Die Klägerin ist in L. ansässig und betreibt dort eine Marzipanfabrik. Die Beklagte stellt u.a. in ihrer Niederlassung in S., Frankreich, Schokolade her. Die Geschäftsbeziehungen der Parteien begannen im Oktober 1990. Mit Telefaxschreiben vom 20. Dezember 1990 bestätigte die Klägerin der Beklagten eine Bestellung von Marzipanmasse. Darin heißt es u.a.:
„Der Preis beträgt frei Haus B. unverzollt, unversteuert ...“
Einen Hinweis auf Allgemeine Geschäftsbedingungen enthält das Schreiben nicht. Am 14. Februar 1991 bot die Klägerin der Beklagten weitere Marzipanmasse an und wies wiederum darauf hin:
„Die oben genannten Preise gelten frei S ....“
Nach fernmündlicher Bestellung durch die Beklagte übermittelte ihr die Klägerin ein mit „Schlußschein“ überschriebenes Formular, in dem es auf der Vorderseite heißt:
„Wir bestätigen dankend, Ihnen zu unseren umseitigen Lieferungs- und Zahlungsbedingungen verkauft zu haben: “
Die Geschäftsbedingungen der Klägerin enthielten eine Klausel, nach der L. Erfüllungsort und Gerichtsstand sein sollte. Am 6. und am 24. September 1991 erteilte die Klägerin der Beklagten drei weitere Schlußscheine der oben beschriebenen Art mit einem jeweils auf der Vorderseite enthaltenen Zusatz:
„Lieferung: frei Haus B. unverzollt“.
Die Beklagte stellte in der von der Klägerin in verschiedenen Teilmengen gelieferten Marzipanmasse osmotolerante Hefe fest und teilte dies der Klägerin mit, die ihrerseits eine Verantwortlichkeit für diesen Mangel in Abrede stellte. Die Beklagte kündigte daraufhin die Geltendmachung von Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüchen an. In einem von der Beklagten noch im Jahr 1991 eingeleiteten Eilverfahren hat das Tribunal de Grande Instance de Strasbourg die von der Klägerin erhobene Zuständigkeitsrüge protokolliert und durch einstweilige Verfügung vom 21. Januar 1992 die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Den weitergehenden Antrag der Beklagten, die Klägerin zu einer „Vorauszahlung“ eines Abschlags von 5 Mio. FF auf den Schadensersatzanspruch zu verurteilen, hat es abgewiesen.
Mit der vorliegenden, am 30. Dezember 1991 beim Landgericht L. eingereichten und der Beklagten am 17. März 1992 zugestellten negativen Feststellungsklage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß der Beklagten aus den Lieferverträgen über Marzipanmasse vom 21. Februar 1991 sowie vom 6. und 24. September 1991 keinerlei Ansprüche gegen sie zustünden. Die Beklagte hat am 12. Mai 1992 gegen die Klägerin vor dem Tribunal de Grande Instance de Strasbourg Klage auf Zahlung von zunächst 5,1 Mio. FF erhoben.
Die Beklagte hält die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für nicht gegeben. Sie meint, im Hinblick auf die in Straßburg anhängige Leistungsklage fehle der negativen Feststellungsklage zudem das Rechtsschutzbedürfnis.
Das Landgericht hat mit Zwischenurteil die Zulässigkeit der Klage bejaht. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Zwischenurteils.
zum Seitenanfang Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Zu Recht habe das Landgericht zwar die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte angenommen. Diese ergebe sich aus Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ). Danach könne die in Frankreich ansässige Beklagte vor dem Gericht des Erfüllungsortes verklagt werden. Erfüllungsort sei nach Art. 31 des auf das vorliegende Vertragsverhältnis anwendbaren Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980 (CISG) die Niederlassung des Verkäufers, also L. Durch die Verwendung der Klauseln „frei S. “ bzw. „frei Haus B. unverzollt“ hätten die Parteien nicht davon abweichend eine Bringschuld vereinbaren und als Erfüllungsort die Niederlassung der Beklagten bestimmen wollen. Vielmehr liege ein Versendungskauf vor, bei dem die Klägerin die Kosten des Transports der Ware von L. nach S. habe tragen sollen.
