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Zusammenfassung der Entscheidung Die italienische Klägerin hatte gegen die deutsche Beklagte einen unbestrittenen Kaufpreisanspruch. In der Berufungsinstanz machte die Beklagte die Aufrechnung mit einer Forderung geltend, die der deutsche Handelsvertreter der Klägerin an sie abgetreten hatte. Daraufhin rügte die Klägerin die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den mit der Aufrechnung geltend gemachten Anspruch. Sie führte aus, dass die italienischen Gerichte für diesen Anspruch international zuständig seien. Außerdem sei nach ihrer Auffassung die Forderung nicht aufrechnungsfähig, weil sie ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Gegenanspruchs geltend mache.
Das Oberlandesgericht München (DE) führt aus, dass die Aufrechnung mit einer Gegenforderung im Prozess nicht zulässig sei, wenn das angerufene Gericht für die klageweise Geltendmachung der Gegenforderung international nicht zuständig sei. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn die Aufrechnungsforderung bereits rechtskräftig festgestellt oder nicht bestritten sei. Im vorliegenden Fall seien die deutschen Gerichte für die klageweise Geltendmachung der Gegenforderung nicht international zuständig. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ greife nicht ein. Nach deutschem Recht, das auf das streitige Rechtsverhältnis anwendbar sei, liege der Erfüllungsort der in Frage kommenden vertraglichen Verpflichtung in Italien. Ferner sei auch Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ nicht anwendbar. Bei der geltend gemachten Gegenforderung handele es sich nicht um eine solche, die sich auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst stütze. Sie entstamme vielmehr dem Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Handelsvertreter. Außerdem sei die Aufrechnungsforderung weder unbestritten, noch bereits rechtskräftig festgestellt worden. Die Klägerin habe ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Gegenanspruches geltend gemacht. Die deutschen Gerichte seien somit für die im Wege der Aufrechnung geltend gemachte Forderung nicht international zuständig.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Beklagte betreibt einen Einzelhandel für Bekleidungswaren. Die Klägerin, die ihren Sitz in Italien hat, stellt solche Waren her. Sie verlangt von der Beklagten den Kaufpreis für unstreitig gelieferte Bekleidungsstücke in Höhe von DM 33.925,‑. Hierüber ist gegen die Beklagte in erster Instanz ein Versäumnisurteil ergangen.
Mit ihrem Einspruch gegen das Versäumnisurteil hat die Beklagte geltend gemacht, daß sie die unstreitig entstandene Kaufpreisforderung bereits erfüllt habe, und zwar durch Zahlung an den damaligen Handelsvertreter der Klägerin, Herrn … Hilfsweise hat die Beklagte mit einem ihr durch Herrn … am 31.10.1990 (Anl. B 1) abgetretenen Zahlungsanspruch aufgerechnet, der sich aus dem inzwischen, beendeten Handelsvertreterverhältnis zwischen Herrn … und der Klägerin ergebe.
Das Landgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Es hat ausgeführt, daß die nach Grund und Höhe unstreitig entstandene Kaufpreisforderung nicht durch die an den Handelsvertreter geleistete Zahlung erloschen sei. Die hilfsweise geltend gemachte Aufrechnung mit einer Gegenforderung auf Handelvertreterprovisionen sei unzulässig. Zur Entscheidung über die Aufrechnungsforderung fehle es an der internationalen Zuständigkeit des Gerichts. Nach Art. 2 des Europäischen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung in Zivil und Handelssachen (EuGVÜ) seien die italienischen Gerichte für die Entscheidung hierüber zuständig.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht in der zweiten Instanz nur noch die Aufrechnung mit Gegenforderungen geltend, die Herr … an sie abgetreten habe. Sie verweist insoweit auf die Abtretungsvereinbarung vom 31.10.1990, vorsorglich auf die Vereinbarung vom 10.3.1992.
Zu den ihr abgetretenen Gegenansprüchen führt sie aus, daß Herr … aufgrund Vertrags vom 15.12.1980 (Anl. B 2) Handelsvertreter der Klägerin in Deutschland gewesen sei. Das Handelsvertreterverhältnis sei durch Kündigungsschreiben der Klägerin vom 22.3.1990 beendet worden. Schon seit Juli 1989 habe die Klägerin Provisionen, die sie abgerechnet habe, nicht mehr ausbezahlt. Aus diesem Grund habe Herr … ausstehende Forderungen der Klägerin gegenüber ihren Kunden für eigene Rechnung eingezogen.
In erster Linie rechnet die Beklagte mit dem Handelsvertreter-Ausgleichsanspruch des Herrn … auf, der ihr in Höhe von DM 33.925,‑ abgetreten worden sei. Hilfsweise erklärt sie auch die Aufrechnung mit den ihr abgetretenen Provisionsforderungen aus den Jahren 1989 bis 1991, die ebenfalls den Klagebetrag erreichten, sowie weiter hilfsweise die Aufrechnung mit einem abgetretenen Anspruch auf Provisionsvorschuß in Höhe von DM 27.144,08.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts München 1 vom 5.9.1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen; vorsorglich: die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin rügt die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Entscheidung über den Aufrechnungseinwand der Beklagten. Zur Entscheidung über diese Gegenforderungen seien gemäß dem EuGVÜ allein die italienischen Gerichte zuständig. Die Abtretung vom 31.10.1990 sei überdies mangels inhaltlicher Bestimmtheit unwirksam.
