-
Zusammenfassung der Entscheidung Der Kläger, ein spanischer Staatsbürger, der für die spanische Botschaft in Berlin arbeitete, meinte, die Befristung seines Arbeitsvertrages sei unwirksam und begehrte eine Verlängerung des Vertrags über die dort festgeschriebene Frist hinaus. Das lehnte die Botschaft ab. Daraufhin erhob der Kläger Klage beim Arbeitsgericht Berlin (DE). Wenig später erhob er eine zweite Klage beim Arbeitsgericht Madrid (ES). Diese Klage wurde noch vor einem ersten Gerichtstermin in Deutschland abgewiesen, wogegen der Kläger Berufung einlegte.
Das Arbeitsgericht Berlin (DE) entscheidet, dass das deutsche Verfahren bis zu einer rechtskräftigen spanischen Entscheidung oder bis zur Aussetzung des spanischen Berufungsverfahrens gem. Art. 37 Abs. 1, 33 Abs. 1 EuGVO auszusetzen sei. Art. 33 Abs. 1 gelte – Umkehrschluss aus Art. 37 Abs. 1 – auch für noch nicht rechtskräftige Urteile. Zwar beträfen beide Klagen „de[n]selben Anspruch“ i. S. d. Art. 27 Abs. 1. Das deutsche Gericht sei mit der früheren Klageerhebung auch zuerst angerufen worden, Art. 27 Abs. 1, 30 Nr. 1. Die Verkennung der deutschen internationalen Zuständigkeit durch das spanische Gericht sei für die Anerkennung nach Art. 33 jedoch unerheblich, da Zuständigkeitsvorschriften gem. Art. 35 Abs. 3 S. 2 nicht zum ordre public i. S. d. Art. 34 Nr. 1 gehörten. Weiterhin stehe einer Anerkennung nicht entgegen, dass das spanische Gericht spanisches Arbeitsrecht angewandt habe, obwohl aufgrund einer Vertragsklausel möglicherweise deutsches Arbeitsrecht anzuwenden gewesen wäre, da Art. 36 eine Nachprüfung in der Sache verbiete. Die etwaige Verkennung einer Rechtswahl verstoße auch nicht gegen den ordre public i. S. d. Art. 34 Nr. 1. Schließlich liege es in den Händen der Parteien, das spanische Berufungsgericht über die frühere Anrufung des deutschen Gerichts zu informieren, mit der Folge, dass das Berufungsgericht sein Verfahren dann gem. Art. 27 I aussetzen müsste.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung. Der am 25.01.1940 im Land der Beklagten, einem Mitgliedsstaat der EU, geborene Kläger war für die Beklagte ohne schriftlichen Arbeitsvertrag seit 1985 tätig, zuletzt als Hausmeister und Chauffeur für die Botschaft der Beklagten in Berlin.
Nachdem der Kläger 65 Jahre alt wurde und weiter arbeiten wollte, schlossen die Parteien am 23.02.2005 in der Nationalsprache der Beklagten einen schriftlichen Arbeitsvertrag, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem 66. Geburtstag des Klägers, d.h. am 25.01.2006 enden sollte. In einem Schreiben vom 15.11.2005 vertrat der Kläger gegenüber der Botschaft die Ansicht, dass die Befristung unwirksam sei und begehrte eine Verlängerung des Arbeitsvertrages bis zum 31.01.2007. Die Botschaft lehnte mit Schreiben vom 15.12.2005 das Begehren des Klägers ab.
Der zunächst anwaltlich nicht vertretene Kläger erhob mit Hilfe der Rechtsantragstelle des ArbG Berlins eine Klage gegen eine „Kündigung“ der Beklagten vom 15.12.2005. Die Klage ging am 05.01.2006 beim ArbG Berlin ein. Im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Zustellung auf dem diplomatischen Weg wurde für den 08.11.2006 ein Güte- und Kammertermin anberaumt. Die Klage wurde am 09.06.2006 dem Außenministerium des EU-Staates zugestellt, wovon das ArbG Berlin am 08.09.2006 Nachricht erhielt.
Zwischenzeitlich hatte der Kläger am 31.03.2006 eine zweite Klage beim Arbeitsgericht in der Hauptstadt der Beklagten eingereicht. Das Arbeitsgericht der Beklagten wies am 05.05.2006 die Klage des Klägers ab. Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
Das Verfahren vor dem ArbG Berlin wurde bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung oder bis zu einer Aussetzung des Berufungsverfahrens ausgesetzt.
