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Zusammenfassung der Entscheidung Im Jahre 1998 wurden zwei notarielle Urkunden aufgenommen, durch die sich der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin verbürgte und der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwarf. Diese Urkunden wurden vom Landgericht Bayreuth (DE) im Jahre 2005 auf Antrag der Antragstellerin in einem Verfahren nach dem EuGVÜ mit der Vollstreckungsklausel versehen. Der Antragsgegner legte dagegen beim Oberlandesgericht Bamberg (DE) Beschwerde mit der Begründung ein, dass durch Urteil des Tribunal de Grande Instance in Straßburg (FR) aus dem Jahre 2003 das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden sei.
Das Oberlandesgericht Bamberg (DE) entscheidet, dass die Beschwerde unbegründet sei. Zwar werde unter gewissen Voraussetzungen ein deutscher Zivilrechtsstreit durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland unterbrochen. Jedoch unterbreche ein deutsches oder ausländisches Insolvenzverfahren ein Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem EuGVÜ und dem deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) nicht. § 240 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO), der die Unterbrechung eines Zivilrechtsstreits durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens regelt, sei zumindest in der ersten Instanz des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nicht entsprechend anwendbar. Daher könne die Beschwerde nicht darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung wegen Unterbrechung des Verfahrens nicht hätte ergehen dürfen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Das Landgericht Bayreuth hat auf den Antrag der Antragstellerin vom 15.02.2005 mit Beschluss vom 22.02.2005 (Bl. 5-9 der Akten) die öffentlichen Urkunden des Notars M., … in F., vom 29.09. und 03.02.1998, durch die sich der Antragsgegner auf einen Betrag von jeweils 100.000 DM verbürgt und der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat, mit der Vollstreckungsklausel versehen.
Der Antragsgegner hat gegen den ihm am 21.09.2005 zugestellten Beschluss mit Telefax-Schreiben am 26.09.2005 Einwendungen erhoben. Er macht geltend, dass durch Urteil des Tribunal de Grande Instance in Strassburg vom 22.01.2003 (Bl. 30-32 der Akten) das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden sei.
II. Die Beschwerde ist zulässig (§§ 11, 12 Abs. 1 AVAG; Art. 36 Abs. 1 und 2 EuGVÜ), aber nicht begründet.
Das Verfahren über die Vollstreckbarerklärung der öffentliche Urkunden vom 29.09. und 03.02.1998 war wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragsgegners in Frankreich weder von vornherein unzulässig noch war es unterbrochen.
1. Allerdings unterbricht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland grundsätzlich einen deutschen Zivilrechtsstreit, wenn
a) das ausländische Insolvenzverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz1 EGInsO auch das im Inland belegene Vermögen des Schuldners erfasst (siehe Feiber in ZPO-MK, § 240 DN 11; Zöller/Greger, Aufl., § 240 RN 6) und
b) das ausländische Recht ähnlich wie das deutsche Recht vorsieht, dass die Prozessführungsbefugnis mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergeht (BGH, Beschluss vom 26.11.1997 – IX ZR 309/96 = ZIP 98,659; siehe auch BGH NJW 97,2525; Feiber aaO RN 11; Zöller/Greger aaO; siehe auch Uhlenbruck/Lüer; InsO, 12. Aufl., Art.102 EGInsO RN 160).
Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Zu a: Das durch das Tribunal de Grande Instance in Strasbourg am 22.01.2003 eröffnete Insolvenzverfahren, das in Deutschland anzuerkennen ist (Art. 16 EGVO Nr. 1346/2000 vom 29.05.2000), erfasst auch das in Deutschland befindliche Vermögen des Antragsgegners (Art. 102 Abs. 1 Satz 1 EGInsO), weil ein Ausnahmefall nach Satz 2 dieser Vorschrift nicht vorliegt.
Zu b: Nach französischem Recht (Artikel L. 621-40 Handelsgesetzbuch) darf ab Verkündung des Eröffnungsurteils kein Gläubiger mehr Maßnahmen gegen den Schuldner ergreifen, die darauf abzielen, seine Verurteilung zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme zu erreichen (zitiert nach Augustin in MK zur Insolvenzordnung, Länderberichte, Frankreich RN 5). Die Gläubiger müssen ihre Forderungen innerhalb von 2 Monaten nach Veröffentlichung des Eröffnungsbeschlusses beim Gläubigervertreter anmelden (Augustin aaO RN 11). Das französische Insolvenzverfahren ist deshalb dem deutschen Insolvenzverfahren ähnlich.
