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Zusammenfassung der Entscheidung Die Klägerin, eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, schloss mit der Beklagten 1993 einen Handelsvertretervertrag, den die Beklagte 1994 kündigte. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage vor dem Landgericht München I (DE) insbesondere die Zahlung von Provisionen für den Zeitraum bis zur Kündigung des Vertrages. Bereits vor dieser Klage hatte die Beklagte in Italien eine Klage anhängig gemacht, mit der sie unter anderem Schadensersatz wegen Umsatzrückgängen nach der Zeit der Kündigung forderte. Die Beklagte erklärte in dem deutschen Verfahren mit dieser Schadensersatzforderung die Aufrechnung gegen die Provisionsforderung. Die Beklagte beantragte aufgrund dieser Aufrechnung erfolglos die Aussetzung des deutschen Verfahrens gemäß Art. 21, 22 EuGVÜ.
Das Oberlandesgericht München (DE) hält die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts zwar für zulässig, in der Sache aber für unbegründet. Es sei nicht wegen "desselben Anspruchs" Klage in verschiedenen Vertragsstaaten erhoben worden, weil beide Verfahren nicht den gleichen Gegenstand beträfen. Die Provisionsforderung betreffe den Zeitraum vor der Kündigung, die Schadensersatzforderung den Zeitraum danach. Auch die Aufrechnung mit der in Italien geltend gemachten Schadensersatzforderung führe nicht dazu, dass diese im vorliegenden Prozess anhängig gemacht worden wäre. Zudem würde die Annahme einer Anhängigkeit dieser Forderung kraft Aufrechnung dazu führen, dass sich das Landgericht wegen des vorrangigen italienischen Verfahrens für unzuständig hätte erklären müssen, mit der Folge, dass die Aufrechnung wiederum nicht zu berücksichtigen gewesen wäre. Schließlich scheide auch eine Aussetzung nach Art. 22 EuGVÜ aus, weil sie angesichts der langen Dauer italienischer Prozesse zu einer erheblichen Verzögerung der Entscheidung führen würde.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Klägerin, eine Münchener Gesellschaft, die eine Handelsvertretung für Guß- und Schmiedetechnik betreibt, schloß mit den Beklagten, die in Italien u.a. Turbinenschaufeln herstellen, am 12.5.1993 einen Handelsvertretervertrag. Die Beklagten erklärten mit Schriftsatz vom 4.2.1994 die fristlose Kündigung dieses Vertrags.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin für die Zeit vom 17.5.1993 bis 4.2.1994 Provisionsabrechnung, Buchauszug und Provisionen, die bislang nur teilweise beziffert sind.
Bereits vor dem vorliegenden Rechtsstreit haben die Beklagten beim Tribunale Civile de Udine eine Klage anhängig gemacht, mit der sie, da die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung in Streit ist, die Feststellung der Auflösung des Handelsvertretervertrages und Ersatz des Kündigungsschadens begehren.
Mit letzteren Anspruch haben die Beklagten im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits die Aufrechnung erklärt und ausgeführt, die Beklagten hätten infolge des Verhaltens der Klägerin „Umsatzrückgänge ... hinnehmen müssen, welche sich allein in dem auf die Vertragsbeendigung unmittelbar folgenden Geschäftsjahr für beide Beklagten zusammen auf ca. DM 1.000.000“ belaufen hätten.
Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, das Erstgericht müsse aus diesem Grunde gemäß Art. 21, 22 EuGVÜ das Verfahren aussetzen.
II. Dies hat das Erstgericht mit Beschluß vom 15.4.1997 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aufrechnungsforderungen seien im vorliegenden Rechtsstreit nicht anhängig iSv Art.21 Abs. 1 EuGVÜ. Zu einer Aussetzung gem. Art.22 Abs. 1 EuGVÜ sehe es sich aus mehreren Gründen nicht veranlaßt.
Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.
III. Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet, da das Erstgericht zu Recht dem Rechtsstreit nicht entsprechend § 148 ZPO ausgesetzt hat.
