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Zusammenfassung der Entscheidung Der deutsche Kläger und der französische Beklagte haben in Deutschland einen Kaufvertrag abgeschlossen. Die Parteien haben vereinbart, dass dem Beklagten, für den Fall, dass er die verkaufte Ware am Sitz des Klägers abholen und in bar bezahlen sollte, ein Rabatt zu gewähren sei. Der Kläger hat dem Beklagten eine Rechnung mit Einräumung des Rabatts geschickt. Der Beklagte hat dem Kläger mitgeteilt, dass er die Ware zu einem späteren Zeitpunkt abholen werde. Daraufhin antwortete der Kläger, dass er nach Ablauf dieser Zeit gezwungen sei, den versprochenen Rabatt zu streichen. Der Beklagte hat die Ware weder abgeholt noch bezahlt. Der Kläger klagt nunmehr gegen den Beklagten vor einem deutschen Gericht auf Zahlung des Kaufpreises.
Das Oberlandesgericht Stuttgart (DE) findet, dass die deutschen Gerichte gemäß Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ international zuständig seien. Für die Bestimmung dieses Gerichtsstandes sei der Erfüllungsort derjenigen vertraglichen Verpflichtung maßgebend, die den Streitgegenstand der Klage bilde, im vorliegenden Fall also die Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises. Der Erfüllungsort i.S.v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ bestimme sich nach dem Recht, das nach den Kollisionsnormen des angerufenen Gerichts auf die streitige Vertragspflicht anzuwenden sei. Dies sei hier das deutsche Recht. Danach sei bei Zug-um-Zug-Leistungen i.d.R. wegen der Natur des Schuldverhältnisses ein gemeinsamer Erfüllungsort gegeben. Als solcher sei der Ort zu bestimmen, wo die vertragscharakteristische Verpflichtung zu erfüllen sei. Dies sei vorliegend die Übergabe der Ware, die vereinbarungsgemäß am Sitz des Klägers in Deutschland stattfinden müsse.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Der Kläger hatte am 23. September 1979 mit der Beklagten, einer Handelsgesellschaft französischen Rechts, in Stuttgart einen schriftlichen Kaufvertrag über mehrere Grillgeräte zum Gesamtpreis von 5.834 DM abgeschlossen. Der Vertrag enthielt den handschriftlichen Vermerk:
„Wird abgeholt ab Januar 80 Februar 80 – bei Abholung DM bar abzüglich 20 % Barrabatt“
Nachdem der Kläger unter dem Datum vom 25. Januar 1980 der Beklagten mit Einräumung eines „Abholungs- und Barrabatts“ von 20 % eine Rechnung über 4.668 DM übersandt hatte, entschuldigte sich die Beklagte mit Schreiben vom 19. März 1980 für die versäumte Abholung der Geräte im Februar und versprach die Abholung für den Monat April. Mit Schreiben vom 4. April 1980 teilte der Kläger mit, wenn die Ware nicht bis 30. April 1980 abgeholt werde, sei er gezwungen, den Abholungs- und Barrabatt von 20 %, einen „ausgesprochenen Winterrabatt“, zu streichen. Trotz dieses Schreibens hat die Beklagte die Grillgeräte bis heute weder bezahlt noch abgeholt.
Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage vorgetragen:
Die vertraglich übernommene Verpflichtung der Beklagten, die Ware in Stuttgart abzuholen und bei Abholung bar zu bezahlen, bestimme auch hinsichtlich der Kaufpreisschuld Stuttgart als Erfüllungsort, weshalb das Landgericht Stuttgart für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig sei. Für die Gewährung des Rabatts bestehe keine Grundlage mehr, weil die geschuldete Barzahlung nicht geleistet worden sei.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.834 DM zu zahlen, Zug um Zug gegen Abholung folgender Waren: 2 Kamin-Grill, Nr. 51050, 1 Grill-Küche, komplett mit Zubehör, Grill- und Brotzeitwagen, komplett mit Zubehör und Elektromotor.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat zur Begründung ihres Antrages ausgeführt: Mangels Vereinbarung eines Erfüllungsortes für die Kaufpreisschuld sei der geltend gemachte Zahlungsanspruch am Wohnsitz der Beklagten zu erfüllen und daher die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zu verneinen. Eine Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises bestehe nicht. Nach Abschluß des Vertrages habe die Beklagte darauf hingewiesen, daß eine französische Firma die Ware nur bezahlen könne, wenn sie im Besitz der Verzollungspapiere sei. Mit dem Angebot, die Geräte sofort nach Erhalt dieser Papiere zu zahlen, habe sich der Kläger nicht einverstanden erklärt.
Durch Urteil vom 31. Oktober 1980, auf das Bezug genommen wird, hat das Landgericht Stuttgart die Klage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, für die Entscheidung des Rechtsstreits sei die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht gegeben. Gegen dieses von Amts wegen am 4. November 1980 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. November 1980 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsschrift ist am 17. Dezember 1980 beim Oberlandesgericht Stuttgart eingegangen.
