I. Die Antragstellerin (ASt) begehrt die Erteilung der Vollstreckungsklausel für das Urteil des Tribunal de Commerce Paris vom 27 Januar 1972. Die von der Antragsgegnerin (AG) gegen dieses Urteil eingelegte Berufung war durch Urteil der Cour d'Appel Paris vom 27. April 1973 verworfen worden.
Weder das erstinstanzliche Urteil noch das Urteil des Berufungsgerichts enthalten nähere Rechtsausführungen, insbesondere lassen die Gründe keine eindeutigen Schlüsse darauf zu, aus welchen Gründen die internationale Zuständigkeit bejaht wurde. Für die Frage der Zulässigkeit der Vollstreckung des Urteils ist daher vom erkennenden Gericht selbständig zu prüfen, ob die internationale Zuständigkeit des französischen Gerichts für diesen Rechtsstreit gegeben war.
II. 1. Da die französische Entscheidung nach dem 1. Februar 1973 rechtskräftig geworden ist, ist die Anerkennung und Vollstreckung des Urteils aufgrund des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EWG Übk.) zu prüfen, das am 1.2.1973 in Kraft getreten ist.
2. Die formellen Voraussetzungen der Antragstellung sind gewahrt:
a) Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen und der Tatsache, daß der Rechtsstreit vor dem Handelsgericht Paris verhandelt wurde, ergibt, handelt es sich um eine Zivil- und Handelssache im Sinn von Art. 1 Übk.; die Qualifikation richtet sich nach dem Recht des Urteilsstaates (vgl. von Hoffmann, AWD 1973, 57 ff., bes. 58)
b) Der Antrag ist an den Vorsitzenden der hierfür zuständigen Kammer des Landgerichts gerichtet (Art. 32 I Abk.).
c) Das Landgericht Hamburg ist aufgrund des in Hamburg liegenden Sitzes der AG örtlich zuständig (Art. 2, 53 in Verb. mit Art. 32 II Übk.).
d) Die ASt. hat einen Zustellungsbevollmächtigten in der Bundesrepublik (Art. 33 II Übk.).
e) Die ASt. hat die gemäß Art. 33 III in Verb. mit Art. 46 und 47 Übk. vorgeschriebenen Urkunden beigefügt, nämlich eine Ausfertigung der Entscheidung (Anl. 1,3) sowie Urkunden, aus denen sich ergibt, daß die Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaates vollstreckbar ist und zugestellt worden ist (Anl. 3,5). Die Urteile der Cour d’Appel sind letztinstanzlich und deshalb ohne weiteres vollstreckbar (Art. 472 Code de procédure civile = C.p.c.; vgl. auch Sonnenberger, Einführung in das französische Recht, 1972, Nr. 95); der Hinweis in der Urkunde vom 28.8.1973 über die Zustellung des OLG-Urteils, daß der außerordentliche Rechtsbehelf der Kassation innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden muß, ändert nichts daran, daß das Urteil am 27.4.1973 rechtskräftig und vollstreckbar geworden ist.
Daß die Urkunden entgegen § 184 GVG nicht bzw. nur auszugsweise in deutscher Sprache vorgelegt sind, schließt die Verwertbarkeit in diesem Verfahren nicht aus. Das ergibt sich aus entsprechender Anwendung von § 3 II des Ausführungsgesetzes vom 29.7.1972 zum Übk., nach welchem sogar der Antrag selbst in fremder Sprache gestellt werden kann, wenn der Richter zu seiner Bearbeitung in der Lage ist (vgl. auch Wolf‚ NJW 1973, 357 ff.).
