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Zusammenfassung der Entscheidung Die deutsche Klägerin war Inhaberin eines von der italienischen Beklagten ausgestellten Wechsels, der in Göttingen (DE) zahlbar war. Der Wechsel war am 10.12.1975 fällig und wurde am 12.12.1975 wegen Nichtzahlung protestiert. Die Klägerin klagt nunmehr gegen die Beklagte vor einem deutschen Gericht auf Zahlung des Wechselbetrags.
Das Landgericht Göttingen (DE) ist der Auffassung, dass sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im vorliegenden Fall nicht auf Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ stützen könne. Regressansprüche des Wechselinhabers gegen den Aussteller könnten nämlich nicht als „Ansprüche aus einem Vertrag“ i.S. dieser Vorschrift qualifiziert werden, weil zwischen den Parteien keine vertraglichen Beziehungen bestünden. Auch wenn man annehmen würde, dass die geltend gemachten Ansprüche vertragliche Ansprüche i.S.v. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ seien, bestünde keine Zuständigkeit deutscher Gerichte. Nach deutschem Recht, das nach den speziellen Kollisionsnormen des Wechselgesetzes auf das Rechtsverhältnis anwendbar sei, liege der Erfüllungsort der streitigen Verpflichtung in Italien.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Klägerin ist Inhaberin eines von der Beklagten, einer italienischen Gesellschaft, am 10.9.1975 ausgestellten eigenen Wechsels über 17.412,33 DM, der am 10.12.1975 fällig war und am 12.12.1975 wegen Nichtzahlung protestiert worden ist. Der Wechsel war in G zahlbar.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 17.412,33 DM nebst 2 % Zinsen über dem Bundesbankdiskontsatz, mindestens jedoch 6 % per anno seit dem 10.12.1975, 51,70 DM Protestkosten und 1/3 Prozent Provision im Betrage von 57,98 DM zu zahlen,
hilfsweise
über die Zuständigkeit vorab durch Zwischenurteil zu entscheiden.
Der Beklagten ist am 11.7.1976 die Klagschrift auf konsularischem Wege zugestellt worden; die Terminsladung ist dem von ihr bevollmächtigten deutschen Rechtsanwalt in Frankfurt am 20.9.1976 zugestellt worden. Die Beklagte hat sich jedoch im Verhandlungstermin am 22.10.1976 nicht vertreten lassen.
Entscheidungsgründe
Die Klage mußte gemäß § 331 Abs. 2 ZPO abgewiesen werden, da das Landgericht Göttingen nicht zuständig ist und auch kein anderes deutsches Gericht. Die Unzuständigkeit war gemäß Art. 20 Abs. 1 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuG-Übk) vom 27.9.1968 (BGBl 1972 11 S. 774) auszusprechen.
Da die Entscheidung im Versäumnis verfahren ergeht, bedurfte es eines Zwischenurteiles nach § 275 Abs. 1 ZPO nicht.
Eine deutsche Zuständigkeit für den Rückgriffsprozeß des Wechselinhabers gegen die italienische Wechselausstellerin ist nicht gegeben. Zwar sieht § 603 ZPO für Wechselklagen den besonderen Gerichtsstand des Zahlungsortes vor. Dieser Gerichtsstand gilt auch für den Regreßanspruch des Indossatars gegen den Aussteller gemäß Art. 43 WG. Der besondere Gerichtsstand des Zahlungsortes nach § 603 ZPO gilt jedoch nicht im Verhältnis zu den an dem Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft beteiligten Staaten, also auch zu Italien (vgl. Zeller-Karch, ZPO, 11. Aufl. § 603 Anm. 1 a am Ende).
Die Zuständigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ist in Art. 5 des Übereinkommens (EuG-Übk) abschließend geregelt. Sie könnte sich nur aus Art. 5 Ziffer 1 des Abkommens (EuG-Übk) herleiten lassen. Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Sitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen, wäre. Vertragliche Beziehungen bestehen jedoch zwischen den Parteien dieses Rechtsstreites nicht. Die Beklagte wird lediglich als Ausstellerin des Wechsels nach Art. 43 WG in Anspruch genommen. Vertragliche Beziehungen haben lediglich zwischen der Beklagten als Ausstellerin und der Bezogenen und Annehmerin des Wechsels bestanden. Es würde jedoch eine unzulässige Ausweitung des Begriffes des Vertrages oder der Anspräche aus einem Vertrag im Sinne des Art. 5 Ziffer 1 des EuG-Übk bedeuten, wenn man auch die Regreßansprüche des Wechselinhabers gegen den Aussteller als vertragliche Ansprüche bezeichnen würde. Die Zielrichtung der Wechselbegebung war eine ganz andere: die Bezogene und Annehmerin sollte an die Beklagte bzw. an deren Order zahlen; im Rückgriffsprozeß soll jedoch die Ausstellerin an den Wechselinhaber zahlen.
Da die anderen Bestimmungen des Art. 5 des EuG-ÜBk ersichtlich nicht in Betracht kommen, kann die Beklagte nach der abschließenden Regelung des Übereinkommens nicht in „einem anderen Vertragsstaat“, nämlich in der Bundesrepublik Deutschland, verklagt werden.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß auch bei Zuordnung des Rückgriffsprozesses zu den „Ansprüchen aus Vertrag“ des Art. 5 Ziffer 1 des EuG-Übk keine deutsche Zuständigkeit bestände. Nach Art. 5 Ziffer 1 des Übereinkommens (EuG-Übk) könnte die Beklagte am Erfüllungsort verklagt werden. Die Frage nach dem Erfüllungsort ist nach deutschem Kollisionsrecht zu beantworten (so auch von Hoffmann AWD 1973 S. 61 Ziff. 2 a aa; Geimer NJW 1975 S. 1087 zu 2 c cc). Hierfür bedarf es nicht der Heranziehung der lückenhaften Regelungen des internationalen Privatrechts und des durch die Rechtsprechung und Lehre ergänzend ausgefüllten Begriffs des Schuldstatuts, denn das Wechselgesetz enthält in den Art. 91 ff spezielle Kollisionsvorschriften. Nach Art. 93 Abs. 1 WG bestimmen sich die Wirkungen der Verpflichtungserklärungen des Ausstellers eines eigenen Wechsels nach dem Rechte des Zahlungsortes, also im vorliegenden Fall nach deutschem Recht. Somit ist auch nach deutschem Recht zu entscheiden, wo Erfüllungsort der Rückgriffsverbindlichkeit ist. Da vertragliche Vereinbarungen zwischen den Parteien nicht bestehen, gibt es auch keine Vereinbarung über den Erfüllungsort. Es greifen daher die allgemeinen gesetzlichen Regelungen ein, §§ 269, 270 Abs. 4 BGB. Diese Folgerung, daß der Erfüllungsort der Rückgriffsverpflichtung im Wechselgesetz nicht bestimmt ist und sich daher aus den allgemeinen Regeln ergibt, daß der Sitz des Rückgriffsschuldners Erfüllungsort ist, wird auch von der wechselrechtlichen Literatur gezogen (vgl. Stranz, Wechselgesetz, 14. Auf I, § 9 RdN. 5; Jacobi, Wechsel- und Scheckrecht S. 701). Erfüllungsort ist somit der Sitz der Beklagten in Italien.