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Zusammenfassung der Entscheidung Die Beschwerdeführerin wurde von einem niederländischen Gericht (NL) verurteilt, an die Beschwerdegegnerin einen Geldbetrag zu zahlen. Dieses Urteil wurde vom Landgericht Osnabrück (DE) für vollstreckbar erklärt. Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin insoweit, als das niederländische Urteil über einen gewissen Teilbetrag hinaus für vollstreckbar erklärt werden sollte. Im gleichen Urteil sei nämlich auch ein Zahlungsanspruch der Beschwerdeführerin gegen die Beschwerdegegnerin festgestellt worden. Nachdem die Beschwerdegegnerin mit ihrer titulierten Forderung gegen die Forderung der Beschwerdeführerin aufgerechnet habe, könne das niederländische Urteil nur noch wegen des überschießenden Restbetrages für vollstreckbar erklärt werden.
Das Oberlandesgericht Oldenburg (DE) entscheidet, dass die Beschwerde nicht begründet sei. Die Beschwerdeführerin könne im Klauselerteilungsverfahren nach EuGVO mit dem Erfüllungs- bzw. Aufrechnungseinwand nicht gehört werden. Derartige materielle Einwendungen seien vielmehr mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) geltend zu machen. § 12 des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG) sei im Anwendungsbereich der EuGVO nicht anwendbar. Das Gesagte gelte auch für sog. „liquide Einwendungen“, d.h. solche deren Bestehen vom Vollstreckungsgläubiger nicht bestritten wird.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Das Landgericht Osnabrück hat mit Beschluss vom 27.01.2006 ein niederländisches Urteil der Rechtsbank Z. vom 04.01.2005 für vollstreckbar erklärt, in welchem die Beschwerdeführerin verurteilt wird, der Beschwerdegegnerin 1.600 EUR nebst Zinsen sowie weitere Kosten in Höhe von 672,50 EUR zu zahlen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin, soweit das Urteil der Rechtsbank Z.über einen Betrag von 1.342,38 EUR hinaus für vollstreckbar erklärt worden ist. Sie verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass in dem gleichen Urteil zu ihren Gunsten ein ihr zustehender Anspruch nebst Zinsen gerichtet gegen die Beschwerdegegnerin tenoriert ist. Da die Beschwerdegegnerin die titulierte Forderung mit Schreiben vom 08.06.2005 aufgerechnet habe, könne nur noch wegen des überschießenden Restbetrages das Urteil für vollstreckbar erklärt werden.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Die Beschwerdeführerin kann mit dem Erfüllungs- bzw. Aufrechnungseinwand im Klauselerteilungsverfahren nach EuGVVO nicht gehört werden (Art. 45 I EuGVVO). § 12 AVAG ist im Anwendungsbereich der EuGVVO nicht anwendbar. Der Senat hält eine verordnungskonforme Restriktion des Anwendungsbereichs von § 12 AVAG für geboten (Rauscher/ Mankowski, EuZPR, Art. 45 Brüssel I VO Rn. 6 mwN; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im Europäischen Rechtsverkehr, S. 442 f.; Hub NJW 2001, 3145, 3147; MünchKomm-Gottwald, Aktualisierungsband zur 2. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rn. 7; Schlosser, EuZPR, 2. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rn. 14; Thomas-Putzo-Hüßtege, 27. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 3; a.A.: Wagner IPRax 2002, 75/83; Kropholler, EuRZPR, 8. Aufl., Art. 43 EuGVVO Rn. 27, Art. 45 Rn. 6).
Gegen die Berücksichtigung materieller Einwendungen im Klauselerteilungsverfahren nach EuGVVO spricht, dass es an zweitstaatlicher Regelungskompetenz fehlen dürfte (Mankowski aaO), dass mit dem Beschwerdeverfahren den Parteien im Vergleich zum Verfahren nach § 767 ZPO eine komplette Tatsacheninstanz genommen wird (Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, S. 281; Nelle aaO S. 444) und schließlich dass die mit der EuGVVO erstrebte Beschleunigung und Vereinfachung vereitelt würde. Dies gilt umso mehr, als die materiellen Einwendungen nach § 12 AVAG vielfach das Einfallstor für Fragen ausländischen Rechts darstellen mit der häufigen Konsequenz, dass von Amts wegen eine zeitintensive Beweisaufnahme (§ 293 ZPO) zu diesen Fragen zu veranlassen ist.