Die Parteien wiederholen die im ersten Rechtszug gestellten Anträge mit der Klarstellung seitens des Klägers, in seinem Antrag bedeute das Wort „Abholung“ soviel wie „Übergabe“. Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 543 ZPO auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig. Das Rechtsmittel erweist sich auch teilweise als begründet.
1. Die Frage, ob für den Streitfall eine Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben ist, beantwortet sich nach dem Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (BGBl. 1972 II 774; EGÜbk), das für die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Frankreich in Kraft ist (Bekanntmachung vom 12. Januar 1972 – BGBl. II 60). Die Anwendbarkeit dieses Übereinkommens auf den vorliegenden Fall beruht auf dem Streitgegenstand (Zivilsache) und dem Sitz der Parteien in jeweils einem der Vertragsstaaten des Übereinkommens.
Abweichend von Art. 2 EGÜbk, wonach grundsätzlich jeder vor dem für seinen Wohnsitz zuständigen Gericht zu verklagen ist, können nach Art. 5 Nr. 1 EGÜbk Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden und der Erfüllungsort in diesem Staat liegt. Für die Bestimmung dieses internationalen Gerichtsstandes ist der Erfüllungsort derjenigen Verpflichtung maßgebend, die Streitgegenstand der Klage ist, somit im vorliegenden Fall der Kaufpreisanspruch (EuGH Urteil vom 6. Oktober 1976 = NJW 77, 490).
Der Begriff des Erfüllungsortes im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EGÜbk ist nicht autonom, d.h. von der nationalen Rechtsordnung gelöst, zu qualifizieren. Vielmehr hat das mit dem Rechtsstreit befaßte Gericht das anwendbare Recht nach seinen Kollisionsnormen zu ermitteln und alsdann den Erfüllungsort der streitigen vertraglichen Verpflichtung nach diesem Recht zu bestimmen (EuGH Urteil vom 6. Oktober 1976 = NJW 77, 491). Diese Ermittlung führt, wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, unter Berücksichtigung des hypothetischen Parteiwillens und des Schwerpunktes des Vertragsverhältnisses im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Anwendung des materiellen deutschen Rechts. Zu diesem Recht gehört im vorliegenden Fall nicht das Einheitliche Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 17. Juli 1973 (BGBl. 1 856), das von der Republik Frankreich bislang nicht ratifiziert wurde und nur Anwendung findet, wenn beide Vertragsparteien in einem Vertragsstaat eine Niederlassung haben.
2. Entsprechend den vorstehenden Ausführungen ist zur Bestimmung des Erfüllungsortes auf § 269 BGB zurückzugreifen, wonach die Leistung an dem Ort zu erfolgen hat, an welchem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte, sofern ein anderer Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist. Die Frage, wo zu leisten ist, muß grundsätzlich für jede einzelne Verpflichtung gesondert beantwortet werden, denn die Einheitlichkeit eines Schuldverhältnisses indiziert nicht zugleich die Einheit des Leistungsortes. Das gilt trotz der besonders engen Verbindung der beiderseitigen Ansprüche auch beim gegenseitigem Vertrag.
a) Die nach § 269 BGB gebotene Prüfung einer Parteivereinbarung über den Leistungsort entfällt nicht etwa gemäß § 29 ZPO, wonach eine Vereinbarung über den Erfüllungsort die Gerichtszuständigkeit nur begründet, wenn die Vertragsparteien Kaufleute sind, die nicht zu den in § 4 HGB bezeichneten Gewerbetreibenden gehören. Nach Sachlage muß davon ausgegangen werden, daß beide Vertragsparteien Vollkaufleute sind. Diese Frage kann jedoch dahinstehen, denn tatsächlich kann eine Parteivereinbarung über den Erfüllungsort nicht festgestellt werden.
Die Vertragsbestimmung „wird abgeholt ab Januar Februar 1980 – bei Abholung bar DM abzüglich 20 % Barrabatt“ ist insofern eindeutig, als die Verpflichtung der Beklagten zur Abholung der Ware in Stuttgart an keinerlei Bedingung geknüpft ist, somit der Erfüllungsort S für die Leistung des Klägers (als Verkäufer) feststeht. Dagegen kann, wie das Landgericht zutreffend begründet, nicht der Vereinbarung entnommen werden, die Verpflichtung der Beklagten (als Käuferin) zur Zahlung des Kaufpreises sei ebenfalls in Stuttgart zu erfüllen. Nach der negativen Auslegungsregel des § 269 Abs. 3 BGB ist allein aus der Vertragspflicht des Schuldners zur Übersendung der Leistung nicht zu schließen, daß der Bestimmungsort auch der Erfüllungsort ist. Zudem bestimmt § 270 Abs. 4 BGB positiv, daß die gesetzliche Übersendungspflicht bei Geldschulden für die Bestimmung des Erfüllung ortes außer Betracht bleibt. Es wurde somit nur eine Vereinbarung über die Art und Weise getroffen, in der die Beklagte ihre Verpflichtung zur Übermittlung des Geldes entsprechen sollte. Diese Wertung des Parteivortrages steht im übrigen in Einklang mit der Rechtsprechung, wonach die Abrede „zahlbar in“ keine Erfüllungsortvereinbarung ist (vgl. Palandt, § 269 Anm. 4).
