Die Klägerin nimmt die in der Schweiz ansässige Beklagte aus einer Bürgschaft für die Firma ... mit Sitz in Lugano/Schweiz in Anspruch.
Zur Erleichterung grenzüberschreitender Warentransporte innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (EG) und zwischen den EFTA-Ländern und der EG wurde das sog. gemeinschaftliche/gemeinsame Versandverfahren eingeführt. Grundlage waren in dem hier maßgeblichen Zeitraum die Verordnung (EWG) Nr. 2726/90 vom 17. September 1990, sowie das Übereinkommen zwischen den EFTA-Ländern und der EG vom 20. Mai 1987. Die Erleichterung bestand im wesentlichen darin, daß Förmlichkeiten und Kontrollen nur am Abgangs- und Bestimmungsort durchgeführt wurden. Für die Beförderung von ″Nichtgemeinschaftsware″ diente das Versandverfahren T 1. Die Versandanmeldung T 1 war von der Person, die das gemeinschaftliche Versandverfahren durchführen wollte (Hauptverpflichteter), zu unterzeichnen und bei der Abgangsstelle vorzulegen. Der Hauptverpflichtete hatte die Zölle und sonstigen Abgaben zu zahlen, die unter Umständen aufgrund einer im Verlauf oder anläßlich eines gemeinschaftlichen/gemeinsamen Versandverfahrens begangenen Zuwiderhandlung oder Ordnungwidrigkeit fällig würden. Dem Hauptverpflichteten oblag weiterhin, eine Sicherheit zu leisten, damit die Erhebung der Zölle und anderen Abgaben sichergestellt wurde, die ein Mitgliedstaat für die Waren beanspruchen konnte, die sein Gebiet beim gemeinschaftlichen/gemeinsamen Versandverfahren berührten. Die Sicherheitsleistung bestand in einer selbstschuldnerischen Bürgschaft einer natürlichen oder juristischen dritten Person. Die Bürgschaft war gemäß einer sog. Musterurkunde zu leisten. Danach erfolgte die Bürgschaftserklärung gegenüber den Staaten, deren Gebiet berührt würde. Sie galt für die Beträge, die der Hauptverpflichtete diesen Staaten aufgrund von Zuwiderhandlungen, die im Verlauf eines von ihm durchgeführten Versandverfahrens begangen wurden, insgesamt an Zöllen, Steuern, Abschöpfungen und anderen Abgaben- mit Ausnahme von Geldstrafen oder Bußgeldern – schuldete oder schulden würde, und zwar bezüglich der Haupt- oder Nebenverbindlichkeiten, der Unkosten und der Zuschläge. Der Sicherheitsgeber verpflichtete sich weiter, binnen einer Frist von dreißig Tagen nach der ersten schriftlichen Aufforderung der zuständigen Behörden der betroffenen Staaten die geforderten Beträge bis zu dem angeführten Höchstbetrag ohne Aufschub zu zahlen, sofern er oder ein anderer Beteiligter vor Ablauf dieser Frist nicht den zuständigen Behörden gegenüber nachwies, daß im Verlauf des Versandverfahrens keine Zuwiderhandlung begangen wurde. Für die Bürgschaft war schließlich die Begründung eines Wahldomizils vorgesehen. Der Sicherheitsgeber erkannte als Gerichtsstand den Ort der Gerichte der Wahldomizile an. Sahen die Rechtsvorschriften eines Staates ein Wahldomizil nicht vor, so hatte der Bürge Zustellungsbevollmächtigte zu benennen. Für die Entscheidungen über Rechtsstreitigkeiten aus der Bürgschaft waren die Gerichte am Wohnsitz (Sitz) des Bürgen sowie am Wohnsitz (Sitz) der Zustellungsbevollmächtigten zuständig. Wegen der weiteren Einzelheiten der Bürgschaft wird auf das Muster Bl. 45 der Akten Bezug genommen.
