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Zusammenfassung der Entscheidung Die italienische Klägerin und der italienische Beklagte waren miteinander verheiratet, lebten jedoch dauernd voneinander getrennt. Aus ihrer Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Der Beklagte war bei einem Unternehmen in Deutschland tätig. Die Klägerin war in Italien wohnhaft. Auf Antrag der Parteien hat ein italienisches Gericht die Scheidung ihrer Ehe ausgesprochen, die drei Kinder der Klägerin anvertraut und den Beklagten verurteilt, für die Klägerin und die drei Kinder Unterhalt zu zahlen. Später hat die Klägerin bei einem deutschen Gericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel beantragt, den Beklagten zur Zahlung eines Trennungsunterhalts zu verurteilen.
Das Oberlandesgericht Zweibrücken (DE) findet, dass die deutschen Gerichte gemäß Art. 2 EuGVÜ international zuständig seien. Dieser Vorschrift nach können Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates verklagt werden. Der Beklagte habe gemäß § 7 Abs. 1 BGB einen Wohnsitz in Deutschland begründet, weil er ständig bei einem deutschen Unternehmen erwerbstätig sei und somit den räumlichen Schwerpunkt seiner gesamten Lebensverhältnisse in Deutschland habe. Die Tatsache, dass er auch in Italien einen Wahlwohnsitz habe, ändere daran nichts, weil nach § 7 Abs. 2 BGB der Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen könne.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Parteien, beide italienische Staatsangehörige, sind miteinander verheiratet, leben jedoch dauernd voneinander getrennt. Aus ihrer Ehe sind drei Kinder im derzeitigen Alter von 11, 9 und 4 Jahren hervorgegangen. Der Verfügungsbeklagte (nachfolgend: Beklagter) ist bei der Firma B. AG in L. am Rhein tätig und verfügt über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen (einschließlich sämtlicher Zulagen) in Höhe von 2.800,‑ DM. Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) ist nicht berufstätig.
Durch Urteil des Landgerichts Nuoro (Italien) vom 13.11.1985 ist (unter anderem) die persönliche Trennung der Parteien ausgesprochen, sind die drei Kinder der Klägerin anvertraut und ist der Beklagte verurteilt worden, für die Klägerin und die drei Kinder einen Unterhalt von insgesamt 600.000 Lire zu zahlen.
Die beiden älteren Kinder der Parteien leben derzeit in einem Internat in Como (Italien); hierfür zahlt der Beklagte Internatskosten in Höhe von umgerechnet 420,‑ DM und 441,‑ DM, insgesamt also 861,‑ DM. Die Klägerin, die bei Erlaß des oben bezeichneten Urteils des Landgerichts Nuoro in D. (Italien) wohnhaft war, hielt sich bei Stellung des vorliegenden Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung mit dem jüngsten Kind der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie bezieht laut Bescheid des Sozialamtes M. seit dem 20. Oktober 1987 für sich und das bei ihr lebende Kind Sozialhilfe in einer Gesamthöhe von 1.223,‑ DM, wovon 600,‑ DM auf Miete einschließlich Nebenkosten entfallen.
Mit Antrag vom 10. November 1987 hat die Klägerin den Erlaß einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel beantragt, den Beklagten zur Zahlung eines Trennungsunterhalts von 595,‑ DM monatlich für sie selbst und von 295,‑ DM monatlich für die jüngste Tochter R. F. zu verurteilen. Der Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Ludwigshafen a. Rhein hat mit Urteil vom 22. Dezember 1987 dem Verfügungsantrag weitgehend entsprochen und den Beklagten verurteilt, an die Klägerin ab November 1987 für die Dauer von sechs Monaten jeweils monatlich im voraus einen Trennungsunterhalt von 595,‑ DM und einen Kindesunterhalt von 260,‑ DM für die Tochter R. F. zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen dieses seinen erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 18. Januar 1988 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner am 18. Februar 1988 eingegangenen und zugleich begründeten Berufung, mit der er eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung erstrebt. Er ist der Auffassung, daß die Regelung des Unterhalts durch das Landgericht Nuoro einer einstweiligen Verfügung entgegenstehe, da die Klägerin die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung dieser Entscheidung ohne weiteres erreichen könne, daß weiterhin lediglich eine Abänderung dieses italienischen Urteils in Betracht komme und daß es letztlich an einem Verfügungsgrund fehle, weil die Klägerin in der maßgeblichen Zeit für sich und das jüngste Kind Sozialhilfe der Stadt M. bezogen habe. Im übrigen sei die Klägerin seit geraumer Zeit wieder nach Italien verzogen und wohne dort zusammen mit dem jüngsten Kind mietfrei in einer den Parteien gehörenden Eigentumswohnung.
Er beantragt, den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungsbeantwortung und weist insbesondere darauf hin, daß in dem Urteil des Landgerichts Nuoro lediglich ein Gesamtunterhalt festgesetzt, dieser also nicht auf die einzelnen Unterhaltsberechtigten aufgeteilt worden sei und daß der Beklagte hinreichenden Unterhalt bisher nicht zur Verfügung gestellt habe. Sie ist der Auffassung die Sozialhilfeleistungen ließen wegen ihres subsidiären Charakters einen Verfügungsgrund nicht entfallen.