II. Das Verfahren ist gemäß Art. 37 Abs. 1 EuGVVO iVm Art. 33 Abs. 1 EuGVVO auszusetzen.
1. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist gegeben. Nach § 20 Abs. 2 GVG iVm allgemeinem Völkergewohnheitsrecht unterliegt das Arbeitsverhältnis der Parteien der deutschen Gerichtsbarkeit, da der Kläger als Hausmeister/Chauffeur keine hoheitliche Tätigkeit ausübt (vgl. auch BAG [20.11.1997] – 2 AZR 631/96 – NZA 1998, 813 <Aufzugsmonteur einer Botschaft>).
2. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich im Verhältnis zwischen EU-Mitgliedsstaaten nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVVO), Art. 1 EuGVVO.
3. Nach Art. 37 Abs. 1 iVm Art. 33 Abs. 1 EuGVVO kann das Gericht eines Mitgliedsstaates, vor dem die Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedsstaat ergangenen Entscheidung geltend gemacht wird, das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden ist.
3.1 Art. 33 Abs. 1 EuGVVO ist vorliegend anwendbar.
3.1.1 Nach Art. 33 Abs. 1 EuGVVO besteht der Grundsatz der automatischen Anerkennung mitgliedsstaatlicher Urteile. Art. 33 Abs. 1 EuGVVO gilt auch für noch nicht rechtskräftige Urteile (Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl. [2004], Anh I EuGVVO, Art. 33 Rn. 3). Dies folgt aus einem Umkehrschluss zu Art. 37 Abs. 1 EuGVVO. Auf den Meinungsstreit zur Parallelvorschrift § 328 ZPO (vgl. Zöller/Geimer, aaO, § 328 Rn. 69 mwN) kommt es nicht an.
3.1.2 Art. 33 Abs. 1 EuGVVO gilt auch für Feststellungsurteile. Art. 33 EuGVVO erstreckt die materielle Rechtskraft eines mitgliedsstaatlichen Urteils auf die anderen Mitgliedsstaaten. Es geht nicht um eine Vollstreckungswirkung, sondern um die Urteilswirkungen (Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl. [2004], EuGVVO, Art. 33 Rn. 2). Eine fehlende Vollstreckbarkeit des Feststellungsurteils ist daher unerheblich.
3.2 Einer Aussetzung steht auch keine negative Anerkennungsprognose entgegen. Es besteht nach den Art. 34, 35 EuGVVO kein Anerkennungshindernis.
3.2.1 Es ist für eine Anerkennung nach Art. 33 EuGVVO unerheblich, dass die vorrangige deutsche internationale Zuständigkeit durch das Arbeitsgericht des Mitgliedsstaates übergangen wurde.
Nach Art. 27 EuGVVO ist im Fall internationaler doppelter Rechtshängigkeit (im Geltungsbereich der EuGVVO) „wegen desselben Anspruchs“ das Gericht international zuständig, das zuerst „angerufen“ wurde.
Das deutsche Verfahren betrifft denselben „Anspruch“ iSd Art. 27 EuGVVO. Nach EuGH [08.12.1987] – Rs 144/86 – NJW 1989, 665, ergangen zur Vorgängernorm Art. 21 EuGVÜ, ist nach Sinn und Zweck der Begriff „Anspruch“ weit auszulegen. Ausreichend ist, dass der „Kernpunkt“ zweier Rechtsstreitigkeiten die Wirksamkeit eines Vertrages betrifft (EuGH, aaO (666) [Tz. 16]; vgl. auch BGH [06.02.2002] – VIII ZR 106/01 – NJW 2002, 2795).
Die beiden Rechtsstreitigkeiten haben daher auch dann denselben Anspruch iSd Art. 27 EuGVVO zum Gegenstand, wenn die deutsche „Kündigungsschutzklage“ zunächst nicht als Entfristungsklage auslegbar gewesen sein sollte (etwa wegen § 184 GVG) und die ausländische Klage hingegen als Entfristungsklage erhoben worden sein sollte. In beiden Fällen geht es um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers über den 25.01.2006 hinaus.
Das deutsche Gericht wurde vorliegend auch nach Art. 27 EuGVVO iVm der Legaldefinition des Art. 30 Nr. 1 EuGVVO zuerst angerufen. Nach Art. 30 Nr. 1 EuGVVO kommt es nicht auf eine Rechtshängigkeit iSd § 261 ZPO, sondern auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit an, „vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Beklagten zu bewirken“.
Die Klage wurde vom Kläger beim hiesigen Gericht am 05.01.2006 eingereicht. Der Kläger hat die Zustellung an die Beklagte auch nicht iSd Art. 30 Nr. 1 EuGVVO verzögert. Dass die Nichtverlängerungsanzeige der Beklagten vom deutschen Gericht zunächst als Kündigung aufgefasst und die Denkschrift und ihre Übersetzung vom deutschen Kündigungsschutzrecht handelt, führte zu keiner erkennbaren Verzögerung, die dem Kläger in Analogie zu den Grundsätzen zu § 167 ZPO anzulasten wäre.