Die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ liegen nicht vor, da nicht wegen desselben Anspruchs Klagen in verschiedenen Vertragsstaaten anhängig sind. Die beiden zwischen den Parteien geführten Prozesse beruhen zwar auf derselben Grundlage (in der französischen Textfassung: „la même cause“), nämlich dem Handelsvertretervertrag vom 12.5.1993. Sie haben aber nicht denselben Gegenstand (in der französischen Textfassung: „le même objet“), vgl. EuGH NJW 89, 665, 666. Dieser ist zwar gegeben, wenn die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens im Mittelpunkt beider Verfahren steht (EuGH EuZW 95, 309, 311). So liegt es hier aber nicht. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind ausschließlich Provisionsforderungen und Hilfsansprüche, die aus dem Zeitraum vor der in ihrer Wirksamkeit umstrittenen Kündigung herrühren sollen und in ihrem Bestand von der Wirksamkeit der Kündigung unabhängig sind. Die Schadensersatzansprüche, die Gegenstand des italienischen Verfahrens sind, betreffen dagegen ausschließlich den Zeitraum nach der Kündigung. Beide Begehren sind in ihrem Bestand unabhängig voneinander. Keines ist etwa die „natürliche Folge“ eines anderen Antrags oder im Gegenantrag implizit enthalten (vgl. EuGH EuZW 95, 309, 312).
Die Beklagten vermochten die Schadensersatzforderungen, deren sie sich im italienischen Rechtsstreit berühmen, auch nicht durch Aufrechnung oder Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts im vorliegenden Prozeß anhängig zu machen (vgl. Schlosser, EuGVÜ, Art. 21 Rn. 4; Geimer, Int. Zivilprozeßrecht, 3. Aufl., Rn. 2694 b; Zöller-Geimer, ZPO, 20. Aufl., Art. 21 EuGVÜ, Rn. 17). Dieses Verteidigungsmittel erfordert nämlich gerade nicht, daß die Klägerin von den Beklagten „verklagt“ wird; es bestimmt sich, auch was die Voraussetzungen betrifft, nach den Vorschriften des nationalen Rechts (vgl. EuGH NJW 96, 42, 43). Im deutschen Zivilprozeß begründet die Geltendmachung der Aufrechnung aber keine Rechtshängigkeit der Gegenforderung (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 20. Aufl., § 145 Rn. 18).
Im übrigen würde, wenn man eine Anhängigkeit der Aufrechnungsforderung im vorliegenden Rechtsstreit annehmen würde, da ja auch nach Auffassung der Beklagten die Zuständigkeit des insoweit zuerst angerufenen italienischen Gerichts iSv Art. 21 Abs. 2 EuGVÜ feststeht, das Erstgericht sich insoweit für unzuständig erklären müssen mit der Folge (vgl. BGH NJW 93, 2753, 2754), daß die Prozeßaufrechnung im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu berücksichtigen wäre.
Das Erstgericht war auch nicht verpflichtet, das Verfahren gem. Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ auszusetzen. Diese Vorschrift stellt die Entscheidung in das freie Ermessen („kann“) des Erstgerichts. Ein Fehlgebrauch des Ermessens liegt nicht vor. Neben den vom Erstgericht bereits ins Feld geführten Gründen hätte dabei auf die von der Klagepartei geäußerte Befürchtung abgestellt werden können, daß der Rechtsstreit unziemlich verzögert werden könnte. Daß dies nicht fernliegend sein muß, zeigt der vom Beklagtenvertreter vorgelegte selbst verfaßte Aufsatz („... vor allem aber Unterschiede ... in der Prozeßdauer ... zur geschickten Prozeßführung gehört nicht zuletzt die rechtzeitige Anrufung des gewünschten Gerichts, bevor die Gegenpartei ihrerseits ...“). Die Behandlung der Aufrechnungsansprüche im vorliegenden Rechtsstreit ist im übrigen durchaus möglich. Dies folgt zum einen schon daraus, daß nach dem derzeitigen Verfahrensstand eine Abweisung wegen mangelnder Substantiierung in Betracht kommt, da die Tatsachenangaben der Beklagten als so unzureichend erscheinen, daß nicht bestimmbar ist, welche Gegenforderung (insbesondere nicht von welcher der beiden Beklagten) geltend gemacht werde (vgl. BGH NJW 94, 1538). Im übrigen könnte das Erstgericht – sofern die Voraussetzungen von §§ 145 Abs. 2, 302 Abs. 1 ZPO nicht vorliegen sollten – zumindest zunächst eine Beschränkung nach § 146 ZPO auf die Klageansprüche vornehmen.