruckten Verkaufsbedingungen samt Gerichtsstandsklausel „Bayreuth“ hat die Beklagte diesen Gerichtsstand schriftlich ebenfalls nicht vereinbart, sondern im Gegenteil mit ihrem Schreiben vom 9.6.1975 erklärt, daß sie mit der Auftragsbestätigung der Klägerin nur dann einverstanden sei, wenn die Ware „zu ihren – einen Gerichtsstand Bayreuth nicht vorsehenden – Einkaufsbedingungen“ ausgeliefert werde.
2. Eine „mündliche“ Gerichtsstandsvereinbarung wird von der Klägerin selbst nicht behauptet. Aus dem von den Streitteilen vorgelegten Schriftwechsel geht vielmehr hervor, daß die Kaufvertragsverhandlungen auf (fern-)schriftlichem Wege erfolgt sind. Einer schriftlichen Bestätigung im Sinne des Art. 17 I GVÜ hat es daher, was die Vereinbarung des Gerichtsstandes anlangt, mangels einer darüber mündlich zustandegekommenen Einigung nicht bedurft.
3. Es bleibt die Frage, ob auch nach Art. 17 GVÜ ein Gerichtsstand in der Weise vereinbart werden kann, daß eine Partei der anderen anträgt, ihre Allgemeinen eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Geschäftsbedingungen dem zu schließenden Vertrag zugrundezulegen, und die andere Partei sie Vertragsinhalt werden läßt, indem sie nicht oder nach Handelsbrauch nicht rechtzeitig (§ 362 HGB) widerspricht.
Diese Frage ist so zu beantworten: Wenn – wie hier von der Klägerin – deren AGB der Beklagten auf schriftlichem Wege übermittelt worden sind und sie die Gerichtsstandsklausel enthalten, so hat diese Partei damit der Schriftform auch in bezug auf die Regelung des Gerichtsstandes genügt. Die Verweisung auf die AGB ist grundsätzlich als zulässig anzusehen (Samtleben, NJW 1974, 1592). Zum Formerfordernis des Art. 17 GVÜ gehört in einem solchen Falle aber auch, dass „diese Verweisung eindeutig von dem erklärten Willen der Vertragspartner umfasst“ wird, also von dem beider Streitteile; denn durch das Formerfordernis des Art. 17 GVÜ soll gerade die unbemerkte Einfügung von Gerichtsstandsklauseln in das Vertragsverhältnis verhindert werden, weshalb z. B. ein formularmäßiger Aufdruck auf Briefbögen oder Rechnungen nicht ausreicht (Samtleben aaO). Gewiß kann unter gewöhnlichen Umständen aus dem Schweigen des Empfängers eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens auf das Vorliegen einer – entsprechenden – mündlichen Vereinbarung „geschlossen“ werden, auch wenn in dem Bestätigungsschreiben auf eine in den AGB – wie hier – enthaltene Gerichtsstandsklausel verwiesen wird (Samtleben aaO). Das kann jedoch nicht gelten, wenn – wie unbestritten im vorliegenden Falle – feststeht, daß mündliche Vereinbarungen gar nicht getroffen worden sind. Aus Art 17 GVÜ geht klar hervor, daß beide Partner den betreffenden Gerichtsstand gewollt haben müssen, – wenn er als vereinbart angesehen werden und deshalb gelten soll. Aus diesem Grunde hat aus den vorstehend dargelegten Gründen weder das Stillschweigen der Beklagten auf die Schlußnote des Maklers – schon weil ihr nicht gleichzeitig die AGB der Klägerin zugegangen waren – noch der Zeitablauf zwischen dem Zugang der die AGB samt Gerichtsstandsklausel enthaltenden Auftragsbestätigung der Klägerin und dem Zugang des ihnen widersprechenden Schreibens der Beklagten vom 9.6.1975 bei der Klägerin die rechtliche Folge, daß von einer Zustimmung der Beklagten ausgegangen und die Vereinbarung eines Gerichtsstandes Bayreuth angenommen werden könnte. Aus diesem Grunde kommt es, soweit es um den Gerichtsstand geht, nicht darauf an, ob die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 9.6.1975, mit dem sie auf der Gültigkeit ihrer Einkaufsbedingungen bestanden hat, rechtzeitig oder nicht rechtzeitig der Auftragsbestätigung der Klägerin samt deren AGB widersprochen hat angesichts dessen, daß es in ihr zwar in Kleindruck, aber durchaus gut lesbar heißt:
„Kontrakttext und umstehende Verkaufsbedingungen gelten als akzeptiert, sofern nicht unverzüglich Einspruch bei Empfang durch Telex oder Telefon erfolgt.“
Dieses Ergebnis entspricht der beim Zustandekommen des GVÜ vorhandenen Ausgangslage – wonach jeder Staat aufgrund seiner Souveränität Wert darauf legt, daß Rechtsstreitigkeiten seiner Bürger mit Ausländern von den eigenen Gerichten entschieden werden – und der durch das Übereinkommen der EG-Staaten erweiterten Möglichkeit, die Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts unabhängig davon zu vereinbaren, welche Rechtsordnung in einem grenzüberschreitenden Rechtsstreit nach Maßgabe des IPR zur Anwendung kommt: Es soll in jedem Falle sichergestellt sein, dass beide Parteien über den Gerichtsstand einig sind. Dazu dienen die in Art. 17 GVÜ vorgeschriebenen Förmlichkeiten.
Die Vorschrift erschwert den internationalen kaufmännischen Verkehr innerhalb der Staaten des GVÜ nicht ungebührlich, weil sie auch mündliche Gerichtsstandsabsprachen, wenn sie nur von einer Seite schriftlich bestätigt werden, zuläßt.
4. Auch nach einer anderen Vorschrift des GVÜ ist die Zuständigkeit des LG Bayreuth nicht gegeben: Die Beklagte hat sich hier nur zu dem Zweck „auf das Verfahren eingelassen“, um den Mangel der (örtlichen) Unzuständigkeit geltend zu machen, weshalb dieses Gericht nicht gemäß Art. 18 Satz 1 GVÜ zuständig „geworden“ ist (Art. 18 Satz 2 GVÜ).
Die Folge ist nicht etwa nur, daß keine „ausschließliche Zuständigkeit“ des LG Bayreuth aufgrund des Art. 17 GVÜ begründet wurde, sondern das angerufene Gericht hat sich, ohne daß es einer Prüfung bedarf, welche Rechtsordnung nach deutschem IPR Anwendung findet, aufgrund des Art. 20 I GVÜ für unzuständig zu erklären. Denn danach gilt:
Läßt sich – wie hier – die Beklagte mit Sitz im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten des GVÜ als vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaates Verklagte auf das Verfahren nicht ein (gemeint im Sinne des Art. 18 GVÜ, wie vorstehend ausgeführt), so hat sich dieses Gericht „von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht aufgrund der Bestimmungen dieses Übereinkommens begründet ist“. Das ist, wie dargelegt, nicht der Fall.
Die Klage ist deshalb durch Endurteil als unzulässig zu verwerfen.