-
Zusammenfassung der Entscheidung Durch ein Urteil des Appellationsgerichts in Paris (FR) wurde der Schuldner unter anderem verpflichtet an den Gläubiger einen bestimmten Betrag zu zahlen. Der Gläubiger beantragte daraufhin bei einem deutschen Gericht die Zulassung der Zwangsvollstreckung und die Erteilung der Vollstreckungsklausel nach Art. 31 EuGVÜ. Dies ordnete das angerufene Gericht auch gemäß Art. 31 EuGVÜ an. Dagegen wandte sich der Schuldner, mit dem Vortrag, dass das EuGVÜ nicht anwendbar sei, da es sich um ein Konkursverfahren nach Art. 1 Nr. 2 EuGVÜ handle. Der Gläubiger trug vor, es handle sich nicht um eine Konkurssache, da der Haftungstatbestand, auf den sich das Urteil stütze, sich nicht unmittelbar aus dem Konkursverfahren ergebe.
Das Oberlandesgericht Frankfurt (DE) hob die Anordnung auf, da es sich vorliegend um eine Konkurssache nach Art. 1 Nr. 2 EuGVÜ handle. Das Übereinkommen sei somit nicht anwendbar. Der Begriff „Konkurssache“ im Sinne des EuGVÜ sei autonom auszulegen. Nach einer rechtsvergleichenden Untersuchung seien als Konkurssachen im Sinne das EuGVÜ alle Verfahren zu verstehen, die nach den einzelnen Rechtsordnungen auf Zahlungseinstellung, Zahlungsunfähigkeit oder Kreditunwürdigkeit des Schuldners eine gerichtliche Maßnahme folgen ließen, die sowohl zur Einstellung der Rechtsverfolgung einzelner Personen wie zu einer kollektiven zwangsweisen Liquidierung des Vermögens des Schuldners oder zur Kontrolle der Betätigung des Schuldners führten. Ein Konkursverfahren liege vor, wenn in einem Verfahren eine Rechtsfolge geltend gemacht werde, die nur das Konkursrecht vorsehe, dessen Anspruch seine Grundlage nur im Konkursrecht selbst habe oder doch durch das Konkursrecht erst sein Gesamtgepräge erhalte. Dabei sei ohne Bedeutung, ob ein solcher Anspruch im eigentlichen Verfahren der Konkursabwicklung oder in einem daneben laufenden Zivilprozess geltend gemacht werde. Der dem Gläubiger zuerkannte Anspruch gehöre zu dem umschriebenen Kern eines Konkursverfahrens.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Durch das hiermit in Bezug genommene Urteil der 3. Kammer des Appellationsgerichts in Paris vom 15. März 1976 ist der Schuldner u.a. verurteilt worden, an den Gläubiger 743.563,15 FF sowie die Kosten des Berufungsverfahrens abzüglich der Gebühren von Rechtsanwalt … zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 21. Januar 1977 hat der Gläubiger die Zulassung der Zwangsvollstreckung und die Anordnung und die Erteilung der Vollstreckungsklausel nach Art. 31 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EGÜbk) vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II 773) beantragt. Daraufhin ist von dem Vorsitzenden der 1. Zivilkammer des Landgerichts in Limburg am 22. April 1977 angeordnet worden, daß das Urteil der 3. Kammer des Appellationsgerichtes in Paris vom 15. März 1976 (versehentlich als Urteil vom 15. März 1977 bezeichnet) gemäß Art. 31 EGÜbk mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Er hat weiter bestimmt: Die Zwangsvollstreckung darf über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen, bis der Gläubiger ein Zeugnis vorlegt, wonach die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf. Solange die Zwangsvollstreckung über Maßregeln zur Sicherung nicht hinaus gehen darf, kann der Schuldner die Zwangsvollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 743.563,15 FF abwenden.
