I. In einem von der Antragstellerin gegen Herrn G. unter „... No 1...“ bei dem High Court of Justice, Queen’s Bench Division, Commercial Court in London anhängig gemachten Verfahren hat der Senior Master of the Supreme Court of Judicature, Royal Courts of Justice, Strand, London nach dem bei den Verwaltungsvorgängen 9... befindlichen Retent (die Unterlage war der Antragsschrift in vorliegender Sache nicht beigefügt) unter dem 26 September 1995 die Zustellung folgender Schriftstücke nach dem Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZÜ) an Herrn G. beantragt:
– Originating Summons
– Amended Summons
– Order of Mr. Justice ...
– First & Second Affidavits of ...
– Exhibits
– Translations
– Duplicates.
Soweit den genannten Unterlagen, die mit der Antragsschrift nur teilweise erneut vorgelegt wurden, zu entnehmen ist, begehrt die Antragstellerin vor dem genannten Gericht in London die Klärung, daß die zwischen ihr und Herrn G. aus einem Vertrag vom 28. Juli 1994 entstandenen Streitigkeiten nur vor dem London Court of International Arbitration verhandelt werden dürfen.
Die „Amended Summons“ enthält unter anderem eine Ladung des Herrn G. zu einem Termin vom 19. Januar 1996 vor dem Gericht in London.
Bei der „Order of Mr. Justice ...“ handelt es sich um eine (nicht mit einer Begründung versehene) Entscheidung vom 6. September 1995, in welcher (nach der von der Antragstellerin vorgelegten Übersetzung) neben anderem folgende Anordnungen gegen Herrn G. (in den Anordnungen jeweils als „Beklagter“ bezeichnet) enthalten sind:
Dem Beklagten wird verboten, und eine einstweilige Anordnung wird gewährt, die es dem Beklagten verbietet, bis zur Entscheidung über die Ladung wegen einer einstweiligen Verfügung, die in dieser Sache am 31. August 1995 ausgestellt wurde, oder bis zu einer weiteren Verfügung, gleichgültig, ob es sich um ihn selbst oder seine Bediensteten oder seine Vertreter oder um irgendeine andere Person handelt,
(a) den Anspruch fortzusetzen oder einzuklagen, der von dem Beklagten gegen den Kläger und/oder den Vorsitzenden und Chief Executive des Klägers, Herrn M. in dem Verfahren vor dem Landgericht Krefeld, Deutschland, Verfahrens Nr. 4 O 57/95 vorgebracht wurde, oder irgendwelche weiteren Schritte hinsichtlich dieses Anspruchs zu unternehmen, oder die Fortsetzung, die Klageerhebung oder die Einleitung weiterer Schritte hinsichtlich der Unterstützung dieses Anspruchs in dem vorerwähnten Verfahren zu unterstützen;
(b) irgendwelche weiteren oder anderen Verfahren vor irgendeinem Gericht, gleichgültig, wo es sich befindet, gegen den Kläger und/oder den Vorsitzenden und Chief Executive des Klägers, Herrn M., in bezug auf alle Ansprüche oder irgendeinen Anspruch zu beginnen, die sich auf Schadensersatz und/oder Wiederherstellung und irgendwelche anderen Streitigkeiten beziehen, die sich aus dem schriftlichen Vertrag vom 28. Juli 1994 zwischen dem Kläger und dem Beklagten ergeben oder mit ihm in Verbindung stehen;
(c) Schritte zu unternehmen. daß irgendein Einspruch, der von dem Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 18. Juli 1995 in dem Verfahren Nr. 4 O 34/95 erhoben wurde, vor dem 10. November 1995 (gemeint ist vermutlich der 19. Januar 1996) verhandelt wird,
mit der Maßgabe, daß ...
Mit Bescheid vom 19. Oktober 1995 hat der Antragsgegner das Zustellungsersuchen vom 26. September 1995 nebst Anlagen unerledigt zurückgegeben und zur Begründung ausgeführt, daß, soweit die Entscheidung vom 6. September 1995 eine gegen den Zustellungsempfänger gerichtete einstweilige Verfügung enthalte, eine Zustellung geeignet sei, die Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen und daß deshalb die Erledigung des Zustellungsantrages nach Art. 13 HZÜ abgelehnt werden müsse. Außerdem sind auf Seite 2 der Ausfertigung des genannten Bescheids vorsorglich Formfehler des Zustellungsersuchens genannt, die ebenfalls einer Ausführung des Antrages entgegenstünden.
