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Zusammenfassung der Entscheidung Die Gläubigerin erwirkte einen Arrestbeschluss eines schwedischen Gerichts gegen die Schuldnerin. Die Schuldnerin wurde in dem schwedischen Verfahren nicht angehört. Auf Antrag der Gläubigerin wurde der Arrestbeschluss vom zuständigen deutschen Landgericht für in Deutschland vollstreckbar erklärt. Dagegen erhob die Schuldnerin Beschwerde. Sie berief sich auf eine EuGH-Entscheidung wonach sog. Ex parte Entscheidungen keine „Entscheidungen" i.S.v. Art. 25 EuGVÜ darstellten und deshalb auch im Vollstreckungsverfahren nicht anzuerkennen seien.
Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht (DE) entscheidet, dass der Arrestbeschluss anzuerkennen und in Deutschland zu vollstrecken sei. Anerkennungshindernisse gemäß Art. 34, 35 Brüssel I-VO lägen nicht vor. Die von der Schuldnerin angeführte Rechtsprechung des EuGH sei zu Art. 27, 46 Nr. 2 EuGVÜ ergangen und auf die Art. 32 ff. Brüssel I-VO nicht übertragbar. Würde man sog. Ex parte Entscheidungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 32 Brüssel I-VO verbannen, hätte dies eine nicht unerhebliche Lähmung des einstweiligen Rechtsschutzes im internationalen Bereich zur Folge. Den nationalen Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten seien einstweilige Anordnungen mit Überraschungseffekt ohne Anhörung des Schuldners bekannt. Rechtliches Gehör werde dabei ex post durch die Möglichkeit des Schuldners, sich zur Wehr zu setzen, gewährt. Die Mitgliedstaaten hätten auch im internationalen Kontext keine strengeren Maßstäbe aufstellen wollen. Der Verordnungsgeber habe auf die EuGH-Rechtsprechung nicht reagiert, sondern vielmehr in Art. 32 Brüssel I-VO an der weiten Fassung des ursprünglichen Art. 25 EuGVÜ festgehalten.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die Gläubigerin betreibt die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einem Arrestbeschluss des Amtsgerichts S. (Schweden) vom 01.04.2005 (Az. T 390-05), durch den die Schuldnerin wegen einer Forderung über 199.210,‑ EUR mit dem dinglichen Arrest belegt worden ist.
Das Landgericht hat dem Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel durch Beschluss vom 18.04.2005 entsprochen. Die Gläubigerin hat daraufhin die Vorpfändung ausgebracht und das Bankkonto der Schuldnerin bei der Volksbank O. e.G. gepfändet. (Bl. 83 GA).
Mit der fristgerecht eingelegten Beschwerde begehrt die Schuldnerin Aufhebung der Vollstreckbarerklärung wegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 EuGVVO (= Verordnung EG-Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Die Schuldnerin beruft sich auf die Entscheidung des EuGH vom 21.05.1980 (EuGH IPRax 1981, 95, 96, vgl. Anl. K 5, Bl. 59 + 60 GA) wonach Arreste, einstweilige Verfügungen und sonstige Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (sog. Ex-Parte-Entscheidungen) keine „Entscheidungen“ iS von Art. 32 EuGVVO darstellten und deshalb auch nicht im Vollstreckungsverfahren anzuerkennen seien.
Die Schuldnerin ist im schwedischen Arrestverfahren unstreitig nicht gehört worden, inzwischen ist jedoch eine entsprechende Einspruchsschrift (Einspruchsfrist nach schwedischem Recht 28 Tage) vorbereitet und ein schwedisches Anwaltsbüro beauftragt.
Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die eingereichten Anlagen Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist gem. § 43 EuGVVO iVm §§ 1 Abs. 1, 11, 55 des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt.
