-
Zusammenfassung der Entscheidung Die deutsche Klägerin behauptet, gegen die italienischen Beklagte, eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Mailand (IT), eine Werklohnforderung zu haben. Sie nimmt mit der Klage vor dem Landgericht Heidelberg (DE) wegen dieser Forderung die Niederlassung der F-GmbH in St. Ilgen, Landgerichtsbezirk Heidelberg (DE), in Anspruch. Die Niederlassung der F, welche ihren Sitz in Hamburg hat, ist ein Zweigbüro der F, die wiederum eine Tochtergesellschaft der Beklagten ist.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe (DE) verneint die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Heidelberg (DE). § 23 der deutschen Zivilprozessordnung, der bei einer Klage gegen einen Ausländer am Ort von dessen inländischem Vermögen einen Gerichtsstand begründet, sei nach Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ nicht anwendbar. Auch ein Gerichtstand aufgrund von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ sei nicht gegeben. Der Erfüllungsort im Sinne dieser Norm sei nach deutschem Recht zu bestimmen und liege danach in Mailand (IT). Ebenso ergebe sich kein Gerichtstand in Heidelberg (DE) aufgrund von Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ. Das "Zweigbüro" der F sei keine Zweigniederlassung der Beklagten, sonder der F. Das einen Teil der F bildende Zweigbüro könne auch nicht als eine Zweigniederlassung der Beklagten angesehen werden; dem stehe die eigene Rechtspersönlichkeit der F entgegen. Dass die F eine 100 % ige Tochter der Beklagten sei, führe nicht dazu, dass sie deswegen mit der Beklagten gleichzusetzen sei. Das Zweigbüro der F sei auch keine Agentur der Beklagten im Sinne von Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ; denn damit seien nur Agenturen von Versicherungsgesellschaften gemeint. An eine "sonstige Niederlassung" im Sinne dieser Norm seien die gleichen Anforderungen zu stellen wie an eine Zweigniederlassung. Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ könne nicht entnommen werden, dass mit sonstiger Niederlassung eine untergeordnete, vollkommen unselbständige Abteilung eines Handelsunternehmens ohne allgemeine Leitung und eigene Buchführung gemeint sei.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Die von der Klägerin erhobene Klage ist mangels Zustellung des Zahlungsbefehls an die im Zahlungsbefehl als verklagte Partei genannte … nicht rechtswirksam erhoben und die an sich gemäß § 295 ZPO mögliche Heilung dieses Mangels wegen fehlender internationaler Zuständigkeit des Landgerichts Heidelberg nicht erfolgt.
Die Beklagte …, ist eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts und hat ihren Sitz (Hauptniederlassung) in ... Da § 23 ZPO nach Art. 3 Abs. 2 des am 1.2.1973 in Kraft getretenen Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (BGBl. 1972, II 773 = EuGVÜ) nicht zur Begründung eines Gerichtsstandes gegen die in Italien domizilierende Beklagte geltend gemacht werden kann, könnte eine internationale Zuständigkeit nur aus Art. 5 Ziff. 1 oder Art. 5 Ziff. 5 des EuGVÜ hergeleitet werden.