Die Vollstreckungsklausel sowie eine beglaubigte Urteilsabschrift mit Übersetzung sind dem Schuldner am 27. April 1977 zugestellt worden. Dieser hat mit dem am 17. Mai 1977 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsatz vom 16. Mai 1977 Beschwerde gegen die Vollstreckungsklausel eingelegt. Er beantragt, unter Aufhebung der Vollstreckungsklausel die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil der 3. Kammer des Appellationsgerichtes in Paris vom 15. März 1976 abzulehnen und meint, die Voraussetzungen für die Erteilung der Vollstreckungsklausel lägen deshalb nicht vor, weil das Urteil des Appellationsgerichtes sich auf die §§ 99 ff. des französischen Konkursgesetzes vom 13. Juli 1976 stützen. Damit aber handele es sich um ein Konkursverfahren, das nach Art. 1 Ziff. 2 nicht unter das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen falle. Der Gläubiger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er vertritt die Ansicht, dass das französische Gesetz vom 13. Juli 1967 nicht ausschließlich das Konkurs- und Vergleichsverfahren regele, sondern auch weitere sich aus einem Konkurs ergebenden Rechtsfolgen. Der Haftungstatbestand, auf den sich das Appellationsgericht stütze, ergebe sich nicht unmittelbar aus einem Konkursverfahren, sondern sei nur als Anlaß dieses Konkurses aufgrund der selbständigen Haftungsnorm des Art. 108 des französischen Gesetzes vom 13. Juli 1967 in Gang gekommen. Für den vorliegenden Vollstreckungstitel sei somit die Anwendung des EG-Übereinkommens nicht durch dessen Art. 1 Nr. 2 ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (Art. 36, 37 Abs. 1 EGÜbk, §§ 11, 12 AG EGÜbk). Das somit zulässige Rechtsmittel ist auch begründet. Es führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückweisung des Antrags auf Erteilung der Vollstrechungsklausel. Der Art. 1 Ziffer 2 EGÜbk steht der Anwendung dieses Übereinkommens auf den vorliegenden Fall entgegen.
Die Frage, ob eine „Zivil- und Handelssache“ oder eine „Konkurssache“ vorliegt, ist nicht nach dem Recht irgend eines der beteiligten Staaten, sondern nach der Zielsetzung und der Systematik des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben, zu beurteilen. Dies hat der Europäische Gerichtshof, (NJW 77; 489) zwar nur für die Auslegung des Begriffs „Zivil- und Handelssache“ entschieden. Die Auslegung des Begriffs „Konkurs“ kann jedoch nicht in anderer Weise erfolgen; denn die rechtliche Problematik ist die gleiche (so auch Schlosser NJW 77; 457, 458). Danach ist weder die Qualifikation nach dem Recht des Erststaates (Frankreich) noch dem Recht des Zweitstaates (Bundesrepublik Deutschland) noch die Qualifikation der lex causae, die zur Anwendung des Rechts eines dritten Staates führen könnte, maßgebend (Geimer NJW 77; 492).
Die Feststellung einer autonomen, von den nationalen Rechtsordnungen losgelösten Qualifikation des Begriffs „Konkurssache“, nötigt zu einer rechtsvergleichenden Untersuchung, die das Schrifttum bisher – soweit ersichtlich – nicht vorgenommen hat; der von den EWG-Staaten in diesem Zusammenhang berufene Sachverständigenausschuß hat seine Verhandlungen zum konkursrechtlichen Übereinkommen (vgl. Vorentwurf in KTS 71; 167-187) noch nicht abgeschlossen. Eine Sache kann aber auch dann als Konkurssache gewertet werden, wenn nach dem Ergebnis einer solchen Untersuchung der Streitgegenstand nach den nationalen Rechtsordnungen nicht aller Vertragsstaaten als Konkursrecht zu betrachten ist; denn im Vordergrund muß die Frage stehen, ob nach den Intentionen der Verfasser der Konvention dieses Übereinkommen auf den jeweiligen Fall anzuwenden sein soll oder nicht. Dabei wird davon auszugehen sein, daß eine prima-facie Vermutung zugunsten der Anwendung der Konvention spricht; ob diese Vermutung bereits Platz greift, wenn im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Konvention (27. September 1968) der Streitgegenstand wenigstens nach der Rechtsordnung eines Vertragsstaates zivilrechtlich zu qualifizieren ist (so Geimer aaO, auch schon NJW 76; 441,445; vgl. auch Schlosser: Konkurs und konkursähnliche Verfahren im geltenden Europarecht, Festschrift für F. Weber 1975, Seite 395 f, 403), kann offen bleiben, sofern die vorliegenden rechtsvergleichenden Arbeiten Schlüsse darauf zulassen, was – losgelöst vom nationalen Recht – als Konkursrecht verstanden wird.
