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Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin beantragt in Deutschland die Erteilung der Vollstreckungsklausel für ein französisches Urteil. Durch dieses Urteil wurden die Antragsgegner aufgrund von Art. 180 des französischen Gesetzes vom 25. 01. 1985 verurteilt, die gesamte Schuldenmasse der Firma X zu tragen, da ihre Geschäftsführungsfehler als faktische Geschäftsführer zur Überschuldung der X beigetragen haben.
Das Oberlandesgericht Hamm (DE) erteilt die Vollstreckungsklausel nicht, da das französische Urteil keine Entscheidung in einer Zivil- oder Handelssache im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EuGVÜ, sondern vielmehr eine Entscheidung in einem Konkurs- oder konkursähnlichem Verfahren im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ sei, auf die das EuGVÜ nicht anwendbar sei. Nach dem EuGH seien Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren solche, die nach den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten auf der Zahlungseinstellung, der Zahlungsunfähigkeit oder der Erschütterung des Kredits des Schuldners beruhen und ein Eingreifen der Gerichte beinhalten, das in eine zwangsweise kollektive Liquidation der Vermögenswerte des Schuldners oder zumindest in eine Kontrolle durch die Gerichte mündet. Entscheidungen, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, seien zwar nur dann von der Anwendung des EuGVÜ ausgeschlossen, wenn sie unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgingen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens in dem vorgenannten Sinne hielten. Die Verurteilung der Antragsgegner habe ihre Rechtsgrundlage in Art. 180 des französischen Gesetzes vom 25. 01. 1985 betreffend Sanierung und gerichtliche Auflösung von Unternehmen. Dieser Art. 180 enthalte eine Ausfallhaftung des faktischen Geschäftsführers neben der des rechtlichen Geschäftsführers, bei der es sich um ein spezifisch insolvenzrechtliches Institut handle, das ohne Überschuldung nicht denkbar sei, so dass Art. 180 seinen rechtlichen Grund einzig und allein im Konkursrecht im Sinne des EuGVÜ habe.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Antragstellerin hat am 07.12.1990 in einem Rechtsstreit, in dem sie als Klägerin und neben zwei weiteren Beklagten die Antragsgegner als Beklagte zu 2) und 4) beteiligt waren, ein Urteil des Handelsgerichts von … erwirkt, das folgenden Tenor hat:
„Der Antrag auf Nichtigkeit der Klagezustellung wird zurückgewiesen.
Es wird festgestellt, daß die Firmen … und … sowie Herr … Leiter der … sind.
Es wird festgestellt, daß ihre Geschäftsführungsfehler zu der Überschuldung der … beigetragen haben.
Auf sie ist deshalb Art. 180 des Gesetzes von 1985 anzuwenden.
Infolgedessen ist die gesamte Schuldenmasse der …, die sich auf 4.012.520 FF beläuft, gesamtschuldnerisch von der Firma …, der Firma … und Herrn … zu tragen.
Die Klage gegen Herrn … wird zurückgewiesen.
Die Firmen ..., und Herr … werden verurteilt, an Rechtsanwältin … einen Betrag von 5.000 FF gemäß Art. 700 N.C.P.C. zu zahlen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der …, der … und Herrn … werden die Kosten dieser Instanz auferlegt.“
Gegen dieses Urteil haben die Antragsgegner sowie die Firma … Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden worden ist.
Auf Antrag der Antragstellerin vom 12.08.1992 hat der Vorsitzende der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld durch Beschluß vom 28.12.1992 folgendes angeordnet:
„Das Urteil des Handelsgerichts von … vom 07.12.1990, durch das die Antragsgegner verurteilt worden sind, als Gesamtschuldner zur Begleichung der Schuldenmasse der Firma … 4.012.520 FF und weitere 5.000 FF an die Antragstellerin zu zahlen, ist für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.“
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Antragsgegner, mit der sie rügen, das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sei im Hinblick auf dessen Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 nicht anwendbar.