Nach Art. 5 Ziff. 1 des EuGVÜ kann eine im Hoheitsgebiet einer der Vertragsstaaten domizilierende Gesellschaft, deren Sitz gemäß Art. 53 EuGVÜ für den Bereich dieses Übereinkommens dem Wohnsitz einer Person gleichsteht, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand bilden und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung zu erfüllen ist. Unter dem Begriff „Verpflichtung“ i.S. des Art. 5 Ziff. 1 EuGVÜ ist dabei nur diejenige vertragliche Verpflichtung zu verstehen, die den Gegenstand der Klage bildet (EuGH NJW 1977, 490). Dieser Gerichtsstand des Erfüllungsortes ist aber im Sinne der zitierten Bestimmung nur dann gegeben, wenn aus dem jeweiligen die Vertragsbeziehungen beherrschenden materiellen Recht sich ergibt, dass die Erfüllung der streitigen Verpflichtung an dem betreffenden Ort des anderen Vertragsstaates zu erfüllen ist (Hoffmann in AWD BB 1973, 57 (61- vgl. EuGH NJW 1977, 491 – OLG Bamberg NJW 1977, 505)). Da beide Partien von der Anwendung deutschen materiellen Rechts zur Beurteilung der zwischen ihnen bestehenden vertraglichen Beziehungen ausgehen, bestimmt sich der Erfüllungsort für die hier streitige Werklohnforderung der Klägerin (§ 631 BGB) nach §§ 269, 270 BGB. Danach ist aber Erfüllungsort für die Zahlungsverpflichtung der Beklagten Mailand.
II. Auch eine internationale Zuständigkeit nach Art. 5 Ziff. 5 des EuGVÜ ist nicht gegeben.
1. Nach der zitierten Bestimmung kann eine ausländische Gesellschaft mit Sitz in einem der Vertragsstaaten nur dann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn es sich um eine Streitigkeit aus dem Betriebe einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, und zwar vor dem Gericht des Ortes, wo diese Niederlassung sich befindet. Auch diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das „Zweigbüro“ der …, ist keine Zweigniederlassung der Beklagten, sondern eine Zweigniederlassung der …, die ihre Hauptniederlassung in … hat und im dortigen Handelsregister (Nr. …) eingetragen ist. Eine Zweigniederlassung der Beklagten müsste, da die Beklagte eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts ist und davon auszugehen ist, dass nach italienischem Recht auch eine entsprechende Bezeichnung von ihr zu führen ist, wie die Firma der Beklagten zeigt, gemäß § 44 AktienG i.V. mit § 13b Abs. 2 HGB im Inland den Zusatz „Aktiengesellschaft“ führen (Bartz in Großkomm. z. AktienG § 44 Anm. 8). Das als Zweigniederlassung anzusehende „Zweigbüro“ in … führt jedoch die Bezeichnung der Tochtergesellschaft der Beklagten in … Es ist danach für den Senat nicht zweifelhaft, dass dieses Unternehmen ein Teil der … ist. Da aber eine Zweigniederlassung keine eigene Rechtspersönlichkeit haben kann (BGHZ 4, 62,(65)), scheidet es auch aus, das einen Teil der … bildende Zweigbüro in … als eine Zweigniederlassung der Beklagten anzusehen. Die eigene Rechtspersönlichkeit der … steht dem entgegen. Dass die … eine 100 % ige Tochter der Beklagten ist und einen Vermögensteil der Beklagten darstellt, kann nicht dazu führen, sie deswegen mehr oder weniger mit der Beklagten gleichzusetzen. Ein Kaufmann oder eine juristische Person ist nicht gehindert, sein bzw. ihr Vermögen in Teile aufzuspalten und diesen Vermögensteilen jeweils eine von den anderen Teilen verschiedene und rechtliche selbständige Gestalt zu geben. Über die rechtliche Selbständigkeit der … darf nicht einfach hinweggegangen werden (BGH NJW 1974, 134 mwN). Verklagt werden konnte daher unter der Firma ihrer Zweigniederlassung in … nur die ... Eine Zustellung nach §§ 174, 175 ZPO mit Wirkung gegen die Beklagte kommt nicht in Betracht, da diese Vorschriften ein rechtshängiges Verfahren voraussetzen.