Mit ihrem beim Senat am 17. November 1995 eingegangenen Schriftsatz vom 16. November 1995 hat die Antragstellerin Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und beantragt, den Antragsgegner zu verurteilen, dem Antrag des Senior Master of the Supreme Court of Judicature vom 26.09.1995 auf Zustellung im Rechtshilfeverkehr in Zivilsachen gemäß dem HZÜ für den Fall, daß dieser Antrag hinsichtlich der auf Seite 2 der Entscheidung des Antragsgegners vom 19.10.1995 aufgeführten Punkte nachgebessert wird, stattzugeben.
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten.
II. Der Antrag ist als unbegründet zurückzuweisen.
Der nach § 28 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) zulässige Verpflichtungsantrag der Antragstellerin ist darauf gerichtet, daß das Zustellungsersuchen vom 26. September 1995 in seiner Gesamtheit ausgeführt wird, sofern die im Bescheid des Antragsgegners vom 19 Oktober 1995 genannten förmlichen Beanstandungen behoben sind.
Diesem Antrag kann schon deshalb nicht entsprochen werden, weil die Entscheidung vom 6. September 1995 (Order of Mr. Justice ...) wegen der in ihr enthaltenen und unter Ziffer I. im Wortlaut wiedergegebenen Anordnungen nicht zustellungsfähig ist, wie der Antragsgegner zu Recht festgestellt hat.
Die Frage, ob die übrigen Unterlagen für sich genommen (also ohne die Entscheidung vom 6. September 1995) zustellungsfähig wären, wenn die im Bescheid des Antragsgegners vom 19. Oktober 1995 genannten förmlichen Beanstandungen behoben würden, ist nicht Gegenstand des Antrages und kann von dem erkennenden Senat auch nicht vorsorglich behandelt werden, weil die Unterlagen, welche Gegenstand des erfolglosen Zustellungsersuchens vom 26. September 1995 gewesen sind, von der Antragstellerin nur unvollständig eingereicht wurden: insbesondere fehlen die in dem Zustellungsantrag genannten „Affidavits“ des Herrn P. nebst „Exhibits“.
Die Zustellung der Entscheidung vom 6. September 1995 kann nach Art. 13 Abs. 1 des HZÜ deshalb nicht verlangt werden, weil die Zustellung dieser Entscheidung geeignet ist, die Hoheitsrechte (sovereignty) der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden (infringe).
Bei der Entscheidung vom 6. September 1995 handelt es sich der Sache nach um eine prozeßleitende Verfügung.
Zweck der hier streitigen Anordnungen in der Form der „Antisuit Injunctions“ ist es, zunächst vorläufig die Fortführung der in Deutschland vor dem Landgericht Krefeld eingeleiteten Verfahren 4 O 34/95 und 4 O 57/95 zu verhindern und die Einleitung neuer weiterer Verfahren durch Herrn G. im Zusammenhang mit dem Vertrag vom 28. Juli 1994 zu unterbinden, um so die von der Antragstellerin behauptete ausschließliche Zuständigkeit des London Court of International Arbitration sicherzustellen.
Solche Anordnungen stellen jedoch einen Eingriff in die Justizhoheit der Bundesrepublik Deutschland dar, weil die deutschen Gerichte ausschließlich selbst nach den für sie geltenden Verfahrensgesetzen und nach den bestehenden völkerrechtlichen Verträgen darüber befinden, ob sie für die Entscheidung einer Streitsache zuständig sind oder ob sie die Zuständigkeit eines anderen inländischen oder ausländischen Gerichts (auch Schiedsgerichts) zu respektieren haben. Auch können ausländische Gerichte keine Weisungen erteilen, ob und in welchem Umfang (zeitlich und inhaltlich) ein deutsches Gericht in einer bestimmten Streitsache tätig werden kann und darf.
Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil die streitigen „Antisuit Injunctions“ nicht unmittelbar gegen den deutschen Staat oder gegen deutsche Gerichte, sondern gegen Herrn G. als den Kläger der von ihm in Deutschland anhängig gemachten Verfahren und potentieller weiterer Verfahren gerichtet sind, und zwar im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Einmal sind die Gerichte nach deutschem Prozeßrecht bei der Fortführung von bereits anhängigen Prozessen auf die Mitwirkung der Verfahrensbeteiligten angewiesen. Insbesondere kann eine fehlende Mitwirkung der Verfahrensbeteiligten unter hier nicht näher zu erläuternden Voraussetzungen zwingend zu einem Stillstand des Verfahrens führen, womit dann der zuvor geschilderte Zweck der „Antisuit Injunctions“ erreicht wäre, so daß die gegen Verfahrensbeteiligte gerichtete „Antisuit Injunction“ durchaus geeignet ist, die Tätigkeit der deutschen Gerichte unmittelbar zu beeinflussen und in ihrer Wirkung unter bestimmten Umständen einer unmittelbar gegen das Gericht gerichteten Anordnung (die wohl auch nach angelsächsischem Rechtsverständnis unzulässig wäre) gleichkommt.
Unabhängig davon wird die Justizhoheit der Bundesrepublik aber auch allgemein dann beeinträchtigt, wenn – wie hier – ein ausländisches Gericht den Beteiligten eines Verfahrens vor einem deutschen Gericht Weisungen darüber erteilt, wie sie sich zu verhalten oder einzulassen haben und welche Anträge sie stellen dürfen. Ein rechtsstaatlich ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren ist – was keiner näheren Erläuterung bedarf – nur gewährleistet, wenn die Beteiligten und ihre Bevollmächtigten ohne jede Beschränkung dem Gericht alle nach ihrer Ansicht für die Beurteilung durch das Gericht notwendigen Fakten unterbreiten und die nach der Prozeßlage notwendigen Anträge stellen können. Diese Rechte sind durch die deutschen Prozeßordnungen und das Grundgesetz in vielfacher Hinsicht abgesichert. Die Gerichte sind verpflichtet, diesen Rechten Geltung zu verschaffen. Weisungen ausländischer Gerichte an die Prozeßbeteiligten über Art und Inhalt der Prozeßführung sind geeignet, die deutschen Gerichte bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe zu behindern. Es kann deshalb auch den für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen zuständigen Stellen, die die Justizhoheit zu respektieren haben, nicht gestattet sein, derartige Weisungen an Verfahrensbeteiligte weiterzuleiten (zuzustellen) und so ausländischen Gerichten Einfluß auf Gestaltung und Ablauf anhängiger Gerichtsverfahren zu erlauben oder die betroffenen Verfahrensbeteiligten der Gefahr einer Bestrafung wegen „Contempt of Court“ auszusetzen, nur weil sie die ihnen nach dem deutschen Prozeßrecht garantierten Rechte in Anspruch nehmen wollen.
Ebenso wie Weisungen hinsichtlich bereits laufender Verfahren sind auch Anordnungen ausländischer Gerichte der Art, daß bestimmte Verfahren vor deutschen Gerichten nicht anhängig gemacht werden dürfen, ein Eingriff in die Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland; denn der Grundsatz des freien Zugangs zu den deutschen Gerichten, der als solcher schon Ausdruck staatlicher Souveränität ist und von allen staatlichen Organen sichergestellt werden muß, umfaßt auch das Recht jedes einzelnen, sein Anliegen einem Gericht zu unterbreiten. Die Entscheidung darüber, ob die vorgesehene Prozeßführung zulässig ist, obliegt allein den deutschen Gerichten (vergl. oben) und darf deshalb nicht durch Weisungen ausländischer Gerichte vorweggenommen werden.
Schließlich ist bei allen Erwägungen zu beachten, daß die „Antisuit Injunctions“ (in welche Form sie auch gekleidet und an wen sie auch gerichtet sind) dem alleinigen Zweck dienen, den behaupteten ausländischen Gerichtsstand (hier: die Zuständigkeit des London Court of International Arbitration) zu sichern und damit schon von der Zielsetzung her darauf gerichtet sind, in die Kompetenz der deutschen Justiz einzugreifen, die für sich in Anspruch nimmt und auch dazu verpflichtet ist, über ihre Zuständigkeit im Einzelfall ausschließlich selbst zu entscheiden.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 30 EGGVG. Ein Grund zur Vorlage an den Bundesgerichtshof besteht nicht.
Der Antragsgegner hat die ersuchende Stelle über die vorliegende Entscheidung zu unterrichten (vgl. OLG Düsseldorf in NJW 1992, 3310, 3112).