I. Auszulegen ist das bezeichnete Übereinkommen in der seit dem Inkrafttreten des zweiten Beitrittsabkommens vom 25. Oktober 1982 mit der Republik Griechenland geltenden Fassung (Art. 54 Abs. 1 EuGVÜ).
II. Die Gläubigerin ist eine in Arhus, Dänemark, ansässige Bank. Der Schuldner wohnte früher ebenfalls in Dänemark. Er anerkannte dort am 3. Mai 1990 und 17. September 1992 in drei dänisch-sprachigen Schuldscheinen (Gaeldsbrev), der Gläubigerin 270.000 DKK, 422.000 DKK und 138.000 DKK nebst Zinsen zu schulden. Die Schuldscheine sind jeweils mit Schreibmaschine auf einer Urkunde – davon zwei mit dem aufgedruckten Namen der Gläubigerin – geschrieben, vom Schuldner unterschrieben sowie von einer weiteren Person – anscheinend einem Angestellten der Klägerin – als Zeugen für die Unterschriftsleistung unterzeichnet. Die Schuldscheine sehen jeweils vor, daß sie gemäß § 478 des dänischen Rechtspflegegesetzes als Grundlage für die Pfändung dienen können. Die darin genannten Beträge sind in vollem Umfang oder wenigstens mit zahlreichen Monatsraten fällig. Später nahm der Schuldner in Weiterstadt in Deutschland eine Arbeitsstelle und eine Wohnung an. Die Gläubigerin ließ ihm die Schuldscheine dort zustellen.
Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des für Weiterstadt zuständigen Landgerichts Darmstadt ausgesprochen, daß die Zwangsvollstreckung aus den drei bezeichneten Schuldscheinen in Höhe der darin genannten Beträge nebst näher bestimmten Zinsen zulässig ist. Dagegen hat der Schuldner Beschwerde eingelegt. Er hat u. a. geltend gemacht, einen Teil der Schuld infolge von Vollstreckungsmaßnahmen erfüllt zu haben; ferner hätten die Parteien Ratenzahlung vereinbart. Einige Monate später hat der Schuldner mitgeteilt, daß sein Arbeitsvertrag in Deutschland beendet und er aus Deutschland verzogen ist; eine neue Wohnung hat er nicht mitgeteilt. Daraufhin hat das Oberlandesgericht Frankfurt den Beschluß des Vorsitzenden der Zivilkammer des Landgerichts abgeändert und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nachdem der Schuldner ins Ausland verzogen sei, sei das Rechtsschutzbedürfnis für die von der Gläubigerin begehrten Vollstreckbarerklärungen entfallen; ein solches Rechtsschutzbedürfnis bestehe nur, wenn eine Vollstreckung in Deutschland in Betracht komme und dies entsprechend substantiiert behauptet werde. Dagegen hat die Gläubigerin form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt.
III. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 50 Abs. 1 Satz 1 iVm Art. 31 ff EuGVÜ kann nur Erfolg haben, wenn die vom Schuldner unterzeichneten Schuldscheine öffentliche Urkunden im Sinne von Art. 50 Abs. 1 Satz 1 EuGVÜ darstellen. Dieser Begriff ist nach Auffassung des vorlegenden Senats vertragsautonom auszulegen, damit er in allen Vertragsstaaten einheitlich angewendet werden kann.
1. Auf der Grundlage der von der Gläubigerin mitgeteilten Vorschriften des dänischen Gesetzes über die Rechtspflege hat der vorlegende Senat von folgender rechtlicher Gestaltung der Vollstreckungsmöglichkeit aus den genannten Schuldscheinen in Dänemark auszugehen:
Nach § 478 Abs. 1 Nr. 5 des Rechtspflegegesetzes kann die Zwangsvollstreckung auf der Grundlage von Schuldscheinen erfolgen, sofern in der Urkunde ausdrücklich festgelegt ist, daß diese als Grundlage der Zwangsvollstreckung dienen können. Die Zwangsvollstreckung ist gegen jeden zulässig, der sich durch seine Unterschrift auf der Urkunde als Schuldner, selbstschuldnerischer Bürge oder Verpfänder verpflichtet hat (§ 478 Abs. 4). Der Antrag auf Vollstreckung kann gemäß § 486 Abs. 1 Satz 1 iVm § 484 Abs. 1 des Rechtspflegegesetzes regelmäßig nach Ablauf von 14 Tagen seit Fälligkeit der Forderung beim Vollstreckungsgericht (§ 487) gestellt werden. Bei der Antragstellung ist gemäß § 488 Abs. 2 Satz 2 die Originalurkunde beizufügen, es sei denn, das Vollstreckungsgericht sieht dies nicht als notwendig an. Das Vollstreckungsgericht setzt sodann Zeit und Ort für die Vollstreckungshandlung fest (§ 491 Abs. 1 Satz 1). Es kann, soweit erforderlich, die Räumlichkeiten und Behältnisse des Schuldners sowie dessen Person durchsuchen und Gewalt anwenden (§ 498). § 501 des Dänischen Rechtspflegegesetzes bestimmt – in deutscher Übersetzung -:
„(1) Werden Einwendungen gegen die Grundlage der Zwangsvollstreckung vorgebracht und ist es nach der Beweisführung, die vor dem Vollstreckungsgericht erfolgen kann..., bedenklich, die Vollstreckungshandlung zu fördern, weist das Vollstreckungsgericht den Antrag des Gläubigers zurück.