Mit in italienischer Sprache abgefaßter Bürgschaftsurkunde vom 23. August 1993, die dem vorgenannten Muster entsprach, übernahm die Beklagte gegenüber einzelnen Staaten, darunter der Klägerin, die selbstschuldnerische Gesamtbürgschaft für mehrere gemeinschaftliche/gemeinsame Versandverfahren der Firma G… SA in Lugano/Schweiz bis zum Höchstbetrag von 1.350.000, Schweizer Franken. Die Oberzolldirektion Bern nahm das Bürgschaftsversprechen stellvertretend für die Bürgschaftsgläubiger am 27. August 1993 an. In der Länderspalte ″Italien″ der Bürgschaftserklärung wurde auf ein Beiblatt verwiesen, in dem für alle in Betracht kommenden Staaten Bevollmächtigte der Beklagten benannt wurden. Für Deutschland war dies die … Versicherungs-Aktiengesellschaft in Frankfurt am Main. Die ursprünglich bis zum 27. August 1995 gültige Bürgschaft wurde von der Beklagten mit Wirkung zum 22. Oktober 1993 widerrufen.
Am 17. September 1993 ließ die Firma ... bei der schweizerischen Abgangsstelle St. Margrethen Freilager mit Versandschein T 1 Nr. 7637 unter Vorlage der Bürgschaftserklärung der Beklagten 1.120 Kartons Zigaretten zum gemeinschaftlichen/gemeinsamen Versandverfahren abfertigen. Als Bestimmungsstelle in dem Versandverfahren wurde die spanische Zollstelle Algeciras festgelegt. Die Wiedergestellungsfrist bei der Bestimmungsstelle wurde auf den 24. September 1993 festgesetzt.
Die Klägerin hat behauptet, das Versandverfahren sei nicht ordnungsgemäß beendet worden. Die Firma … habe die Zigaretten weder bei der Zollstelle Algeciras noch bei einer anderen für das gemeinschaftliche/gemeinsame Verfahren zuständigen Zollstelle gestellt. Der Abgangsstelle St. Margrethen-Freilager sei zwar eine Bescheinigung der Zollstelle Algeciras vorgelegt worden, wonach die Ware dort gestellt worden sei. Bei der Bescheinigung handele es sich aber um eine Fälschung. Tatsächlich habe am 17. September 1993 ein belgischer Lastzug das schweizerische Freilager St. Margrethen mit 1.120 Kartons Zigaratten verlassen. Die Zigaretten seien über das Hauptzollamt Lindau in das Zollgebiet der EG verbracht worden. In Engen bei Singen/Hohentwiel sei der Versandschein T 1 gegen einen CMR Frachtbrief mit fingierter Warenbezeichnung ausgetauscht worden. Ursprünglich hätten die Zigaretten über Frankreich nach Italien eingeschmuggelt werden sollen. Aufgrund erwarteter Schwierigkeiten an der italienischen Grenze sei der Lastzug vom Großraum Lyon/Frankreich wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurückgeleitet worden. Am 20. September 1993, seien die Zigaretten in Berkheim, Landkreis Biberach/Riß ohne Beteiligung einer deutschen Zollstelle auf einen Lastzug der Firma … Speditions GmbH umgeladen worden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei die schweizerische Zollplombe erbrochen worden. Die nunmehr als ″Altpapier″ getarnte Ladung, sei nach Italien verbracht worden, wo sie zum Verbrauch bestimmt gewesen sei.
Wegen der behaupteten Zuwiderhandlung im Versandverfahren T 1 Nr. 7637 erließ die Klägerin gegen die Firma … am 7. November 1995 einen Steuerbescheid über Eingangsabgaben in Höhe von insgesamt 2.117.391,80 DM. Der Steuerbescheid wurde der Hauptverpflichteten im Wege der öffentlichen Bekanntmachung und mittels Einschreiben/Rückschein zugestellt. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Von dem als Steuer-Mitschuldner in Anspruch genommenen Fahrer des LKW der Spedition … wurden auf die Zoll- und Abgabenforderung 100,‑ DM entrichtet.
Mit Einschreiben der Zollkreisdirektion Chur/Schweiz vom 10. Dezember 1993 wurde die Beklagte über die Nichterledigung des Versandscheins T 1 Nr. 7637 unterrichtet. Das Hauptzollamts Ulm forderte sie unter dem 11. September 1996 (Zugang: 16. September 1996) unter Fristsetzung von 30 Tagen zur Zahlung von 1.653.885,‑ DM aus der Bürgschaft auf.
