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Zusammenfassung der Entscheidung Der deutsche Kläger hat den deutschen Beklagten durch schriftlichen Vertrag ein in den Niederlanden belegenes Haus vermietet. Der Mietvertrag enthielt eine Klausel, welche die Anwendung deutschen Rechts vorsah und einen Gerichtsstand in Deutschland begründete. Die Beklagten haben die Beendigung des Mietverhältnisses zum August des Jahres 1974 erklärt. Der Kläger verlangte die Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist. Er hat somit gegen die Beklagten vor einem deutschen Gericht Klage auf Zahlung des Mietzinses bis November 1974 erhoben.
Das Landgericht Aachen (DE) findet, dass die deutschen Gerichte nicht international zuständig seien. Ausschließlich zuständig zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits seien vielmehr gemäß Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ die niederländischen Gerichte. Unter diese Vorschrift fielen auch reine Mietzinsklagen, da sie nicht vom Mietobjekt losgelöst betrachtet werden könnten, weil die nationalen Rechtsordnungen auf dem Gebiet der Wohnungsmiete zahlreiche zwingende Bestimmungen enthielten. Außerdem sei die Unterscheidung zwischen reinen Mietzinsklagen und anderen Klagen aus dem Mietverhältnis in der Praxis kaum möglich. Ferner habe es auf die Anwendung des Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ keinen Einfluss, dass beide Parteien ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Schließlich sei die zwischen den Parteien nach Art. 17 EuGVÜ zustande gekommene Gerichtsstandsvereinbarung aufgrund der Tatsache, dass Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte im Belegenheitsstaat der unbeweglichen Sache begründe, nichtig.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Parteien sind deutsche Staatsangehörige und haben ihren Wohnsitz im Inland. Der Kläger hatte den Beklagten durch handschriftlichen Mietvertrag vom 4. 8. 1973 sein Haus in Kerkrade-West/Niederlande mit Ausnahme der Mansardenwohnung zu einem monatlichen Mietzins von 390,‑ DM vermietet. Die Beklagten zahlten eine Kaution von 390,‑ DM an den Kläger. In Ziffer 7 des Mietvertrages heißt es:
„Für den Mietvertrag gilt deutsches Recht. Gerichtsstand ist Aachen.“
Im Juli oder August 1974 erschienen die Beklagten bei der Ehefrau des Klägers und erklärten dieser, daß sie Ende August 1974 das Mietverhältnis beendigen möchten. Am 23. 8. 1974 verlangte daraufhin der Kläger von den Beklagten die Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist. Die Beklagten zogen in der Nacht vom 30. zum 31. 8. 1974 aus und warfen die ihnen überlassenen Schlüssel am 3. 9. 1974 in den Briefkasten des Klägers.
Der Kläger hat den Mietzins für die Monate September, Oktober und November 1974 verlangt.
Er hat behauptet, ihm sei eine Neuvermietung erst zum 1. 12. 1974 möglich gewesen. Die von den Beklagten geleistete Kaution reiche nicht einmal aus, um die von ihnen angerichteten Schäden zu beheben, da hierfür 700,‑ DM bis 800,‑ DM erforderlich seien.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 1.170,‑ DM nebst 11,25 % Zinsen seit Rechtshängigkeit (5. 10. 1974) sowie 1,90 DM Auslagen für Mahnschreiben zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben vorab die fehlende internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Aachen unter Hinweis auf Artikel 16 Nr. 1 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9. 1968 (BGBl. 1972, II, 774) gerügt. Danach sind ohne Rücksicht auf den Wohnsitz für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, ausschließlich die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dem die unbewegliche Sache belegen ist.
Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen und ausgeführt, infolge der ausschließlichen Zuständigkeit der holländischen Gerichte sei die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien nichtig. Selbst wenn man Artikel 16 Nr. 1 dieses EG-Übereinkommens restriktiv auslege und nicht auf reine Mietzinsklagen anwende, führe dies zu keinem anderen Ergebnis, weil Gegenstand des Rechtsstreits auch die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz von Schönheitsreparaturen bzw. Beschädigungen der Mietsache sei.
Gegen dieses am 4. Juli 1975 verkündete Urteil, auf das im übrigen Bezug genommen wird, hat der Kläger am 15. Juli 1975 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
Der Kläger verlangt jetzt nur noch 2 Monatsmieten und ist der Ansicht, es handele sich um eine reine Mietzinsklage. Ansprüche wegen Schönheitsreparaturen stelle er hingegen nicht.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagten zu verurteilen, an ihn 780,‑ DM zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie treten dem angefochtenen Urteil bei und sind der Auffassung, holländischem Recht wirksam gekündigt zu haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie die vorgelegten Urkunden verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der in formeller Hinsicht unbedenklichen Berufung des Klägers muß in der Sache der Erfolg versagt bleiben.
Die Kammer ist mit dem Amtsgericht der Auffassung, daß zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits gemäß Artikel 16 Ziffer 1 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. 9.1968 (BGBl. 1972 II, 774), das durch das Gesetz vom 24. 7. 1972 ratifiziert worden ist (BGBl. II, 773) und aufgrund der Bekanntmachung vom 12. 1. 1973 (BGBl. II, 60 und I 126) am 1. 2. 1973 in Kraft getreten ist, ausschließlich das für Kerkrade zuständige niederländische Zivilgericht berufen ist.