Jedoch sei das Interesse der Klägerin an einer alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens von Schadensersatzansprüchen aufgrund der zwischenzeitlich von der Beklagten vor dem Gericht in Straßburg erhobenen Leistungsklage entfallen. Der Vorrang einer auf die Durchsetzung desselben Anspruchs gerichteten Leistungsklage bestehe ab dem Zeitpunkt, von dem an die Leistungsklage, auch wenn sie vor einem ausländischen Gericht erhoben worden sei, nicht mehr einseitig zurückgenommen werden könne. Davon sei für die in Straßburg erhobene Klage auszugehen. Darüber hinaus erfordere der Vorrang der Leistungsklage nicht zwingend, daß diese vor einem zuständigen Gericht erhoben worden sei. Über die Zuständigkeit des von der Beklagten angerufenen französischen Gerichts könne das Berufungsgericht ohnehin nicht verbindlich entscheiden. Dem Vorrang der später erhobenen Leistungsklage stehe auch die Vorschrift des Art. 21 EuGVÜ nicht entgegen. Sie betreffe für den Fall, daß wegen desselben Anspruchs Gerichte verschiedener Vertragsstaaten angerufen werden, nur das Verfahren des später angerufenen Gerichts, regele dagegen nicht, wie sich das zuerst befaßte Gericht in prozessualer Hinsicht zu verhalten habe. Dies bestimme sich allein nach dessen nationalem Prozeßrecht.
II. Diese Ausführungen halten, soweit sie das Fehlen eines besonderen Feststellungsinteresses verneinen, einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (BGHZ GS 44, 46, 48 ff), unter Zugrundelegung der Vorschriften des EuGVÜ – hier in der Fassung des Beitrittsabkommens vom 25. Oktober 1982 (BGBl. I 1988, S. 453 und 1989, S. 214; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Februar 1995 – VIII ZR 14/94 = WM 1995, 1124 unter II 5) – bejaht. Zwar sind nach Art. 2 und 53 EuGVÜ juristische Personen, die wie die Beklagte ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates haben, grundsätzlich vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen. Gerichte eines anderen Vertragsstaats können aber dann angerufen werden, wenn einer der – dies zulassenden – Ausnahmefälle vorliegt, die im EuGVÜ besonders geregelt sind.
a) Entgegen der Auffassung der Revision begründet Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht deshalb, weil die Beklagte ihre behaupteten Schadensersatzansprüche in L. als dem Regelgerichtsstand der Klägerin geltend machen müßte. Das EuGVÜ stellt nicht auf die Gläubiger- und Schuldnerstellung nach materiellem Recht ab, sondern allein auf die formale Parteirolle (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 5. Aufl., Art. 2 EuGVÜ Rn. 1; Huber, JZ 1995, 603, 606).
b) Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich indessen, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, aus Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Danach ist bei vertraglichen Ansprüchen das Gericht des Ortes zuständig, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Maßgebend ist dabei die primäre Hauptleistung, die den Gegenstand der Klage bildet, hier die Lieferpflicht der Klägerin (BGH, Urteil vom 13. Mai 1992 – VIII ZR 154/91 = EuZW 1992, 518 = WM 1992, 1297, 1344 unter II 2; BGH, Beschluß vom 28. März 1996 – III ZR 95/95 = NJW 1996, 1819 unter 2 c). Durch Leistungsstörung entstandene Sekundärpflichten auf Schadensersatz werden nicht gesondert angeknüpft (EuGH, Urteil vom 15. Januar 1987 – Rs 286/85 = NJW 1987, 1131 unter 9. der Gründe; Zöller/Geimer, ZPO, 19. Aufl., Art. 5 EuGVÜ Rn. 2).
An welchem Ort zu erfüllen ist, richtet sich regelmäßig nach dem materiellen Recht, das nach den Kollisionsnormen des mit dem Rechtsstreit befaßten Gerichts für die streitige Verpflichtung maßgebend ist (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1976 – Rs 12/76 = NJW 1977, 491 f; BGH, Urteil vom 13. Mai 1992 aaO). Auf das Internationale Privatrecht des Forums kommt es ausnahmsweise dann nicht an, wenn materielles Einheitsrecht eingreift, das seinen Anwendungsbereich ohne weitere Zwischenschaltung des Kollisionsrechts bestimmt, wie z.B. Art. 1 Abs. 1 lit. a CISG (Wieczorek/Schütze/Hausmann, ZPO, 3. Aufl., Art. 5 EuGVÜ Rn. 22; vgl. auch BGH, Beschluß vom 26. März 1992 – VII ZR 258/91 = EuZW 1992, 514 = WM 1992, 1715 unter V und EuGH, Urteil vom 29. Juni 1994 – Rs.C-288/92 = NJW 1995, 183 unter 27. der Gründe, jeweils zum zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Einheitlichen Kaufgesetz vom 17. Juli 1973). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift des CISG, das in Frankreich zum 1. Januar 1988 und in der Bundesrepublik Deutschland zum 1. Januar 1991 in Kraft getreten ist, hat das Berufungsgericht zu Recht bejaht. Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Kaufvertrag über Waren und haben ihre Niederlassungen in verschiedenen Vertragsstaaten. Erfüllungsort für die Lieferpflicht der Klägerin ist nach Art. 31 CISG deren Niederlassung, weil die Parteien insoweit keine anderweitige Vereinbarung getroffen haben, auch nicht durch die von der Klägerin benutzten Wendungen „... Preise gelten frei S. “ bzw. „Lieferung: frei Haus B. unverzollt“.
