Die Klägerin ist Herstellerin des Präparates „S.“.
Durch einen im Jahre 1973 abgeschlossenen „Vertriebs und Lieferungsvertrag“ übertrug die Rechtsvorgängerin der Klägerin der Rechtsvorgängerin der Beklagten die Alleinvertriebsrechte für das Präparat in Belgien. Gemäß § 7 dieses Vertrages durfte die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin während der Dauer des Vertragsverhältnisses weder unmittelbar noch mittelbar Erzeugnisse in ihr Verkaufsprogramm aufnehmen, die in Konkurrenz zu dem Präparat „S.“ standen.
§ 9 Abs. 1 des Vertrages bestimmt:
„Bei Streitigkeiten aus diesem Vertrage vereinbaren die Vertragsparteien das Landgericht in Koblenz als örtlich und sachlich zuständiges Gericht. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien regeln sich nach deutschem Recht (BRD).“
Das Vertragsverhältnis ist durch fristgerechte Kündigung seitens der Klägerin vom 29.06.1987 gemäß § 6 Abs. 5 des Vertrages zum 31.12.1987 beendet worden.
Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagte nach vorausgegangenem Mahnverfahren auf Bezahlung folgender unbezahlter Rechnungen aus der Lieferung von S. -Produkten an die Beklagte in Anspruch:
Rechnung-Nr. 111187 vom 29.09.1987: 12.028,10 DM
Rechnung-Nr. 111187 vom 29.09.1987: 10.182,48 DM
Rechnung-Nr. 111187 vom 29.09.1987: 65.427,‑ DM
Rechnung-Nr. 121187 vom 30.09.1987: 13.543,20 DM
Rechnung-Nr. 121187 vom 30.09.1987: 3.600,‑ DM
Rechnung-Nr. 281187 vom 29.10.1987: 17.179,80 DM
Rechnung-Nr. 281187 vom 29.10.1987: 14.546,40 DM
Rechnung-Nr. 291187 vom 30.10.1987: 31.200,‑ DM
Rechnung-Nr. 291187 vom 30.10.1987: 9.159,36 DM
Rechnung-Nr. 291187 vom 30.10.1987: 48.949,80 DM
Rechnung-Nr. 091287 vom 09.11.1987: 9.674,40 DM
Rechnung-Nr. 171287 vom 17.11.1987: 5.895,12 DM
Summe: 241.385,66 DM
abzüglich einer Gutschrift vom 25.03.1988 (Rechnung-Nr. 240488): 5.846,40 DM = 235.539,26 DM
Die Rechnungsforderungen als solche sind dem Grunde und der Höhe nach unstreitig. Die Beklagte rechnet mit Gegenforderungen auf.
Die Beklagte hat ihrerseits gegen die Klägerin Klage vor dem Handelsgericht in Nevilles/Belgien erhoben und auf ihre dort eingeklagten Forderungen die von der Klägerin hier verfolgte Klageforderung verrechnet.
Den Forderungen der Beklagten liegt u.a. zugrunde, daß das belgische Gesundheitsministerium für die Zeit vom 06.01.1987 bis 31.01.1987 für Belgien eine Verkaufssperre für sämtliche S… Produkte angeordnet hatte, nachdem in den Niederlanden mit Keimen befallenes „Baby S.“ festgestellt worden war und die Presse hierüber berichtet hatte. Amtliche belgische Laboruntersuchungen ergaben dann, daß die nach Belgien gelieferten Produkte der Klägerin nicht befallen waren.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 235.539,26 DM nebst 6,5 % Zinsen seit dem 15.01.1988 zu zahlen, hilfsweise, ihr zu gestatten, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erforderliche Sicherheitsleistung durch selbstschuldnerische und unwiderrufliche Bürgschaft einer inländischen Bank oder Sparkasse zu erbringen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht:
Die Klage sei im Hinblick auf die von ihr vor dem Handelsgericht Nivelles erhobene Klage – die die Beklagte in Ablichtung mit Übersetzung vorgelegt hat – unzulässig, da die hier von der Klägerin eingereichte Klage zur doppelten Rechtshängigkeit führe und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen bestehe. Die Klage in Belgien sei eingereicht worden, bevor die hier erhobene Klage rechtshängig geworden sei. Über die in Belgien eingereichte Klage sei bisher noch nicht entschieden. Dort verfolge sie gemäß dem belgischen Gesetz betreffend Alleinvertriebsverträge von unbestimmter Dauer vom 29.06.1961 (27.07.1961) einen Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin in Höhe von insgesamt 218.460,74 DM, der sich wie folgt errechne:
1. Pauschalentschädigung für die ihr durch den Vertragsbruch und die Kündigung entstandenen Umsatzverluste 150.000,‑ DM.
2. Entschädigung für die von ihr geworbenen Kunden, für Werbekosten und für Investitionen von über 100.000 DM aus Anlaß der in den Niederlanden festgestellten Verseuchung von „Baby S.“ 120.000 DM.
3. Rücknahme des Lagervorrates an S. Produkten gegen Zahlung von 184.000,‑ DM.
Summe 454.000,‑ DM
abzüglich Rechnungsforderungen der Klägerin 235.539,26 DM = 218.460,74 DM.
Für den Fall, daß die Klage nicht unzulässig und das hiesige Verfahren auch nicht bis zum Abschluß des vor dem Handelsgericht in Nivelles anhängigen Rechtsstreites auszusetzen sei, rechne sie mit folgenden Gegenforderungen in der nachgenannten Reihenfolge auf, wobei die Gegenforderungen jeweils hilfsweise zur Aufrechnung gestellt würden, soweit sie die Klageforderungen überstiegen:
1. Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 89 b HGB 150.000,‑ DM.
2. Schadensersatzansprüche in Höhe von insgesamt 1.978.317 bfr, die sich umgerechnet auf 94.167,89 DM beliefen und die ihr durch die sogenannte „anti S. Aktion“ in niederländisch sprachigen Zeitungen entstanden seien:
a) Kosten für Laboruntersuchungen: 40.691 bf
b) Kosten für Zeitungsanzeigen um die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen: 81.000 bf
c) Kosten für Rundschreiben an Abnehmer: 89.200 bf
d) Kosten für Beratung durch Rechtsanwalt: 26.000 bf
e) Entschädigung für Handelsvertreterin Frau B…: 100.000 bf
f) Zusätzliche Verwaltungskosten: 75.000 bf
g) Gewinnverlust: 1.566,426 bf = 1.978,317 bf
3. Kaufpreisrückerstattungsanspruch in Höhe von 184.000,‑ DM = 428.167,89 DM.
Die Klägerin habe sich verpflichtet, den bei ihr vorhandenen Warenbestand wenigstens teilweise zum Einkaufspreis zurückzunehmen.
Ihre Gegenforderungen hat die Beklagte jeweils im einzelnen dargelegt und nach Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch ein Schreiben der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft H., B., B., vom 20.03.1989 nebst Anlagen und Übersetzung zum Nachweis des ihr durch die Vertragsaufhebung entstandenen Schadens vorgelegt.
Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 23.05.1989 antragsgemäß zur Zahlung von 235.539,26 DM nebst 6,5 % Zinsen seit dem 15.01.1988 verurteilt und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Auf das Urteil wird Bezug genommen.
Das Urteil ist den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 31.05.1989 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 30.06.1989, eingegangen am gleichen Tage, haben die zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 02.11.1989 an diesem Tage begründet.
Mit Schriftsatz vom 30.05.1990 haben die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten das Mandat niedergelegt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.10.1990, zu dem die Beklagte zu Händen ihrer Prozeßbevollmächtigten am 19.07.1990 geladen worden war, ist für die Beklagte niemand erschienen.
Die Klägerin beantragt, ein Versäumnisurteil dahin zu erlassen, daß die Berufung der Beklagten zurückgewiesen wird, hilfsweise, unter Berufung auf Art. 83 EKG, die Beklagte durch Versäumnisurteil zu verurteilen, an sie 235.539,26 DM nebst 1 % Zinsen über dem amtlichen Diskontsatz der deutschen Bundesbank zu zahlen.
Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die erstinstanzlichen Schriftsätze der Parteien nebst Urkunden und Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten war gemäß den §§ 542 Abs. 1, 330, 335 der Zivilprozeßordnung (ZPO) durch Versäumnisurteil als unbegründet zurückzuweisen.
Nach diesen Vorschriften ist die Berufung des Berufungsklägers auf Antrag des Berufungsbeklagten durch Versäumnisurteil als unbegründet zurückzuweisen, wenn der ordnungsgemäß geladene Berufungskläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint.
Voraussetzung für den Erlaß des beantragten Versäumnisurteil ist einmal, daß die Berufung zulässig ist, das heißt, in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet wurde (§ 519 b Abs. 1 ZPO). Das ist hier der Fall, wie im Senatstermin vom 05.10.1990 festgestellt wurde. Zu diesem Termin ist für die Berufungsklägerin niemand erschienen, obwohl die Berufungsklägerin zu diesem Termin zu Händen ihrer Prozeßbevollmächtigten am 19.07.1990 ordnungsgemäß und rechtzeitig geladen worden war, wie im Termin vom 05.10.1990 ebenfalls festgestellt wurde.
Voraussetzung für den Erlaß des beantragten Versäumnisurteils ist weiter, daß das Verfahren erster Instanz zulässig war, also die von Amts wegen zu beachtenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Klage und das Verfahren gegeben waren (vgl. Baumbach, Lauterbach, Albers, ZPO, 47. Aufl. 1989, Anm. 1 b zu § 542 ZPO; Zöller, Schneider, ZPO, 16. Aufl. 1990, Anm. IV 3 zu § 542 ZPO).
Auch diese Voraussetzungen für den Erlaß des beantragten Versäumnisurteils sind erfüllt.
1. Sowohl für das Mahnverfahren wie für das Klageverfahren war die in jedem Rechtszug nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. BGHZ 44, 46, 52; BGHZ 69, 44; BGHZ 98, 263, 270) von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit des im Mahnverfahren angegangenen Amtsgerichts Koblenz und des im Klageverfahren mit der Sache befaßten Landgerichts Koblenz gegeben, so daß die Klage nicht als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen.
Für das nach § 688 Abs. 3 ZPO zulässige Mahnverfahren ergab sich hier – im Anwendungsbereich des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) – die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Koblenz allein aus Art. 17 EuGVÜ, nachdem die Klägerin sich im Mahnverfahren auf die in § 9 des Vertrages von 1973 getroffene Gerichtsstandsvereinbarung berufen und den Mahnantrag vom 20.06.1988 entsprechend der Vorschrift des § 34 Abs. 2 Anerkennungs und Vollstreckungsausführungsgesetz vom 30.05.1988 (BGBL I 1988 S. 662) – AVAG – den Vertrag beigefügt hatte (vgl. Bussl, Deutsches internationales Mahnverfahren – §§ 688 ff. ZPO und EuGVÜ in Iprax 1986, 270, 272 mN).
Die Widerspruchsfrist von einem Monat (§ 34 Abs. 3 AVAG) hat die Beklagte mit Einlegung des Widerspruchs am 15.10.1988 gewahrt, nachdem ihr der Mahnbescheid ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 15.09.1988 in Nivelles zugestellt worden war.
