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Zusammenfassung der Entscheidung Die deutsche Klägerin gewährte der Tochter des Beklagten Vorausleistung zur Ausbildungsförderung. Die Klägerin nimmt nun den Beklagten aus gemäß § 37 BaföG übergegangenem Recht in Anspruch. Der Beklagte ist in der Schweiz wohnhaft.
Das Oberlandesgericht Dresden (DE) verneint die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 5 Nr. 2 LugÜ. Da der Beklagte seinen Wohnsitz in der Schweiz habe, bestimme sich die internationale Zuständigkeit nach den Vorschriften des Luganer Übereinkommens (Art. 54 b II a, 53 LugÜ). Zwar spreche Art. 5 Nr. 2 allgemein von Klagen in Unterhaltssachen; die Vorschrift sei jedoch einschränkend auszulegen. Das Gericht folge damit der Rechtsprechung des EuGH für die gleichlautende Vorschrift in Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO. Diese besondere Zuständigkeit diene dem Schutz des Unterhaltsklägers, der im Unterhaltsprozess als die schwächere Partei anzusehen sei. Eine öffentliche Einrichtung, die eine Regressklage erhebe, befinde sich gegenüber dem Unterhaltsverpflichten jedoch nicht in einer unterlegenen Position. Zwar gelte die Auslegungsbefugnis des EuGH nicht für das Luganer Übereinkommen. Die Zielsetzung des Luganer Übereinkommens, für die Mitgliedstaaten der EG und der EFTA eine im wesentlichen einheitliche Zuständigkeitsordnung zu schaffen, gebiete aber eine möglichst einheitliche Auslegung. Dabei seien nicht nur die für die Auslegung des EuGVÜ ergangenen Entscheidungen des EuGH vor Unterzeichnung des Abkommens zu beachten, sondern auch später ergangene Entscheidungen. Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe sich weiter auch nicht daraus, dass das abzuändernde Urteil von einem deutschen Gericht erlassen sei. Für Abänderungsklagen gelten vielmehr die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften. Da der Beklagte in der Schweiz seinen Wohnsitz habe, ergebe sich auch keine Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 2 I LugÜ.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Der Beklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Pirna vom 16. Januar 1998 verurteilt, an seine Tochter J. A., geboren am ... 1981, monatlichen Unterhalt in Höhe von 515,‑ DM ab Juli 1996 zu zahlen. In der Zeit von August 2002 bis August 2003 gewährte der Kläger der Tochter des Beklagten, die eine Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin absolvierte, Vorausleistungen zur Ausbildungsförderung in Höhe von zunächst 318,‑ EUR und ab Februar 2003 334,‑ EUR.
Mit der vorliegenden Stufenklage nimmt der Kläger den Beklagten aus gemäß § 37 BAföG übergegangenem Recht zunächst auf Auskunft über dessen Einkommensverhältnisse und mit dem auf zweiter Stufe angekündigten Antrag auf Abänderung des Unterhaltstitels vom 16. Januar 1998 für den Zeitraum von August 2002 bis August 2003 in Anspruch.
Der Beklagte, der in der Schweiz wohnt, rügt die Unzuständigkeit der deutschen Gerichte.
Das Familiengericht hat die Stufenklage insgesamt als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte sei gemäß Art. 2 des Lugano-Übereinkommens vor den Schweizer Gerichten zu verklagen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der geltend macht, das erstinstanzlich angerufene Amtsgericht sei gemäß Art. 5 Ziffer 2 des Lugano-Übereinkommens örtlich und international zuständig. Die Vorschrift des Art. 5 Ziffer 2 des Lugano-Übereinkommens, die für Unterhaltssachen einen besonderen Gerichtsstand am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten begründe, gelte auch für Regressklagen öffentlicher Einrichtungen, die Unterhaltsansprüche aus übergegangenem Recht geltend machten.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und verteidigt das erstinstanzliche Prozessurteil.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Familiengericht hat die Stufenklage zu Recht insgesamt als unzulässig abgewiesen, weil die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht gegeben ist.
1. Da der Beklagte seinen Wohnsitz in der Schweiz und damit im Hoheitsgebiet eines Staates hat, der nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft ist, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach den Vorschriften des Lugano-Abkommens vom 16. September 1988 (Art. 54 b Abs. 2 a, 53 LugÜ), die die Zuständigkeitsregeln der Zivilprozessordnung, insbesondere § 23 a ZPO, gänzlich verdrängen (vgl. Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 642 Rn. 7). Nach Art. 2 Abs. 1 LugÜ sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit grundsätzlich vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaates, der Beklagte also vor den Schweizer Gerichten zu verklagen.
2. Die von Art. 2 Abs. 1 LugÜ abweichende Zuständigkeitsregel für Unterhaltssachen in Art. 5 Ziffer 2 LugÜ ist zugunsten des Klägers nicht anwendbar. Diese Vorschrift eröffnet lediglich dem Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit, in Unterhaltssachen auch vor dem Gericht des Ortes zu klagen, an dem er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Sie gilt hingegen nicht für öffentlich-rechtliche Einrichtungen, die – wie vorliegend der Kläger gemäß § 37 BAföG – Unterhaltsansprüche des Berechtigten aus übergegangenem Recht gegen einen Schuldner geltend machen, der seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat hat als der Berechtigte (vgl. Kroppholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 5 LugÜ Rn. 65, Geimar/Schütze/Auer, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand Juli 2006, Art. 5 EuGVÜ und LuGÜ Rn. 73, Zöller/Philippi, aaO).
