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Zusammenfassung der Entscheidung Die Klägerin verlangte in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht München I (DE) u.a. Schadensersatz von der Beklagten. Bereits vor Rechtshängigkeit dieser Klage hatte die Beklagte vor einem italienischen Gericht negative Feststellungsklage bezüglich derselben Ansprüche erhoben. Diese Klage war vor der Leistungsklage vor dem Landgericht München I zugestellt worden. Das Landgericht setzte das Verfahren unter Hinweis auf Art. 21 EuGVÜ aus. Dagegen erhob die Klägerin Beschwerde.
Das Oberlandesgericht München (DE) entscheidet, dass das Landgericht das Verfahren im Hinblick auf das in Italien rechtshängige Verfahren zu Recht gemäß Art. 21 EuGVÜ ausgesetzt habe. Beide Verfahren beträfen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH den gleichen Streitgegenstand. Die Regelung des Art. 21 EuGVÜ solle so weit wie möglich Situationen ausschließen, die Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ regele, nämlich die Nichtanerkennung einer Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung, die zwischen denselben Parteien in dem Staat, in dem die Anerkennung begehrt werde, ergangen sei. Eine solche Unvereinbarkeit könne bei einer negativen Feststellungsklage einerseits und einer Leistungsklage andererseits entstehen, da eine erfolgreiche negative Feststellungsklage das Nichtbestehen eines Leistungsanspruches feststelle, während eine erfolgreiche Leistungsklage umgekehrt das Bestehen des Anspruches aus demselben Grund feststelle. Die italienische ZPO enthalte auch keine gesetzliche Regelung, die die Abweisung einer Feststellungsklage geböte, wenn Leistungsklage erhoben werde. Eine sachliche Entscheidung über die negative Feststellungsklage sei daher nicht ausgeschlossen, so dass auch widersprüchliche Entscheidungen nicht auszuschließen seien.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten, … 322.921,81 DM. Sie stützt ihre Ansprüche auf nicht ordnungsgemäße Erfüllung eines Liefervertrags über Bekleidung und begehrt Schadensersatz bzw. macht Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend. Sie beruft sich auf einen vereinbarten Gerichtsstand in …. Die Beklagte hat vor Rechtshängigkeit dieser Klage bereits vor dem … negative Feststellungsklage bezüglich derselben Ansprüche erhoben. Die Klage war vor der Klage vor dem Landgericht München I zugestellt worden.
Die Beklagte sieht das Landgericht München I wegen Art. 21 EUGVÜ für unzuständig an. Die Klägerin ist der Meinung, die negative Feststellungsklage habe nicht den gleichen Gegenstand im Sinn des Art. 21 EUGVÜ.
Das Landgericht hat mit Beschluß vom 22.6.1993 den Rechtsstreit unter Hinweis auf Art. 21 EUGVÜ ausgesetzt. Dagegen wendet sich die Beschwerde der Klägerin.
II. Die zulässige Beschwerde, § 567 ZPO, hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat das Verfahren zu Recht nach Art. 21 EUGVÜ deshalb ausgesetzt, weil dieselbe Sache vor dem … rechtshängig war.
1. Die Rechtshängigkeit vor dem … Gericht ist zweifelsfrei vor der Rechtshängigkeit der vorliegenden Klage eingetreten. Beide Rechtsstreitigkeiten werden auch von den selben Parteien geführt.
2. Auch wenn man davon ausgeht, daß der EuGH in der Rechtssache 144/86 Gubisch/Palumbo, NJW 89, 665 den Fall der vorgängigen negativen Feststellungsklage nicht entschieden hat, weil sie den Fall betraf, daß zunächst Leistungsklage auf Vertragserfüllung und danach Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags erhoben wurde, so ergeben doch die allgemeinen Grundsätze, die der EuGH aufgestellt hat, daß beide Verfahren den gleichen Streitgegenstand im Sinn des Art. 21 EUGVÜ betreffen. Der EuGH legt die Voraussetzung insofern vertragsautonom aus. Er stellt darauf ab, daß die Regelung soweit wie möglich von vornherein die Situation ausschließen soll, wie sie in Art. 27 Nr. 3 EUGVÜ geregelt ist, nämlich die Nichtanerkennung einer Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung die zwischen denselben Parteien in dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist.
Eine erfolgreiche negative Feststellungsklage stellt fest, daß der Anspruch nicht besteht, eine erfolgreiche Leistungsklage umgekehrt, daß ein Anspruch aus diesem Grund besteht. Widersprechende Entscheidungen sind damit möglich.
Soweit die Beschwerdeführerin darauf verweist, daß die Gefahr widersprechender Entscheidungen bei Teilklagen nicht bestehen könne, ist dies für den vorliegenden Fall ohne Belang. Es handelt sich nicht um Teilklagen. Ohne Bedeutung ist auch, ob die …. Rechtssprechung davon ausgeht, daß für eine negative Feststellungsklage das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, wenn Leistungsklage erhoben wird; denn eine gesetzliche Regelung, die die Abweisung der Feststellungsklage geböte, wenn Leistungsklage erhoben wird, findet sich im … Zivilprozeß nicht. Die … Zivilprozeßordnung sieht in Art. 100 lediglich vor, daß für die Erhebung einer Klage ein Interesse erforderlich ist. Aus dem Ziel des Art. 21 EUGVÜ unvereinbare Entscheidungen soweit wie möglich zu vermeiden, folgt, daß die Regelung schon dann eingreifen muß, wenn die Widersprüchlichkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Das ist dann der Fall, wenn wie hier die sachliche Entscheidung über eine negative Feststellungsklage bei Erhebung einer Zahlungsklage nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.
Einer etwaigen Prozeßverschleppung kann nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH zum Justizgewährungsanspruch begegnet werden (vgl. BGH NJW 83, 1269; Geimer NJW 84, 527).
3. Eine Vorlage an den EuGH ist nicht veranlaßt. Eine Verpflichtung dazu besteht nicht (Art. 2 des Auslegungsprotokolls vom 3.6.1971, BGBL 72 II. Seite 48). An der Auslegung bestehen keine vernünftigen Zweifel (vgl. Geimer in Zöller ZPO, 18. Aufl., Rn. 2 zu Art. 23 EUGVÜ).