Nach der rechtsvergleichenden Untersuchung von Schlosser (aaO) kennen die Rechtsordnungen aller 6 Gründungsstaaten der EWG Sammelverfahren zur Bewältigung von Insolvenzfällen. Das deutsche Recht macht zur Voraussetzung für die Einleitung eines solchen, daß die Insolvenz bereits eingetreten ist. Nach anderen Rechtsordnungen genügt auch eine drohende Insolvenz. Hieraus zieht Schlosser (Seite 398) den zutreffenden Schluß, daß als Konkurssachen im Sinne des Übereinkommens alle Verfahren zu verstehen sind, die nach den einzelnen Rechtsordnungen auf Zahlungseinstellung, Zahlungsunfähigkeit oder Kreditunwürdigkeit des Schuldners eine gerichtliche Maßnahme folgen lassen, die sowohl zu einer Einstellung der Rechtsverfolgung einzelner Personen wie zu einer kollektiven zwangsweisen Liquidierung des Vermögens oder auch nur zu einer Kontrolle der Betätigung des Schuldners führen. In jeder der genannten Rechtsordnungen ist der hierdurch angesprochene Kreis der Verfahren beschränkt. Bei einem Konkurs oder konkursähnlichen Verfahren sind danach die Stammverfahren immer vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen. Schwierigkeiten bereitet jedoch die Frage, wie diese Stammverfahren von den sonstigen mit dem Konkursverfahren zusammenhängenden Verfahren abzugrenzen sind. Da das internationale Konkursrecht vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens nicht darauf angewiesen war, Ansprüche als konkursrechtlich oder nichtkonkursrechtlich zu qualifizieren, haben die Rechtsordnungen der Gründungsstaaten der EWG bisher unter Zuständigkeitsgesichtspunkten kaum eine Lehre zur konkursrechtlichen Qualifikation von Ansprüchen ausgebildet (Schlosser aaO S. 403).
Ein einheitlicher Rechtszustand läßt sich auf der Grundlage der gegenwärtigen Rechtslage nur dadurch erreichen, daß man lediglich solche Verfahren vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausnimmt, die nach rechtsvergleichendem Befund in allen Gründungsstaaten der EWG einheitlich als konkursrechtlich anzusprechen sind. Ob und wieweit eine solche Abgrenzung im Einzelfall möglich ist und zu einem befriedigenden Ergebnis zu führen vermag (vgl. dazu Schlosser NJW 77; 459, 461), kann für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Denn das Vorliegen eines Konkursverfahrens wird dann bejaht werden können, wenn in einem Verfahren eine Rechtsfolge geltend gemacht wird, die nur das Konkursrecht vorsieht, dessen Anspruch seine Grundlage nur im Konkurs selbst hat (Schlosser aaO Seite 406) oder doch durch das Konkursrecht erst sein Gesamtgepräge erhält (Schlosser aaO Seite 408). Ohne Bedeutung ist dabei, ob ein solcher Anspruch verfahrensrechtlich im eigentlichen Verfahren der Abwicklung des Konkurses oder in einem daneben laufenden Zivilprozeßverfahren geltend gemacht wird (Schlosser aaO Seite 406). Schließlich finden in den Rechtsordnungen aller EWG-Staaten Streitverfahren statt, die in gewisser, wenn auch unterschiedlich starker Weise aus dem eigentlichen Konkursverfahren ausgegliedert sind, ihm aber doch verhaftet bleiben (vgl. Schlosser aaO Seite 408). Davon geht auch Art. 17 des Vorentwurfs eines Konkursabkommens für die EWG-Staaten (KTS 1971; 167-187) aus.