Vorsorglich erklärt die Klägerin ferner, daß Herrn … ein Ausgleichsanspruch oder ein Vorschußanspruch schon deshalb nicht zustehe, weil diese Ansprüche in dem hier anwendbaren italienischen Recht keine Grundlage fänden. Schließlich seien die Forderungen auch nicht aufrechnungsfähig, weil sie – die Klägerin – ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Gegenanspruches geltend mache. Es handele sich dabei um einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der von Herrn … unberechtigterweise vorgenommenen Inkassotätigkeit. Zur Vorbereitung der Geltendmachung dieses Anspruche habe sie Herrn … in einem anderen Verfahren (LG München I, 1 HKO 3027/91) auf Auskunft in Anspruch genommen. Sie sei noch nicht in der Lage, den Schaden zu beziffern.
Die Beklagte hat dem im wesentlichen entgegengehalten, daß auf das Handelsvertreterverhältnis des Herrn … deutsches Recht anzuwenden sei. Dem Anspruch auf Auskunft sei Herr … nunmehr durch Telefax vom 27.2.1992 nachgekommen, so daß die Klägerin nunmehr ihren Schadensersatzanspruch beziffern könne.
Im übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die bei den Akten befindlichen gerichtlichen Protokolle und Entscheidungen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen. Das Landgericht hat das Versäumnisurteil vom 2.5.1991 in der Hauptsache zu Recht aufrechterhalten.
Der Kaufpreisanspruch der Klägerin für die gelieferte Kleidung ist wirksam entstanden. Die Beklagte erhebt hiergegen auch keine Einwendungen.
Die Beklagte macht in zweiter Instanz nur noch die Aufrechnung mit abgetretenen Gegenansprüchen geltend, die auf dem Handelsvertretervertrag des Herrn … mit der Klägerin vom 15.12.1980 beruhen sollen. Die Geltendmachung dieser Aufrechnung im vorliegenden Prozeß ist jedoch unzulässig, weil deutsche Gerichte zur Entscheidung über diese Ausgleichs-, Provisions- und Vorschußorderungen nicht zuständig sind.
Die Aufrechnung mit einer Gegenforderung im Prozeß ist nicht zulässig, wenn das Gericht bei Geltendmachung der Gegenforderung im Wege der Klage zur Entscheidung international nicht zuständig wäre. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Aufrechnungsforderung bereits rechtskräftig festgestellt oder nicht bestritten wäre (vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht 1991, Rn. 355). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Unzulässigkeit der Entscheidung über den Aufrechnungseinwand bei fehlender internationaler Zuständigkeit für die klageweise Geltendmachung der Gegenforderung aus dem System des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ). Dieses Übereinkommen regelt die internationale Entscheidungszuständigkeit in seinem Anwendungsbereich abschließend. Durch die uneingeschränkte Zulassung der Geltendmachung des Aufrechnungseinwands könnte mittelbar eine Entscheidung der deutschen Gerichte über einen Anspruch herbeigeführt werden, über den zu entscheiden diese Gerichte nach dem Übereinkommen nicht zuständig sind (vgl. EuGH, Urteil vom 4.7.1985 – Slg. 1985, 2267). Dem entspricht die herrschende Meinung in der Literatur (Nachweise bei Dageförde, RIW 1990, 873, 874).
Eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die klagelweise Geltendmachung der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen wäre nicht begründet. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts (Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ) kommt zur Vermittlung der internationalen Zuständigkeit nicht in Betracht, weil der Erfüllungsort der sich hier nach deutschem Recht bestimmt (vgl. BGH NJW 1988, 1466, 1467), am Geschäftssitz der Klägerin in Italien 1äge. Daran ändert der Umstand nichts, daß die Rechtsbeziehungen der Parteien sich nach Handelsvertreterrecht richten und daß der Schwerpunkt dieser Beziehungen im allgemeinen am Ort der Tätigkeit des Handelsvertreters liegt; dies reicht allein nicht aus, diesen Ort auch als einheitlichen Erfüllungsort für die beiderseitigen Leistungen anzusehen (BGH aaO).
Auch der Gerichtsstand der Widerklage (Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ) kann die internationale Zuständigkeit nicht begründen. Es handelt sich bei den geltend gemachten Gegenforderungen nicht um solche, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt werden. Sie entstammen vielmehr dem Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Handelsvertreter ...
Nach h. M. gilt eine Ausnahme allerdings dann, wenn die Gegenforderung rechtskräftig festgestellt oder nicht bestritten ist (vgl. Schack aaO, Rn. 355). Diese Ausnahme- liegt hier aber nicht vor. Die Klägerin macht vielmehr ein Zurückbehaltungsrecht wegen einer Schadensersatzforderung geltend, mit der sie nach ihrer Bezifferung, die ihr noch nicht möglich sei, aufrechnen will. Damit aber ist zumindest die Fälligkeit der von der Beklagten geltend gemachten Gegenforderungen bestritten, ohne daß es darauf ankäme, ob diese nach deutschem oder nach italienischem Recht zu beurteilen sind.
Gemäß § 546 Abs. 1 S. 2 ZPO war die Revision gegen dieses Urteil zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage ab, ob im Anwendungsbereich des EuGVÜ ohne Einschränkung auch inkonnexe und bestrittene Gegenforderungen im Wege der Prozeßaufrechnung geltend gemacht werden können. Diese Frage ist in der Literatur umstritten (vgl. Dageförde aaO mit Nachweisen, Seite 876/877). Dies gi1t auch angesichts des Urteils des EuGH vom 4.7.1985, weil die in der Literatur vertretene Auffassung nicht von der Hand zu weisen ist, daß die Aussagen des Urteils einen Sonderfall betrafen, nämlich die Aufrechnung des unterlegenen Klägers gegen die Kostenerstattungsforderung des Beklagten mit der Klageforderung (vgl. Geimer, IPrax 1986, 208, 210; Dageförde RIW 1990, 873, 877).