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Zusammenfassung der Entscheidung Die Beklagten sind Eigentümer einer Wohnung in Cannes (FR). Anlässlich eines Rechtsstreits kam es zwischen den Parteien zu einem Vergleich. Darin waren sich die Parteien einig, dass das Eigentum an der Wohnung auf den Kläger übergehe. In Vollzug des Vergleichs übertrugen die Beklagten die Wohnung auf den Kläger. Im vorliegenden Rechtsstreit ist unstreitig, dass der Vergleich nichtig ist. Die Beklagten verlangen deshalb mit der Widerklage Nutzungsentschädigung für die Wohnung. Der Kläger ist der Auffassung, dass für die Widerklage die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts nicht gegeben sei.
Das Oberlandesgericht Frankfurt (DE) legte dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage vor: Werden von den in Art. 16 Nr.1 EuGVÜ geregelten Materien auch die Fragen des Ausgleichs für gezogenen Nutzungen einer Wohnung nach einer gescheiterten Eigentumsübertragung erfasst? Die Nutzungsentschädigungsansprüche könnten sich einerseits aus der schuldrechtlichen Rückabwicklung des gescheiterten Vergleichs ergeben, andererseits könnten sie nach den Grundsätzen über das „Eigentümer-Besitzer-Verhältnis“ geschuldet sein. Diese Rechtsfolgen könnten sich also als Ausfluss der Nutzung dinglicher Rechte an einer unbeweglichen Sache darstellen. Es sei nicht eindeutig, ob der Begriff „dingliche Rechte“ im Sinne des Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ auch die oben genannten Entschädigungsansprüche erfasse. Gegen eine Anwendung des Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ spreche, dass die Norm eng auszulegen sei und ihr Wortlaut nicht ohne weiteres auf diese Konstellation passe. Die ausschließliche Zuständigkeit für Streitigkeiten über dingliche Rechte werde unter anderem aber damit begründet, dass diese Streitigkeiten häufig Nachprüfungen, Untersuchung und Sachverständigengutachten an Ort und Stelle erforderliche machten. Damit spreche der Sinn und Zweck der Norm dafür sie auf alle Fälle auszudehnen, in denen Nutzungsentschädigung als Ausfluss eines dinglichen Rechts verlangt werde.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Das Verfahren war auszusetzen, da gemäß Art. 2 Nr. 2 und 3 Nr. 2 des Protokolls vom 03.06.1971 über die Auslegung des EuGVÜ (BGB1. II 846, in Kraft seit 01.09.1975) eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes über die Auslegung des Art. 16 Ziff. 1 EuGVÜ einzuholen ist. Es bestehen nämlich vernünftige Zweifel daran, ob Art. 16 EuGVÜ auf den Streitgegenstand der Widerklage anzuwenden ist oder nicht.
Der Vorlage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Beklagten sind Eigentümer einer Penthouse-Wohnung in Cannes. Anläßlich eines Rechtsstreits vor dem Landgericht Frankfurt am Main kam es zwischen den Parteien am 27.04.1978 zu einer außergerichtlichen Vereinbarung. Unter anderem heißt es darin, daß die Parteien darüber einig seien, daß das Eigentum der Beklagten an der den Beklagten gehörenden Penthouse-Wohnung in Cannes auf den Kläger übergehe. In Vollzug dieses außergerichtlichen Vergleiches übertrugen die Beklagten die Wohnung auf den Kläger, der diese in der Zeit vom 01.06.1978 bis 30.04.1987 in Besitz hatte. Nunmehr verlangen die Beklagten im Rahmen des anhängigen Rechtsstreites mit der Widerklage, die allein Gegenstand des Vorlagebeschlusses ist, Nutzungsentschädigung für die Wohnung, da der außergerichtliche Vergleich vom 27.04.1987 wie zwischen den Parteien unstreitig ist – gemäß den §§ 313, 125 BGB nichtig ist. Die Beklagten beziffern die monatliche Nutzungsentschädigung mit 5.000 DM.
Das Landgericht Frankfurt hat u.a. der Widerklage nach Einholung eines Gutachtens eines französischen Sachverständigen über den Nutzungswert der Penthouse-Wohnung in Cannes in Höhe von 200.791,78 DM stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen.
Der Kläger greift mit seiner Berufung u.a. die Entscheidung des Landgerichts zur Widerklage an und beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt die Widerklage abzuweisen.