aa) Die Revisionserwiderung meint, das Berufungsgericht habe zu Unrecht auf das im Inland herrschende Verständnis der „frei-Klauseln“ abgestellt; die in Frankreich ansässige Beklagte, auf deren Empfängerhorizont es für die Auslegung von Erklärungen ankomme, habe diese Klauseln nach dem dort herrschenden Verständnis so auffassen dürfen, daß die Klägerin die Transportkosten zu tragen habe und Liefer- und damit Erfüllungsort S. habe sein sollen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Zwar ist zutreffend, daß nach Art. 8 Abs. 1 CISG bei der Auslegung von Willenserklärungen auf die Sicht und die Verständnismöglichkeit des Empfängers abzustellen ist (Schlechtriem/Junge, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht, 2. Aufl., Art. 8 CISG Rn. 4; Staudinger/Magnus, BGB, 13. Bearbeitung, Art. 8 CISG Rn. 11). Nach der Auslegungsregel des Art. 8 Abs. 3 CISG sind dabei alle erheblichen Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Verhandlungen zwischen den Parteien und die zwischen ihnen entstandenen Gepflogenheiten.
Davon ist aber auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat die Telefaxschreiben vom 20. Dezember 1990 und vom 14. Februar 1991 als Grundlage der vertraglichen Beziehungen der Parteien gesehen. Der aus ihrem Inhalt gezogene Schluß, die Parteien hätten mit diesen Formulierungen lediglich die Frage der Transportkosten und möglicherweise die Gefahrtragung, nicht aber den Erfüllungsort der klägerischen Lieferverpflichtung regeln wollen, hält sich im Rahmen vertretbarer tatrichterlicher Würdigung. Die dagegen erhobenen Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg, weil das Berufungsgericht die wesentlichen Auslegungsgesichtspunkte berücksichtigt hat. Die Erwägung des Berufungsgerichts, für eine Kostentragungsregelung spreche, daß in den genannten Telefaxschreiben das Wort „frei“ in einen Zusammenhang mit den Preisen gestellt werde, nicht mit dem Ort, an dem die Klägerin ihre Lieferpflicht zu erfüllen habe, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, daß die Beklagte als Erklärungsempfängerin die Klauseln nicht anders verstanden habe und daß die Parteien vor, bei und nach Vertragsschluß nicht über den Erfüllungsort gesprochen hätten. Wegen dieser rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist nicht entscheidend, daß der Klausel „frei ... Bestimmungsort“ im Handelsverkehr kein typischer, eindeutiger Erklärungswert zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 1983 – VIII ZR 195/81 = WM 1983, 1237 unter II 3 a mwN; Palandt/Heinrichs, BGB, 55. Aufl., § 269 Rn. 9). Ebensowenig kommt es darauf an, ob sie – wie die Beklagte meint – jedenfalls in Frankreich im Sinne der DDU-Klausel der Incoterms (DDU = Delivered Duty Unpaid = geliefert unverzollt ... benannter Erfüllungsort; abgedruckt bei Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl., S. 1077 ff, 1083, 1120) verstanden werde, wonach Liefer- und Erfüllungsort der benannte Ort des Einfuhrlandes sei. Angesichts des erkennbaren, übereinstimmenden Parteiwillens (Art. 8 Abs. 1 CISG) zum Verständnis der von der Klägerin verwendeten „frei-Klausel“, insbesondere bei Berücksichtigung der darin enthaltenen Verbindung mit den Preisen, verbleibt es vielmehr gemäß der Vorschrift des Art. 31 CISG dabei, daß Erfüllungsort für die Lieferpflicht der Klägerin deren Niederlassung in L. ist.
bb) An der Vertretbarkeit dieser tatrichterlichen Würdigung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die Klägerin in den Schlußscheinen vom 6. und 24. September 1991 die Worte „Lieferung: frei Haus B. unverzollt“ verwandt hat. Eine derartige Formulierung läßt sich dem Schlußschein vom 21. Februar 1991 noch nicht entnehmen. Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, es spreche nichts dafür, daß die Parteien ihre auf der Grundlage der genannten Telefaxschreiben und des Schlußscheins vom 21. Februar 1991 aufgenommenen Vertragsbeziehungen nachträglich hinsichtlich des Erfüllungsorts hätten ändern wollen.
c) Dahinstehen kann, ob sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte auch nach Art. 17 EuGVÜ aus einer Gerichtsstandsvereinbarung ergibt, die aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin und dem Schweigen der Beklagten nach deren Zugang hergeleitet werden könnte (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 6. März 1995 – II ZR 37/94 = WM 1995, 859 unter II 4 und vom 26. März 1992 aaO unter V 4 b; BGH, Urteil vom 9. März 1994 – VIII ZR 185/92 = WM 1994, 1088 unter I 2 c).
2. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht jedoch an, daß aufgrund der von der Beklagten in Straßburg erhobenen Leistungsklage das für die vorliegende negative Feststellungsklage notwendige Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines Rechtsverhältnisses weggefallen sei. Das ergibt sich weder aus inländischem Verfahrensrecht (unter a) noch aus der gebotenen autonomen Auslegung des Art. 21 EuGVÜ (unter b).
a) Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht darin, daß das Feststellungsinteresse für eine negative Feststellungsklage regelmäßig dann entfällt, wenn eine auf die Durchsetzung desselben Anspruchs gerichtete Leistungsklage erhoben wird und diese einseitig – durch den Anspruchsteller – nicht mehr zurückgenommen werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juli 1994 – I ZR 30/92 = NJW 1994, 3107 unter II 2 mwN). Kann die Leistungsklage wegen desselben Gegenstandes nicht mehr ohne Zustimmung des Anspruchsgegners zurückgenommen werden, hat er die Sicherheit, daß eine Entscheidung über die von ihm begehrte Feststellung nunmehr im Rahmen der Leistungsklage erfolgen oder doch nicht gegen seinen Willen unterbleiben wird (Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rn. 125).
aa) Der Vorrang der Leistungsklage gegenüber der Feststellungsklage wird damit begründet, daß für die Fälle, in denen der umstrittene Anspruch besteht, das Rechtsschutzziel der Leistungsklage – Erlangung eines vollstreckungsfähigen Titels – im Feststellungsverfahren nicht erreicht werden kann und daß allein die Erhebung der Leistungsklage die Unterbrechung der Verjährung bewirkt (BGH, Urteil vom 7. Juli 1994 aaO unter II 3 mwN). Das Feststellungsinteresse entfällt ausnahmsweise dann nicht, wenn die Feststellungsklage im Gegensatz zur später erhobenen Leistungsklage bereits entscheidungsreif ist (BGHZ 99, 340, 342) oder wenn die in der Berufungsinstanz erhobene Widerklage auf Leistung nach § 530 Abs. 1 ZPO unzulässig ist (BGHZ 33, 398, 399 zu § 529 Abs. 4 ZPO aF).
bb) Auch im gegebenen Fall besteht weiterhin ein Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung. Selbst wenn die Ansicht des Berufungsgerichts zutreffen sollte, die in Straßburg erhobene Leistungsklage sei nicht mehr einseitig von der Beklagten rücknehmbar, kann die Klägerin nicht davon ausgehen, daß über das Bestehen der Ansprüche, deren sich die Beklagte berühmt, im Rahmen des dortigen Verfahrens entschieden wird. Nach Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ in der hier maßgeblichen Fassung des Beitrittsabkommens vom 25. Oktober 1982 (vgl. oben II 1) hat sich das später angerufene Gericht, also das Gericht in Straßburg, zugunsten des zuerst angerufenen für unzuständig zu erklären, wenn vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs von denselben Parteien anhängig gemacht werden. Das ist hier der Fall.
aaa) Entscheidend dafür, ob derselbe Anspruch im Sinne des Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ verfolgt wird, ist nicht die formale Identität der Anträge, sondern der „Kernpunkt“ beider Streitigkeiten (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 1987 – Rs 144/86 = NJW 1989, 665 unter 16. und 17. der Gründe; BGH, Urteil vom 8. Februar 1995 – VIII ZR 14/94 = WM 1995, 1124 unter II 1 mit zustimmender Anmerkung Geimer EuZW 1995, 379). Nach der genannten Entscheidung des EuGH ist der Begriff „desselben Anspruchs“ in Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ weit auszulegen, um einander widersprechende Entscheidungen im Sinne von Art. 27 Abs. 3 EuGVÜ zu verhindern. Gemeinsamer Kernpunkt der von den Parteien erhobenen Klagen ist die Frage, ob der Beklagten Ansprüche wegen der Lieferung mangelhaften Marzipans zustehen oder nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 1994 – Rs.C-406/92 = EuZW 1995, 309 = NJW 1995, 1883 unter Nr. 3 der Gründe).