Der Senat hält es auch nicht für angezeigt, wenigstens sogenannte liquide Einwendungen im Beschwerdeverfahren zuzulassen, wie dies vermittelnd vertreten wird (OLG Düsseldorf NJW-RR 2005, 933, 934; OLG Köln, Beschluss vom 17.11.2004, 16 W 31/04; Zöller-Geimer, ZPO 25. Aufl., Art. 45 EuGVVO Rn. 1; ders. IPrax 2003, 337, 338).
Diese vermittelnde Lösung ist zwar vordergründig praktikabel, weil sie dem Beschwerdegericht gestattet, kurzerhand -nämlich bereits im Klauselerteilungsverfahren- materielle Gerechtigkeit herzustellen, ohne den Beschwerdeführer auf die Vollstreckungsgegenklage verweisen zu müssen. Sie hat allerdings einen bedeutenden Nachteil: Der Vollstreckungsschuldner ist von vornherein im Unklaren, welcher Rechtsbehelf statthaft ist. Macht man die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs davon abhängig, ob der Einwand liquide ist, ob er also vom Vollstreckungsgläubiger bestritten werden wird, muß der umsichtige Vollstreckungsschuldner schon deshalb immer vorsorglich Beschwerde einlegen (mit vollem Kostenrisiko), weil ihm ansonsten die Ausschlußwirkung des § 14 I Nr. 1 AVAG droht (vgl. Geimer IPRax 2003 aaO). Eine Normauslegung, die solche Weiterungen nach sich zieht und den Rechtsanwender, was die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs betrifft, derart im Unklaren läßt, genügt den Bedürfnissen der Praxis nicht. Dabei ist es nach Ansicht des Senates ohne Belang, ob man die Einwendungen über § 12 AVAG im Verfahren nach EuGVVO berücksichtigen will oder den Weg wählt, dem Vollstreckungsgläubiger das Rechtsschutzbedürfnis abzusprechen, sobald der Schuldner liquide Einwendungen erhebt (so OLG Köln aaO).
Hinzu kämen abwegige Konsequenzen für das Verfahren nach § 767 ZPO. Wenn man die Statthaftigkeit der Beschwerde vom Vortrag des Vollstreckungsgläubigers abhängig macht (bestreitet er, so ist die Beschwerde unstatthaft – bestreitet er nicht, so ist der Einwand liquide und die Beschwerde statthaft), müßte man konsequenterweise auch die Prüfung der Präklusion nach § 14 I Nr. 1 AVAG von diesem Vortrag abhängig machen (will man nicht insoweit bei liquiden Einwendungen komplett auf eine Abgrenzung der Rechtsbehelfe oder auf die Präklusionswirkung verzichten, vgl. Schlosser aaO). Daraus ergäbe sich für die Vorschrift des § 14 Nr. 1 AVAG in der Konstellation, dass der Schuldner auf die Beschwerde verzichtet hatte – etwa weil der Gläubiger den Erfüllungseinwand zuvor in Zweifel gezogen hatte –, die abseitige Konsequenz, dass der Vollstreckungsgläubiger im Verfahren der Vollstreckungsgegenklage die Präklusion des Einwandes gemäß § 14 Nr. 1 AVAG herbeiführen könnte, indem er vortrüge, er bestreite die Einwendung nicht bzw. hätte sie im Beschwerdeverfahren nach AVAG auch nicht bestritten.
Diese absonderliche Konsequenz spricht ebenfalls dafür, materielle Einwendungen gegen den Titel aus Gründen der Klarheit ganz aus dem Verfahren nach EuGVVO herauszuhalten.
Danach ist die Beschwerdeführerin vorliegend auf eine etwaige Klage nach § 767 ZPO zu verweisen.