Die Beschwerde jedoch unbegründet. Gründe iS von § 43 EuGVVO, bei deren Vorliegen die Vollstreckbarkeitserklärung aufgehoben werden darf, liegen nicht vor. Insoweit kommen nur die in Art. 34 und 35 EuGVVO aufgeführten Gründen in Betracht. Gem. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO wird eine Entscheidung dann nicht anerkannt, „wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück ... nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte“. Diese Vorschrift steht der Anerkennung des schwedischen Arrestbeschlusses in Deutschland nicht entgegen. Normzweck des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO ist die Gewährleistung und Durchsetzung des Anspruchs des Beklagten/Antragsgegners auf rechtliches Gehör im internationalen Rechtsverkehr, soweit dies im Stadium der Anerkennung noch möglich ist. Wenn schon dem Beklagten das rechtliche Gehör im Erstprozess abgeschnitten worden ist, so soll die darauf beruhende Entscheidung wenigstens in den übrigen Mitgliedsstaaten keine Wirkung entfalten (vgl. Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 34 Rn. 90 mwN).
Die Entscheidung des EuGH vom 21.05.1980 (IPRax 1981, 95, 96) ist zu Art. 27, 46 Nr. 2 EuGVÜ ergangen und auf die Art. 32 ff. EuGVVO nicht übertragbar (vgl. Geimer/Schütze, aaO, Art. 34 Rn. 107 mit Hinweis auf Micklitz/Rott EuZW 2002, 15, 16; Heinze RIW 2003, 922, 929). Unter anzuerkennende ausländische „Entscheidung“ iS von Art. 32 EuGVVO fallen auch Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschutzes, die in einem einstweiligen Verfügungs-, Anordnungs- oder Arrestverfahren ergangen sind. Würde man sog. „Ex Parte-Entscheidungen“ (= ohne Möglichkeit der vorherigen Anhörung für den Beklagten) aus dem Anwendungsbereich des Art. 32 EuGVVO verbannen, hätte dies eine nicht unerhebliche Lähmung des einstweiligen Rechtsschutzes im internationalen Bereich zur Folge (vgl. Geimer/Schütze, aaO, Art. 32 Rn. 35). Die durch den vorläufigen Rechtsschutz intendierte Überraschung des Schuldners würde ad absurdum geführt. Schließlich kennen die nationalen Rechtsordnungen aller Mitgliedsstaaten (in Deutschland z.B. §§ 916, 922, 935, 936 ZPO) einstweilige Anordnungen mit Überraschungseffekt. Dabei wird rechtliches Gehör erst ex post gewährt durch die Möglichkeit, für den Antragsgegner/Beklagten, einen Rechtsbehelf einzulegen und sich so zur Wehr zu setzen. Die Mitgliedsstaaten wollten auch im internationalen Kontext keine strengeren Maßstäbe aufstellen (Geimer/Schütze, aaO, Art. 32 Rn. 35 mwN). Auch der Verordnungsgeber hat auf die EuGH-Rechtsprechung nicht reagiert, er hält vielmehr in Art. 32 EuGVVO an der weiten Fassung des ursprünglichen Art. 25 EuGVÜ fest.
Eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung kommt nicht in Betracht. Die Entscheidung des EuGH vom 21.05.1980 (IPRax 1981, 95, 96) ist zu Art. 25 ff. EuGVÜ ergangen, die Regelungen in §§ 34 ff. EuGVVO haben in ihrem Anwendungsbereich inzwischen jedoch das EuGVÜ ersetzt. Die EuGVVO ist am 01.03.2002 in allen Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Dänemark – in Kraft getreten. Der Begriff „Entscheidungen“ iS von Art. 32 EuGVVO ist weit auszulegen, anderenfalls hätte der Verordnungsgeber bei Erlass der Verordnung vom 22.12.2002 (Nr. 44/2001) im Hinblick auf die bereits bekannte EuGH-Rechtsprechung (s. o.) reagiert, und Entscheidungen des Ursprungslandes im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes aus dem Anwendungsbereich der Anerkennungsvorschriften für die Vollstreckung ausgenommen.