-
Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin mit Sitz in Italien führte einen Rechtsstreit vor dem Tribunale di Pisa (IT) mit der Antragsgegnerin mit Sitz in Deutschland. Im Rahmen dieses Rechtsstreits erwirkte die Antragstellerin eine Entscheidung des Prozessgerichts, mit der ihr durch richterliche Anordnung („ingiunzione“) vorläufig ein gewisser Geldbetrag zugesprochen wurde. Auf Antrag der Antragstellerin wurde dieser italienische Zahlungsbefehl vom Landgericht Zweibrücken (DE) mit der Vollstreckungsklausel versehen. Die Antragsgegnerin legte dagegen Beschwerde beim Oberlandesgericht Zweibrücken (DE) ein. Sie machte geltend, in dem italienischen Ausgangsverfahren sei die erstinstanzliche Beweiserhebung noch nicht abgeschlossen und noch keine endgültige Sachentscheidung ergangen.
Das Oberlandesgericht Zweibrücken (DE) entscheidet, dass die Beschwerde unbegründet ist. Die im laufenden italienischen Erkenntnisverfahren gem. Art. 186ter der italienischen Zivilprozessordnung (c.p.c.) ergangene vorläufige Zahlungsanordnung („ordinanza ingiuntiva di pagamento“) sei eine Entscheidung im Sinne des Art. 32 EuGVO. Dass die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat für die Instanz "endgültig" oder gar rechtskräftig sein müsse, sei für die Vollstreckbarerklärung gerade nicht erforderlich. Es reiche gemäß Art. 38 Abs. 1 EuGVO aus, dass der Zahlungsbefehl - wie das italienische Gericht amtlich bestätigt habe - in Italien vollstreckbar sei. Der Anerkennung stehe auch nicht der deutsche ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVO) entgegen. Das kontradiktorische italienische Zivilverfahren sei nämlich derart ausgestaltet, dass der Erlass des Zahlungsbefehls sich nicht offensichtlich als untragbarer Verstoß gegen elementare Grundsätze der deutschen Rechtsordnung darstelle.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Verfahrensbeteiligten sind zwei im Handel mit Leder und Schuhen tätige Unternehmen, von denen die Antragstellerin ihren Sitz in Italien und die Antragsgegnerin ihren Sitz in Deutschland hat.
Sie führen in Italien seit Februar 2002 vor dem Tribunale Pisa – Außenstelle Pontedera – einen Rechtsstreit um die Bezahlung von Leder, das die Antragstellerin der Antragsgegnerin geliefert hat.
Die Antragstellerin hat als Klägerin des dortigen Verfahrens eine durch das Prozessgericht unter dem 20. Mai 2003 erlassene Entscheidung gemäß Art. 186 ter Codice diproceduracivile (italienische Zivilprozessordnung) erwirkt, mit der ihr im Sinne einer richterlichen Anordnung („ingiunzione“) vorläufig ein Betrag von 12.489,32 EUR nebst Verfahrenskosten in Höhe von 664,56 EUR zugesprochen wird (italienischer Titel und deutsche Übersetzung in Fotokopie Bl. 30 f und 34 der Akten).
Entsprechend dem Begehren der Antragstellerin vom 15./18. November 2005 hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des für den Sitz der Antragsgegnerin zuständigen Landgerichts Zweibrücken mit Beschluss vom 28. November 2005 angeordnet, den vorbezeichneten italienischen Zahlungsbefehl mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Dagegen richtet sich die am 27. Dezember 2005 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, dass in dem italienischen Ausgangsverfahren die erstinstanzliche Beweiserhebung nicht abgeschlossen und noch keine endgültige Sachentscheidung ergangen sei.
II. Das zulässige Rechtsmittel ist in der Sache unbegründet.
1. Auf das vorliegende Verfahren betreffend die Vollstreckbarerklärung des gegen die Antragsgegnerin in Italien erlassenen Zahlungsbefehls finden die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) Anwendung, welche gemäß ihrem Art. 76 am 1. März 2002 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft – mit Ausnahme Dänemarks – in Kraft getreten ist.
Zwar wurde die Klage in Italien bereits im Februar 2002 und damit vor Inkrafttreten der EuGVO erhoben. Jedoch werden nach Art. 66 Abs. 2 lit. a der Verordnung Entscheidungen, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung erlassen wurden, nach Maßgabe des Kapitels III der Verordnung anerkannt und zur Vollstreckung zugelassen, wenn die Klage vor Inkrafttreten der Verordnung im Ursprungsmitgliedstaat erhoben wurde, nachdem das in den Begründungserwägungen Nr. 5 der Verordnung angeführte Brüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 (EuGVÜ) oder das Übereinkommen von Lugano vom 16. September 1988 sowohl im Ursprungsmitgliedstaat als auch in dem Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung geltend gemacht wird, in Kraft getreten war. Dies ist hier der Fall. Das EuGVÜ ist sowohl in Italien als auch in Deutschland am 1. Februar 1973 in Kraft getreten (vgl. in diesem Zusammenhang auch Senat, Beschluss vom 15. Dezember 2004 – 3 W 207/04 -, veröffentlicht u. a. in IPrax 2006, 49 und OLGR Zweibrücken 2005, 222).
