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Zusammenfassung der Entscheidung Die Beklagte zu 1 war eine Privatbank mit Sitz in F. (DE); der Beklagte zu 3 war bei ihr angestellt. Die Beklagte zu 2 ist eine Bank mit Sitz in Luxemburg. Der Kläger schloss über die Beklagte zu 1 durch Vermittlung des Beklagten zu 3 mit der Beklagten zu 2 Termingeschäfte ab. Diese endeten mit Totalverlust. Der Kläger macht Schadensersatz geltend; er stützt seine Klage auf vertragliche Ansprüche wegen Aufklärungspflichtverletzung, auf unerlaubte Handlung, sowie auf ungerechtfertigte Bereicherung. Die Beklagte zu 2 rügte die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.
Der Bundesgerichtshof (DE) legt dem EuGH Fragen bezüglich der Auslegung von Art. 6 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ zur Vorabentscheidung vor. Fraglich und entscheidungserheblich sei, ob ein, und falls ja welcher, Zusammenhang zwischen den Klagen gegen mehrere Beklagte im Sinne des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ bestehen müsse. Dem deutschen Zivilprozessrecht sei eine Zuständigkeit kraft Zusammenhangs fremd und der vom EuGVÜ verfolgte Grundsatz „actor sequitor forum rei“ dürfe nicht verwässert werden. Ein Zusammenhang bestehe nach Vortrag der Beklagten zu 2 nur, wenn die Voraussetzungen des entsprechend angewandten Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ vorlägen. Nach anderer Ansicht reiche einfache Streitgenossenschaft aus, wenn es sich um denselben Lebenssachverhalt und gleichartige Ansprüche handle. Dies könnte dahinstehen, wenn sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ ergebe. Hierbei sei fraglich, ob der Begriff „unerlaubte Handlung“ vertragsautonom oder über die lex causae zu definieren sei, da dies zu unterschiedlichen Ergebnissen führen könne. Weiterhin sei fraglich, ob der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eine Annexzuständigkeit für Ansprüche aus Vertrag und ungerechtfertigte Bereicherung eröffne. Dies werde in Deutschland überwiegend verneint. Es gebe aber Stimmen, die die Eröffnung einer Annexzuständigkeit durch Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ befürworten würden.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Der Bundesgerichtshof legt gemäß Art. 3 des Protokolls vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EGÜbk) und Art. 2 des deutschen Gesetzes vom 7. August 1972 (BGBl II S. 845) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft in Luxemburg folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
I. 1. Ist Art. 6 Nr. 1 EGÜbk dahin auszulegen, daß zwischen den Klagen gegen die verschiedenen Beklagten ein Zusammenhang bestehen muß?
2. Falls die Frage zu 1 bejaht wird: Ist der für die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 zu fordernde Zusammenhang zwischen den Klagen gegen die verschiedenen Beklagten bereits gegeben, wenn die Klagen im wesentlichen tatsächlich und rechtlich gleichartig sind (einfache Streitgenossenschaft) oder ist der Zusammenhang nur anzunehmen, wenn die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, daß in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten (z.B. in den Fällen notwendiger Streitgenossenschaft)?
II. 1. Ist der Begriff „unerlaubte Handlung“ in Art. 5 Nr. 3 EGÜbk vertragsautonom zu interpretieren oder ist er nach dem jeweils anzuwendenden Recht (lex causae), das vom internationalen Privatrecht des angerufenen Gerichts festgelegt wird, zu qualifizieren?
2. Eröffnet Art. 5 Nr. 3 EGÜbk für eine auf deliktische, vertragliche und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung gestützte Klage eine Annexzuständigkeit kraft Sachzusammenhangs auch für die nicht deliktischen Klagansprüche?
Gründe:
A. I. Auf den Streitfall ist das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 anzuwenden, weil die Klage erst nach dem am 1. Februar 1973 erfolgten Inkrafttreten erhoben worden ist (Art. 54 Abs. 1 EGÜbk).
II. Auszulegen sind Art. 6 Nr. 1 und gegebenenfalls Art. 5 Nr. 3 EGÜbk.
III. Die Beklagte zu 1 war ehemals ein Privatbankhaus mit Sitz in F. Die Beklagte zu 2 ist eine Bank mit Sitz in Luxemburg; sie wurde von der Beklagten zu 1 gegründet und ist deren 100 %ige Tochtergesellschaft. Der Beklagte zu 3 war Angestellter in der Auslandsabteilung der Beklagten zu 1 und hatte Gesamtprokura.
Der Kläger schloß in der Zeit von März 1980 bis Juli 1981 durch Vermittlung des Beklagten zu 3 über die Beklagte zu 1 mit der Beklagten zu 2 Kassa- und Termingeschäfte in Silber ab und zahlte der Beklagten zu 2 dafür 344.868,52 DM. Die Termingeschäfte des Klägers endeten mit Totalverlust.
