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Zusammenfassung der Entscheidung Die deutsche Klägerin erteilte der französischen Beklagten eine Auftragsbestätigung über die Lieferung von Waren. In der Auftragsbestätigung wurde auf die Allgemeinen Lieferbedingungen (AGB) der Klägerin Bezug genommen, die als Erfüllungsort und Gerichtsstand den Sitz der Klägerin in Deutschland ausweisen. Die Klägerin fordert Restkaufpreiszahlung aus der entsprechenden Lieferung. Die Beklagte rügte die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.
Das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. (DE) verneint die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen deutschen Gerichts. Eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 17 EuGVÜ sei nicht gegeben, da eine schriftliche oder schriftlich bestätigte mündliche Gerichtsstandsvereinbarung nicht vorliege. Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Sinne des Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ sei im vorliegenden Fall in Frankreich gelegen. Bei der Bestimmung des Erfüllungsortes sei auf die streitgegenständliche Verpflichtung abzustellen, deren Erfüllungsort nach dem anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen sei. Anknüpfungspunkte seien primär der reale Parteiwille, sekundär der hypothetische Parteiwille und nur subsidiär die Rechtsordnung des Leistungsortes. Ein realer Parteiwille sei nicht feststellbar, da die AGB der Klägerin mangels beiderseitiger Unterzeichnung keine Rechtswirkung entfalten würden. Nach dem hypothetischen Parteiwillen sei deutsches Recht anwendbar. Nach diesem liege der Erfüllungsort der Kaufpreiszahlung am Sitz der Beklagten in Frankreich.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Beklagte hat ihren Sitz in Paris und ist dort im Handelsregister eingetragen. Am 8.10.1976 erteilte die in Butzbach ansässige Klägerin der Beklagten eine Auftragsbestätigung über die Lieferung von 150 Spülen (BI. 86 der Akten). In der Auftragsbestätigung ist auf die Allgemeinen Lieferbedingungen der Klägerin Bezug genommen, die als Erfüllungsort und Gerichtsstand Butzbach ausweisen. Die Klägerin lieferte die Spülen an die Beklagte.
Die Klägerin hat vorgetragen, daß die Beklagte sie entsprechend beauftragt habe und daß aus der Lieferung noch insgesamt 26.787,60 FF offen ständen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu Zahlung von 26.787,60 FF nebst 8 % Zinsen seit 11.1.1977 zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Unzuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit, insbesondere des angerufenen Gerichts gerügt.
Die Beklagte hat im übrigen bestritten, der Klägerin einen Auftrag erteilt zu haben und behauptet, sie habe die 150 Spülen bei einer Firma … n Frankreich bestellt, Bestätigung und Lieferung jedoch von der Klägerin erhalten. Aus welchen Gründen dies geschehen sei, wisse sie nicht. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß sie – die Beklagte – 10 der berechneten Ausgußbecken überhaupt nicht erhalten habe.
Das Landgericht hat die Kaufpreisklage als unzulässig abgewiesen, weil in Ermangelung einer gültigen Gerichtsstandvereinbarung und wegen des nicht in der Bundesrepublik liegenden Erfüllungsortes weder die deutsche internationale Zuständigkeit noch die örtliche Zuständigkeit begründet seien.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 3.11.1978 zugestellte Urteil mit einem am Montag, den 4.12.1978 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 5.2.1979 begründet.
Die Klägerin sieht die deutsche internationale Zuständigkeit sowie die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Lahn-Gießen gemäß Art. 5 EuGVÜ in Verbindung mit § 59 EKG für gegeben an; die Prozeßabweisung durch das Landgericht sei verfehlt. Sie regt vorsorglich zur Frage der Zuständigkeit die Einholung eines Gutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht an.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben,
hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Sachentscheidung an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Lahn-Gießen zu verweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, vorsorglich die Revision zuzulassen.
Ihres Erachtens hat das Landgericht die Klage im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgewiesen, da es nicht international zuständig sei. Die Beklagte sei an ihrem Sitz in Paris, der nach §§ 269, 270 BGB – das EKG gelte im Verhältnis zu Frankreich nicht – der Leistungs- und Erfüllungsort für die Kaufpreisschuld sei, zu verklagen. Der Einholung eines Rechtsgutachtens wird widersprochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Landgericht hat die deutsche internationale Zuständigkeit sowie seine örtliche Zuständigkeit im Ergebnis zu Recht verneint.
Auf Grund des Artikels 2 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ), zu dessen Signatarstaaten Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland gehören, – abgedruckt in Baumbach-Lauterbach-Albers, Kommentar zur ZPO, 1979, Schlußanhang V C 1 – richtet sich die internationale Zuständigkeit grundsätzlich nach dem Wohnsitz bzw. Firmensitz der beklagten Partei. Ein Gerichtsstand in einem anderen Vertragsstaat ist nach Art. 3 EuGVÜ nur ausnahmsweise gegeben, und zwar unter den hier allein interessierenden Aspekten der grenzüberschreitenden Gerichtsstandsvereinbarung und des Erfüllungsortes.
Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil die Annahme einer zulässigen Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 17 EuGVÜ unter Bezugnahme auf EuGH, NJW 1977, 494 zutreffend mit der Begründung abgelehnt, daß eine schriftliche oder schriftlich bestätigte mündliche Gerichtsstandsvereinbarung nicht vorliegt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Auch die Berufung trägt hierzu nichts vor.
Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Sinne des Art. 5 EuGVÜ ist im vorliegenden Fall auch nicht im Geltungsbereich der Jurisdiktion der Bundesrepublik gelegen. Nach dieser Vorschrift kann eine Partei in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, falls ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung zu erfüllen ist oder zu erfüllen wäre. Der EuGH, NJW 1977, 491 hat insoweit folgende authentische Interpretation des Art. 5 EuGVÜ vorgenommen:
„Es obliegt dem mit dem Rechtsstreit befaßten Gericht nach dem Übereinkommen festzustellen, ob der Ort, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, im Bereich seiner örtlichen Zuständigkeit liegt. Hierbei hat es das auf das betreffende Rechtsverhältnis anwendbare Recht nach seinen Kollisionsnormen zu ermitteln und alsdann den Erfüllungsort der streitigen vertraglichen Verpflichtung nach diesem Recht zu bestimmen.“
Nach EuGH NJW 1977, 490 kommt es dabei auf diejenige Verpflichtung an, die den Gegenstand der Klage bildet. Vorliegend handelt es sich allein um eine Kaufpreisrestklage, deren Erfüllung verlangt wird. Der Erfüllungsort ist nach dem maßgeblichen anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen. Anknüpfungspunkte dafür sind primär der reale – ausdrückliche oder stillschweigende – Parteiwille, sekundär der hypothetische Parteiwille und nur subsidiär die Rechtsordnung des Leistungsortes (Palandt-Heldrich, Kommentar zum BGB, 1979 Vorbemerkung 2 vor Art. 12 EGBGB).
Ein realer Parteiwille ist nicht feststellbar, denn die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin vorgesehene Gerichtsstands- und Erfüllungsortsvereinbarung entfaltet nach den obigen Ausführungen mangels beiderseitiger Unterzeichnung keine Rechtswirkungen. Die internationale Zuständigkeit eines anderen Gerichts als das des Wohnsitzes des Beklagten wird nur begründet, wenn die Vereinbarung in der Form des Art. 17 EuGVÜ getroffen worden ist, was gegenständlich nicht der Fall ist (OLG München, Beilage zum Betriebsberater RIW/AWD, Recht der Internationalen Wirtschaft, 1978, 119, 120).
Nach dem hypothetischen, nach objektiven Kriterien zu ermittelnden Parteiwillen ist darauf abzustellen, wo der Vertrag seinen Schwerpunkt hat, wo die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen ist und wofür die übrigen Umstände sprechen (BGHZ 61, 221 = NJW 1973, 2151). Bei dieser Schwerpunktbestimmung wird der Warenlieferung eine besondere Bedeutung zugemessen, was zur Folge hat, daß beim Kauf beweglicher Sachen im Zweifel das Recht am Sitz des Verkäufers anwendbar ist (vgl. Palandt aaO).
Nach § 269 BGB hat der Schuldner seine Verbindlichkeiten grundsätzlich am Sitz seiner Niederlassung zu erfüllen. Die Überweisung von Geld an den Wohnsitz bzw. die Niederlassung des Gläubigers berührt die Maßgeblichkeit des Erfüllungsortes nicht (§ 270 Abs. 4 BGB). Hieraus folgt, wenn auch der beanspruchte Kaufpreis nach Butzbach zu zahlen wäre, hätte die Leistung gleichwohl in Paris zu erfolgen, so daß als Erfüllungsort im Sinne des Art. 5 EuGVÜ nur Paris anzusehen ist. Hieran. wird durch das Einheitliche Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (EKG), insbesondere Art. 59 EKG nichts geändert. Das EKG gilt erst in fünf EG-Staaten nämlich in Belgien, Großbritannien, Italien, den Niederlanden und in der Bundesrepublik Deutschland, ferner in Israel, Gambia und San Marino (Magnus, Reform des Haager Einheitskaufrechts, ZRP 1978, 129; Stötter, Internationales Einheitskaufrecht, 1975, Schlußanhang und Schlußbemerkung). Nach einer Mitteilung des Bundesministers der Justiz vom 19.4.1979 ist das EKG-Abkommen von Frankreich bis jetzt nicht ratifiziert worden und wird eine Ratifizierung der Übereinkunft durch Frankreich gegenwärtig auch nicht erwogen. (Bl. 85 der Akten). Die für das Inkrafttreten des EKG gemäß Art. VIII und X des Übereinkommens zur Einführung des EKG v. 1.7.64 aufgestellten Voraussetzungen – nämlich die Ratifizierung und die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde – sind sonach nicht erfüllt.
Die von der Berufung angeregte Einholung eines Rechtsgutachtens zur Zuständigkeitsfrage ist angesichts der vorangegangenen Ausführungen überflüssig.
Da eine Zuständigkeit des Landgerichts Lahn-Gießen aufgrund der Bestimmungen des zitierten Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft nicht gegeben ist und da sich die Beklagte auf das anhängige Verfahren nicht rügelos eingelassen hat, ist von Amtswegen die Unzuständigkeit der deutschen Gerichte, in Sonderheit des Landgerichts Lahn-Gießen auszusprechen (Art. 20 Abs. 1 EuGVÜ) mit der Konsequenz, daß der Berufungsantrag und der Hilfsantrag unbegründet sind.