bbb) Der Prioritätsgrundsatz zu Art. 21 EuGVÜ greift unabhängig davon ein, ob die negative Feststellungsklage oder die Leistungsklage zuerst erhoben worden ist (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 1994 aaO unter 47. und 48. der Gründe; BGH, Urteil vom 8. Februar 1985 aaO unter II 2 mwN). Ob er auch dann gelten würde, wenn das später angerufene Gericht ausschließlich zuständig wäre, bedarf mangels entsprechender Anhaltspunkte ebensowenig einer Entscheidung wie im Senatsurteil vom 8. Februar 1995.
ccc) Dem Berufungsgericht ist zwar darin beizupflichten, daß es keine Entscheidung über die Zuständigkeit des später angerufenen französischen Gerichts treffen kann. Es hat aber seine Zuständigkeit und die Zulässigkeit der vor ihm erhobenen Klage zu prüfen. Das Rechtsschutzinteresse für eine negative Feststellungsklage des Anspruchsgegners entfällt trotz Anhängigkeit einer einseitig nicht mehr zurücknehmbaren Leistungsklage des Anspruchstellers dann nicht, wenn feststeht, daß sachlich über diesen Anspruch nicht entschieden werden wird. In diesem Zusammenhang hätte das Berufungsgericht als zuerst angerufenes Gericht Art. 21 EuGVÜ beachten und erkennen müssen, daß das französische Gericht bei Befolgung dieser Vorschrift nicht in der Lage ist, eine Sachentscheidung zu treffen.
b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch noch aus einem anderen Grund als unrichtig:
Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ, insbesondere die Begriffe „derselbe Anspruch“ und „dieselben Parteien“, sind nach der Rechtsprechung des EuGH autonom auszulegen. Auslegungsmaßstab sind das Übereinkommen selbst und die mit ihm verfolgten Ziele, nicht die Besonderheiten des Verfahrensrechts der einzelnen Vertragsstaaten (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 1987 aaO unter 11. der Gründe und vom 6. Dezember 1994 aaO unter 47. der Gründe; MünchKommZPO-Gottwald, IZPR Art. 21 EuGVÜ Rn. 3; Kropholler aaO Art. 21 EuGVÜ Rn. 3; Huber, JZ 1995, 603, 604). Wie bereits ausgeführt (oben unter II 2 a bb bbb), sieht Art. 21 EuGVÜ ein strenges Prioritätsprinzip vor, wonach auch die früher erhobene negative Feststellungsklage Vorrang vor der später erhobenen Leistungsklage hat. Das soll der Chancengleichheit zwischen Gläubiger und Schuldner dienen. Der Schuldner hat durch schnelle Erhebung einer negativen Feststellungsklage die gleiche Chance, sich das streitentscheidende Gericht auszusuchen, wie der Gläubiger (Kropholler aaO Art. 21 EuGVÜ Rn. 8; Schack, IPRax 1989, 139, 140). Einen Vorrang der – später erhobenen – Leistungsklage unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls des Feststellungsinteresses für die Feststellungsklage kennt das Übereinkommen im Gegensatz zum deutschen Recht nicht. Die Nichtbeachtung des sich aus Art. 21 EuGVÜ ergebenden Grundsatzes der zeitlichen Priorität unter Rückgriff auf die innerstaatliche prozessuale Regel des Vorrangs der Leistungsklage stünde im Widerspruch zum zwingenden Charakter des Übereinkommens und zu dem dadurch begründeten europäischen Justizgewährungsanspruch (vgl. Huber aaO S. 608; kritisch Leipold, Gedächtnisschrift für Arens, 1993, S. 227, 245 f, der allerdings die Entscheidungen des EuGH vom 6. Dezember 1994 und des erkennenden Senats vom 8. Februar 1995, jeweils aaO, noch nicht berücksichtigen konnte). Diese Entscheidung führt nicht dazu, daß der Gläubiger seinen Anspruch überhaupt nicht mehr geltend machen kann. Ihm bleibt die Möglichkeit der Leistungswiderklage am Gericht der Feststellungsklage gemäß Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ (Huber und Schack jeweils aaO; diese Rechtsfolge wird von einem Teil der Literatur sogar in Fällen ohne Auslandsbezug als zwingend angesehen, vgl. MünchKommZPO-Lüke, § 256 Rn. 62 und § 261 Rn. 66 mwN).
III. Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Da der Zwischenstreit über die Zulässigkeit der negativen Feststellungsklage zur Entscheidung reif war, konnte der Senat insoweit selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).