Aufgrund anderer Versandverfahren der Firma … wird die Beklagte in Italien von dortigen Behörden aus derselben Bürgschaft in Anspruch genommen.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.653.885,‑ DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Oktober 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main gerügt. Sie hat gemeint, die in dem Bürgschaftsvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam. Außerdem hat sie die Ansicht vertreten, aufgrund der Verfahren in Italien sei von einer doppelten Rechtshängigkeit auszugehen; zumindest sei es rechtsmißbräuchlich, die Beklagte sowohl in Italien als auch in Deutschland in Anspruch zu nehmen. Schließlich hat sie geltend gemacht, sie hafte nur nachrangig und die Zollbehörden treffe darüber hinaus ein Mitverschulden, weil die Bürgschaft in mehreren Versandverfahren akzeptiert worden sei, obwohl die Höhe der Einfuhrabgaben aus jedem einzelnen Verfahren die Bürgschaftshöchstsumme überschritten habe.
Mit am 21. April 1999 verkündeten Urteil hat das Landgericht Frankfurt am Main die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Landgericht hat ausgeführt, seine internationale Zuständigkeit sei nach Art. 17 Lugano-Übereinkommen gegeben, da die Parteien eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung getroffen hätten. Eine anderweitige Rechtshängigkeit liege nicht vor; es mangele bereits an der Identität der Parteien. Die Klage sei auch begründet, da ein wirksamer Bürgschaftsvertrag und eine gültige Hauptschuld gegeben seien. Die Einwendungen der Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen.
Gegen das ihr am 30. April 1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 31. Mai 1999, eingegangen bei Gericht am selben Tag (Montag), Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 9. Juni 1999, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründet.
Die Beklagte wiederholt und vertieft im wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 21. April 1999 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ist gegeben.
a) Die internationale Zuständigkeit ist auch in der Berufungsinstanz zu prüfen, da § 512 a ZPO insoweit nicht gilt (vgl. BGHZ 44,46).
b) Im Streitfall besteht eine Auslandsberührung, weil die Beklagte ihren Sitz in der Schweiz hat. In einem solchen Fall ist die internationale Entscheidungszuständigkeit vorrangig aus den einschlägigen internationalen Abkommen und den bilateralen Verträgen zu entnehmen (vgl. BGHZ 134, 127, 133). Maßgeblich ist hier das Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988. Gemäß Art. 54 ist es auf solche Klagen anzuwenden, die erhoben oder aufgenommen worden sind, nachdem das Übereinkommen im Ursprungsstaat in Kraft getreten ist. In Kraft getreten ist das übereinkommen für Deutschland am 1. März 1995 und für die Schweiz am 1. Januar 1992. Die vorliegende Klage ist am 18. November 1998, also nach Inkrafttreten des Übereinkommens, bei Gericht eingereicht worden. Die allgemeinen Anwendungsvoraussetzungen des Lugano-Übereinkommens sind daher gegeben.
c) Weitere Voraussetzung für die Anwendung des Lugano-Übereinkommens ist gemäß Art. 1, daß es sich um eine Zivil- oder Handelssache handelt. Auch das ist hier der Fall.
aa) Das Übereinkommen selbst bestimmt zunächst nicht, nach welchem Recht die sachlichen Anwendungsvoraussetzungen zu beurteilen sind. Eine Auslegungsbefugnis des EuGH, wie sie das Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ geschaffen hat, besteht für das Lugano-Übereinkommen grs. nicht. Entscheidungen des EuGH, die vor dem Abschluß des Lugano-Übereinkommens (16. September 1988) ergangen sind, sollen nach der Präambel zu dem 2. Protokoll über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens jedoch für die Auslegung maßgeblich sein. Um eine künftige einheitliche Auslegung des EuGVÜ und des Lugano-Übereinkommens zu erreichen, haben die Regierungsvertreter der EG-Staaten und der EFTA-Staaten bei der Unterzeichnung des Lugano-Übereinkommens durch parallele Erklärungen darüber hinaus die Pflicht zur gegenseitigen Berücksichtigung der jeweiligen Rechtsprechung statuiert. Für die Auslegung des Begriffs „Zivil- und Handelssachen″ ist daher maßgeblich auf die Rechtsprechung des EuGH abzustellen.
