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Zusammenfassung der Entscheidung Die Parteien schlossen einen Mietvertrag über Appartements im Haus der Beklagten auf Sardinien (IT). Die deutsche Klägerin verlangt Rückzahlung des gezahlten Mietzinses, da es sich bei den Mietobjekten entgegen der Beschreibung um möblierte Zimmer ohne sanitäre Einrichtungen gehandelt habe. Die Klägerin hat nur eine Nacht im Haus der Beklagten verbracht. Weiterhin stützt sie ihre Klage auf unerlaubte Handlung, weil die Beklagten sie über die Ausstattung der Räumlichkeiten getäuscht hätten. Die Beklagten rügen die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.
Das Landgericht Bochum (DE) verneint die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Diese Unzuständigkeit folge aus Art. 19 in Verbindung mit Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ. Es handle sich vorliegend um eine Klage, die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand habe, für die gemäß Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ die Gerichte des Belegenheitsstaates (Italien) ausschließlich zuständig seien. Zwar könne die Klageforderung auch auf unerlaubte Handlung gestützt werden, damit werde die Klage aber nicht dem Anwendungsbereich des Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ entzogen. Diese Vorschrift umfasse alle Ansprüche, die aus Miete herrührten, die von den tatsächlichen Umständen her also unmittelbar im Mietverhältnis begründet seien und über die davon losgelöst nicht entschieden werden könne. Auf die rechtliche Natur der Anspruchsgrundlage komme es nicht an. Letztlich gehe es im vorliegenden Fall um die Nicht- oder Schlechterfüllung eines Mietvertrages. Ob die Vermieter dabei sogar betrügerisch gehandelt und sich damit zugleich einem deliktischen Anspruch ausgesetzt hätten, könne nicht losgelöst von den mietvertraglichen Vereinbarungen entschieden werden. Außerdem umfasse Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ auch die kurzzeitige Gebrauchüberlassung einer Ferienwohnung.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Parteien schlossen am 30.01.1984 einen Mietvertrag über zwei Appartements im Hause der Beklagten in …, Sardinien, für die Zeit vom 21.07 bis 11.08.1984 zu einem Mietpreis von insgesamt 2.295,‑ DM. Die Klägerin verlangt die Rückzahlung des gezahlten Mietzinses, weil es sich bei den angemieteten Räumlichkeiten in Wirklichkeit nicht um Appartements, sondern um möblierte Zimmer ohne eigene sanitäre Einrichtungen gehandelt habe. Die Klägerin und ihre Begleitung haben nur eine Nacht im Hause der Beklagten verbracht und sich dann eine anderweitige Unterkunft besorgt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, angesichts der tatsächlichen Ausstattung der Räumlichkeiten könne von Appartements nicht die Rede sein. Unter einem Appartement verstünde man im deutschen Sprachgebrauch eine Kleinwohnung. Daran müßten die Beklagten sich festhalten lassen, denn sie hätten in Deutschland unter Verwendung des hier gebräuchlichen Begriffs des Appartements geworben.
Nachdem sie zunächst ein Versäumnisurteil haben ergehen lassen, haben die Beklagten mit der Einspruchsbegründung eingeräumt, daß zu den angemieteten Räumen keine eigenen Duschen gehörten, sondern daß die Mitbenutzung eines selbständigen Duschtraktes zwischen Haus und Strand vorgesehen gewesen sei. Auch sei zutreffend, daß die Appartements keine integrierten Toiletten besäßen, jedoch habe zu einem der Appartements eine eigene, wenn auch außerhalb gelegene Toilette gehört. Dessen ungeachtet jedoch handele es sich um Appartements, und für den vereinbarten Mietpreis hätte die Klägerin auch keine luxuriösere Ausstattung erwarten können.
Nachdem das Amtsgericht die Parteien auf die Zuständigkeitsregelung in Art. 16 Nr. 1 des EG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens vom 27.09.1968 (GVÜ) hingewiesen hat, hat die Klägerin die Klage auf unerlaubte Handlung gestützt, weil die Beklagten sie über die Ausstattung der Räumlichkeiten getäuscht hätten.
Das Amtsgericht hat das gegen die Beklagten erlassene Versäumnisurteil mit Urteil vom 21.12.1984, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird aufrechterhalten. Es hat der Klägerin einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB zuerkannt und demgemäß seine Zuständigkeit auf § 32 ZPO gestützt.
Mit der Berufung rügen die Beklagten weiterhin die internationale Zuständigkeit des angegangenen Gerichtes. Im übrigen wenden sie sich gegen die Annahme eines betrügerischen Verhaltens. Die Räumlichkeiten seien seit über 10 Jahren unbeanstandet als Appartements vermietet worden und die Klägerin hätte auch einen dem gezahlten Mietzins entsprechenden Gegenwert erhalten. Im übrigen sei der Klägerin im Verlaufe der Vertragsverhandlungen die Ausstattung der Räumlichkeiten im einzelnen erläutert worden.