2. Jedoch unterbricht auch ein deutsches Insolvenzverfahren und demzufolge auch ein ausländisches Insolvenzverfahren ein Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem (hier gemäß Art. 76 EuGVVO anwendbaren) EUGVÜ (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) und dem AVAG (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz vom 19.02.2001 – BGBl I S. 288) nicht.
Dies ist allerdings umstritten.
a) Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass das Vollstreckbarkeitsverfahren nach dem EuGVÜ und dem AVAG im Falle der Eröffnung eines inländischen Konkursverfahrens über das Vermögen des Antragsgegners nicht unterbrochen wird (NJW-RR 94, 636 ff.). Dem ist ein Teil des Schrifttums gefolgt (Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl. (2005), RN 3117; Prütting, ZIP 1996, 1277, 1280).
b) Ein anderer Teil des Schrifttums ist dagegen der Auffassung, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens das Vollstreckbarkeitsverfahren unterbricht (Reinhart in MK zur InsO, Art. 102 EGInsO RN172; differenzierend wohl Mankowski ZIP 1994, 1577, 1579 f. und Heß, IPrax 95, 16 ff.).
c) Der Senat schließt sich im Ergebnis der erstgenannten Auffassung an.
Das EuGVÜ und das AVAG sehen eine Unterbrechung des Vollstreckbarkeitsverfahrens wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht vor. Eine entsprechende Anwendung des § 240 ZPO auf das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach dem EuGVÜ und dem AVAG ist nicht veranlasst. § 240 ZPO trägt dem Umstand Rechnung, dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Gemeinschuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch seine Prozessführungsbefugnis verliert und diese gemäß § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeht. Dieser soll ausreichend Bedenkzeit haben, über die Fortsetzung des Prozesses zu entscheiden (BGHZ 9, 308 ff.; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 240 RN 1; Musielak/Stadler, ZPO, 4. Aufl., § 240 RN 1). Dieser Zweck ist tangiert, wenn der Gemeinschuldner Partei des Verfahrens mit eigenen Rechten ist. Das ist im Verfahren nach den Artikeln 31 ff. EuGVÜ, §§ 3 ff. AVAG aber nicht der Fall. Denn in diesem Verfahren wird der Antragsgegner in der ersten Instanz nicht angehört (Art. 34 Abs. 1 Satz 1 EuGVÜ, § 6 Abs. 1 AVAG; siehe auch Art. 34 Abs. 1 Satz 2 EuGVVO). Der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Antragsgegners braucht deshalb keine Bedenkzeit wegen der Frage, ob er den Prozess aufnehmen will (Mankowski ZIP 1994,1577,1579).
Es ist auch sachgerecht, § 240 ZPO zumindest im Verfahren der ersten Instanz nicht entsprechend anzuwenden. Zum einen hat der Richter der ersten Instanz wegen der Nichtanhörung des Antragsgegners meist – wie auch im vorliegenden Fall – keine Kenntnis von einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragsgegners. Er kann hierauf deshalb nicht reagieren. Zum anderen erleidet der Antragsgegner allein dadurch, dass das Verfahren nicht unterbrochen wird, keinen Nachteil. Denn eine Zwangsvollstreckung in sein Vermögen ist während der Dauer des Insolvenzverfahrens nicht zulässig (§ 89 Abs. 1 InsO; ebenso im französischen Recht: Art. L 621-40 Abs. 2 Handelsgesetzbuch – zitiert nach Augustin aaO).
Da demnach zumindest in der 1. Instanz das Anerkennungsverfahren nicht entsprechend § 240 ZPO unterbrochen ist, kann eine Beschwerde gegen die ergangene Entscheidung nicht allein darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung wegen Unterbrechung des Verfahrens nicht hätte ergehen dürfen. Ob bei anderen Einwendungen (siehe § 12 Abs. 1 AVAG) eines Antragsgegners gegen eine Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung gemäß Art. 31 EuGVÜ eine Unterbrechung des Verfahrens in der zweiten Instanz entsprechend § 240 ZPO eintritt, kann hier dahinstehen.