bb) Mit Urteil vom 14. Oktober 1976 (NJW 1977,489) hat der EuGH zu dem EuGVÜ entschieden, daß für die Auslegung des Begriffs ″Zivil- und Handelssachen″ nicht das Recht irgendeines der beteiligten Staaten maßgebend ist. Auszugehen sei vielmehr von einem autonomen Begriff, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik des Übereinkommens sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen. Danach könnten zwar bestimmte Entscheidungen, die in Verfahren ergehen, in denen sich eine Behörde und eine Privatperson gegenüberstehen, unter das Übereinkommen fallen, doch verhalte es sich anders, wenn die Behörde einen Rechtsstreit im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse führe. Entscheidend ist daher, ob die Rechtsnatur der Streitigkeit nach materiell-rechtlichen Kriterien zivilrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist (vgl. Müchener Komm.-ZPO, Art.1 IZPR Rn. 23).
cc) Für die gebotene Abgrenzung zwischen zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten kann wegen der gleichgelagerten Problematik – grs. auf die zu 13 GVG ergangene nationale Rechtsprechung zurückgegriffen werden (vgl. Thomas-Putzo, Art.1 EuGVÜ Rn. 2). Danach handelt es sich in dem vorliegenden Fall um eine zivilrechtliche Streitigkeit, auch wenn die Bürgschaft eine öffentliche-rechtliche Forderung sichert.
Die Bürgschaft begründet eine von der Verbindlichkeit des Hauptschuldners verschiedene, eigene Verbindlichkeit des Bürgen, für die Erfüllung durch den Hauptschuldner einzustehen. Sie ist keine bloße Haftungsübernahme. Ihr Rechtscharakter bestimmt sich daher nicht aus der Art der Hauptschuld. Die Abhängigkeit der Bürgschaftsschuld von der gesicherten Hauptverbindlichkeit soll nur sicherstellen, daß der Gläubiger vom Bürgen das bekommt, was er vom Hauptschuldner nach dem jeweiligen Bestand der Hauptschuld zu bekommen hat. Sie bestimmt aber nicht die Rechtsnatur der Bürgschaft im Sinne einer Abhängigkeit von der Rechtsnatur der Hauptschuld (vgl. BGHZ 90,187,189 f.).
Die Klägerin ist gegenüber der Beklagten auch nicht hoheitlich aufgetreten. Beide Parteien sind auf dem Boden der Gleichordnung gegenübergetreten. Die Klägerin hat nur eine privatrechtliche Möglichkeit genutzt, um ihre öffentlich-rechtliche Forderung zu sichern. Aus keinem rechtlichen Grund könnte die Klägerin im Wege der Verwaltungsvollstreckung gegen die Beklagte vorgehen. Sie hat nur die ihr auf Grund des Privatrechtsgeschäfts eröffnete Möglichkeit einer Zivilklage. Bestand und Umfang der Hauptforderung sind dabei lediglich öffentlich-rechtliche Vorfragen. Dadurch wird die Anwendbarkeit des Übereinkommens nicht berührt (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl., S. 56). Die sachlichen Voraussetzungen des Lugano-Übereinkommens sind daher erfüllt.
d) Gemäß Art. 2 Lugano-Übereinkommen sind Personen, die – wie die Beklagte – ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, grs. vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ist aber durch eine Zuständigkeitsvereinbarung nach Art. 17 des Übereinkommens begründet worden.
aa) Die Gerichtsstandsvereinbarung in der Bürgschaftsurkunde ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht nach Schweizer Recht zu beurteilen. Der Begriff Gerichtsstandsvereinbarung i.S. des Art. 17 des Lugano-Übereinkommen ist nämlich nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht des einen oder anderen beteiligten Staates zu verstehen, sondern autonom auszulegen (vgl. EuGH, NJW 1992,1671). Lediglich Vorfragen wie Vertretungsmacht und Geschäftsfähigkeit sind nach dem kollisionsrechtlich anwendbaren innerstaatlichen Recht zu beurteilen (vgl. Kropholler, aaO S. 236). Darum geht es hier aber nicht.
bb) Die allgemeine Voraussetzung des Art. 17 Lugano-Übereinkommen, daß mindestens eine der Parteien ihren Sitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, ist gegeben. Ebenso ist das Schriftformerfordernis unstreitig erfüllt. Die weiteren Voraussetzungen liegen ebenfalls vor.