Demgegenüber beantragen die Beklagten im Wege der Anschlußberufung,
dem Kläger unter Abänderung und Neufassung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19.10.1989 zur Zahlung von 353.496,31 DM nebst 12,5 % Zinsen aus 174.995,71 DM seit dem 22.12.1982, 12,5 % Zinsen aus 40.739,17 DM seit dem 14.12.1987, 12,5 % Zinsen aus 40.255,57 DM seit dem 15.12.1988 sowie 12,5 % Zinsen aus 97.505,86 DM seit 06.03.1990 an die Beklagten zu verurteilen.
Die Beklagten greifen das landgerichtliche Urteil an, sofern die Widerklage abgewiesen wurde. Sie beanstanden u.a., daß das Landgericht den von dem französischen Gutachter genannten Betrag in französischen Franken falsch umgerechnet habe.
Der Kläger beantragt,
die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist der Auffassung, daß nach Art. 16 Ziff. 1 EuGVÜ die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts für die Widerklage nicht gegeben sei. Das eingeholte Gutachten über den Nutzungswert der Wohnung in Cannes sei unverwertbar. Der Kläger beruft sich hinsichtlich der Widerklageforderung zudem auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen seiner Verwendungen auf die Wohnung und wegen seiner im Zusammenhang mit dem Vollzug des nichtigen Vergleiches aus dem Jahre 1978 erbrachten, nicht mehr rückabwickelbaren Vorleistungen.
Die Entscheidung über die Widerklage hängt zunächst davon ab, ob die Zuständigkeitsregelung des Art. 16 Ziff. 1 EuGVÜ einschlägig ist oder nicht.
Nach Art. 16 Ziffer 1 EuGVÜ sind bei Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Staates ausschließlich zuständig, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Dies bedeutet, daß bei Eingreifen des Art. 16 Ziff. 1 EuGVÜ für die Widerklage ausschließlich ein französisches Gericht zur Entscheidung berufen wäre. Ob Art. 16 Ziff. 1 den Streitgegenstand der Widerklage erfaßt, erscheint zweifelhaft. Mit der Widerklage machen die Beklagten Nutzungsentschädigung für die Nutzung einer Wohnung geltend, die ursprünglich auf den Nutzer zu Eigentum übertragen werden sollte. Zu dieser Eigentumsübertragung ist es letztlich nicht gekommen, da der Übertragungsvertrag gemäß den §§ 125, 313 BGB nichtig ist. Die Nutzungsentschädigungsansprüche der Beklagten können sich einerseits aus der schuldrechtlichen Rückabwicklung dieses gescheiterten Vertrages ergeben, andererseits kann die Nutzungsentschädigung im Rahmen einer Nutzung eines in fremden Eigentum stehenden Wohnungsbesitzes nach den Grundsätzen über das „Eigentümerbesitzerverhältnis“ geschuldet sein. Diese Rechtsfolgen könnten sich also auch als Ausfluß der Nutzung dinglicher Rechte an einer unbeweglichen Sache darstellen und zudem nach mietähnlichen Grundsätzen zu berechnenden Schadensersatz vorsehen. Allerdings paßt der Wortlaut des Art. 16 Ziff. 1 EuGVÜ nach deutschem Rechtsprachegebrauch nicht ohne weiteres auf die vorliegende Konstellation. Insbesondere ist es nicht eindeutig, ob der Begriff dingliche Rechte in Art. 16 Ziff. 1 EuGVÜ auch Nutzungsentschädigungsansprüche erfaßt, die aus der Nutzung eines in fremden Eigentum stehenden Wohnungsbesitzes erwachsen. Da die ausschließliche Zuständigkeit für Streitigkeiten über dingliche Rechte u.a. damit begründet wird, daß diese Art von Rechtsstreitigkeiten häufig Nachprüfungen, Untersuchungen und Sachverständigengutachten an Ort und Stelle erforderlich mache, spricht der Sinn und Zweck des Art. 16 EuGVÜ dafür, die Zuständigkeitsregelung generell auf die Fälle auszudehnen, in denen Nutzungsentschädigung als Ausfluß eines dinglichen Rechtes, nämlich des Eigentums, verlangt wird. So zeigt denn auch der vorliegende Fall, daß die Nutzungsentschädigung nur durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die am Ort der belegenen Sache zu erzielbaren Mieten festgestellt werden kann. Da jedoch die Vorschrift des Art. 16 Ziff. 1 EuGVÜ nicht weit auszulegen ist (vgl. EuGH NJW 1992, 1029) und der Wortlaut nicht ohne weiteres die vorliegende Konstellation erfaßt, muß wegen dieser Zweifel eine Entscheidung des europäischen Gerichtshofes eingeholt werden.