Das genannte EG-Übereinkommen regelt sowohl die Frage, ob allgemein die Gerichte eines Vertragsstaates zuständig sind, also die internationale Zuständigkeit im eigentlichen Sinne, wie auch die Frage, welches Gericht eines Vertragsstaates in einem Fall mit Auslandsberührung örtlich zuständig sein soll, also die konkrete internationale Zuständigkeit (vgl. Samtleben, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem EWG-Übereinkommen und nach der Gerichtsstandsnovelle, NJW 1974, Seite 1590). Die Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien ist demnach nichtig.
Auch wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, daß nunmehr eine sogenannte reine Mietzinsklage vorliegt, ändert sich dadurch nichts. Die Kammer vermag sich der von Geimer in NJW 1974, Seite 2189 vertretenen Auffassung, wonach reine Mietzinsklagen nicht unter diese Vorschrift fallen, nicht anzuschließen. Geimer stützt seine Auffassung auf den Bericht der Regierungssachverständigen zu dem EWG-Übereinkommen, Bundestags-Drucksache VI Nr. 1973, Seite 80, auch abgedruckt bei Zöller, Kommentar zur ZPO, 11. Aufl., 1974, Seite 1401, in dem es heißt, daß nach Ansicht des Ausschusses die Regel nicht für reine Miet- oder Pachtzahlungsklagen gilt, „da diese Klagen von der vermieteten oder verpachteten unbeweglichen Sache als losgelöst gelten können“.
Diese Ansicht übersieht, daß auch Zahlungsklagen nicht losgelöst von dem Miet- oder Pachtobjekt betrachtet werden können. Gerade auf dem Gebiet der Wohnungsmiete enthalten die nationalen Rechtsordnungen zahlreiche zwingende Vorschriften, so etwa bei der Mietpreisgestaltung (Mietpreisbindung, Mietpreisberechnungen, Mieterhöhungen) oder der Kündigung. Fragen der Wohnraumzwangswirtschaft und des sozialen Mietrechts können durchaus auch bei reinen Mietzinsklagen eine entscheidende Rolle spielen.
Hinzu kommt, daß die Unterscheidung zwischen reinen Mietzinsklagen und anderen Klagen in der Praxis zu schwierigen Abgrenzungsfragen führen kann. Wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt, erscheint es schon zweifelhaft, ob noch von einer reinen Mietzinsklage gesprochen werden kann, wenn der Kläger gegenüber dem Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der Kaution mit Schadensersatzansprüchen aufrechnen will. Es kann nicht in das Belieben der klagenden Partei gestellt werden, durch teilweisen Klageverzicht oder Klagerücknahme nachträglich die Zuständigkeit eines andern als des in Artikel 16 Nr. 1 des EG-Übereinkommens genannten Gerichts herbeizuführen. Überdies wäre der Kläger dadurch nicht gehindert, gegenüber der Restklage wiederum Ansprüche aus dem Mietverhältnis, wie etwa Aufrechnung mit dem Anspruch auf Rückzahlung der Kaution oder mit einem Schadensersatzanspruch oder Mietminderung geltend zu machen. Die Unterscheidung zwischen reinen Mietzinsklagen und anderen Klagen aus dem Mietverhältnis ist demnach in der Praxis kaum durchzuführen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen dürfte auch der deutsche Gesetzgeber die reinen Mietzinsklagen in der Vorschrift des § 29 a ZPO dem Gericht der belegenen Sache ausschließlich unterstellt haben. Schon aus praktischen Überlegungen geht es somit nicht an, Artikel 16 des genannten EG-Übereinkommens entgegen seinem Wortlaut restriktiv auszulegen.
Die Kammer hat davon abgesehen, die im vorliegenden Rechtsstreit aufgetauchte Auslegungsfrage gemäß Artikel 3 Abs. 2 des Protokolls vom 3. 6. 1971 betreffend die Auslegung des EG-Übereinkommens (BGBl. 1972 II, 846), das aufgrund der Bekanntmachung vom 21. 7. 1975 am 1. 9. 1975 im Verhältnis zu den Benelux-Staaten, Frankreich und Italien in Kraft getreten ist (BGBl. II, 1138), zur Vorabentscheidung dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vorzulegen. Artikel 3 Abs. 2 stellt diese Entscheidung in das Ermessen der Kammer. Obwohl in den deutschen Gesetzesmaterialien eine andere Auffassung als die der Kammer vertreten wird, hält die Kammer die Vorlage der Auslegungsfrage an den Europäischen Gerichtshof nicht für geboten, weil die abweichende Auffassung nicht näher begründet wird. Gerichtliche Entscheidungen, die dieser Auffassung folgen und dies auch näher begründen, sind der Kammer nicht bekannt geworden.
Das Amtsgericht hat demnach zu Recht seine internationale Zuständigkeit verneint und die Klage durch Prozeßurteil abgewiesen. Auf die nach Artikel 16 Ziffer 1 des EG-Übereinkommens gegebene ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts der belegenen Sache hat es keinen Einfluß, daß die Parteien mittlerweile ihren Wohnsitz wieder im Inland haben. Artikel 18 des EG-Übereinkommens verbietet sogar eine Prorogation, während Artikel 19 dem Gericht gebietet, sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn es wegen einer Streitigkeit angerufen wird, für die das Gericht eines anderen Vertragsstaates aufgrund des Artikels 16 ausschließlich zuständig ist.