Die Parteien haben eine ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung getroffen. Nach der Bürgschaftserklärung hat der Bürge sog. Wahldomizile in den einzelnen Staaten zu begründen und diese als Gerichtsstand anzuerkennen. Sehen die Rechtsvorschriften eines Staates ein Wahldomizil nicht vor, so hat der Bürge Zustellungsbevollmächtigte zu benennen, deren Sitz für Rechtsstreitigkeiten aus der Bürgschaft zuständig ist. Dem ist die Beklagte durch die Anfügung ihres Beiblatts nachgekommen. Nach dem Wortlaut der Erklärung hat sie auch der Gerichtsstandsvereinbarung ausdrücklich zugestimmt. Daß die Regelung über Zustellungsbevollmächtigte in einer Fußnote enthalten ist, steht dem nicht entgegen. Inhaltlich liegt keine Abweichung von der Bestimmung über Wahldomizile vor, so daß es sich nicht um eine überraschende Klausel handelt. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß das Beiblatt lediglich in der Länderspalte „Italien″ aufgeführt ist. Der Standort der Bezugnahme ist rein zufällig. Aus Sinn und Zweck des der Beklagten bekannten Versandverfahrens und der Funktion der Bürgschaft ergibt sich, daß für jeden aufgeführten Staat ein Gerichtsstand begründet werden sollte. Da es in Deutschland keine Wahldomizile gibt, greift insoweit die Regelung über Zustellungsbevollmächtigte ein. Als solchen hat die Beklagte für Deutschland die ″Schweizer-National″ Versicherungs-Aktiengesellschaft in Frankfurt am Main benannt und damit den hiesigen Wahlgerichtsstand begründet.
Dem Bestimmtheitsgrundsatz ist ebenfalls genüge getan. Sowohl das Rechtsverhältnis als auch die zuständigen Gerichte sind hinreichend bezeichnet. Für den Fall der Benennung von Zustellungsbevollmächtigten sind sowohl die Gerichte am Wohnsitz des Bürgen als auch am Sitz der Zustellungsbevollmächtigten zuständig. Seinem Wortlaut nach erfaßt Art. 17 Lugano-Übereinkommen zwar nur den Fall der Bestimmung eines Gerichts oder der Gerichte eines Vertragsstaates. Die Möglichkeit, zwei oder mehrere Gerichte zu bestimmen, ist jedoch nicht ausgeschlossen (vgl. EuGHE 1978,2133,2141 Rn. 5). Bei einer einseitigen Leistungspflicht – wie hier – steht das Wahlrecht ohne weiteres dem Gläubiger zu.
2. Die Inanspruchnahme der Beklagten in Italien aus derselben Bürgschaft steht dem vorliegenden Rechtsstreit nicht entgegen.
Eine anderweitige Rechtshängigkeit ist nicht gegeben. Werden bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so hat das später angerufene Gericht das Verfahren gemäß Art. 21 Lugano-Übereinkommen von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Es mangelt an der Identität der Parteien. In Italien klagt nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern der italienische Staat. Für die Bestimmung der Parteien ist auch nicht etwa darauf abzustellen, wem die geltend gemachten Rechte letztlich zustehen. Im Zivilprozeß gilt der formelle Parteibegriff (vgl. BGHZ 86,160,164).
II. Die Klage ist auch begründet. Mit Recht verlangt die Klägerin von der Beklagten Zahlung von 1.653.885,‑ DM.
1. Die Beklagte hat sich mit der Bürgschaft vom 23. August1993 u.a. gegenüber der Klägerin verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeiten der Firma ... aus Versandverfahren einzustehen. Nach welchem Recht die Bürgschaft zu beurteilen ist, bedarf dabei keiner Entscheidung. Die Wirksamkeit der Bürgschaftsverpflichtung als solche wird von der Beklagten nicht in Frage gestellt. Unwirksamkeitsgründe sind auch nicht ersichtlich.