b) Aus der fehlenden Parteivereinbarung über den Erfüllungsort der geschuldeten Kaufpreiszahlung kann jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht schon geschlossen werden, als Erfüllungsort habe der Wohnsitz der Beklagten zu gelten. Vielmehr setzt dieser Rückgriff die Prüfung voraus, ob sich nicht aus der Natur des Schuldverhältnisses Stuttgart als Erfüllungsort ergibt.
Mangels Vereinbarung einer Vorleistungspflicht sind gemäß §§ 320, 322 BGB die beiderseits geschuldeten Leistungen nur Zum um Zug zu erbringen.
Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ist bei Zug-um-Zug-Leistungen in der Regel wegen der Natur des Schuldverhältnisses ein gemeinsamer Erfüllungsort gegeben. Als Erfüllungsort ist der Ort zu bestimmen, wo diejenige Verpflichtung zu erfüllen ist, welcher nach dem Inhalt des Vertrages die größere Bedeutung zukommt und welche deshalb dem Vertrag das wesentliche Gepräge gibt. Wird von diesem Grundsatz ausgegangen, der im übrigen durch die Regel ergänzt wird, es sei auf den Ort abzustellen, an dem sich die herauszugebende Sache nach dem Vertrag befinde, so ist im vorliegenden Fall Stuttgart der gemeinsame Erfüllungsort für beide Vertragsparteien, denn hier ist die vertragstypische Leistung der Übergabe der Kaufsache zu erbringen, Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises (vgl. Erman, § 269 BGB Rn. 12; RGR-Komm. Rn. 17; Soergel Rn. 14; Zöller § 29 ZPO Anm. III; Stein-Jonas § 29 ZPO Anm. IV 3). Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist daher gegeben.
3. Die materiell-rechtlichen Einwendungen der Beklagten vermögen lediglich hinsichtlich des „Barrabatts“ durchzugreifen, denn es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Beklagte als Gesellschaft mit Sitz im Hoheitsgebiet des EG-Staates Frankreich gehindert sein soll, die Ware in Stuttgart bar zu bezahlen, abzuholen und beim Grenzübertritt zu verzollen. Entgegen der Auffassung des Klägers sind jedoch die Voraussetzungen für den eingeräumten Rabatt auf den Kaufpreis nicht entfallen. Es erscheint bereits fraglich, ob der getroffenen Vereinbarung im Wege der Auslegung entnommen werden könnte, daß der Rabatt entfällt, wenn die Ware nicht innerhalb einer bestimmten Frist abgeholt wird. Diese Frage kann jedoch dahinstehen. Wie dem Schreiben des Klägers vom 4. April 1980 zu entnehmen ist, handelt es sich entgegen dem Wortlaut „Barrabatt“ um einen ausgesprochenen Winterrabatt, somit um eine Vergünstigung dafür, daß außerhalb der eigentlichen Verkaufssaison für Gartengrillgeräte Waren abgenommen wurden. Die Voraussetzung für dieses Entgegenkommen sind mit der verzögerten Abnahme der Geräte nicht entfallen. Die Klage war daher um 20 % des Kaufpreises zu kürzen.
Durch das Schreiben des Klägers vom 4. April 1980 wurde die Beklagte in Verzug gesetzt, weshalb der Kläger zur Geltendmachung eines Verzugsschadens berechtigt ist. Der Fälligkeit der Kaufpreisforderung steht die Zug-um-Zug-Verpflichtung nicht entgegen. Ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB hindert zwar bereits durch sein objektives, bloßes Bestehen den Eintritt des Schuldnerverzuges. Diese Wirkung tritt jedoch nicht ein, wenn der Kläger die von ihm geschuldete Leistung am Erfüllungsort in der Weise anbietet, daß die Annahme der Leistung nur noch vom Willen des Schuldners abhängt (§ 294 BGB). Diese Voraussetzung ist gegeben. Selbst das im Schreiben vom 4. April 1980 enthaltene wörtliche Angebot hätte ausgereicht, weil die Ware in Stuttgart abzuholen ist (§ 295 BGB). Verzugszinsen konnten jedoch nur in der gesetzlichen Höhe von 5 % (§ 253 HGB) zugesprochen werden, weil der Kläger höheren Verzugsschaden nicht dargelegt hat.