Die Parteien sind italienische Handelsgesellschaften. Am 9. März 1983 trafen sie in München privatschriftlich eine Vereinbarung, wonach die Beklagte ihre Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und einer Kommanditgesellschaft, beide mit Sitz in Deutschland, zum Preis von 1 Mio. DM an die Klägerin abtrat. Die Vereinbarung sollte nach vollständiger Bezahlung des Kaufpreises notariell beurkundet werden (§ 2). Für Streitigkeiten, die sich auf die Auslegung und Erfüllung der Vereinbarung beziehen, wurde der Gerichtsstand München vereinbart (§ 5). Die Klägerin leistete nur eine Anzahlung von 200.000 DM. Im April 1983 erklärte sie die Anfechtung der Vereinbarung wegen Täuschung und Irrtums. Zu der notariellen Beurkundung des Vertrages kam es nicht mehr.
Im Juni 1983 erhob die Klägerin in Treviso (Italien) Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Vereinbarung vom 9. März 1983 sowie auf Rückzahlung von 200.000 DM. Im Verlauf dieses Verfahrens hat der Kassationsgerichtshof in Rom die internationale Zuständigkeit des angerufenen italienischen Gerichts bejaht. Die Parteien haben jenen Rechtsstreit nach der Entscheidung des Kassationsgerichtshofs nicht weiterbetrieben.
Nach Zustellung der in Treviso erhobenen Klage hat die Beklagte gegen die Klägerin in München Klage auf Zahlung des restlichen Kaufpreises von 800.000 DM erhoben. Diese Klage hat das Landgericht München I durch Urteil vom 26. Juni 1984 abgewiesen, weil der Vertrag vom 9. März 1983 mangels notarieller Beurkundung gemäß § 15 Abs. 4 GmbHG formunwirksam sei. Die Berufung der Beklagten wurde durch Urteil des Oberlandesgerichts München vom 13. Februar 1985 zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten hat der erkennende Senat mit Beschluß vom 26. Februar 1986 nicht angenommen (VIII ZR 327/85). Damit war die Abweisung der in München erhobenen Klage rechtskräftig. Auf Antrag der Klägerin sind diese Entscheidungen – letztinstanzlich durch Urteil des italienischen Kassationsgerichtshofes in Rom vom 8. April 1994 – gemäß Art. 26 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) in Italien anerkannt worden.
Ende 1985 hat die Klägerin beim Landgericht Bozen Klage gegen die Beklagte u.a. mit den Anträgen erhoben, die Formunwirksamkeit des Vertrags vom 9. März 1983 festzustellen und die Beklagte zur Rückzahlung von 200.000 DM zu verurteilen. In den am 16. Juni 1988 gestellten Schlußanträgen der Klägerin war der Zahlungsantrag nicht mehr enthalten. Mit Teilurteil vom 7. Oktober 1988 hat das Landgericht Bozen die internationale Zuständigkeit der italienischen Gerichte sowie die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bejaht und weiter entschieden, daß der Vertrag vom 9. März 1983 formal gültig sei. Über das gegen dieses Urteil von der Klägerin eingelegte Rechtsmittel ist bislang nicht entschieden worden.
Mit der vorliegenden, im Januar 1987 beim Landgericht München I eingereichten und der Beklagten im Mai 1987 zugestellten Klage verlangt die Klägerin erneut Rückzahlung der von ihr geleisteten Anzahlung in Höhe von 200.000 DM. Zur Begründung bezieht sie sich auf das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 13. Februar 1985 und macht die Unwirksamkeit des Vertrags vom 9. März 1983 geltend. Die Beklagte hat in erster Linie die anderweite Rechtshängigkeit der Streitsache in Italien eingewandt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht bejaht seine Zuständigkeit, weil die Parteien den Gerichtsstand München gemäß Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ wirksam vereinbart hätten und die Beklagte die internationale Zuständigkeit nicht gerügt habe. Die Klage sei auch nicht gemäß Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ durch Prozeßurteil abzuweisen. Zwar sei sie erst zugestellt worden, nachdem das Verfahren in Bozen bereits anhängig gewesen sei. Die dortige Anhängigkeit sei jedoch wieder entfallen, nachdem die Klägerin den Zahlungsantrag bei ihren Schlußanträgen vom 16. Juni 1988 nicht mehr gestellt habe. Die Klage sei auch begründet. Der Vertrag vom 9. März 1983 sei formunwirksam. Der Klägerin stehe deshalb ein Bereicherungsanspruch auf Rückzahlung der geleisteten Anzahlung zu.
