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Zusammenfassung der Entscheidung Ein deutscher Handelsvertreter streitet nach der Beendigung des Vertretungsverhältnisses mit dem italienischen Unternehmer. Gegenstand der Auseinandersetzung sind verschiedene Ansprüche, darunter eine von dem Handelsvertreter begehrte restliche Provisionsforderung. Der Unternehmer erhob vor dem Tribunale Reggio Emilia (IT) gegen den Handelsvertreter Klage u.a. auf Feststellung der Beendigung des Vertretungsverhältnisses. Der Handelsvertreter antwortete daraufhin mit einer Widerklage, mit der er die Verurteilung des Unternehmers zu verschiedenen Leistungen beantragte. Hilfsweise beantragte der Handelsvertreter die Verurteilung des Unternehmers zur Zahlung von Restprovision. Später erhob der Handelsvertreter vor dem Landgericht München I (DE) gegen den Unternehmer Klage, mit der er neben verschiedenen anderen Leistungen auch hier die Verurteilung zur Zahlung restlicher Provision beantragte. Der Unternehmer machte die zeitlich frühere Rechtshängigkeit des italienischen Verfahrens geltend.
Das LG München (DE) stellt fest, dass der Anspruch auf Zahlung der Restprovision bereits vor dem italienischen Tribunale Reggio Emilia zeitlich früher im Sinne des Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ rechtshängig geworden sei. Auch ein nur hilfsweise gestellter Klageantrag reiche zur Begründung der Rechtshängigkeit im Sinne des Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ aus. Das Gericht setzt mit dieser Begründung sein Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des zwischen den Parteien vor dem italienischen Tribunale Reggio Emilia geführten Prozesses aus.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Das Verfahren ist gemäß Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ, ergänzend Art. 22 EuGVÜ, auszusetzen.
Die Klägerin macht mit der Zahlungs Klage Restprovisionsansprüche aus einem Handelsvertretervertrag geltend, außerdem einen Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter fristloser Kündigung durch die Beklagte mit Schreiben vom 1.6.2001, ihr zugegangen am 6.7.2001, außerdem mit der Klageforderung in Ziffer 2 einen Buchauszug für die Zeit vom 24.7.2000 bis 31.12.2001. Hinsichtlich sämtlicher Klagepunkte ist die Aussetzung, des Verfahrens anzuordnen.
a) Restprovision:
Insoweit greift Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ ein, da wegen desselben Anspruchs bereits bei einem italienischen Gericht, nämlich dem Landgericht R.E., vor Zustellung der streitgegenständlichen Klage, ersichtlich am 1.2.2002, eine andere Klage wegen desselben Anspruchs anhängig war.
Bei dieser anderen Klage handelt es sich um die Hilfswiderklage, der Klägerin dieses Verfahrens vor dem vorgenannten italienischen Gericht, wie sie als Anlage K 6 – hierauf wird Bezug genommen – von der Klägerin in deutscher Übersetzung vorgelegt wurde; in dieser Hilfswiderklage macht die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits auch die hier als Restprovision geltend gemachten Forderungen geltend, indem sie eventuell noch geschuldete Beträge bis zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung geltend macht.
Dass die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits lediglich eine Hilfswiderklage vor dem italienischen Gericht erhoben hat, ändert nichts daran, dass hier Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ zur Anwendung kommt. Wie sich aus dem Sachvortrag der Klägerin ergibt, ist die Hilfswiderklage im italienischen Rechtsstreit der Beklagten des vorliegenden Rechtsstreits auch zugegangen, so dass grundsätzlich von der Anhängigkeit gemäß Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ auszugehen ist, was allein entscheidend ist. Dass diese Widerklage der Klägerin von innerprozessualen Bedingungen abhängig gemacht wurde, hat nur Bedeutung dafür, inwieweit das Gericht tatsächlich über diese Klage entscheiden wird, dies ändert jedoch nichts daran, dass diese Klage grundsätzlich anhängig gemacht wurde, denn sonst könnte das italienische Gericht über diese dann nicht entscheiden, wenn die entsprechende Bedingung zum Tragen käme. Wie die unterschiedliche Regelung in den Absätzen 1 und 2 des Art. 21 EuGVÜ zeigt, hat der Gesetzgeber sehr wohl differenziert, in dem er in Abs. 1 die Anhängigkeit als solche genügen ließ und erst in Abs. 2 auf die Entscheidung des Gerichtes abstellte; dieses zeigt, dass es für die Anwendung des § 21 Abs. 1 EuGVÜ nur auf die formale Anhängigkeit ankommt, nicht darauf, ob es letztendlich zu einer Entscheidung über eine anhängig gemachte Klage kommt. Dass die Klägerin des vorliegenden Verfahrens ihre Hilfswiderklage auch tatsächlich anhängig machen wollte, ergibt sich aus deren eigenen Sachvortrag hinsichtlich des italienischen Prozesses, wonach grundsätzlich alle Ansprüche und Gegenansprüche sofort geltend zu machen sind, damit sie in dem entsprechenden Verfahren berücksichtigt werden können. Dies führt zwangsläufig dazu, dass eine Überprüfung nach Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ vorzunehmen ist, auch wenn dieses nunmehr zu einem Ergebnis führt, das von der Klägerin nicht erwünscht ist.