Der Kläger verlangt mit der Klage von den Beklagten als Gesamtschuldner die Zahlung von 463.019,08 DM nebst Zinsen. Er behauptet, sie hätten ihn nicht über die Risiken der Termingeschäfte aufgeklärt. Außerdem hätten sie ihm verschwiegen, daß die Beklagte zu 2 im Verhältnis zu den übrigen Brokerprovisionen Aufschläge von über 35.000 % genommen habe. Auch habe die Beklagte zu 2 keine Deckungsgeschäfte abgeschlossen. Der Kläger stützt seine Klage auf vertragliche Ansprüche wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, auf unerlaubte Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 263 StGB und § 826 BGB, weil die Beklagten ihn durch ihr Verhalten in sittenwidriger Weise geschädigt hätten; überdies stützt er seinen Anspruch auf ungerechtfertigte Bereicherung, weil die Silbertermingeschäfte als Börsentermingeschäfte unverbindlich gewesen seien und er deshalb seine als Einschüsse geleisteten Zahlungen zurückverlangen könne.
Die Beklagte zu 2 hat in allen Instanzen die internationale und die örtliche Zuständigkeit des vom Kläger angerufenen Landgerichts Frankfurt am Main gerügt.
Das Landgericht hat sich gemäß Art. 5 Nr. 3 EGÜbk aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung für international und örtlich zuständig angesehen, die Klage aber als unbegründet abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage gegen die Beklagten zu 1 und 3 bestätigt. Hinsichtlich der Klage gegen die Beklagte zu 2 hat das Berufungsgericht die internationale Zuständigkeit unter dem Gesichtspunkt des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft (Art. 6 Nr. 1 EGÜbk) als gegeben angesehen. Sachlich hat es der Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung in Höhe von 185.188,98 DM stattgegeben und im übrigen die Klageabweisung durch das Landgericht bestätigt. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, bei den Silbertermingeschäften habe es sich um Börsentermingeschäfte gehandelt. Auf diese ausländischen Geschäfte seien gemäß § 61 BörsG die Vorschriften der §§ 52 – 60 BörsG anzuwenden. Da der Kläger nicht als Kaufmann ins Handelsregister eingetragen sei, sei er nicht börsentermingeschäftsfähig. Deshalb seien die Termingeschäfte unverbindlich mit der Folge, daß der Kläger seine als Sicherheitsleistungen erbrachten Zahlungen in Höhe von 185.188,98 DM aus ungerechtfertigter Bereicherung von der Beklagten zu 2 herausverlangen könne. Weitergehende Ansprüche, insbesondere aus unerlaubter Handlung, stünden dem Kläger nicht zu.
Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Beklagte zu 2 Revision eingelegt. Der Senat hat die Revision des Klägers nicht angenommen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage gegen die Beklagten zu 1 und 3 richtet. Im übrigen sind die Revisionen der Parteien angenommen worden.
B. I. Nach Art. 6 Nr. 1 EGÜbk kann eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, auch verklagt werden, wenn mehrere Personen gemeinsam verklagt werden, vor dem Gericht, in dessen Bezirk einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat. Dies gilt gemäß Art. 53 EGÜbk auch für den Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen. Da die Beklagte zu 2 ihren Sitz in dem Vertragsstaat Luxemburg hat und die Beklagten zu 1 und 3 Sitz bzw. Wohnung in F haben, wäre nach dem Wortlaut der Vertragsbestimmung die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben. Daß die Beklagten zu 1 und 3 inzwischen aus dem Rechtsstreit ausgeschieden sind, würde daran nichts ändern, da es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Erhebung der Klage ankommt.
Das Berufungsgericht ist ohne weiteres davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Nr. 1 EGÜbk gegeben sind. Dies rügt die Revision der Beklagten zu 2. Sie macht geltend, dem deutschen Zivilprozeßrecht sei eine Zuständigkeit kraft Zusammenhangs unbekannt. Bei der deshalb gebotenen restriktiven Auslegung des Art. 6 Nr. 1 EGÜbk müsse daher darauf geachtet werden, daß der vom Brüsseler Übereinkommen verfolgte Grundsatz „actor sequitor forum rei“ nicht durch eine extensive Interpretation zum Nachteil des Beklagten verwässert werde. Unter entsprechender Anwendung von Art. 22 Abs. 3 EGÜbk bestehe daher ein Zusammenhang nur dann, wenn die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheine, um zu vermeiden, daß in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. In den Fällen notwendiger Streitgenossenschaft, die hier aber nicht vorliege, sei ein solcher Zusammenhang gegeben, nicht dagegen – wie hier – bei einfacher Streitgenossenschaft. Demgegenüber wird im Schrifttum einhellig die Ansicht vertreten, die auch der Senat für zutreffend hält, bei einfacher Streitgenossenschaft lasse sich ein Zusammenhang zwischen den verschiedenen Klagen dann bejahen, wenn es sich um denselben Lebenssachverhalt und im wesentlichen um gleichartige Ansprüche wie z.B. bei Gesamtschuldverpflichtungen handle.
