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Zusammenfassung der Entscheidung Die englische Klägerin klagte gegen die deutsche Beklagte vor einem deutschen Gericht auf Vergütung aufgrund eines "erweiterten" Beherbergungsvertrags. Die Parteien hatten einen Beherbergungsvertrag abgeschlossen, nach dem die Klägerin verpflichtet war, für die Beklagte in ihrem Konferenzcenter in Großbritannien eine Konferenz durchzuführen und dabei für Unterbringung und Verpflegung der Teilnehmer zu sorgen. Nach Durchführung der Konferenz erhob die Klägerin eine Schadensersatzklage.
Das OLG Karlsruhe (DE) ist der Auffassung, dass Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Die Vorschrift begründe eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Ort der Belegenheit der unbeweglichen Sache. Deshalb sei es geboten, Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ eng auszulegen. Ein Beherbergungsvertrag, der neben der Bereitstellung von Gastzimmern auch die Bereitstellung von Konferenzräumen sowie die Versorgung der Gäste mit Speisen und Getränken zum Gegenstand habe, falle nicht unter die Begriffe „Miete oder Pacht" i.S.v. Art. 16 Nr. 1 lit. a EuGVÜ. Bei einem derartigen Vertrag stehe die Gesamtversorgung des Gastes und nicht die Vermietung des einzelnen Zimmers im Vordergrund. Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ stehe somit der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten nicht entgegen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Berufung der Beklagten ist zulässig aber unbegründet. Das Landgericht hat zutreffend seine Zuständigkeit bejaht und die Voraussetzungen einer ausschließlichen Zuständigkeit der britischen Gerichte nach Art. 16 Nr. 1 a EuGVÜ verneint. Art. 16 Nr. 1 a EuGVÜ findet auf einen Vertrag wie vorliegend, nach dem die Klägerin in ihrem Konferenzcenter in Oxon/Großbritannien für die Beklagte in der Zeit vom 14.10. bis 23.10.1995 eine Konferenz mit 17 Teilnehmern durchzuführen und dabei für Unterbringung, Zurverfügungstellung der Konferenzräume sowie Verpflegung der Teilnehmer zu sorgen hatte, keine Anwendung.
Der Charakter des Art. 16 als ausschließliche und nicht bloß konkurrierende Zuständigkeitsnorm legt im Zweifel eine enge Auslegung nahe. Wie der EuGH bereits mehrfach ausgesprochen hat, darf Art. 16 nicht weiter ausgelegt werden, als dies sein Ziel erforderlich macht, da er bewirkt, daß den Parteien die ihnen sonst mögliche Wahl des Gerichtsstands genommen wird (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 6. Aufl. Art. 16 EuGVÜ Rn. 10). Dies gilt auch für Klagen nach Art. 16 Nr. 1 aus Miete oder Pacht (Kropholler aaO Rn. 24; vgl. LG Köln ZMR 1997, 655 – Vorlagebeschluß an den EuGH). So hat der EuGH entschieden, daß Art. 16 Nr. 1 a aF EuGVÜ bei Ferienhausüberlassungsverträgen nicht anwendbar ist, wenn ein Reiseveranstalter und dessen Kunde ihren Wohnsitz in demselben Vertragsstaat haben, wobei der Reiseveranstalter neben der Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung des Ferienhauses weitere Leistungen -- wie die Buchung einer Überfahrt mit einer Autofähre -- zu erbringen hatte; solche gemischten Verträge sind von Art. 16 Abs. 1a nicht erfaßt (EuGH EuZW 1992, 219).
Auch im vorliegenden Fall greift Art. 16 Nr. 1 a EuGVÜ nicht ein.
