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Zusammenfassung der Entscheidung Der deutsche Kläger ist der Enkel der deutschen Beklagten. Er lebt in Deutschland zusammen mit seiner Mutter. Der Vater des Klägers und Sohn der Beklagten ist in Spanien ansässig. Er zahlt dem Kläger monatlich Unterhalt. Der Kläger hat von seinem Vater Zahlung eines höheren monatlichen Unterhalts gefordert. Dieser hat behauptet, dass er dazu nicht in der Lage sei. Der Kläger verlangt deshalb von der Beklagten, seiner Großmutter, die Differenz zwischen dem gezahlten und dem geforderten Unterhalt zu übernehmen. Dieser Aufforderung des Klägers ist die Beklagte nicht nachgekommen. Daraufhin hat der Kläger gegen die Beklagte vor einem deutschen Gericht Klage erhoben.
Das Amtsgericht Leverkusen (DE) hat die Klage abgewiesen, weil eine Unterhaltsverpflichtung der Beklagten sich nicht auf § 1607 Abs. 2 S. 1 BGB stützen könne. Diese Vorschrift finde nur dann Anwendung, wenn die Rechtsverfolgung einschließlich der anschließenden Zwangsvollstreckung gegen den vorrangig Unterhaltspflichtigen im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert sei. Dies sei hier nicht der Fall. Der Kläger könne seinen Vater, obwohl dieser in Spanien lebe, in Deutschland gemäß Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch nehmen. Diese Bestimmung eröffne einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten. Außerdem, sei die Durchsetzung eines in Deutschland gewonnenen Unterhaltstitels für den Kläger in Spanien nicht unzumutbar erschwert, da das EuGVÜ das Anerkennungsverfahren deutlich erleichtert habe.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Der am 00.00.1994 geborene Kläger ist der Enkel der Beklagten. Der Junge lebt im Haushalt seiner Mutter und wird dort betreut. Einkünfte und Vermögen besitzt er nicht. Die Mutter erhielt für den Kläger einen monatlichen Unterhaltsvorschuß von 96 DM. Der Vater des Klägers und Sohn der Beklagten lebt ständig auf G, wo er eine Tauchschule betreibt. Mit Schreiben vom 24.1.2001 forderte der Kläger von seinem Vater einen monatlichen Unterhalt von 431 DM, später von 444 DM. Dieser erwiderte mit Schreiben vom 5.2.2001, dass er 200 DM zahle, zu mehr sei er nicht in der Lage. Seine Einkommensverhältnisse habe er dem Jugendamt in Leverkusen offengelegt. Das Geld gebe er seiner Mutter bei Besuchen mit. Diese zahle das Geld in Deutschland ein, um die in Spanien hohen Überweisungskosten zu sparen. Unstreitig ist in dieser Weise verfahren worden. Mit Schreiben vom 15.2.2001 forderte der Kläger die Beklagte auf, die Differenz zwischen dem gezahlten und dem geforderten Betrag selbst zu übernehmen. Dieser Aufforderung des Klägers ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte hafte nach § 1607 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 BGB. Er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger beginnend mit dem 1.11.2001 einen monatlichen Kindesunterhalt von 444 DM fällig bis zum dritten Werktag eines jeden Monats im voraus sowie einen Unterhaltsrückstand in Höhe von 1.267 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, ihr Sohn zahle im Rahmen seiner begrenzten Leistungsfähigkeit gleichwohl den gesetzlichen Unterhalt. Unter diesen Umständen sei für eine Mithaft nachrangig haftender Verwandter kein Raum. Im übrigen hafte die Beklagte, wenn überhaupt, nur anteilig mit den Großeltern mütterlicherseits. Sie sei auch nicht leistungsfähig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen hier nicht gesondert hervorgehobenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nicht begründet. Eine Unterhaltspflicht der Beklagten ergibt sich nicht aus § 1607 Abs. 1 BGB. Tatbestandsvoraussetzung dieser unmittelbaren eigenen Unterhaltsverpflichtung anderer Verwandter ist die Leistungsunfähigkeit des Hauptunterhaltsverpflichteten. Dass es dem Sohn der Beklagten nicht möglich gewesen wäre, den geforderten Mindestunterhalt ganz oder teilweise zu bezahlen ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Die Klage sagt dazu nur, daß der Sohn der Beklagte nicht mehr als 200 DM monatlich zahlt. Daraus kann noch nicht geschlossen werden, daß er zu den angestrebten.höheren Zahlungen nicht in der Lage wäre. Für eine entsprechende Vermutung fehlt jede Grundlage. Diese mit Fakten zu untermauern, wäre für den Kläger schon deshalb durchführbar gewesen, weil er für einen substantiierten Vortrag zur Leistungsunfähigkeit seines Vaters auf dessen Einkommensangaben beim Jugendamt Leverkusen hätte zurückgreifen können. Dass dies nicht geschehen ist, geht zu seinen Lasten. Hinzu kommt ein weiteres. Der Kläger geht selbstverständlich davon aus, dass nur die Beklagte als mithaftende Verwandte zur Verfügung steht, und dass sich die Frage nach deren Mithaft schon dann stellt, wenn ihr Sohn leistungsunfähig ist. Diese Vorgabe ist nicht tragfähig. In welcher Rangfolge unterhaltspflichtige Verwandte herangezogen werden, ergibt sich aus § 1606 Abs, 1 und Abs. 2 BGB. Von der hier relevanten Gruppe der Verwandten aufsteigender Linie haften danach zunächst die näheren, also die Eltern und danach auf die entfernteren, die Großeltern. Die Konsequenz daraus ist, daß die Beklagte erst dann herangezogen werden darf, wenn beide Eltern, also Vater und Mutter nicht leistungsfähig sind und ihnen zum eigenen Unterhalt weniger als der Selbstbehalt bleibt. Das ist wiederum der Klage nicht zu entnehmen. Der Kläger übersieht, daß sich die Mutter bei Leistungsunfähigkeit des Vaters nicht darauf zurückziehen kann, sie leiste schon Betreuungsunterhalt. Ihr entsprechendes Privileg aus § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB besteht nicht, soweit es gilt die Leistungsunfähigkeit des vorrangig Unterhaltsverpflichteten festzustellen. Unbeschadet dessen geht der Kläger mit seiner Ansicht fehl, dass die Großeltern mütterlicherseits nicht zu beteiligen wären. Für eine solche Einschränkung fehlt jede gesetzliche Grundlage.