Für das Klageverfahren vor dem Landgericht Koblenz – und damit auch für das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Koblenz als zuständiges Berufungsgericht – kann dahinstehen, ob die Parteien eine nach Art. 17 EuGVÜ wirksame Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben. Denn die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Koblenz ist gemäß Art. 18 EuGVÜ jedenfalls dadurch begründet worden, daß sich die Beklagte auf das Verfahren eingelassen hat, ohne das Fehlen der internationalen Zuständigkeit zu rügen. Art. 18 EUGVÜ ist auch dann anwendbar, wenn die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 17 EUGVÜ getroffen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 24.06.1981 – Rs 150/80 Elefantenschuh gegen Jacqmain, Sammlung Seite 1671, RIW 1981, 709; Kropholler, EUGVÜ, 2. Aufl. 1987, Rn. 18 zu Art. 18). Die Beklagte hat zwar in ihrer Klageerwiderung vom 20.02.1989 vorweg die Unzulässigkeit der Klage gerügt, aber nicht wegen fehlender internationaler Zuständigkeit, sondern nur wegen doppelter Rechtshängigkeit. Zwar muß die fehlende internationale Zuständigkeit nicht ausdrücklich gerügt werden, um die Anwendung des Art. 18 EuGVÜ auszuschließen (vgl. Kropholler aaO, Rn. 8 zu Art. 18). Aber auch aus dem sonstigen Vortrag der Beklagten im ersten Rechtszug ergibt sich nicht, daß sie das Fehlen der internationalen Zuständigkeit des Landgerichts Koblenz geltend machen wollte.
Demnach war somit für das Verfahren vor dem Landgericht Koblenz die internationale Zuständigkeit gegeben, wie sie auch für das Berufungsgericht gegeben ist.
2. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht auch die Klage nicht wegen doppelter Rechtshängigkeit als unzulässig abgewiesen.
Maßgebend ist im Anwendungsbereich des EuGVÜ insoweit allein – was das Landgericht verkannt hat – Art. 21 EuGVÜ, und zwar derzeit noch in der seit dem 01.11.1986 geltenden Fassung des ersten Beitrittsübereinkommens vom 09.10.1978 (Art. 34 Abs. 1 Beitrittsübereinkommen).
Gemäß Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ hat sich das später angerufene Gericht von Amts wegen zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig zu erklären, wenn bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden.
Da zwischen den Vertragsstaaten bislang eine Verweisung über die Staatsgrenzen hinweg nicht möglich ist, hat der deutsche Richter die Klage in diesem Fall durch Prozeßurteil abzuweisen (vgl. Kropholler, aaO, Rn. 14 zu Art. 21).
a) Wann bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten anhängig gemachte Klagen „denselben Anspruch“ betreffen, wurde bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 08.12.1987 – Rs 144/86 – Gubisch./. Palumbo (IPRax 1989, 157 = RIW 1989, 55 = NJW 1989, 665) ganz überwiegend dem Prozeßrecht des jeweils angerufenen Gerichts überlassen. In der Bundesrepublik Deutschland wurden die innerstaatlichen, auf der Zivilprozeßordnung beruhenden Vorstellungen von der Identität des Streitgegenstandes als maßgeblich angesehen (vgl. Schack, IPRax 1989, 139, 140 mN).
Durch die Entscheidung vom 08.12.1987 ist klargestellt, daß die in Art. 21 Abs. 1 EUGVÜ zur Umschreibung der Rechtshängigkeit verwandten Begriffe vertragsautonom, also unabhängig vom innerstaatlichen Recht der beteiligten Staaten, auszulegen sind, und zwar unter Beachtung der Ziele des EUGVÜ und des Zweckes der Vorschrift, unvereinbare und damit gem. Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ nicht anerkennungsfähige Entscheidungen zu vermeiden. Deshalb ist die Vorschrift weit auszulegen. Maßgebend ist, ob zwei Parteien in verschiedenen Vertragsstaaten zwei auf derselben Grundlage, nämlich demselben Vertragsverhältnis, beruhende Rechtstreitigkeiten führen und beide Rechtstreitigkeiten in diesem Sinne den gleichen Gegenstand haben, wobei dieser Begriff nicht auf die formale Identität der beiden Klagen beschränkt ist (so EuGH aaO).