Die Vorschrift des Art. 5 Ziffer 2 LugÜ spricht zwar allgemein von Klagen in Unterhaltssachen und fordert deshalb, worauf der Kläger zutreffend verweist, ihrem Wortlaut nach nicht, dass der Unterhaltsberechtigte selbst der Kläger sein muss (vgl. BGH Urteil vom 26. September 2001 – XII ZR 89/99 – zitiert nach juris, Rn. 26). Das Familiengericht ist jedoch in Übereinstimmung mit der vorzitierten herrschenden Literaturmeinung unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 15. Januar 2004 (IPrax 2004, 240) zu Recht zu einer einschränkenden Auslegung des Art. 5 Ziffer 2 LugÜ gelangt.
Der Europäische Gerichtshof hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofes vom 26. September 2001 – ZR 89/99 – für die mit Art. 5 Ziffer 2 LugÜ wörtlich übereinstimmende Vorschrift des Art. 5 Ziffer 2 der EG-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) entschieden, dass diese auf Regressklage einer öffentlichen Einrichtung mit der Unterhaltsansprüche wegen der Gewährung von BAföG-Leistungen aus übergegangenem Recht geltend gemacht würden, nicht anwendbar sei. Zur Begründung hat er ausgeführt, die in Art. 5 Ziffer 2 EuGVO normierte besondere Zuständigkeit diene dem Schutz des Unterhaltsklägers, der im Unterhaltsprozess als die schwächere Partei anzusehen sei. Nur dieser spezifische Zweck habe Vorrang vor dem mit der Regel des Art. 2 Abs. 1 EuGVO verfolgten Zweck, der darin bestehe, den Beklagten als die generell schwächere Partei zu schützen. Eine öffentliche Einrichtung, die eine Regressklage erhebe, befinde sich hingegen gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten nicht in einer unterlegenen Position. Da außerdem der Unterhaltsberechtigte, dessen Bedarf durch die Leistungen der klagenden öffentlichen Einrichtung gedeckt sei, in keiner schwierigen finanziellen Lage mehr sei, bestehe kein Anlass, dem Unterhaltsverpflichteten den durch Art. 2 EuGVO gebotenen Schutz zu nehmen.
Diese Grundsätze sind auch bei der Auslegung der mit den Regelungen in Art. 2 Abs. 1, 5 Ziffer 2 EuGVO übereinstimmenden Zuständigkeitsvorschriften des Lugano-Übereinkommens zu berücksichtigen. Die Auslegungsbefugnis des Europäischen Gerichtshofs gilt zwar nicht für die Vorschriften des Lugano-Übereinkommens. Dieses zwischen den Mitgliedsstaaten der EG und denen der EFTA am 16. September 1988 geschlossene Abkommen, das sich inhaltlich weitgehend an das für die EG-Staaten verbindliche EuGVÜ anlehnte, verfolgt aber den Zweck, für die Mitgliedsstaaten der EG und die der EFTA eine im wesentlichen einheitliche europäische Zuständigkeitsordnung zu schaffen (vgl. Kroppholler, aaO, Einleitung Lugano-Übereinkommen Rn. 58). Dieser Zielsetzung wird nur eine möglichst einheitliche Auslegung der in beiden Übereinkommen identischen Bestimmungen gerecht. Dabei sind entgegen der Auffassung des Klägers nicht nur die für die Auslegung des EuGVÜ und nunmehr der EuGVO verbindlichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes zu beachten, die bereits vor Unterzeichnung des Lugano-Übereinkommens ergangen waren. Es entspricht vielmehr der Intention der Vertragsstaaten, die Einheitlichkeit der Auslegung beider Zuständigkeitsübereinkommen auch im Lichte später ergehender Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes weiter zu fördern. Die EFTA-Staaten haben bei der Unterzeichnung des Lugano-Abkommens im Protokoll Nr. 1 nämlich die Erklärung abgegeben, dass sie es für angezeigt halten, dass ihre Gerichte bei der Auslegung des Lugano-Übereinkommens den Grundsätzen gebührend Rechnung tragen, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes der europäischen Gemeinschaften zu denjenigen Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens ergeben, die in ihrem wesentlichen Gehalt in das Lugano-Übereinkommen übernommen worden sind.
Danach ist es auch nach Auffassung des Senats geboten, die Vorschrift des Art. 5 Ziffer 2 LugÜ entsprechend den sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 15. Januar 2004 ergebenden Grundsätzen auszulegen. Primärer Zweck beider Zuständigkeitsbestimmungen ist es, dem in der Regel schwächeren Unterhaltsberechtigten, die Verfolgung seiner Unterhaltsansprüche zu erleichtern. Dafür, dass die EFTA-Staaten mit dem in Art. 5 Ziffer 2 LugÜ normierten besonderen Gerichtsstand für Unterhaltssachen darüber hinaus öffentliche Einrichtungen, die auf sie übergegangene Unterhaltsansprüche verfolgen, begünstigen wollten, bestehen keine Anhaltspunkte. Die der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 15. Januar 2004 entsprechende Auslegung widerspricht damit nicht den von den EFTA-Staaten bei Abschluss des Lugano-Abkommens verfolgten Zwecken, sondern dient der gewollten Vereinheitlichung der europäischen Zuständigkeitsordnungen.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte auch nicht damit begründen, dass das abzuändernde Urteil von einem deutschen Gericht erlassen worden ist. Darauf, welches Gericht im Erstprozess entschieden hat, kommt es für die internationale Zuständigkeit nicht an. Für Abänderungsklagen gelten vielmehr die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften des Lugano-Übereinkommens (vgl. Kroppholler, Art. 5 LugÜ Rn. 66; OLG Nürnberg NJW 2005, 1055 zu Art. 2 Abs. 1 EuGVO).
Die Berufung ist damit zurückzuweisen, weil gemäß Art. 2 Abs. 1 LuGÜ die Schweizer Gerichte und nicht das angerufene Amtsgericht Dresden für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits international zuständig sind.