Die Beklagten beantragen, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils das Versäumnisurteil vom 21.09.1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, den Beklagten hätte die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Ausstattung und der üblicherweise für ein Appartement erwarteten Ausstattung bekannt sein müssen. Wenn tatsächlich in der Vergangenheit kein anderer Mieter sich beschwert habe, so könne das nur daran liegen, daß die anderen Mieter sich in ihr Schicksal gefügt hätten.
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die im Berufungsverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg, denn die Klage mußte wegen internationaler Unzuständigkeit der deutschen Gerichte abgewiesen werden.
Die fehlende internationale Zuständigkeit ist ungeachtet des § 512 a ZPO auch im Berufungsverfahren zu berücksichtigen. Sie folgt im vorliegenden Fall aus Art. 19 iVm Art. 16 Nr. 1 des EG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens. Es handelt sich um eine Klage, „die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand (hat)“, für die gem. Art. 16 Nr. 1 GVÜ die Gerichte des Vertragsstaates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, ausschließlich zuständig sind. Belegenheitsstaat ist vorliegend Italien.
Die Kammer folgt zwar der Feststellung des Amtsgerichtes, daß die Klageforderung auch auf § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB gestützt werden kann. Damit wird die Klage aber nicht dem Anwendungsbereich des Art. 16 Nr. 1 GVÜ entzogen. Die Vorschrift erfaßt nämlich alle Ansprüche, die aus Miete oder Pacht herrühren, die von den tatsächlichen Umständen her also unmittelbar im Miet- oder Pachtverhältnis begründet sind und über die davon losgelöst nicht entschieden werden kann. Auf die rechtliche Natur der Anspruchsgrundlage kommt es nicht an; sie kann ebenso auf Vertrag wie z.B. auf Delikt oder ungerechtfertigte Bereicherung gestützt sein (Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Band I/1, 1983, § 86 XI 5 = S. 692).
Diese weite Auslegung entspricht dem Sinn und Zwecke dieser Zuständigkeitsregel. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH, dem mit dem Auslegungsprotokoll von 1971 die letztinstanzliche Interpretationshoheit für das Übereinkommen verliehen worden ist, steht dem nicht entgegen. In seinem Urteil vom 14.12.1977 (Rs 73/77, EuGHRspr. 1977, 2383 ff.) hat der Gerichtshof zwar beiläufig als einschlägige Klagen solche aufgelistet, „bei denen ... zwischen den Parteien über das Bestehen oder die Auslegung des Vertrages, den Ersatz für vom Vermieter oder Pächter verursachte Schäden oder die Räumung der Sache gestritten wird“ (aaO S. 2390). Außerdem hat er in diesem Urteil die Streitigkeiten über das Bestehen eines Miet- oder Pachtverhältnisses dem Art. 16 Nr. 1 unterstellt. Im Urteil vom 15.01.1985 (Rs 241/83, NJW 1985, 905) hat der EuGH jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die vorstehend zitierte Aufzählung nicht abschließend gemeint sei. In diesem zweiten Vorlagefall ging es wie im ersten Fall nur um vertragliche Ansprüche, so daß der Gerichtshof keinen Anlaß hatte, sich zu der für den vorliegenden Fall entscheidenden Frage zu äußern. Er hat dann in dem zweiten Urteil zwischen Rechtsstreitigkeiten unterschieden, die die Verpflichtungen des Vermieters und des Mieters aus dem Mietvertrag betreffen, und solchen, „die sich nur mittelbar auf die Nutzung der Mietsache beziehen, wie beispielsweise solche, die entgangene Urlaubsfreude und Reisekosten betreffen“. Letztere sollen nicht der ausschließlichen Zuständigkeit der Art. 16 Nr. 1 unterfallen.
Wenngleich der Gerichtshof in beiden Fällen sich nicht zur Rechtsnatur der Anspruchsgrundlage geäußert hat, so ergibt sich aus seiner Interpretation jedoch, daß er nicht primär auf den Rechtsgrund des geltend gemachten Anspruchs abstellen will, denn auch die im zweiten Fall ausgeklammerten Ansprüche (entgangene Urlaubsfreuden etc.) waren vertraglicher Natur. Diese Interpretation entspricht auch dem Normzweck dieser Alternative des Art. 16 Nr. 1, die im Katalog der übrigen ausschließlichen Zuständigkeiten des Art. 16 GVÜ in gewisser Weise einen Fremdkörper darstellt. Der Normzweck ist, wie der Gerichtshof im Urteil vom 15.01.1985 (aaO unter 19. und 20. der Entscheidungsgründe) ausgeführt hat, einmal darin zu sehen, daß die Gerichte des Belegenheitsortes sich am leichtesten die für die Beurteilung des Sachverhalts erforderlichen tatsächlichen Kenntnisse verschaffen können, und zum anderen „in der engen Verknüpfung von Miete und Pacht mit der rechtlichen Regelung des Eigentums an unbeweglichen Sachen und mit den im allgemeinen zwingenden Vorschriften, die seine Nutzung regeln, wie z.B. den Rechtsvorschriften über die Kontrolle der Miet- und Pachthöhe und über den Schutz der Mieter und Pächter.“ Im übrigen läßt sich den Materialien (Jenard-Bericht, Text z.B. bei Zöller, ZPO, 12. Aufl., Seite 2159; Bülow/Böckstiegel, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Nr. 601 S. 52) nicht dazu entnehmen, daß die Verfasser des Übereinkommens mit dieser Alternative des Art. 16 Nr. 1 nur spezifische vertragliche Ansprüche der besonderen Zuständigkeit des Art. 5 Nr. 1 GVÜ entziehen wollten. Im Jenard-Bericht ist auch auf die einschlägigen ausschließlichen Gerichtsstände der nationalen Verfahrensordnung hingewiesen worden. Auch zu § 29 a der deutschen ZPO wird überwiegend die zutreffende Ansicht vertreten, daß es für Klagen auf Räumung von Wohnraum nicht auf die Rechtsnatur der Anspruchsgrundlage ankommt (vgl. z.B. Zöller/Vollkommer, 14. Aufl., § 29 a Rn. 11; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 29 a Rndr. 19 jeweils mit Nachweisen), sondern daß es der Zweckbestimmung ausschließlicher Zuständigkeiten entspricht, die angesprochenen Streitgegenstände unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu erfassen.