3. Da die Klage vor dem 01.02.1973 erhoben wurde, ist das Übk. jedoch nur beschränkt anwendbar. Nach Art. 34 I Übk. hat das Gericht die Vollstreckbarkeitsklausel unverzüglich und ohne Anhörung des Gegners zu erteilen. Ob das aber auch für solche Verfahren gilt, die bereits vor Inkrafttreten des Übk. eingeleitet wurden und in denen die Parteien noch keine Gelegenheit hatten, sich auf die Besonderheiten des Übk. einzustellen, ergibt sich nicht aus dem Text des Übereinkommens. Eine Interpretation ist deshalb erforderlich. Hierfür fällt ins Gewicht, daß das Übk. für diese Übergangsverfahren verlangt, die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts im Rahmen der Anerkennung zu prüfen. Das Zweitgericht hat hier also eine viel weitergehende Prüfung vorzunehmen, als es bei der Anordnung der Erteilung der Vollstreckungsklausel in Rechtsstreitigkeiten der Fall ist, die erst nach Inkrafttreten des Übk. rechtshängig geworden sind. Gerade mit Rücksicht darauf, daß die Bestimmungen des Übk. die AG unvorbereitet treffen, war nach allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien unter diesen Umständen der AG – abweichend von Art. 34 I – vor der Entscheidung über die Vollstreckbarkeit des Urteils in der Bundesrepublik rechtliches Gehör zu gewähren; denn nach Auffassung des Gerichts kann in solchen Fällen, die im Rahmen des Art. 54 II liegen, die Vorschrift des Art. 34 I Übk. nicht eingreifen.
Die AG hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit mit Schreiben vom 4.4.1974 Gebrauch gemacht.
4. Die internationale Zuständigkeit ist nach Art. 54 II Übk. gewahrt, wenn das Urteilsgericht seine Zuständigkeit aufgrund von Bestimmungen seines nationalen Rechts bejaht hat und diese mit den Zuständigkeitsvorschriften des Titels II des Übk. oder eines anderen zwischen dem Urteils- und Vollstreckungsstaat bestehenden bilateralen Abkommens übereinstimmen. Die weitere Untersuchung der Wahrung der Zuständigkeit kann sich hier auf die Übereinstimmung mit dem EWG Übk. beschränken, da zwischen Deutschland und Frankreich kein Vollstreckungsabkommen geschlossen wurde.
Um die geforderte Übereinstimmung der Zuständigkeitsvorschriften mit dem EWG Übk. feststellen zu können, müssen die Besonderheiten dieses Rechtsstreits hier näher dargelegt werden. Aus dem Inhalt der vorgelegten Urteile ergibt sich hierzu folgendes:
Die ASt., ein französisches Handelsunternehmen, hatte im Jahre 1968 zwei Partien Dosenmilch bei der AG gekauft und an die … weiterverkauft. Die Ware wurde im Auftrag der … von … nach … verschifft. Die Ware war bei ihrer Ankunft mangelhaft und mußte vernichtet werden.
Die … hatte beim Handelsgericht Paris Klage gegen die ASt. auf Rückzahlung des Kaufpreises und Schadensersatz erhoben. Dieser Rechtsstreit ist mit einer Klage der Ast. gegen die AG auf Freihaltung (demande en garantie) verbunden worden. Durch Urteil vom 27.1.1972 ist die ASt. zur Zahlung von 53.210,60 FF sowie von 3.000,‑ FF Schadensersatz an die … verurteilt worden, während die AG verurteilt wurde, die ASt. insoweit freizuhalten.
Hiergegen ist von der AG Berufung eingelegt worden und zwar sowohl gegenüber der … als auch gegenüber der ASt. Durch Urteil der Cour d’Appel vom 27.4.1973 ist die Berufung gegenüber der … als unzulässig, gegenüber der ASt. als unbegründet verworfen worden.