Für den Erlaß des Urteils durch den Bundesgerichtshof ist es erforderlich, die eingangs gestellten Fragen zu I. 1 und 2 über die Auslegung von Art. 6 Nr. 1 EGÜbk zu entscheiden. Falls die Auslegung ergeben sollte, daß nur ein solch enger Zusammenhang der Klagen gegen die verschiedenen Beklagten wie bei der notwendigen Streitgenossenschaft den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft zu begründen vermag, kann die internationale Zuständigkeit für das vorliegende Verfahren nicht auf Art. 6 Nr. 1 EGÜbk gestützt werden, weil die Beklagten nur einfache Streitgenossen sind. Ist dagegen kein Zusammenhang zwischen den Klagen gegen die verschiedenen Beklagten notwendig oder wird der Begriff in dem vorstehend dargelegten weiteren Sinne aufgefaßt, wäre die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die mit der Klage geltendgemachten Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 zu bejahen.
II. Auf Art. 6 Nr. 1 EGÜbk und die zu dessen Auslegung gestellten Fragen käme es allerdings nicht an, wenn sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung (Art. 5 Nr. 3 EGÜbk) ergeben würde. In diesem Zusammenhang ergeben sich jedoch weitere Fragen zur Auslegung des Übereinkommens, ohne deren Klärung der Bundesgerichtshof den Rechtsstreit nicht entscheiden kann:
1. Im Schrifttum ist umstritten, ob der Begriff der „unerlaubten Handlung“ vertragsautonom zu definieren ist (Kropholler, Handbuch des internationalen Zivilprozeßrechts Bd. I S. 460 Rn. 687) oder ob darüber die maßgebliche Rechtsordnung (lex causae) entscheidet, die vom internationalen Privatrecht des angegangenen Gerichts festgelegt wird (Geimer in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung Bd. I 1. Halbbd. § 84 IV S. 616; derselbe in Zöller, ZPO 15. Aufl. Anh. II Art. 5 GVÜ Rn. 14). Von der Entscheidung dieser Frage hängt es ab, ob der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt nach deutschem Recht als unerlaubte Handlung qualifiziert werden kann. Dieses wäre nämlich bei Maßgeblichkeit der lex causae anzuwenden. Nach dem Vortrag des Klägers ist die unerlaubte Handlung jedenfalls auch in Frankfurt begangen worden. Die deliktische Haftung richtet sich nach deutschem internationalen Privatrecht grundsätzlich nach dem Recht des Tatorts. Wäre der Begriff „unerlaubte Handlung“ hingegen vertragsautonom zu bestimmen, ließe sich nicht ausschließen, daß die Qualifizierung des Vortrags des Klägers zu einem anderen Ergebnis führen könnte, da der Vorwurf der unerlaubten Handlung im wesentlichen aus der Verletzung vertraglicher Pflichten hergeleitet wird. Aus diesen Gründen ist die vorstehend unter II. 1. gestellte Frage entscheidungserheblich.
2. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es ferner darauf an, ob der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß Art. 5 Nr. 3 EGÜbk eine Annexzuständigkeit für die Ansprüche aus Vertrag und ungerechtfertigter Bereicherung eröffnet. Daß die Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung nicht zugleich die Zuständigkeit des angegangenen Gerichts zur Entscheidung über weitere Ansprüche begründet, ist seit jeher in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte anerkannt und entspricht auch heute noch der überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. Sen.Urt. v. 11. Februar 1980 – II ZR 259/78, WM 1980, 825 mwN). Der Wortlaut des Art. 5 Nr. 3 EGÜbk würde die Anwendung dieses Grundsatzes nicht ausschließen. Andererseits gibt es im einschlägigen Schrifttum Stimmen, die die Eröffnung einer Annexzuständigkeit durch Art. 5 Nr. 3 EGÜbk befürworten (Kropholler aaO S. 344 Rn. 374; Geimer in Zöller aaO Anh. II Art. 5 GVÜ Rn. 18; derselbe in IPrax 1986, 80 unter Aufgabe seiner gegenteiligen, in Geimer/Schütze aaO § 74 XII vertretenen Ansicht). Wäre diese Auffassung richtig, wären die deutschen Gerichte allein schon aufgrund der Zuständigkeit aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung auch für die Entscheidung über die Ansprüche aus Vertrag und ungerechtfertigter Bereicherung zuständig. Begründet Art. 5 Nr. 3 EGÜbk dagegen nur eine Zuständigkeit für deliktische Ansprüche, hätte das Berufungsgericht, falls nicht die Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EGÜbk begründet ist, der Klage nicht teilweise aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung stattgeben dürfen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes hängt daher auch von der Beantwortung der unter II. 2. gestellten Frage ab.