-
Zusammenfassung der Entscheidung Der Antragsteller erwirkte eine vorläufige Entscheidung des Arbeitsgerichts Mülhausen (FR), wodurch die Antragsgegnerin zu einer Anzahlung auf Schadensersatzansprüche wegen ungerechtfertigter Kündigung verurteilt wurde. Die Entscheidung wurde für vorläufig vollstreckbar erklärt. Auf Antrag des Antragstellers wurde diese Entscheidung vom zuständigen deutschen Landgericht für in Deutschland vollstreckbar erklärt. Dagegen erhob die Antragsgegnerin Beschwerde. Sie machte unter anderem geltend, die Zwangsvollstreckung aus der vorläufigen Entscheidung sei unzulässig, weil der titulierte Betrag in dem mit späterem endgültigem Urteil des Arbeitsgerichts Mülhausen titulierten Betrag enthalten sei, eine Vollstreckung aus beiden Titeln also zu einer doppelten Inanspruchnahme führen.
Das Oberlandesgericht Dresden (DE) entscheidet, dass die Vollstreckbarerklärung zu Recht erfolgt sei. Versagungsgründe gemäß Art. 45 i.V.m. Art. 34 und 35 EuGVO seien nicht ersichtlich. Eine - unterstellte - inhaltliche Unrichtigkeit des späteren Urteils im Hinblick auf eine fehlende Anrechnung der Anzahlung, könne nicht dazu führen, dass der streitgegenständlichen vorläufigen Entscheidung die Vollstreckbarkeit versagt würde. Materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch würden im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht gehört (Art. 45 Abs. 2 EuGVO). Das müsse erst recht für Einwendungen gegen eine andere als die für vollstreckbar erklärte Entscheidung gelten. Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public (Art. 34 Nr. 1 EuGVO) sei nur anzunehmen, wenn das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stehe, dass es nach inländischer Vorstellung untragbar erscheine. Dies sei hier nicht der Fall, da weder ein Vorschussanspruch noch ein Schadensersatzanspruch infolge ungerechtfertigter Kündigung dem deutschen Recht völlig fremd seien.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Der Antragsteller erwirkte eine vorläufige Entscheidung des Arbeitsgerichts Mulhouse/Republik Frankreich vom 19.06.2003. Danach wurde die Antragsgegnerin zur Zahlung von EUR 25.608,‑ als Anzahlung auf die geltend gemachten Schadensersatzansprüche verurteilt. Die Entscheidung wurde für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Auf Begehren der Antragstellerin ordnete der Vorsitzende der 4. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz mit – am 09.07.2004 an die Antragsgegnerin zugestelltem – Beschluss vom 21.06.2004 an, den französischen Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Hiergegen hat die Antragsgegnerin unter dem 28.07.2004 Beschwerde eingelegt. Sie meint, die Zwangsvollstreckung aus der vorläufigen Entscheidung sei schon deshalb unzulässig, weil der titulierte Betrag in dem mit Urteil des Arbeitsgerichts Mulhouse vom 01.04.2004 titulierten Betrag enthalten sei. Mithin würde eine Vollstreckung aus beiden Titeln zu einer doppelten Inanspruchnahme der Antragsgegnerin führen. Auch verstoße die Verurteilung vom 19.06.2003 gegen den Grundsatz deutschen Rechts, wonach Schadensersatz nur in nachgewiesener Höhe und bei Verschulden zu leisten sei. Die vorläufige Entscheidung des Arbeitsgerichts Mulhouse vom 19.06.2003 ließe eine Prüfung der beiden genannten Voraussetzungen nicht erkennen. Im Übrigen fehle eine Aussage zur Anrechenbarkeit der ausgeurteilten Anzahlung und eine gegebenenfalls später erfolgende – tatsächlich am 01.04.2004 erfolgte – Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz. Darüber hinaus trägt die Antragsgegnerin vor, sie habe gegen das Urteil vom 01.04.2004 fristgerecht Berufung eingelegt. Von daher könnte demnächst im Berufungsverfahren gerichtlich festgestellt werden, dass die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Antragsteller gerechtfertigt gewesen sei und Schadensersatzansprüche des Antragstellers nicht erwachsen seien. Um zu vermeiden, dass dann Rückgewähransprüche entstünden, sollte eine Zwangsvollstreckung aus der vorläufigen Entscheidung nicht zugelassen werden. Im Übrigen befände sich auf Seite 3 des landgerichtlichen Beschlusses ein zur Verwirrung führender Tippfehler der Bezeichnung der zu vollstreckenden Entscheidung.
II. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die gegen die, die Erteilung der Vollstreckungsklausel anordnende landgerichtliche Entscheidung mit Schriftsatz vom 28.07.2004 eingelegte Beschwerde ist gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 3 AVAG, Art. 43 EuGVO zulässig.