5. Bei dem vor dem Handelsgericht Paris gegen die AG anhängig gewesenen Verfahren handelt es sich nicht, wie diese meint, um eine bloße Streitverkündung, sondern um eine echte Klage im Sinne des Übk. zum Zweck der Durchsetzung von Mängelansprüchen aus Kaufvertrag (Art. 1641 ff. Code civil = C.c.) Das französische Prozeßrecht gibt hier eine dem deutschem Recht unbekannte Gewährleitungs- und Garantieklage (vgl. hierzu Bülow, RabelsZ 29 (1965) S. 433 ff., bes. S. 485 Fussn. 36), die in den Art. 59 X, 181 C.p.c geregelt ist. Diese Klage gibt dem in Anspruch genommenen Verkäufer die Möglichkeit, im gleichen Gerichtsstand und im gleichen Verfahren Regress beim Vorlieferanten – hier der AG – zu nehmen. Zwar ist eine solche Klage der Nebenintervention bzw. Streitverkündung des deutschen Prozeßrechts funktionsverwandt, doch liegt der grundsätzliche Unterschied darin, daß eine Streitverkündung zu keinem vollstreckbaren Titel gegen den Regressverpflichteten führt, während die Gewährleistungsklage des französischen Rechts einen derartigen Titel schafft (vgl. von Hoffmann aaO 61).
6. a) Da die ASt ihren Sitz in Paris hat und sich aus den Urteilen keine Hinweise auf eine Vereinbarung eines anderen Gerichtsstands ergeben, war das Handelsgericht für die Klage der … gegen die ASt zuständig (Art. 59 VII C.p.c.), zumal die ASt auch keine Einwendungen gegen diese Zuständigkeit erhoben hat. Hieraus konnte das Gericht aber auch seine Zuständigkeit für die Regressklage gegen die AG herleiten (Art. 181 C.p.c.). Denn ein anderweitiger ausschließlicher Gerichtsstand für die Regressklage, den das Urteilsgericht hätte beachten müssen, ist nicht begründet worden.
6. b) Zwar hält die AG, soweit sich aus den Gründen der französischen Urteile und aus ihrer Gegenäußerung vom 4.4.1974 entnehmen läßt, die Zuständigkeit des Pariser Gerichts nicht für gegeben, weil sie ihren Sitz nicht im dortigen Bezirk hat und weil zwischen ihr und der ASt. Hamburg als Erfüllungsort vereinbart worden ist. Sowohl Sitz als auch Erfüllungsort sind gleichrangige Gerichtsstände, die mit dem Gerichtsstand der Gewährleistungsklage konkurrieren, so daß die internationale Zuständigkeit schon dann gegeben ist, wenn nur einer von ihnen vorliegt (vgl. auch Art. 2, Art. 5 Nr. 1, Art. 6 Nr. 2 Übk.); der Kläger hat die Wahlmöglichkeit (vgl. Bülow aaO 485).
6. c) Anders wäre die Rechtslage nur, wenn das französische Gericht eine etwa bestehende ausschließliche Zuständigkeit nicht beachtet hätte (Art. 19 Übk.). Eine ausschließliche Zuständigkeit kann u.a. durch Parteivereinbarung (Gerichtsstandsvereinbarung) begründet werden (Art. 17 I Übk.).
Da die Gewährleistungsklage im Interesse des Hauptschuldners geschaffen ist, besteht die rechtliche Möglichkeit, die für sie bestehende Zuständigkeit des Hauptprozesses durch Vereinbarung zwischen Hauptschuldner und Regressschuldner zu derogieren.
Daß ein ausschließlicher anderweitiger Gerichtsstand zwischen ASt und AG vereinbart wurde, ergibt sich jedoch aus den eingereichten Unterlagen nicht. Auch reichen die Darlegungen der AG nicht aus, um das Gericht davon zu überzeugen, daß Hamburg als ausschließlicher Gerichtsstand zwischen den Parteien vereinbart wurde. Ob die von der AG behauptete Abrede eines Erfüllungsorts die Funktion einer Gerichtsstandsvereinbarung hat, beurteilt sich internationalprivatrechtlich nicht nach französischem Recht als der lex fori, sondern nach dem vom deutschen internationalen Privatrecht berufenem Recht, da es sich hierbei um einen materiell rechtlichen Vertrag handelt, dessen Zustandekommen und Inhalt nach Privatrecht zu werten ist (vgl. LG Mainz 10.12.1971 mit zust. Anm. von Ebsen und Jayme, AWD 1972, 298 ff.; ferner Trinkner in Anm. zu BGH 17.5.1972, BB 1972, 766 ff. und Palandt/Lauterbach, BGB, 33. Aufl. 1974, Vorb. 2 a vor Art. 12 EGBGB). Vertragsstatut ist nach dem erkennbaren Parteiwillen das deutsche Recht.