Auf den weitergehenden Inhalt der Schriftsätze der Parteien wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist verfahrensrechtlich (§§ 516, 518, 519 ZPO) nicht zu beanstanden und führt in der Sache zu dem angestrebten Erfolg. Der Antrag der Klägerin auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist zurückzuweisen, da es – ungeachtet sonstiger rechtlicher und tatsächlicher Zweifelsfragen – jedenfalls an einem Verfügungsgrund mangelt. Im einzelnen gilt folgendes:
Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits, die mit Rücksicht auf die italienische Staatsangehörigkeit beider Parteien in jedem Rechtszug von Amts wegen zu prüfen ist, ist gegeben. Gemäß Art. 2 des EG-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 dem der Bundestag durch Gesetz vom 24. Juli 1972 zugestimmt hat (BGBl. 1972 II 773) und das für die Bundesrepublik Deutschland und für Italien am 1. Februar 1973 in Kraft getreten ist (BGBl. 1973 II 60), können Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates verklagt werden. Da der Beklagte ständig bei der Fa. B. AG in L. am Rhein erwerbstätig war und ist, kann nicht zweifelhaft sein, daß er den räumlichen Schwerpunkt seiner gesamten Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland und damit hier einen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 BGB begründet hat. Dabei steht der Umstand, daß er ausweislich des Urteils des Landgerichts Nuoro am dortigen Gerichtsort (bei der Kanzlei seines damaligen Prozeßbevollmächtigten) einen Wahlwohnsitz hatte, dem Vorhandensein eines Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen, da gemäß § 7 Abs. 2 BGB der Wohnsitz gleichzeitig an mehreren Orten bestehen kann.
Die prozessualen Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung richten sich nach dem deutschen Verfahrensrecht, und zwar unabhängig davon, daß beide Parteien italienische Staatsangehörige sind und deshalb die Anwendung des materiellen italienischen Rechts hinsichtlich der streitgegenständlichen Unterhaltsansprüche in Betracht kommt – vgl. Art. 18 Abs. 4 Satz 2 EGBGB und Art. 4 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht vom 2. Oktober 1973, dem der Bundestag durch Gesetz vom 25. Juli 1986 zugestimmt hat (BGBl. 1986 II 837), und das für Italien am 1. Januar 1982 und für die Bundesrepublik Deutschland seit 1. April 1987 in Kraft getreten ist (BGBl. II 225). Denn maßgeblich ist grundsätzlich das Verfahrensrecht des Urteilsstaates (vgl. statt vieler BGH NJW 1985, 552), wie es auch in Art. 27 der einleitenden Bestimmungen zum italienischen Zivilgesetzbuch für den italienischen Rechtsbereich festgelegt ist.
Hiervon ausgehend ist der vom Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. FamRZ 1985, 928) vertretene Standpunkt maßgebend, daß im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß § 940 ZPO bei bestehender Unterhaltspflicht die Zahlung von Barunterhalt insoweit – aber auch nur insoweit – verlangt werden kann, als dies zur Abwendung einer bestehenden oder eintretenden, auf andere Weise nicht zu beseitigenden dringenden Notlage unbedingt erforderlich ist. An einer derartigen Notlage und damit an einem Verfügungsgrund fehlt es, wenn der Bedürftige für den in Betracht kommenden Zeitraum Sozialhilfe bezogen hat bzw. bezieht. Mit dieser Auffassung befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Saarbrücken FamRZ 1986, 185; OLG Schleswig SchlHA. 1986, 61; OLG Celle FamRZ 1987, 395; OLG Koblenz FamRZ 1987, 726 – für die rechtlich gleich zu behandelnde Arbeitslosenhilfe –; OLG Düsseldorf – 5. Familiensenat – FamRZ 1987, 1059; OLG Oldenburg FamRZ 1987, 1163 – mit der Einschränkung, daß der Unterhaltszeitraum noch nicht abgelaufen sein darf –; a. A. OLG Düsseldorf – 3. Familiensenat – FamRZ 1987, 1059; OLG Frankfurt FamRZ 1987, 1164) und der Literatur (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 15. Aufl., Anm. 8 c aa zu § 140; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 45. Aufl., Anm. 3 B zu § 940, Stichwort: „Ehe, Familie“).
Die Klägerin hat durch Vorlage eines Bescheides des Sozialamtes M. dargetan, daß sie ab dem 20. Oktober 1987 für sich und das bei ihr lebende Kind R. F. eine monatliche Sozialhilfe von 1.223,‑ DM bezogen hat; mangels gegenteiliger Darstellung ist davon auszugehen, daß die Zahlung dieser monatlichen Sozialhilfe auch noch im April 1988 erfolgt ist und damit den gesamten im vorliegenden Fall in Frage stehenden Zeitraum von November 1987 bis April 1988 umfaßt. Die gezahlten Beträge sind ausreichend, den notwendigen Unterhalt sowohl der Klägerin als auch der bei ihr lebenden Tochter R. F. zu decken; dieser Bedarf ist nach der ständigen Praxis des Senats auf 750,‑ DM monatlich für einen erwachsenen Haushaltungsvorstand und auf den Regelbedarf nach der Regel-Unterhalts-Verordnung vom 27. Juni 1970, mithin für das noch nicht sechsjährige Kind R. F. auf 228,‑ DM monatlich, zu beziffern.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist sonach wegen des aus den vorgenannten Gründen fehlenden Verfügungsgrundes zurückzuweisen. Damit kann dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt Unterhaltsansprüche des bei ihr lebenden Kindes eigenen Namens geltend machen kann, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Urteil des Landgerichts Nuoro vom 13. November 1985, in dem bereits eine Unterhaltsregelung getroffen worden ist einer erneuten Verurteilung des Beklagten entgegensteht sowie nach welchem materiellen Recht etwaige Unterhaltsansprüche der Klägerin und des ehegemeinschaftlichen Kindes zu beurteilen sind.