2. Die Beklagte ist im Streitfall unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt aus der Bürgschaft frei geworden.
a) Die Fristen zur Inanspruchnahme der Beklagten aus der Bürgschaft wurden unstreitig eingehalten. Die Auflösung des Bürgschaftsverhältnisses zum 22. Oktober 1993 ist im Streitfall ohne Bedeutung. Nach Nr. 3 der Bürgschaftserklärung haftet der Bürge weiter für die Zahlung der Beträge, die aufgrund von Versandverfahren fällig werden, wenn diese Verfahren vor dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Auflösung begonnen haben; dies gilt auch dann, wenn die Zahlung erst später gefordert wird. Hier hat das Versandverfahren am 17. September 1993 begonnen, mithin vor der Auflösung des Bürgschaftsvertrages. Gegenteiliges macht die Beklagte auch nicht geltend.
b) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die sog. Revolvierungsklausel unter Nr. 2 der Bürgschaftserklärung. Die Klausel lautet:
″Dieser Höchstbetrag kann, um die Beträge, die aufgrund dieser Bürgschaftserklärung bereits bezahlt worden sind, nur dann vermindert werden, wenn der (die) Unterzeichnete im Rahmen eines Versandverfahrens nach dem Übereinkommen über ein gemeinsames Versandverfahren/im Rahmen eines gemeinschaftlichen Versandverfahrens in Anspruch genommen wird, das vor Eingang der vorhergehenden Zahlungsaufforderung oder innerhalb von dreißig Tagen danach begonnen hat.″
Diese Voraussetzungen liegen ihrem Wortlaut nach nicht vor, weil die Beklagte unstreitig bisher keine Zahlungen aufgrund der Bürgschaft geleistet hat, und zwar weder in Italien, noch in Deutschland. Ob eine Hinterlegung der Bürgschaftssumme ausreichend wäre, kann offen bleiben, da eine solche nicht erfolgt ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten greift die sog. Revolvierungsklausel nicht bereits bei einer Zahlungsaufforderung ein. Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, daß sie im Ergebnis nur einmal aus der Bürgschaft in Anspruch genommen werden kann, weil alle maßgeblichen Versandverfahren innerhalb der 30-Tage-Frist liegen und der Höchstbetrag der Bürgschaft ausgeschöpft ist. Ob es in Italien aber überhaupt zu einer Verurteilung kommt, ist vollkommen offen. Für eine wie auch immer geartete Haftungsbeschränkung ist unter diesen Umständen kein Raum. Von dem Prozeßrisiko hätte sich die Beklagte durch Zahlung befreien können. Falls es nachträglich noch zur Zahlung kommt, ist sie auf die Möglichkeit der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 ZPO) zu verweisen.
Die beantragte Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH kommt nicht in Betracht. Im Streitfall geht es nicht um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht, sondern um die Auslegung des Bürgschaftsvertrages. Außerdem hat die Beklagte ihren Sitz nicht in einem Mitgliedsstaat der EG.
3. Unbeschadet der Bestandskraft des Steuerbescheids gegenüber der Firma … kann im Streitfall offenbleiben, ob die Hauptverbindlichkeit überhaupt besteht. Gemäß Nr. 2 des Bürgschaftsvertrages hat sich die Beklagte verpflichtet, binnen einer Frist von dreißig Tagen nach der ersten schriftlichen Aufforderung die geforderten Beträge bis zu dem verbürgten Höchstbetrag zu zahlen, sofern vor Ablauf der Frist nicht nachgewiesen wird, daß im Versandverfahren keine Zuwiderhandlung begangen wurde. Es handelt sich mithin um eine sog. Bürgschaft auf erstes Anfordern, so daß die Beklagte materielle Einwendungen gegen die Hauptschuld grs. erst im Rückforderungsprozeß geltend machen kann (vgl. Hahn, MDR 1999,839,842). Davon abgesehen, greift der Einwand des Mitverschuldens der Zollbehörden auch aus sachlichen Gründen nicht durch. Die Gesamtbürgschaft der Beklagten war von vornherein für mehrere gemeinschaftliche Versandverfahren bestimmt. Selbst wenn es bei den Versandverfahren daher Verstöße hinsichtlich der Höhe der Sicherheitsleistung gegeben haben sollte, kommt dies nicht der Beklagten zugute. Ihre Inanspruchnahme über den Höchstbetrag hinaus steht nicht zur Diskussion.
4. Die Beklagte ist der Währungsumrechnung sowie dem Zahlungsverlangen in inländischer Währung weder erst- noch zweitinstanzlich entgegengetreten. Die Klägerin kann deshalb Zahlung von 1.653.885,‑ DM verlangen.