2. Sie ist allerdings unbegründet. Die in Art. 34 und 35 EuGVO normierten, alleine eine Aufhebung rechtfertigenden Gründe liegen nicht vor.
a) Soweit die Antragsgegnerin meint, eine Vollstreckung sei schon deshalb unzulässig, weil sie in Höhe von EUR 25.608,‑ doppelt in Anspruch genommen werde, kann ihr nicht gefolgt werden. Zum einen ist schon nicht ersichtlich, dass bei der Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz mit Urteil des Arbeitsgerichts Mulhouse vom 01.04.2004 der schon mit der vorläufigen Entscheidung zugesprochene Vorschuss rechnerisch nicht berücksichtigt wurde. Zum anderen könnte eine – unterstellte – inhaltliche Unrichtigkeit des französischen Urteils vom 01.04.2004, sollte tatsächlich fälschlicherweise eine Anrechnung unterblieben sein, nicht dazu führen, dass der Entscheidung vom 19.06.2003 die Vollstreckbarkeit versagt würde.
Die Antragsgegnerin kann im Beschwerdeverfahren mit materiell-rechtlichen Einwendungen gegen die für vollstreckbar erklärte Entscheidung gemäß Art. 45 Abs. 2, 36 EuGVO nicht gehört werden. Erst recht können dann aber Einwendungen materiell-rechtlicher Art gegen eine andere als die für vollstreckbar erklärte Entscheidung keine Berücksichtigung finden.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 12 Abs. 1 AVAG. Selbst wenn die Antragsgegnerin die Ansicht vertreten sollte, dass der Einwand der doppelten Inanspruchnahme erst mit der weiteren Verurteilung vom 01.04.2004 und damit nach Erlass der Entscheidung vom 19.06.2003 entstanden sei, hindert dies die Vollstreckung der zeitlich früheren Entscheidung nicht. Denn auch dann handelt es sich, wenn überhaupt, um einen materiell-rechtlichen Einwand, der sich gegen die zweite Entscheidung – wegen unterbliebener Anrechnung des am 19.06.2003 ausgeurteilten Vorschusses – und nicht gegen die Vorschussverurteilung als solche richtet.
b) Die Behauptung der Antragsgegnerin, die Entscheidung des Arbeitsgerichts Mulhouse vom 19.06.2003 verstoße gegen den Grundsatz deutschen Rechts, wonach Schadensersatz nur in nachgewiesener Höhe und bei Verschulden zu leisten ist, verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.
Eine inhaltliche Nachprüfung der Sache selbst verbietet sich nach Art. 45 Abs. 2, 36 EuGVO. Ein die Versagung der Anerkennung im Inland rechtfertigender Verstoß der Entscheidung gegen den ordre public im Sinne von Art. 34 Nr. 1 EuGVO ist nicht ersichtlich.
Eine Unvereinbarkeit mit dem deutschen materiellen ordre public liegt nicht schon dann vor, wenn der deutsche Richter, hätte er den Prozess entschieden, aufgrund zwingenden deutschen Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgebend ist vielmehr, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint (BGHZ 123, 268 [270]). Weil aber weder ein Vorschussanspruch noch ein Schadensersatzanspruch infolge ungerechtfertigter Kündigung dem deutschen Recht völlig fremd sind (vgl. im Einzelnen auch Senatsbeschluss vom 26.07.2004 zu Schadensersatzansprüchen 3 W 745/04, dort insbesondere II.1.b) und Mängel in der Begründung der ausländischen Entscheidung einen Verstoß gegen den ordre public nicht begründen, kann die Antragsgegnerin mit ihren Einwänden nicht durchdringen.
c) Der Vollstreckbarkeitserklärung des vorliegenden Titels vom 19.06.2003 steht weiter nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin gegen die Hauptsacheentscheidung vom 01.04.2004 Berufung eingelegt hat. Hindert nämlich die Berufung gegen das für vollstreckbar zu erklärende Urteil nach Art. 45 Abs. 1 iVm 34, 35 EuGVO dessen Vollstreckbarerklärung nicht, kann eine Berufung gegen eine andere Entscheidung erst recht keinen Einfluss haben.
d) Die Frage, ob die vorläufige Entscheidung vom 19.06.2003 durch das Urteil vom 01.04.2004 nach französischem Recht wirkungslos geworden ist, hat der Senat nicht zu beantworten. Denn dieser Aspekt begründet kein Anerkennungshindernis nach Art. 34, 35 EuGVO, insbesondere nicht nach Art. 34 Nr. 3, Nr. 4 EuGVO (Art. 45 Abs. 1 S. 1 EuGVO). Auch aus § 27 Abs. 1 AVAG folgt nichts anderes. Denn dieser erfasst allein die Sachlage, dass der für vollstreckbar erklärte Titel aufgehoben oder geändert wurde. Dergleichen ist dem Urteil vom 01.04.2004 indes nicht zu entnehmen.
e) Soweit die Antragsgegnerin rügt, auf Seite 3 des angegriffenen landgerichtlichen Beschlusses finde sich ein Datumsfehler, ist dies für die Beschwerde, die lediglich die richterliche Entscheidung und nicht die inhaltliche Richtigkeit der angebrachten Klausel prüft, ohne Belang. Da es sich bei dem gerügten Datumsfehler um ein offensichtliches Schreibversehen handeln dürfte, dürfte einer Berichtigung durch die mit der Anbringung betrauten Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nichts entgegenstehen.