Der dem Gläubiger von der 3. Kammer des Appellationsgerichtes in Paris zuerkannte Anspruch gehört zu dem so umschriebenen Kern eines Konkursverfahrens. Er wird nach französischem Recht erst durch das Konkursrecht gewährt. Das durch das Gesetz vom 13. Juni 1967 über „le réglement judiciaire, la liquidation des biens, la faillite personelle et les banqueroutes“ neu geschaffene französisches Konkursrecht trennt das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit vom Inhaber mit dem Ziel, das Unternehmen als solches zu erhalten.
Im Hinblick auf die persönlichen Folgen des Konkurses unterscheidet das Gesetz die „faillite personelle“, die neben dem Verbot des Kaufmannsberufs auch die bürgerlichen Ehrenrechte beeinträchtigt, und weniger gravierende Sanktionen. Der Inhaber eines Unternehmens und die Leiter von Gesellschaften unterliegen der „faillite obligatoire“, sofern sie gewisse schwere Konkursvergehen wie Bankrott, Strohmanngeschäfte, grobe Verstöße gegen Handelsbräuche (Art. 106, 107, 126 Abs. 2) begangen habe. Bei anderen Verstößen hat das Gericht die Wahl zwischen der „faillite personelle“ und der Verhängung von Einzelsanktionen namentlich eines Berufsverbots. Auffallend ist insbesondere die stark erweiterte Anwendung von Sanktionen auf die „dirigeants de soiétés“. Nach Art. 99 des Konkursgesetzes kann das Gericht die Leiter eines Unternehmens, seien sie Organe oder auch nur heimliche Hintermänner (dirigeant de fait, occulte), für persönlich haftbar erklären, sofern sie nicht nachweisen, daß sie bei der Unternehmensführung alle notwendige Sorgfalt geübt haben. Sie können dann auch persönlich in Konkurs gehen (Art. 100) und unterliegen außerdem der „faillite personelle“ bzw. dem Berufsverbot des Art. 109 (vgl. Constantinesco-Hübner, Einführung in das französische Prozeßrecht; 1974, Seite 182).
Diese Möglichkeit, die Organe in Anspruch zu nehmen, falls das Gesellschaftsvermögen zur Schuldnerbefriedigung nicht ausreicht, ist die Folge der im Konkursverfahren strengen Haftung der dejure- oder defacto-Organe für Gesellschaftsschulden (vgl. Sonnenberger, Einführung in das französische Recht, 1972, Seite 100).
Auf diese Bestimmungen des französischen Konkursgesetzes stützt sich das Urteil der 3. Kammer des Appellationsgerichtes in Paris. Die Klage ist in Anwendung von Art. 99 dieses Gesetzes erhoben, das Urteil, das den Schuldner des Rechts für verlustig erklärt, ein Handelsunternehmen zu leiten, zu führen, zu verwalten und zu kontrollieren und zur Zahlung der Gesellschaftsschuld in Höhe von 743.563,15 FF verurteilt, stützt sich auf Art. 99, 108. Im deutschen Recht, das nur unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung und dabei unter strengen Anforderungen einen Durchgriff kennt – und, soweit ersichtlich, auch im Recht der übrigen EWG-Staaten – besteht ein gleicher oder ähnlicher Anspruch weder im Konkursrecht noch im allgemeinen bürgerlichen oder Handelsrecht. Alle diese Staaten werden den nach französischem Recht gegebenen Anspruch folglich konkursrechtliche Qualifikation zuerkennen müssen.
Ist danach das Europäische Übereinkommen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob dem Antrag des Gläubigers auf Erteilung der Vollstreckungsklausel auch deshalb hätte nicht entsprochen werden dürfen, weil er, wie der Schuldner meint, nicht alle die Voraussetzungen erfüllt hat, die für die Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach dem Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen erforderlich sind.