Die Verkennung der internationalen Zuständigkeit des deutschen Gerichts ist jedoch unerheblich. § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO findet im Anwendungsbereich der EuGVVO keine Anwendung. Nach der ausdrücklichen Regelung des Art. 35 Abs. 3 S. 2 EuGVVO gehören die Vorschriften über die Zuständigkeit nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) iSd Art. 34 Nr. 1 EuGVVO.
3.2.2 Der Anerkennung steht auch nicht entgegen, dass das mitgliedsstaatliche Gericht das eigene nationale Arbeitsrecht angewandt hat, obwohl möglicherweise das hiesige deutsche Arbeitsrecht anzuwenden ist.
In 7. Punkt des Arbeitsvertrages ist bei vorläufiger Übersetzung vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis deutsches Arbeitsrecht Anwendung findet und zudem die vom Außenministerium erlassenen internen Vorschriften. Gleichwohl ist das mitgliedsstaatliche Arbeitsgericht von der Wahl seines nationalen Arbeitsrechts ausgegangen.
Aber selbst, wenn dies unzutreffend wäre, steht dies einer Anerkennung nicht entgegen. Nach Art. 36 EuGVVO darf die ausländische Entscheidung „keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden“.
Die etwaige Verkennung der durch die Parteien vorgenommenen Rechtswahl verstößt auch nicht gegen die ordre public iSd Art. 34 Nr. 1 EuGVVO.
3.3 Das Verfahren war in einer Ermessensentscheidung iVm §§ 148 ff. ZPO analog auszusetzen.
3.3.1 Sinn und Zweck der Art. 27 ff. EuGVVO ist es, eine prozessökonomisch nicht sinnvolle doppelte Inanspruchnahme der Gerichte der Mitgliedsstaaten zu verhindern und sich widersprechende Urteile zu vermeiden (Zöller/Geimer, aaO, EuGVVO Art. 27 Rn. 2 mwN).
3.3.2 Es erscheint unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien sachgerecht, den Rechtsstreit auszusetzen.
Für eine Aussetzung spricht, dass das Urteil trotz internationaler Unzuständigkeit gefällt wurde und in entsprechender Anwendung der Aussetzungslogik des Art. 27 Abs. 1 EuGVVO vor einer Anerkennung die formelle Rechtskraft des anderweitigen Rechtsstreits abgewartet werden sollte.
Erfährt das mitgliedsstaatliche Berufungsgericht von der Klage vor dem deutschen Gericht, ist unter Berücksichtigung des Vertrauensprinzips davon auszugehen, dass das Berufungsgericht das Berufungsverfahren aussetzt. Erkennt erst die Berufungsinstanz das Vorliegen der vorrangigen internationalen Zuständigkeit eines anderen Gerichts, hat das ausländische Berufungsgericht das Verfahren nach Art. 27 EuGVVO bis zur rechtskräftigen Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts auszusetzen (vgl. für ein deutsches Berufungsverfahren BGH [06.02.2002] – VIII ZR 106/01 – NJW 2002, 2795 (2797)).
Die Parteien selbst haben es damit in der Hand, die mitgliedsstaatlichen Gerichte zu koordinieren oder das schon in der Berufungsinstanz befindliche heimatstaatliche Verfahren im Interesse einer schnellen rechtskräftigen Entscheidung vorzuziehen. Der Beklagten entsteht kein Nachteil, da es in ihrem Belieben steht, das Berufungsgericht über das vorrangige deutsche Verfahren zu informieren und einen Aussetzungsbeschluss des Berufungsgerichts herbeizuführen. Das Gleiche gilt für den Kläger, wobei die Bemerkung der Prozessbevollmächtigten des Klägers, sie habe auf das mitgliedsstaatliche Berufungsverfahren keinen Einfluss, nicht nachvollziehbar ist. Es ist nicht ersichtlich, warum der Kläger nicht den Umstand einer früheren Klageerhebung noch im Berufungsverfahren einführen lassen kann.
3.3.3 Um zu verhindern, dass die Lösung des positiven Kompetenzkonflikts in einen negativen umschlägt, wurde das Verfahren ausgesetzt alternativ entweder bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in dem anderen Mitgliedsstaat oder auch nur bis zu einer Aussetzung des Verfahrens des Berufungsverfahrens im Hinblick auf das deutsche Verfahren.