II. Die gemäß Art. 36 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) vom 27.09.1968 iVm §§ 11, 12 des Ausführungsgesetzes vom 29.07.1972 (AVAG) zulässige Beschwerde der Antragsgegner ist begründet.
Die von der Antragstellerin begehrte Erteilung der Vollstreckungsklausel kann nicht erteilt werden, weil das Urteil des Handelsgerichtes von … keine Entscheidung in einer Zivil- oder Handelssache im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EuGVÜ ist. Es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung in einem Konkurs- oder konkursähnlichen Verfahren im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ, auf die das EuGVÜ nicht anwendbar ist.
Nach dem Urteil des EuGH vom 22.02.1979 (E 1979, 733 = RIW 1979, 273) sind Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren solche, die nach den verschiedenen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten auf der Zahlungseinstellung, der Zahlungsunfähigkeit oder der Erschütterung des Kredits des Schuldners beruhen und ein Eingreifen der Gerichte beinhalten, das in eine zwangsweise kollektive Liquidation der Vermögenswerte des Schuldners oder zumindest in eine Kontrolle durch die Gerichte mündet; Entscheidungen, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, sind nur dann von der Anwendung des EuGVÜ ausgeschlossen, wenn sie unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens in dem vorgenannten Sinne halten.
Die Verurteilung der Antragsgegner hat ihre Rechtsgrundlage in Art. 180 des französischen Gesetzes vom 25.01.1985 betreffend Sanierung und gerichtliche Auflösung von Unternehmen. Damit hat sie ihre Rechtsgrundlage im Konkursrecht iSd EuGVÜ.
1. Art. 180 des Gesetzes vom 25.01.1985 enthält eine dem deutschen Konkursrecht fremde Ausfallhaftung („action en comblement du passif“) des sog. faktischen Geschäftsführers („dirigeant de fait“) neben der des rechtlichen Geschäftsführers („dirigeant de droit“). Er lautet wie folgt (zitiert nach Junker, RIW 1986, 337, 3141):
„Wenn sich im Sanierungs- oder Auflösungsverfahren einer juristischen Person eine Überschuldung herausstellt, kann das Handelsgericht im Falle eines Fehlverhaltens der Geschäftsleitung, das zu dieser Überschuldung beigetragen hat, verfügen, daß die Schulden der juristischen Person ganz oder zum Teil, individuell oder gesamtschuldnerisch, von einzelnen oder von allen Leitern (der juristischen Person) getragen werden, die auf rechtlicher oder tatsächlicher Grundlage, bezahlt oder nicht bezahlt, tätig geworden sind.“
In Anwendung dieser Bestimmung hat das Handelsgericht von ... entschieden, daß die Antragsgegner neben der ... Leiter der Firma … sind und ihre Geschäftsführungsfehler zu der Überschuldung der … beigetragen haben. Daraus hat das Gericht als Rechtsfolge die Verpflichtung der faktischen Geschäftsführer zur Begleichung der Gesellschaftsschulden ausgesprochen.
2. Für alle Insolvenzen, die vor dem 01.01.1986 eröffnet wurden, regelte Art. 99 des französischen Gesetzes vom 13.07.1967 über das Vergleichs- und Konkursverfahren die Ausfallhaftung.