II. Das hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Es kann dahinstehen, ob die Anhängigkeit des Zahlungsanspruchs im Verfahren vor dem Landgericht Bozen entfallen ist, weil die Klägerin den Zahlungsantrag zuletzt nicht mehr gestellt hat. Denn Klagen wegen desselben Anspruchs im Sinne von Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ liegen schon im Hinblick auf den vor den italienischen Gerichten jedenfalls noch anhängigen Feststellungsantrag und den hier geltend gemachten Zahlungsanspruch vor.
1. Entscheidend ist nicht die formale Identität der Anträge, sondern, daß der Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des Vertrages ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 1987 – Rs 144/86 = NJW 1989, 665 unter 16. und 17. der Gründe). Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist der Begriff „desselben Anspruchs“ in Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ weit auszulegen, um einander widersprechende Urteile im Sinne von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ zu verhindern. Ein Widerspruch läge danach vor, wenn eine Leistungsklage auf Erfüllung eines Vertrags in einem Vertragsstaat Erfolg hätte, während in einem anderen Vertragsstaat die Unwirksamkeit dieses Vertrages festgestellt würde. Die erfolgreich auf Erfüllung klagende Partei müßte damit rechnen, daß das zu ihren Gunsten ergangene Leistungsurteil in diesem Staat gemäß Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ nicht anerkannt würde (EuGH aaO unter 18. der Gründe). Zwar verlangt die Klägerin hier nicht Erfüllung eines Vertrages. Der von ihr geltend gemachte bereicherungsrechtliche Rückzahlungsanspruch setzt gerade umgekehrt die Unwirksamkeit des Vertrags voraus. Allein darauf hat sie sich auch im vorliegenden Rechtsstreit berufen. Hätte diese Klage aber Erfolg, so käme es zu widersprechenden Entscheidungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wenn die Feststellungsklage in Italien abgewiesen, mithin von den italienischen Gerichten – wie erstinstanzlich vor dem Landgericht in Bozen bereits geschehen – die Wirksamkeit des Vertrags festgestellt würde. Denn Entscheidungen sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs miteinander unvereinbar, wenn sie Rechtsfolgen haben, die sich gegenseitig ausschließen (EuGH, NJW 1989, 663, 664 unter 22.). Dabei braucht es sich nicht um den gleichen Streitgegenstand zu handeln (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 4. Aufl., Art. 27 Rn. 41). Unvereinbarkeit liegt deshalb immer dann vor, wenn der durch das Leistungsurteil zuerkannte Anspruch nach dem Feststellungsurteil nicht bestehen kann. Setzt mithin der von der Klägerin geltend gemachte Bereicherungsanspruch die Unwirksamkeit des Vertrags voraus, so betreffen beide Verfahren den gleichen Gegenstand, weil Kernpunkt der Streitigkeit jeweils die Unwirksamkeit des Vertrags ist (vgl. auch EuGH, Urteil vom 6. Dezember 1994 (Rs. C-406/92) = Tätigkeitsbericht des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Nr. 32/94 – S. 3 ff).
2. Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ greift unabhängig davon ein, ob die negative Feststellungsklage – wie in dem vom Europäischen Gerichtshof im Urteil vom 5. Dezember 1987 aaO entschiedenen Fall – später oder – wie hier – bereits vor der Leistungsklage erhoben wird. Maßgeblich für die Auslegung des Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ durch den Europäischen Gerichtshof ist das Bestreben, widersprechende Entscheidungen von vornherein zu verhindern. Dafür ist die Reihenfolge der Klageeinreichung ohne Bedeutung. Deshalb gelten die tragenden Erwägungen in der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nach ganz herrschender Auffassung in gleicher Weise auch für den Fall, daß die Feststellungsklage zuerst anhängig wird (so auch OLG München, RiW 1994, 511 mit zustimmender Anmerkung von Jayme in IPrax 1994, 308; ferner im Schrifttum Kropholler aaO Art. 21 Rn. 7; MünchKommZPO-Gottwald, Art. 21 EuGVÜ Rn. 4; Schack IPrax 1989, 139, 140; derselbe IPrax 1991, 270, 272; Roth IPrax 1992, 67; Isenburg-Epple, Die Berücksichtigung ausländischer Rechtshängigkeit im EuGVÜ, 1992, S. 205 f; vgl. auch insoweit EuGH, Urteil vom 6. Dezember 1994 aaO).