Zur Begründung der ausschließlichen Zuständigkeit für Streitigkeiten aus Miete oder Pacht wird angeführt, „daß Miet- und Pachtverhältnisse meist gesetzlichen Sonderregelungen unterliegen, so daß es sich empfiehlt, mit der Anwendung dieser meist sehr komplizierten Bestimmungen ausschließlich die Gerichte des Landes zu betrauen, in dem sie gelten“ (Kropholler aaO Rn. 23). Besteht dagegen kein Miet- oder Pachtverhältnis, so verbietet sich eine erweiternde Anwendung der Nr. 1, selbst wenn der Rechtsstreit teilweise ähnliche Fragen wie bei Vorliegen eines derartigen Vertrages betrifft. (Kropholler aaO Rn. 27). Der EuGH hat (für den Fall der Klage auf Nutzungsentschädigung nach nichtiger Eigentumsübertragung einer Wohnung) das Mietverhältnis wie folgt definiert: : Es „umfaßt eine Reihe von Rechten und Pflichten neben der Pflicht, den Mietzins zu entrichten. Dieses Verhältnis unterliegt besonderen, teilweise zwingenden Rechtsvorschriften des Staates, in dem das Mietobjekt belegen ist, z.B. Vorschriften, die bestimmen, wem die Unterhaltung der unbeweglichen Sache und die Zahlung von Grundsteuern obliegt, die die Pflichten des Bewohners der Wohnung gegenüber den Nachbarn betreffen und die das Recht des Eigentümers, die unbewegliche Sache wieder in Besitz zu nehmen, regeln oder einschränken. Die Komplexität dieses Verhältnisses sowie das Interesse des Staates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, an der Einhaltung dieser Bestimmungen rechtfertigen es, diesem Staat für Klagen, welche die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die ausschließliche Zuständigkeit zu übertragen“ (Kropholler aaO Rn. 27).
Bei der gebotenen engen vertragsautonomen Auslegung des Art. 16. Nr. 1 EuGVÜ fallen dann Beherbergungsverträge nicht unter den Begriff der Miete über unbewegliche Sachen; dies auch dann nicht, wenn der Beherbergungsbetrieb nicht nur das jeweilige Gastzimmer, sondern auch noch Konferenzräume zur Verfügung zu stellen hat. Hat der Beherbergungsbetrieb neben der Bereitstellung des Gastzimmers außerdem auch noch die Versorgung mit Speisen und Getränken übernommen im Sinne eines Pauschalangebots, so kommt diesem gemischten Vertrag schon von daher nicht das besondere Gepräge eines Mietvertrages über eine unbewegliche Sache zu; vielmehr bestimmt sich der Vertragsinhalt aus der Gemengelage der geschuldeten Leistungen, bei der die Gesamtversorgung des Gastes im Vordergrund steht und nicht die „Miete“ des einzelnen Gast- oder Konferenzraumes. Aber auch beim „einfachen“ Beherbergungsvertrag – dem Abschluß eines Übernachtungsvertrages im Hotelzimmer – kommen die Gesichtspunkte der gegenseitigen Verpflichtungen von Mieter und Vermieter sowie Nachbarn im Sinne der angeführten Gründe, die für die Übertragung der ausschließlichen Gerichtsbarkeit auf den Staat der belegenen Sache sprechen, nicht zum Zuge. Insbesondere fehlt es an jedem Anhaltspunkt, daß in einem solchen Beherbergungsvertrag soziale Gesichtspunkte der Abwägung der Interessen von Vermieter und Mieter, die der Anlaß für den nationalen Gesetzgeber sein können, besondere Vorschriften für das Miet- oder Pachtverhältnis zu erlassen, eine Rolle spielen können.
Einer Vorlage an den EuGH bedarf es nicht.
Nach Art. 3 Abs. 2 iVm Art. 2 Nr. 2 des Protokolls betreffend die Auslegung des EuGVÜ vom 3.6.1971 (BGBl. 1972 II, 846) ist das Oberlandesgericht als Rechtsmittelinstanz vorlageberechtigt. Auch die weiteren Vorlagevoraussetzungen sind grundsätzlich gegeben, weil es sich hier um die Frage der Auslegung des Begriffs der Miet- oder Pachtsache im Sinn von Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ handelt und nicht um die Auslegung nationalen Rechts. Allerdings entfällt die Vorlagepflicht und -berechtigung, wenn das Rechtsmittelgericht eine Vorschrift des Übereinkommens für eindeutig hält (Kropholler aaO Einl. Rn. 25). Eindeutigkeit darf aber nur angenommen werden, wenn die richtige Anwendung derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt; ob ein solcher Fall gegeben ist, muß unter Berücksichtigung der Eigenheiten des EuGVÜ, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft beurteilt werden (Kropholler aaO Rn. 25).
Diese Voraussetzung liegt hier vor. Der Senat hält es für eindeutig, daß Beherbergungsverträge nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 16 Nr. 1 a EuGVÜ fallen. Andernfalls unterfielen so gut wie alle Verträge über Übernachtungen in Gasthäusern oder Hotels dieser ausschließlichen Gerichtsstandsbestimmung, sofern der Gast nicht in demselben Vertragsstaat wie der Beherbergungsbetrieb seinen Wohnsitz hat oder es sich bei dem Beherbergungsbetrieb um eine juristische Person handelt, weil in diesen Fällen auch die Ausnahmevorschrift des Art. 16 Nr. 1 b EuGVÜ nicht eingreift.