Eine Unterhaltsverpflichtung der Beklagten kann auch nicht aus § 1607 Abs. 2 Satz 1 BGB hergeleitet werden. Diese Norm findet nur dann Anwendung, wenn die Rechtsverfolgung einschließlich der anschließenden Zwangsvollstreckung gegen den vorrangig Unterhaltspflichtigen im Inland ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist. Das ist nicht der Fall. Der Kläger kann seinen Vater in der Bundesrepublik auf Zahlung des Mindestunterhalts in Anspruch nehmen. Der Auslandsaufenthalt des Vaters hindert dies nicht. Das örtlich zuständige deutsche Familiengericht ist international zuständig. Hier gilt mindestens die allgemeine Regel, dass die internationale Zuständigkeit durch eine mittelbare stillschweigende Verweisung auf die örtliche Zuständigkeit bestimmt wird. Selbst wenn man auf die Vorschriften des EG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zurückgreift, gilt nichts anderes. Art. 5 Nr. 2 des EUGVÜ regelt für Unterhaltssachen ausdrücklich die örtliche und internationale Zuständigkeit am Wohnsitz des Berechtigten. Unter diesen Umständen gibt es keinen Zweifel daran, dass der Kläger seinen Unterhaltsanspruch in Deutschland geltend machen könnte. Der Kläger führt unbeschadet dessen auch zu Unrecht an, die Durchsetzung eines im Inland gewonnenen Unterhaltstitels sei für ihn in Spanien unzumutbar erschwert. Im Hinblick auf das ab 1.7.2002 in Kraft tretende neue deutsche Zustellungsrecht und in Anbetracht der EU-Verordnung 1348/2000 ist nicht damit zu rechnen, daß erforderliche Zustellungen von Klage und Entscheidung über Gebühr lange dauern oder unzumutbare Kosten produzieren. Beide angesprochenen Regelwerke sind Ausdruck der angestrebten Rechtsvereinheitlichung innerhalb der EU, indem die bisher noch stark formalisierten Zustellungsvorschriften vereinfacht und damit die Abläufe des Verfahrens schneller gestaltet werden. Überdies ist mit einer Anerkennung der in Deutschland getroffenen Entscheidung für Spanien zu rechnen. Auf das einschlägige Abkommen ist oben hingewiesen. Spanien ist Vertragsstaat des EUGVÜ. Selbst Währungsprobleme bestehen nicht mehr, nachdem in beiden vom vorliegenden Streit befangenen Ländern die gleiche Währung gilt. Hinzu kommt ein weiteres. Spanien und Deutschland sind auch Vertragsstaaten des UN-Abkommens über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, so daß der Kläger auf die dort niedergelegten Erleichterungen zugreifen könnte. Bei Vorliegen inländischer Titel, welche im Ausland umgesetzt werden sollen, enthält das UN-Übereinkommen keine Eingrenzungen. Das entsprechende Vollstreckungsgesuch kann gebührenfrei beim Amtsgericht als Justizverwaltungssache eingebracht werden. Der erforderliche Inhalt des Gesuchs nach Art. 3 Abs. 3 und 4 UN-Übereinkommen kann unschwierig dargestellt werden. Das gilt auch für die weiteren Formalien in den bundeseinheitlichen Bekanntmachungen der Landesjustizverwaltungen. Bei solchen Möglichkeiten ist der Behauptung des Klägers der Boden entzogen, dass die Durchsetzung seiner Ansprüche in Spanien erheblich erschwert wäre. Eine andere Sichtweise hätte zur Folge, dass bereits der Wohnsitz eines Unterhaltsschuldners im Ausland zur Haftung anderer Verwandter führen wird. Das ist nicht tragfähig. Zum einen wäre der Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 1607 Abs. 2 S. 1 BGB aufgehoben, wenn alleine aus einem Auslandswohnsitz schon auf Vollstreckungsschwierigkeiten geschlossen werden könnte. Dies dürfte allein bei zusätzlichen Erschwernissen berechtigt sein. Zum anderen würde eine solch weite Auslegung der zwischenzeitlichen Rechtswirklichkeit nicht mehr entsprechen. Diese ist geprägt durch das oben geschilderte Vertragswerk und die dort niedergelegten Erleichterungen für die Durchsetzung von Ansprüchen. Im Ergebnis kann der Kläger mithin seinen Unterhaltsanspruch im Inland einklagen und mit zumutbarem Aufwand im Ausland durchsetzen. Für eine Haftung der Beklagten bleibt kein Raum.