Gemäß § 44 AktienG wäre die Beklagte als eine Aktiengesellschaft mit Sitz im Ausland, falls in … eine Zweigniederlassung der Beklagten hätte begründet werden sollen, zur Eintragung der Zweigniederlassung im Handelsregister verpflichtet gewesen. Aus dem Umstand, dass unstreitig eine Anmeldung nicht erfolgt ist, ist jedoch nicht zwingend der Schluss zu ziehen, dass eine Zweigniederlassung der Beklagten in … in keinem Falle bestanden haben kann, denn auch durch eine nicht erfolgte Anmeldung wird die Zulässigkeit des Betriebes einer Zweigniederlassung nicht berührt (Bartz in Großkomm. zum AktienG § 44 Anm. 4 – Godin- Wilhelm, Komm. zum AktienG 4. Aufl. § 44 Anm. 3).
Die Klägerin behauptet, die Beklagte unterhalte in … (gemeint ist wohl unter der Adresse des Zweigbüros der …) ein Baubüro mit 20 Räumen, verfüge dort über einen erheblichen Maschinenpark, beschäftige 100 Arbeiter, habe dort auch ihre Brief- und Geschäftsbogen deponiert und lasse von dort aus sämtlichen Geschäftsverkehr mit ihren deutschen Vertragspartnern erledigen. Dies mag als richtig unterstellt werden, es führt gleichwohl nicht zur Annahme einer Zweigniederlassung der Beklagten in ... Eine Zweigniederlassung ist keine untergeordnete und unselbständige Abteilung der Hauptniederlassung (Hauptgeschäft), sondern ein weiterer Mittelpunkt des betreffenden Unternehmens, von dem aus für das Unternehmen wesentliche Geschäfte erledigt werden. Die Zweigniederlassung muss, wenn sie nicht nur als untergeordnete Abteilung gelten soll, so eingerichtet sein, dass sie bei Wegfall der Hauptniederlassung als eigene Handelsniederlassung fortbestehen kann (Schlegelberger-Gessler-Hefermehl, Komm. zum HGB 5.Aufl. § 13 Rn. 5 – Würdinger in Großkommentar zum HGB 3. Aufl. § 13 Anm. 6). Das erfordert, dass sie eine nach außen selbständige und allgemein bevollmächtigte Leitung hat, ein gesondertes Geschäftsvermögen besitzt und eine eigene Buchführung aufweist (Schlegeberger-Gessler-Hefermehl, aaO mwN – z.T. anderer Auffassung Würdinger in Anm. 8 – Bartz in Großkomm. zum AktienG § 44 Anm. 13 – Baumbach-Duden, HGB 21. Aufl. § 13 Anm. 1 C – vgl. auch Bauer in Betrieb 1973, 23 33 (23, 35 Fußn. 12)). Dass diese notwendigen Erfordernisse in … gegeben waren, hat die Klägerin nicht behauptet. Die von ihr behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsachen allein vermögen danach die Annahme einer Zweigniederlassung der Beklagten in … nicht zu rechtfertigen.
Es trifft auch nicht zu, dass die Beklagte dadurch bei der Klägerin den Eindruck einer Zweigniederlassung in … erweckt hat, dass sie – wie die Klägerin behauptet – den Vertrag mit ihr ausschließlich über … abgewickelt hat. Dass der Vertrag vom 7.5.1974 in … geschlossen worden ist, kann unterstellt werden, ist aber weder für sich allein noch in Verbindung mit den weiteren von der Klägerin behaupteten Indizien eine hinreichende Grundlage für die Annahme eines arglistigen Vorspiegelns einer eigenen Zweigniederlassung in … durch die Beklagte. Der Vertrag vom 7.5.1974 wies als Vertragspartner der Klägerin die Beklagte mit Sitz in … aus, eine Zweigniederlassung der Beklagten in … war in diesem Vertrag nicht genannt. Nach § 5 des Vertrages war die Rechnung von der Klägerin an die Beklagte über … zu übersenden. Nach den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen kamen innerhalb der Korrespondenz zwischen den Parteien zwar Briefe der Beklagten aus … aber – und das ist hier entscheidend – Absender der Schreiben auf Seiten der Beklagten (z.B. I 85) war die Beklagte mit ihrem Sitz in … selbst. Dies wie auch der Hinweis im Schreiben der Beklagten vom 10.4.1975 (I 79) sprechen für die Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, dass … – soweit es die Vertragsabwicklung mit der Klägerin betraf – nur eine Postsammelstelle war. Es bedarf unter diesen Umständen keines Eingehens auf die Frage, ob die Klägerin sich wegen des ihr als bekannt zuzurechnenden Umstandes dass für die Beklagte in … keine Zweigniederlassung im Handelsregister eingetragen war, überhaupt auf ein arglistiges Vorspiegeln einer Zweigniederlassung durch die Beklagte würde berufen können.