Stellt man also mit dem EuGH auf die unmittelbare oder nur mittelbare Beziehung des Rechtsstreites zur Mietsache ab, so muß die vorliegende Klage der ausschließlichen Zuständigkeit des Art. 16 Nr. 1 GVÜ unterstellt werden. Denn es geht letztlich um die Nicht- oder Schlechterfüllung eines Mietvertrages. Ob die Vermieter dabei sogar betrügerisch gehandelt und sich damit zugleich einem deliktischen Anspruch ausgesetzt haben, kann losgelöst von den mietvertraglichen Vereinbarungen nicht entschieden werden. Nichts anderes würde gelten, wenn man von einer Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung ausginge und die Klageforderung auf Rückzahlung des Mietzinses somit auf ungerechtfertigte Bereicherung stützen würde. Da die Beklagten eine Täuschung der Klägerin und damit das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes bestritten haben, ginge es zudem auch um das Bestehen oder Nichtbestehen des Mietvertrages, also um eine Frage, die der EuGH ausdrücklich der Zuständigkeit des Art. 16 Nr. 1 unterstellt hat.
Schließlich scheitert die Anwendung des Art. 16 Nr. 1 GVÜ auch nicht daran, daß das Mietverhältnis nur für einen kurzfristigen Ferienaufenthalt begründet worden ist. Insoweit hat der EuGH in seinem Urteil vom 15.01.1985 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der italienischen Regierung entschieden, daß die Vorschrift des Art. 16 Nr. 1 von ihrem Wortlaut her nicht zwischen langen oder kurzen Mietverhältnissen und auch nicht nach deren Verwendungszweck unterscheidet und daß die Zulassung von Ausnahmen, z.B. für Ferienwohnungen, die Gefahr weiterer einschränkender Interpretationsversuche nach sich ziehen würde. Der Gerichtshof hat dementsprechend ausdrücklich auch die kurzzeitige Gebrauchsüberlassung einer Ferienwohnung dem ausschließlichen Gerichtsstand des Art. 16 Nr. 1 unterstellt. Dem schließt die Kammer sich ungeachtet der dagegen erhobenen Bedenken (vgl. Rauscher, NJW 1985, 892 ff. mit Darstellung des Streitstandes) an. Soweit die Gegenmeinung auf die Diskrepanz zwischen dem gemeinsamen Wohnsitz von Mieter und Vermieter und einer evtl. weit entfernten Belegenheit der Mietsache abstellt, ist für den vorliegenden Fall darauf hinzuweisen, daß jedenfalls die Beklagten, wie die in den formularmäßigen Geschäftsbedingungen des Mietvertrages niedergelegte Gerichtsstandsklausel zu Gunsten des Gerichts in … (Sardinien) zeigt, durchaus ein Interesse an der Entscheidung des Rechtsstreites durch die Gerichte des Belegenheitsortes haben, da sie die Mietsache dort selbst bewirtschaften. Im übrigen würde ein Abweichen von der Interpretation des EuGH im Urteil vom 25.01.1985 die Kammer ungeachtet des ihr in Art. 3 Abs. 2 des Auslegungsprotokolls eingeräumten Ermessens zur Vorlage an den Gerichtshof nötigen, wobei keinerlei Grund zu der Annahme besteht, daß der EuGH von der gerade erst getroffenen Entscheidung abweichen wird.
Nach alledem mußte im Hinblick auf Art. 19 GVÜ auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abgewiesen werden. Eine Anwendung des § 344 ZPO kam nicht in Betracht, da das Versäumnisurteil wegen der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht in gesetzlicher Weise ergangen war.
Von einer Vorlage an den EuGH wegen der Frage, ob Art. 16 Nr. 1 GVÜ auch Klagen aus Miete oder Pacht umfaßt, die auf nichtvertragliche Anspruchsgrundlagen gestützt werden, hat die Kammer im Hinblick auf die Unverhältnismäßigkeit zwischen dem Streitwert und den durch eine Vorlage bedingten Kosten abgesehen.