In diesem Sinne wäre zu bejahen, daß die vorliegende und die von der Beklagten bei dem Handelsgericht in Nivelles anhängig gemachte Rechtstreitigkeit den gleichen Gegenstand haben, auch wenn nach deutschem innerstaatlichem Prozeßrecht nach herrschender Meinung eine zur Aufrechnung gestellte Forderung nicht rechtshängig wird. In beiden Verfahren bilden die auf dem Alleinvertriebsvertrag von 1973 beruhenden Schadensersatzansprüche der Beklagten den Streitstoff, auch wenn sie im vorliegenden Verfahren im Wege der Aufrechnung gegenüber der als solche unstreitigen Klageforderung geltend gemacht werden, während sie vor dem Handelsgericht Nivelles klageweise verfolgt werden. Letztlich stellt die Klageforderung des vorliegenden Verfahrens in beiden Verfahren, saldomäßig betrachtet, nur einen Rechnungsposten dar. Sich widersprechende Entscheidungen zu den von der Beklagten verfolgten Schadensersatzansprüchen wären im Anerkennungsstaat nicht anerkennungs- und vollstreckungsfähig.
Allerdings handelt Art. 21 Abs. 1 EUGVÜ nur von „Klagen“ wegen desselben Anspruches, wie es sich auch bei dem der Entscheidung vom 08.12.1987 zugrunde liegenden Fall um zwei „Klagen“, handelte, nämlich um eine Klage auf Erfüllung des Vertrages und um eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit desselben Vertrages. Demgegenüber wird im vorliegenden Fall derselbe, auf demselben Vertragsverhältnis beruhende Schadensersatzanspruch dort im Wege der Klage, hier im Wege der Aufrechnung geltend gemacht, allerdings einer Primäraufrechnung gegenüber einer als solche unstreitigen Klageforderung. Die damit aufgeworfene weitere Auslegungsfrage zu Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ, die in die Auslegungszuständigkeit des Gerichtshofs fallen und zu einem Verfahren gemäß Art. 177 EWGV in Verbindung mit dem Protokoll vom 03.06.1971 Anlaß geben könnte, kann jedoch hier letztlich dahinstehen.
b) Denn nach Art. 21 Abs. 1 EUGVÜ hat sich – wenn es sich um Klagen wegen desselben Anspruchs handelt – das später angerufene Gericht zugunsten des zuerst angerufenen Gerichts für unzuständig zu erklären.
Als „zuerst angerufenes Gericht“ im Sinne des Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ ist dasjenige Gericht anzusehen, bei dem die Voraussetzungen für die Annahme einer endgültigen Rechtshängigkeit zuerst vorliegen; diese Voraussetzungen sind für jedes der betroffenen Gerichte nach seinen nationalen Vorschriften zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 07.06.1984 – Rs 129/83 – Zelger./. Salinitri, RIW 1984, 737 m. Anm. von Linke). Das bedeutet, daß für das von der Klägerin anhängig gemachte Verfahren nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung festzustellen ist, wann die Klage rechtshängig wurde, während nach belgischem Prozeßrecht zu beurteilen ist, wann die dort von der Beklagten eingereichte Klage endgültig erhoben wurde (vgl. auch Kropholler, aaO, Rdnrn: 9 und 10 zu Art. 21). Diese Prüfung ergibt, daß das Landgericht nicht gemäß Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ verpflichtet war, sich für unzuständig zu erklären und die Klage als unzulässig abzuweisen.
Die vorliegende Klage ist mit Zustellung des Mahnbescheides vom 12.07.1988 an die Beklagte am 15.09.1988 rechtshängig geworden (§§ 696 Abs. 3, 261, 253 ZPO). An diesem Tage ist der Beklagten der Mahnbescheid über die Staatsanwaltschaft Nivelles durch das Polizeikommissariat gemäß § 202 Abs. 2 ZPO zugestellt worden. Das belegt das bei den Akten befindliche Empfangsbekenntnis der Beklagten, das diese am 15.09.1988 abgezeichnet hat. Damit war die Zustellung des Mahnbescheides bewirkt (vgl. Moons, Zustellungen im deutsch-belgischen Rechtsverkehr, – RIW 1988, 903).