b) Schadensersatzanspruch:
Auch hier liegen die Voraussetzungen nach Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ vor. Wie sich aus dem insoweit unbestrittenen Sachvortrag der Beklagten ergibt, begehrt diese in der sog. ersten Klage vor dem genannten italienischen Gericht Feststellungen über die Auflösung des streitgegenständlichen Handelsvertretervertrages sowie Feststellungen darüber, dass keine Ansprüche wegen der Beendigung des Vertrages durch sie gegeben sind; dies bedeutet, dass damit gerade auch die Schadensersatzansprüche, die nunmehr von der Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits geltend gemacht werden, mit umfasst sind.
Grundsätzlich ist zu den beiden Positionen der Zahlungs Klage noch darauf hinzuweisen, dass es nach der, Auffassung des Europäischen Gerichtshofes lediglich darauf ankommt, ob der „Kernpunkt“ beider Verfahren der gleiche ist (vgl. hierzu Zöller, 22. Aufl., Rn. 13 zu Art. 21 EuGVÜ), es ist also entgegen den Überlegungen der Klägerin nicht darauf abzustellen, ob sich ein jeweils widersprechender Urteilstenor ergibt, vielmehr ist ein weiter Verfahrensgegenstandsbegriff zugrunde zu legen und damit darauf abzustellen, ob im Kern über die gleiche Anspruchsproblematik zu entscheiden ist, was vorliegend zu bejahen ist.
c) Anspruch auf Erteilung eines Buchauszuges:
Auch hinsichtlich dieses Anspruches liegen die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung vor.
Nachdem die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits vor dem genannten italienischen Gericht auch auf Feststellung klagt, dass kein Anspruch wegen Beendigung des Vertrages durch sie besteht bzw. dass die Auflösung des streitgegenständlichen Vertrages durch sie festzustellen ist, bedeutet dies zumindest, dass auch für die Zeit ab Zugang der fristlosen Kündigung mit Schreiben vom 1.6.2001, von der Klägerin mit dem 6.7.2001 angegeben, davon direkt mitbetroffen ist; denn wenn eine Vertragsbeendigung im Sinne der Beklagten des vorliegenden Rechtsstreits festgestellt wird, so besteht ersichtlich auch nach italienischem Recht kein Anspruch auf einen Buchauszug mehr. Entgegen den Überlegungen der Klägerin kann vorliegend nicht von einem „nachvertraglichen“ Buchauszug ausgegangen werden; dem Sachvortrag der Klägerin kann insoweit nicht entnommen werden, dass bei vorliegender „Saison“ Ware tatsächlich auch noch nach Vertragsbeendigung weitere Bestellungen eingehen können, insbesondere spricht auch ihre eigene Überlegung dagegen, da die Klägerin den Anspruch wegen Buchauszuges grundsätzlich bis zu dem Zeitpunkt geltend macht, zu dem eine ordentliche Kündigung durch die Beklagte Wirkung entfaltet.
Was den Anspruch wegen Buchauszuges für die Zeit vom 24.7.2000 bis 5.7.2001 betrifft, so greift hierzu mindest Art. 22 EuGVÜ ein.
Da die Klägerin mit der Hilfswiderklage noch eventuell geschuldete Beträge bis zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung begehrt, ein Buchauszug nur im Zusammenhang mit zu zahlenden Provisionen besteht, hält es die Kammer für sinnvoll, auch insoweit das Verfahren nach Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ auszusetzen, bis das italienische Gericht in R.E. über die Hilfswiderklage entschieden hat.
Nur zur Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass die Kammer auch hinsichtlich des Buchauszuges für die Zeit vom 6.7. bis 31.12.01 mit der vorgenannten Argumentation die Aussetzung hilfsweise auf Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ stützt.
d) Entgegen den Überlegungen der Beklagten liegen die Voraussetzungen gemäß 21 Abs. 2 EuGVÜ nicht vor.
In dieser Vorschrift ist ausdrücklich festgehalten, dass nach dieser Vorschrift erst dann entschieden werden kann, wenn eine ausdrückliche Feststellung des Gerichts vorliegt, so dass nicht auf die Einlassung der Parteien abzustellen ist. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin für die genannte Hilfswiderklage durchaus einen Zuständigkeitsvorbehalt erklärt hat, wie die Anlage K 6 belegt.
e) Abschließend bleibt festzuhalten, dass vorliegend das EuGVÜ, wie angegeben, Anwendung findet, nicht die EuGVVO; letztere findet gemäß Art. 76 Abs. 1 EuGVVO iVm Art. 66 EuGVVO, erst auf Klagen Anwendung, die nach dem 1.3.2002 rechtshängig wurden, was vorliegend nicht der Fall ist.