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Zusammenfassung der Entscheidung Der deutsche Kläger ist bei einem Verkehrsunfall in den Niederlanden geschädigt worden. Daraufhin hat er gegen die niederländische Haftpflichtversicherung seines Unfallgegners vor einem deutschen Gericht Klage auf Schadensersatz erhoben.
Das Oberlandesgericht Köln (DE) findet, dass die deutschen Gerichte ihre internationale Zuständigkeit auf Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b) EuGVO stützen können. Gemäß Artikel 11 Abs. 2 EuGVO ist auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, Art. 9 EuGVO anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist. Dies sei nach deutschem Recht der Fall. Art. 9 Abs. 1 lit. b) EuGVO finde somit auf den Geschädigten entsprechend Anwendung und eröffne für ihn einen Klägergerichtsstand gegen den Versicherer an seinem Wohnort. Diese Auslegung entspreche sowohl dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers als auch der Entstehungsgeschichte und dem Zweck des Art. 11 Abs. 2 EuGVO, der darin liege, den Schutz der schwächeren Partei zu stärken.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte, die niederländische Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 28.12.2003 in den Niederlanden auf der A 76 zwischen Maastricht und Aachen ereignete.
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27.04.2005, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, wegen fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte als unzulässig abgewiesen.
Gegen das ihm am 28.04.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Er ist nach wie vor der Rechtsauffassung, dass sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Artikel 11 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 1 b EuGVVO ergebe.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Aachen vom 27.04.2005 zu verurteilen, an ihn 3.098,61 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe:
II. Die Voraussetzungen für ein Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Klage liegen vor, da die Parteien über die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte streiten.
Entgegen der Rechtsauffassung des Amtsgerichts ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu bejahen. Sie ist aus Artikel 11 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 1 b EUGVVO herzuleiten.
Gemäß Artikel 11 Absatz 2 EuGVVO ist auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, u. a. Artikel 9 EuGVVO anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage – wie auch vorliegend (vgl. Artikel 7 Nr. 2 WAM-Gesetz über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vom 30.05.1963) – zulässig ist. Die Verweisung bedeutet nach Rechtsauffassung des Senates, dass Artikel 9 Absatz 1 b EuGVVO auf den Geschädigten entsprechend anwendbar sein soll, was zur Folge hat, dass er die Direktklage an seinem eigenen Wohnsitz erheben kann.
Diese Auslegung entspricht dem ausdrücklichen Willen des europäischen Verordnungsgebers und ist mit dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie deren Zweck und Entstehungsgeschichte vereinbar.
Der Wille des Verordnungsgebers kommt eindeutig in der Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11.05.2005 zum Ausdruck. Hiernach wird u. a. die Richtlinie 2000/26/EG vom 16.05.2000 (zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ...) geändert und um folgende Erwägung ergänzt: „(16 a): Nach Artikel 11 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 1 b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen kann der Geschädigte den Haftpflichtversicherer in dem Mitgliedsstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, verklagen.“ Der Entwurf dieser legislativen Entschließung des Europäischen Parlamentes stammt von dem Ausschuss für Recht und Binnenmarkt, in dessen Bericht vom 10.10.2003 – A 5-0346/2003 – die entsprechende Änderung der vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie vom 16.05.2000 damit begründet wurde, dass nach der am 22.12.2000 verabschiedeten EuGVVO für den Geschädigten in dem Mitgliedsstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, ein Gerichtsstand gegen den Haftpflichtversicherer begründet worden sei und es deshalb erforderlich erscheine, auf diese „neue Rechtslage“ in einer Erwägung hinzuweisen.
Dieser nachträglich geäußerte Wille des Verordnungsgebers steht im Einklang mit Sinn und Zweck der gegenüber dem EuGVÜ geänderten Vorschriften der EuGVVO. In Artikel 9 Absatz 1 b EuGVVO wurde im Bereich der Versicherung die Zuständigkeit des Gerichts an dem Ort, an dem der Kläger seinen Sitz hat, neben dem Versicherungsnehmer auf den Versicherten und den Begünstigten ausgedehnt. Sinn und Zweck dieser Neuregelung war es, den Schutz der gegenüber dem Versicherer schwächeren Partei zu stärken (so die Begründung des Verordnungsentwurfs durch die Kommission, KOM 1999 (348) sowie der Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt vom 18.09.2000 über diesen Vorschlag – A5-0346/2003). Der Schutz der schwächeren Partei rechtfertigt aber gleichermaßen auch bei Klagen des Unfallopfers die Einräumung eines Klägergerichtsstandes, da sich dieses ebenfalls gegenüber dem Versicherer in einer schwächeren Position befindet und bei einem Unfall im Ausland besonders schutzbedürftig ist.
Der Wille des europäischen Verordnungsgebers, wie er ihn in der fünften Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, wird von dem Wortlaut des Artikel 11 Absatz 2 EUGVVO auch gedeckt und kommt in ihm objektiviert zum Ausdruck. Die Verweisung auf die Vorschrift des Artikel 9 EUGVVO kann nach allgemeinen methodischen Grundsätzen auch ohne eine ausdrückliche Anordnung in dem Sinn verstanden werden, dass Artikel 9 Absatz 1 b auf den Geschädigten entsprechend anwendbar sein soll.
Da nach Artikel 20 Absatz 3 GG die Rechtsprechung „an Gesetz und Recht gebunden“ ist, darf der Senat sich nunmehr nach Veröffentlichung der Richtlinie 2005/14/EG vom 11.05.2005 über den eindeutigen Willen des Europäischen Parlamentes und des Rates, wie er im Wortlaut des Artikel 11 Absatz 2 EUGVVO zum Ausdruck kommt, nicht hinwegsetzen. Entgegen der bisherigen herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7. Aufl., Artikel 11 Rn. 4; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Artikel 11 Rn. 16; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 5. Aufl., § 3 Rn. 101) legt der Senat deshalb Artikel 11 Absatz 2 EUGVVO dahingehend aus, dass die Vorschrift des Artikel 9 Absatz 1 b EUGVVO auf den Geschädigten entsprechend Anwendung findet und für diesen einen Klägergerichtsstand an seinem Wohnort begründet (im Ergebnis ebenso Riedmeyer DAR 2004, 205; Lemor/Becker DAR 2004, 205).
Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 ZPO.