Der EuGH (aaO) hat entschieden, daß ein von einem französischen Zivilgericht aufgrund von Art. 99 des Gesetzes vom 13.07.1967 gegen den faktischen Leiter einer juristischen Person erlassenes Urteil auf Zahlung zur Konkursmasse als in einem Konkurs- oder konkursähnlichen Verfahren iSv Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ ergangen anzusehen ist (vgl. auch Vorlagebeschluß des BGH RIW 1978, 684). Die in einem Konkursgesetz besonders geregelte Klage des Art. 99 gehöre zur ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichts, welches das Konkurs- oder Vergleichsverfahren eröffnet habe. Nur der Konkurs- oder Vergleichsverwalter könne – außer dem genannten Gericht, das von Amts wegen in diesem Sinne tätig werden könne – diese Klage im Namen und im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger anhängig machen mit dem Ziel, diesen unter Beachtung ihrer grundsätzlichen Gleichrangigkeit nach Berücksichtigung der ordnungsgemäß erworbenen Vorzugsrechte teilweise Befriedigung zu verschaffen. Bei dieser vom allgemeinen Haftungsrecht abweichenden Klage gelte zu Lasten der rechtmäßigen oder faktischen Leiter einer Gesellschaft eine Haftungsvermutung, von der dieser sich nur befreien könnten, wenn sie nachwiesen, daß sie die Geschäfte der Gesellschaft mit der erforderlichen Sorgfalt und dem nötigen Einsatz geführt hätten. Die dreijährige Verjährung laufe von dem Zeitpunkt der endgültigen Feststellung der Forderungen an und sei für die Dauer eines etwaigen Vergleichs unterbrochen. Wenn die Klage gegen den Leiter der Gesellschaft erfolgreich sei, komme dies der Gesamtheit der Gläubiger durch Vermehrung der ihnen zur Verfügung stehenden Vermögensmasse in gleicher Weise zugute, wie wenn der Konkursverwalter das Bestehen einer Forderung zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger feststellen lasse. Außerdem könne das Gericht das Konkurs- oder Vergleichsverfahren über das Vermögen derjenigen Leiter einer Gesellschaft eröffnen, die verurteilt worden seien, die Verbindlichkeiten einer juristischen Person ganz oder teilweise zu tragen, und diese Schuld nicht beglichen, ohne daß zu untersuchen sei, ob es sich um Kaufleute handele und sie ihre Zahlungen eingestellt hätten.
3. Eine im Ergebnis gleiche Bewertung ist auch für den am 01.01.1986 in Kraft getretenen Art. 180 des Gesetzes vom 25.01.1985 geboten. Das neue Recht läßt die wesentlichen Elemente der Ausfallhaftung unberührt. Von den vom EuGH genannten sechs Besonderheiten der Ausfallhaftung des Art. 99 des Gesetzes vom 13.07.1967 bleiben auch nach Art. 180 des Gesetzes vom 25.01.1985 die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts und die Möglichkeit der Anschlußinsolvenz des rechtmäßigen oder faktischen Geschäftsführers bestehen. Zwei Regelungen sind klarstellend modifiziert: Der Verjährungsbeginn (Datum der Gerichtsentscheidung) und die Erlösverteilung (Verteilung unter allen Gläubigern entsprechend der Höhe ihrer Forderungen im Falle der Liquidation der Gesellschaft). Geändert wurde das Antragsrecht, das nunmehr auch dem Gläubigervertreter, nicht aber dem einzelnen Gläubiger, zusteht, und – als wesentlichster Punkt der Neuregelung – die Beweislastverteilung: die in Art. 99 des Gesetzes vom 13.07.1967 enthaltene Vermutung, daß die Geschäftsführer den gesamten Fehlbestand des Unternehmens schuldhaft verursacht haben (Verschuldens- und Kausalitätsvermutung), ist aufgehoben.
Diese Änderungen rechtfertigen im Hinblick auf Art. 1 Abs. 2, Nr. 2 EuGVÜ keine andere Beurteilung des Art. 180 des Gesetzes vom 25.01.1985 gegenüber Art. 99 des Gesetzes vom 13.07.1967. Hier wie dort geht es um die Ausfallhaftung als spezifisch insolvenzrechtliches Institut, das ohne Überschuldung nicht denkbar ist, so daß auch Art. 180 des Gesetzes vom 25.01.1985 seinen rechtlichen Grund einzig und allein im Konkursrecht im Sinne des EuGVÜ hat (ebenso Junker, aaO, S. 345, 347).