Zwar wird mitunter der Ausdruck „Erfüllungsort“ in allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht im Sinne von Leistungsort, sondern im Sinne von Gerichtsstand gemeint. In diesem Sinne kann der Ausdruck im gegebenen Fall jedoch nicht interpretiert werden, da die AG als Verfasserin der Lieferbedingungen ein größeres kaufmännisches Unternehmen mit internationalen Geschäftsbeziehungen ist, bei der die rechtliche Bedeutung der Begriffe „Erfüllungsort“ bzw. „Gerichtstand“ als bekannt vorausgesetzt werden muß. Andere Anhaltspunkte für eine Auslegung, die für eine Gerichtsstandsvereinbarung sprechen könnte, ergeben sich weder aus den vorgelegten Urkunden noch aus der Gegenäußerung der AG.
Auch für die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung einer ausschließlichen Zuständigkeit (hierzu Bülow aaO 464) gibt es keine Anhaltspunkte, zumal sich die AG sachlich auf den Rechtsstreit eingelassen hat.
Eine Gerichtsstandsvereinbarung, durch die die Zuständigkeit des Pariser Gerichts ausgeschlossen worden wäre, liegt also nicht vor. Diese Feststellung deckt sich mit der Auffassung des französischen Gerichts, das offensichtlich ebenfalls davon ausgegangen ist, daß eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nicht getroffen wurde, so daß es auf die in Frankreich streitige Frage nicht einzugehen brauchte und auch nicht eingegangen ist, ob sich eine Prorogation bzw. Derogation lediglich auf Hauptklagen bezieht, die zwischen den Vertragspartnern anhängig werden können, oder ob in der Vereinbarung eines bestimmten Gerichtsstands zugleich ein Verzicht auf die Annexzuständigkeit des Art. 181 C.p.c liegt (vgl. App. Paris 3.12.1969, Gaz. Pal. 1965, 1.127/Anm./; Vismard, Juris Classeur Proc., Art. 181 n. 63).
7. Nach Art. 6 Nr. 2 Übk. ist eine besondere Zuständigkeit des Gerichtes des Hauptprozesses begründet, wenn es sich, wie es hier der Fall ist, um eine Gewährleistungsklage handelt. Damit ist die Voraussetzung des Art. 54 II Übk. gewahrt, daß das Gericht seine Zuständigkeit aufgrund von Bestimmungen bejaht hat, die mit den Zuständigkeitsregeln des Übk. in Einklang stehen.
Durch das Protokoll zum Übk. ist ausdrücklich festgelegt (Art. V Abs. 2), daß Entscheidungen, die in anderen Vertragsstaaten gemäß Art. 6 Nr. 2 Übk ergangen sind, in der Bundesrepublik anerkannt und vollstreckt werden.
8. Da somit vom Vollstreckungsgericht festgestellt werden kann, daß das französische Gericht nicht gegen Zuständigkeitsvorschriften im Sinne von Art. 28 Übk. verstoßen hat und Anerkennungshindernisse im Sinne von Art. 27 Übk. nicht vorliegen, insbesondere auch der deutsche ordre public nicht verletzt wird, kann das Urteil vom 27.1.1972 in der Bundesrepublik aufgrund des Übk. anerkannt werden.
III. Die Anerkennung des Urteils bewirkt die Zulassung der Zwangsvollstreckung (Art. 54 II Übk. in Verb. mit § 7 AusfGes.), soweit die Klage gegen die AG gerichtet war (Teilvollstreckung gemäß § 8 II AusfGes.).