-
Zusammenfassung der Entscheidung Die deutsche Klägerin hat an die französische Beklagte ein Binnenschiff auf Zeit verchartert. Das Schiff wurde im Wesentlichen zur Beförderung von Kiesladungen auf dem Rhein verwendet, wobei sich die Löschstellen ausschließlich in Frankreich befanden. Dem Schiff wurden bei den Entladearbeiten durch Löschgeräte Schäden zugefügt, die nach Beendigung des Vertrags repariert wurden. Die von einem Sachverständigen ermittelten Reparaturkosten, soweit sie nicht vom Versicherer der Beklagten ersetzt wurden, hat die Klägerin gegen die Beklagte vor einem deutschen Gericht geltend gemacht. Sie behauptet, dass die deutschen Gerichte international zuständig seien, weil ihr Geschäftssitz in Würzburg (DE) als Erfüllungsort vereinbart worden sei.
Der BGH (DE) folgt der in dieser Sache ergangenen EuGH-Entscheidung vom 20.2.1997, Rs. C-106/95 (MSG / Les Gravieres Rhénanes) und stellt klar, dass eine sog. „abstrakte Erfüllungsortvereinbarung“ nicht den besonderen Gerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ eröffne. Eine derartige Vereinbarung liege vor, wenn eine Erfüllungsortabrede nur auf die Begründung eines Gerichtsstands ohne Beachtung der Formvorschriften des EuGVÜ abziele. Das ist nach Meinung des Gerichts hier der Fall. Deshalb komme es für die Begründung der deutschen internationalen Zuständigkeit darauf an, ob zwischen den Parteien eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung getroffen worden sei. Auch bezüglich dieser Frage trägt das Gericht der vorgenannten Entscheidung des EuGH Rechnung. Danach könne eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 17 Abs.1 S. 2 lit. c EuGVÜ auch durch Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben mit Gerichtsstandsklausel oder durch die widerspruchslose Bezahlung von Rechnungen mit entsprechenden Gerichtsstandshinweisen abgeschlossen werden. Voraussetzung dafür sei, dass ein entsprechender internationaler Handelsbrauch nachgewiesen werde, welcher der Beklagten bekannt gewesen sei oder der als ihr bekannt angesehen werden müsste.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die klagende Schiffahrtsgenossenschaft nimmt die beklagte französische Gesellschaft vor den deutschen Gerichten auf Zahlung von 197.284,‑ DM in Anspruch. Diese Forderung leitet sie aus einem von der Beklagten angeblich abgegebenen Schuldanerkenntnis, in erster Linie aber aus einer Beschädigung des in ihrem Eigentum stehenden Binnenschiffs „MSG 11“ her. Die Klägerin hatte das Schiff an die Beklagte auf Zeit verchartert. Es ist zwischen dem 1. Juni 1989 und dem 10. Februar 1991 auf dem Rhein im wesentlichen zur Beförderung von Kiesladungen im Pendelverkehr verwendet worden, wobei sich die Löschstellen ausschließlich in Frankreich befanden. Nach der Behauptung der Klägerin ist „MSG 11“ bei den Entladearbeiten durch die von der Beklagten in eigener Verantwortung eingesetzten Löschgeräte immer wieder beschädigt worden. Nach Beendigung des Vertrages ist das Schiff repariert worden; von beiden Parteien benannte Sachverständige haben die Reparaturkosten – einschließlich Nutzungsausfall – kontradiktorisch ermittelt. Der Versicherer der Beklagten hat hierauf 14.750,‑ DM gezahlt, der darüber hinausgehende Betrag von 197.284,‑ DM ist Gegenstand der Klage.
Die Klägerin hat gemeint, sie sei berechtigt, diesen Anspruch vor den deutschen Gerichten – und zwar in erster Instanz vor dem Schiffahrtsgericht Würzburg- zu verfolgen, weil ihr Geschäftssitz Würzburg wirksam als Erfüllungsort und als Gerichtsstand vereinbart worden sei. Die Beklagte hingegen hat die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt und die Auffassung vertreten, allein vor den französischen Gerichten verklagt werden zu können. Durch Zwischenurteil hat das Schiffahrtsgericht Würzburg die Klage für zulässig erklärt. Das Oberlandesgericht Nürnberg – Schiffahrtsobergericht – hat auf die Berufung der Beklagten die Klage wegen Fehlens der internationalen Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen.
Mit der Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Der Senat hat durch Beschluß vom 6. März 1995 wegen Zweifelsfragen der Auslegung von Art. 5 Nr. 1 und Art. 17 Abs. 1 Satz 2, 3. Fall EuGVÜ in der Fassung von 1978 den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) um Vorabentscheidung ersucht. Dessen Entscheidung (C-106/95) ist am 20. Februar 1997 ergangen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Allerdings kann die Klägerin nicht damit gehört werden, sie habe Würzburg als Erfüllungsort vereinbart, so daß sich die Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ herleite. Denn nach der verbindlichen Auslegung des Übereinkommens durch den EuGH in dem erwähnten Urteil vom 20. Februar 1997 fallen sog. abstrakte Erfüllungsortvereinbarungen nicht unter Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Nach den bisher von den Tatsachengerichten getroffenen Feststellungen zielt die im vorliegenden Fall getroffene Erfüllungsortabrede nur auf die Begründung eines inländischen Gerichtsstands ohne Beachtung der nach dem EuGVÜ zu beachtenden Formvorschriften ab, wie der Senat im einzelnen in seinem Vorlagebeschluß, auf den auch im übrigen verwiesen wird, ausgeführt hat.
Für die Entscheidung des Zwischenrechtsstreits über die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte kommt es daher – wie auch die Revision nicht verkennt – darauf an, ob die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2, 3. Fall EuGVÜ – Fassung von 1978 – getroffen haben. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, nach dieser Bestimmung sei lediglich die schriftliche Bestätigung einer vorangegangenen Willenseinigung entbehrlich, so daß im internationalen Handelsverkehr durch Schweigen oder schlüssiges Verhalten eine dem Übereinkommen entsprechende formgerechte Gerichtsstandsabrede nicht begründet werden könne. Nach der bereits erwähnten Entscheidung des EuGH kann vielmehr grundsätzlich auch durch Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben mit Gerichtsstandsklausel oder durch die widerspruchslose Bezahlung von Rechnungen mit entsprechenden Gerichtsstandshinweisen eine formgerechte Vereinbarung darüber getroffen werden, vor welchem Gericht Streitigkeiten auszutragen sind. Voraussetzung ist dazu allerdings, daß dies einem Handelsbrauch in dem Bereich des internationalen Handelsverkehrs entspricht, in dem die Parteien tätig sind, und daß dieser Handelsbrauch ihnen bekannt ist oder als ihnen bekannt angesehen werden muß (vgl. Entscheidungstenor Nr. 1 des Urteils vom 20. Februar 1997).
Damit das Berufungsgericht die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen darüber treffen kann, ob ein solcher internationaler Handelsbrauch bei der Durchführung von Kiestransporten auf dem Oberrhein besteht und ob die Parteien sich zumindest so behandeln lassen müssen, als sei er ihnen bekannt gewesen, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Parteien erhalten dadurch zugleich Gelegenheit, ihren Vortrag im Lichte der Entscheidung des EuGH zu ergänzen und zu vertiefen bzw. ihr nicht immer widerspruchsfreies Vorbringen – etwa zum Charakter des geschlossenen Vertrages oder zu den Verladeorten – klarzustellen.