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist danach gemäß Art. 43 EuGVO iVm §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 11, 55 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.
2. In der Sache führt das Rechtsmittel nicht zum Erfolg. Der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken hat zu Recht dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Zahlungsbefehls des Tribunale Pisa – Außenstelle Pontedera – vom 20. Mai 2003 stattgegeben.
a) Die Förmlichkeiten der Art. 53, 54 EuGVO sind im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht gewahrt worden. Insbesondere hat die Antragstellerin die Bescheinigung nach den Art. 54 und 58 der EuGVO vorgelegt (in Fotokopie Bl. 32, 33 der Akten); darin wird u. a. die Vollstreckbarkeit des Titels im Ursprungsmitgliedstaat Italien bescheinigt.
b) Der Vorsitzende der Zivilkammer ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass die in dem laufenden italienischen Erkenntnisverfahren ergangene richterliche Zahlungsanordnung gemäß Art. 186 ter c.p.c. eine Entscheidung darstellt, die nach dem in Kapitel III der EuGVO vorgesehenen Verfahren anerkannt und im Inland vollstreckbar erklärt werden kann.
Die EuGVO enthält in Art. 32 eine Legaldefinition des Begriffs der „Entscheidung“. Danach findet die Verordnung in ihrem sachlichen Anwendungsbereich (Art. 1 Abs. 1) auf alle gerichtlichen Entscheidungen ohne Rücksicht auf deren Bezeichnung Anwendung. Erfasst sind neben Urteilen namentlich auch Beschlüsse und Zahlungsbefehle, mithin auch die hier in Rede stehende vorläufige Zahlungsanordnung („ordinanza ingiuntiva di pagamento“) auf der Grundlage des Art. 186 ter der italienischen Zivilprozessordnung (vgl. OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 280; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1575; österreichischer OGH, Entscheidung vom 26. April 2000 – 3 Ob 248/98m -, zitiert nach juris; Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl. Art. 38 EuGVO Rn. 4; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., Art. 38 EuGVO Rn. 1; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 32 EuGVO Rn. 21; Schlosser, EUZ/EuGVO 2. Aufl., Art. 32 Rn. 3).
Dass die Entscheidung in dem Ursprungsmitgliedstaat für die Instanz „endgültig“ oder dass sie gar rechtskräftig sein müsste, ist für die Vollstreckbarerklärung gerade nicht erforderlich; vielmehr reicht es gemäß Art. 38 Abs. 1 EuGVO aus, dass der Zahlungsbefehl – wie das italienische Gericht amtlich bestätigt hat – in Italien vollstreckbar ist (Kropholler aaO).
c) Gemäß Art. 34, 35 EuGVO wird eine Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat nicht anerkannt – und somit nach Art. 45 EuGVO auch nicht für vollstreckbar erklärt -, wenn einer der dort abschließend aufgeführten Versagungsgründe vorliegt. Dafür ist hier von der Antragsgegnerin nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Namentlich steht der Anerkennung der vorläufigen italienischen Zahlungsanordnung nicht der deutsche ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVO) entgegen.
Der Zahlungsbefehl des Tribunale Pisa – Außenstelle Pontedera – gemäß Art. 186 ter c.p.c. ist in einem kontradiktorischen Zivilprozess auf Antrag der klagenden Partei und – ausweislich der aus dem Italienischen übersetzten Beschlussgründe (Bl. 34 der Akten) – auf der Grundlage einer Schlüssigkeitsprüfung durch den Richter unter Berücksichtigung des Verteidigungsvorbringens der in Italien anwaltlich vertretenen beklagten Partei ergangen, weil die nach den zitierten Gesetzesbestimmungen dafür geforderten Voraussetzungen bejaht wurden. Die Entscheidung kann durch den italienischen Richter im weiter betriebenen Instanzverfahren jederzeit wieder zurückgenommen werden; sie tritt außer Kraft, wenn die die Instanz beendende Entscheidung zu einem anderen Ergebnis kommt. Ferner hat die Antragsgegnerin als beklagte Partei die Möglichkeit, jedenfalls bis zum Erlass der Entscheidung darauf hinzuwirken, dass der Richter die vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidung von Sicherheitsleistung durch die Klägerseite abhängig macht. Im Hinblick darauf liegt kein Ergebnis vor, das sich „offensichtlich“ als untragbar erscheinender Verstoß gegen elementare Grundsätze der deutschen Rechtsordnung darstellt, wenn der Antragstellerin durch richterliche Anordnung der eingeklagte Kaufpreisanspruch vorläufig zuerkannt wird (vgl. zum Ganzen: OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 280, 281 f; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1575, 1576).