Da es an einer Zweigniederlassung der Beklagten in ... fehlt, bedarf es auch keines Eingehens auf die Frage, ob der vorliegende Rechtsstreit ein solcher „aus dem Betriebe einer Zweigniederlassung“ i.S. des Art. 5 Ziff. 5 des EuGVÜ ist und an wen die Zustellung des Zahlungsbefehls erfolgt ist. §§ 183 ff ZPO kommen nur in Frage, wenn die Zustellung im Geschäftslokal des Adressaten erfolgt ist. Gerade daran fehlt es aber hier.
Auch die übrigen Voraussetzungen des Art. 5 Ziff. 5 des EuGVÜ sind nicht gegeben, denn soweit die zitierte Bestimmung von „Agentur“ spricht, ist damit die Agentur einer Versicherungsgesellschaft gemeint (Bauer, Betrieb 1973, 2333 (2335 Fn. 13)) und auch eine „sonstige Niederlassung“ i.S. der zitierten Bestimmung muß die gleichen Erfordernisse aufweisen wie eine Zweigniederlassung. Daß der Begriff „sonstige Niederlassung“ etwa i.S. einer untergeordneten und vollkommen unselbständigen Abteilung oder Verkaufsstelle eines Handelsunternehmens ohne allgemein bevollmächtigte Leitung und eigene Buchführung zu verstehen ist, kann aus dem Sinnzusammenhang des Art. 5 Ziff. 5 des EuGVÜ nicht entnommen werden (EUGH NJW 1977, 490 (491)).
2. Die in der Rechtssprechung anerkannten Grundsätze über die sogenannte Durchgriffshaftung (BGHZ 54, 222 (224) mwN) können hier keine Anwendung finden. Der Bundesgerichtshof hat aaO ausgesprochen, dass über die Rechtsfigur einer juristischen Person in Ausnahmefällen dann hinweggegangen werden kann, wenn die Anwendung des Grundsatzes, dass für die Schulden einer juristischen Person nur diese und nicht deren Mitglieder haften, zu Ergebnissen führen würde, die mit Treu und Glauben nicht im Einklang stehen, und wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen juristischer Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen einen Rechtsmissbrauch darstelle. Hier geht es jedoch nicht darum, dass die Beklagte etwa rechtsmißbräuchlich sich auf eine (nicht gegebene) alleinige Haftung der … berufen will, deren Inanspruchnahme etwa wegen Vermögenslosigkeit nicht zu einer Befriedigung der Klägerin führen würde, sondern darum, dass die Beklagte sich auf den Gerichtsstand … beruft, eine Haftung für die Werklohnforderung aus dem mit der Klägerin geschlossenen Vertrag jedoch nicht bestreitet. Die tatsächlichen Grundlagen sind also im vorliegenden Fall völlig andere, als sie für die erwähnte Rechtssprechung maßgebend waren.
III. Da die Klage gegen die Beklagte nicht rechtswirksam zugestellt worden ist und die Klage daher auch nicht rechtswirksam erhoben ist, hat das Landgericht die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen (vgl. Art. 19 EuGVÜ – Hoffmann in AWD BB 1973, 57(II 1- 63)).
Die Berufung der Klägerin erweist sich als unbegründet und war daher zurückzuweisen.