Die von der Beklagten zum Handelsgericht in Nivelles eingereichte Klage vom 30.08.1988 mit Ladung zu einem Termin vom 20.10.1988 ist der Klägerin nach den vom Senat getroffenen Feststellungen wie auch nach dem Vortrag der Klägerin im ersten Rechtszug über das Amtsgericht St. Goar (1 AR 55/88) am 05.10.1988 zugestellt worden. Dieses Datum der Aushändigung der Klageschrift an die Klägerin ist jedoch nach belgischem Prozeßrecht nicht maßgebend für die Frage, wann diese Klage endgültig erhoben wurde. In der Regel gilt vielmehr nach belgischem Prozeßrecht (Art. 40 Abs. 2 Code judiciaire) bei Personen, die in Belgien weder Wohnort noch Aufenthaltsort haben, eine Zustellung als bewirkt, wenn sie zu Händen des Staatsanwalts des angerufenen Gerichts erfolgt („remise au parquet“). Hier ist die Klage vom 30.08.1988 nebst Übersetzung dem Staatsanwalt in Nivelles durch den Gerichtsvollzieher... zum Zwecke der Zustellung am 30.08.1988 übergeben worden, wie sich aus der zu den Akten gereichten Klage ergibt. Ungeachtet dessen ist für die belgischen Gerichte in ständiger höchstrichterlicher belgischer Rechtsprechung nach Moons aaO im deutsch-belgischen Rechtsverkehr nicht der Zeitpunkt der Zustellung an den Staatsanwalt für die Frage maßgebend, wann die Zustellung als erfolgt gilt. Maßgebend ist vielmehr der Zeitpunkt des Zugangs bei dem deutschen erstinstanzlichen Gericht dem Amtsgericht, an das der Staatsanwalt das Schriftstück in Ausführung des Haager Übereinkommens vom 15.11.1965 und der deutsch belgischen Zusatzvereinbarung zur weiteren Vereinfachung des Rechtsverkehrs vom 25.04.1959 zum Haager Übereinkommen vom 01.03.1954 weiterzuleiten hat. Dadurch soll sichergestellt werden, daß der Zeitpunkt der Zustellung nicht von deren Ausführung durch das deutsche Amtsgericht abhängt und für das Verfahren vor dem belgischen Gericht ein zeitlicher Unsicherheitsfaktor entsteht (so Moons aaO). Maßgebend ist also der Zeitpunkt, an dem das Schriftstück das Amtsgericht erreicht hat, nicht der Zeitpunkt, an dem es der Partei ausgehändigt wurde.
Wie sich aus dem Zustellungsvorgang 1 AR 55/88 AG St. Goar (934 E – 424/88 LG Koblenz) ergibt, ist das Zustellungsersuchen der Staatsanwaltschaft Nivelles vom 08.09.1988 erstmals am 15.09.1988 und dann nach Vorprüfung durch den Landgerichtspräsidenten erneut am 26.09.1988 bei dem Amtsgericht St. Goar eingegangen. Demnach ist die von der Beklagten bei dem Handelsgericht Nivelles eingereichte Klage am 15.09.1988 nach belgischer Rechtsprechung rechtshängig geworden. Das bedeutet, daß beide Klagen am gleichen Tage – dem 15.09.1988 – endgültig im Sinne von Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ rechtshängig geworden sind. In diesem seltenen Ausnahmefall greift nach Kropholler, aaO, Rn. 10 zu Art. 21 die Vorschrift des Art. 21 EuGVÜ nicht ein, und beide Gerichte können ihr Verfahren fortsetzen. Der mögliche Konflikt der Urteile ist dann gemäß Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ zu lösen. Dem schließt sich der Senat an, da eine andere Lösung nicht ersichtlich ist.
Damit war das Landgericht nicht verpflichtet, sich wegen doppelter Rechtshängigkeit für unzuständig zu erklären und die Klage als unzulässig abzuweisen.
3. Demnach hatte das Landgericht auch nicht nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ iVm § 148 ZPO zu prüfen, ob das vorliegende Verfahren auszusetzen sei (vgl. Kropholler aaO, Rn. 5 zu Art. 22).
Ob das Landgericht zu Recht oder Unrecht Anordnungen nach den §§ 145 Abs. 3, 146, 302 ZPO unterlassen hat, war seitens des Berufungsgerichts nicht zu prüfen, da insoweit keine zwingenden Verfahrensvorschriften verletzt wären.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten durch Versäumnisurteil als unbegründet zurückzuweisen.