3. Schließlich greift Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ unabhängig davon ein, ob die Parteien in den Verfahren jeweils in gleicher oder wechselnder Parteirolle auftreten (Kropholler aaO, Art. 21 Rn. 3). Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ erfaßt insbesondere den Fall, daß ein Kläger in beiden Verfahren völlig identische Anträge stellt (vgl. etwa BGH, Beschluß vom 28. November 1985 – III ZR 3/85 = IPrax 1986, 293). Gleiches gilt, wenn dieselbe Partei eine Leistungs- und eine Feststellungsklage mit Anträgen erhebt, die sich formal nicht widersprechen.
4. Die Revisionserwiderung meint, wenn die italienischen Gerichte „ungehindert feststellen könnten, daß der Vertrag zwischen den Parteien wirksam sei“, entstünde ein Konflikt zwischen diesem in Italien ergehenden und dem in Deutschland ergangenen rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts München vom 13. Februar 1985. Damit würde das Gegenteil dessen erreicht, was Art. 21 EuGVÜ bezwecke. Damit kann sie im Ergebnis keinen Erfolg haben. Das die Klage auf Erfüllung des Vertrags abweisende Urteil vom 13. Februar 1985 wäre zwar möglicherweise mit einer späteren Entscheidung, die die Wirksamkeit des Vertrags feststellte, im Sinne der Rechtsprechung des EuGH gemäß Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ unvereinbar. Für die Anwendung des Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ kommt es jedoch auf eine (positive) Anerkennungsprognose nicht an (Kropholler aaO Art. 21 Rn. 12; Bülow/Böckstiegel/Müller, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 21 EuGVÜ B I 2; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, § 44 I 1 c; Isenburg-Epple aaO, S. 81 f; dieselbe IPrax 1992, 69, 70). Ob etwas anderes in dem Fall gilt, daß das später angerufene Gericht ausschließlich zuständig gemäß Art. 16 EuGVÜ ist, kann dahinstehen. Die zwischen den Parteien getroffene Gerichtsstandsvereinbarung München bewirkt keine ausschließliche Zuständigkeit, weil die Parteien hiervon abweichen und eine Zuständigkeit aufgrund des Art. 18 EuGVÜ begründen können (Kropholler aaO Art. 18 Nr. 18).
5. Da der in Italien anhängige Feststellungsantrag mithin Rechtshängigkeit „desselben Anspruchs“ gemäß Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ begründet, können die deutschen Gerichte über die Streitsache nicht entscheiden. Die Klage war deshalb als unzulässig abzuweisen. Dies ergibt sich aus Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ in der früheren Fassung vor der durch das dritte Beitrittsübereinkommen vom 26. Mai 1989 eingetretenen Änderung. Die Neufassung des Art. 21 EuGVÜ bestimmt, daß das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen auszusetzen hat, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht; erst wenn dies der Fall ist, hat das zuerst angerufene Gericht sich zugunsten dieses Gerichts für unzuständig zu erklären. Das dritte Beitrittsübereinkommen vom 26. Mai 1989 ist zwar in Deutschland am 1. Dezember 1994 in Kraft getreten (BGBl. II, 3707). Nach der Übergangsvorschrift in Art. 29 ist es indessen in der vorliegenden Streitsache noch nicht anzuwenden, weil die Klage vor dem 1. Dezember 1994 erhoben wurde. Maßgeblich ist daher die frühere Fassung des Art. 21 EuGVÜ. Danach hat sich das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst angerufenen für unzuständig zu erklären, d.h. die Klage als unzulässig abzuweisen (Abs. 1). Die – fakultative – Aussetzung nach Abs. 2 des Art. 21 EuGVÜ kam nicht in Betracht, weil sich die Beklagte nach dem Inhalt des von den Parteien vorgetragenen Teilurteils des Landgerichts Bozen vom 7. Oktober 1988 dort auf das Verfahren eingelassen (Art. 18 EuGVÜ), das Landgericht Bozen daher die internationale Zuständigkeit der italienischen Gerichte bejaht hat und das Urteil insoweit nicht angefochten ist.