(2) Einwendungen gegen die Richtigkeit von Urteilen ... können während der Zwangsvollstreckung nicht geltend gemacht werden.
(4) Das Vollstreckungsgericht kann eine Beweisführung verweigern, die aufgrund des Umfangs oder der Beschaffenheit oder anderer besonderer Gründe im Rahmen eines ordentlichen Prozesses geschehen sollte.“
Danach scheint der Gläubiger aufgrund der Beweiskraft einer solchen Urkunde ohne weiteres zur Zwangsvollstreckung zugelassen zu werden, doch kann das Vollstreckungsgericht ihn nach dem Verständnis des vorlegenden Senats darauf verweisen, zuvor ein Urteil über die beurkundete Forderung zu erwirken, wenn aufgrund der Einwendungen des Schuldners erhebliche Zweifel an der Berechtigung der beizutreibenden Forderung bleiben (§ 501 Abs. 1 des dänischen Rechtspflegegesetzes).
2. Ein Schuldschein – wie die vom Schuldner hier unterzeichneten – wäre nach deutschem Recht keine „öffentliche Urkunde“. Darunter sind nach § 415 Abs. 1 der deutschen Zivilprozeßordnung nur Urkunden zu verstehen, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind. Urkunden, die der Aussteller selbst – sei es auch in Anwesenheit einer sonstigen Privatperson – unterschreibt, werden als Privaturkunden (§ 416 ZPO) bezeichnet.
Jedoch ist die Ausdrucksweise in den verschiedenen Sprachen der Mitgliedstaaten nicht einheitlich. Beispielsweise werden sie im englischen Text bezeichnet als „a document which has been formally drawn up or registered as an authentic instrument“. Der dänische Text nennt sie „officielt bekraeftede dokumenter“.
Aus Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ läßt sich für die Auslegung des Begriffs der „öffentlichen Urkunde“ in diesem Zusammenhang nichts entnehmen. Zwar muß danach die Partei, welche die Zwangsvollstreckung betreiben will, die Urkunden vorlegen, aus denen sich unter anderem ergibt, daß die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsstaates vollstreckbar ist. Eine besondere Bescheinigung der Vollstreckbarkeit scheint es für den dänischen Schuldschein nicht zu geben. Gerade für einen solchen Fall, daß die Entscheidung – oder Urkunde – selbst schon als Nachweis ihrer Vollstreckbarkeit ausreicht, kann aber allgemein von der Vorlage einer besonderen Bescheinigung abgesehen werden (vgl. Jenard-Bericht zum EuGVÜ vor Art. 48). Der Jenard-Bericht zu Art. 50 EuGVÜ ergibt für die hier vorzunehmende Auslegung keine über Art. 50 Abs. 2 hinausgehenden Hinweise. Die weitere Voraussetzung der Vollstreckbarkeit und die des Art. 50 Abs. 2 EuGVÜ erfüllen die vorgelegten Schuldscheine nach dem insoweit maßgeblichen dänischen Recht.
3. In Deutschland hat das Oberlandesgericht Schleswig (Beschl. v. 31. Oktober 1995 – 16 W 59/98) einen „Gaeldsbrev“ als öffentliche Urkunde im Sinne des Art. 50 Abs. 1 EuGVÜ anerkannt. Auch Schütze (in Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung Bd. I 1. Halbbd. § 173 II 3 h) will anscheinend alle in § 478 des dänischen Rechtspflegegesetzes genannten Urkunden ausreichen lassen.
Demgegenüber nimmt Wolff (in Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts Bd. III/2, Vollstreckbarerklärung Rn. 251) an, das dänische Recht kenne keine vollstreckbaren Urkunden im Sinne des Art. 50 EuGVÜ. Geimer (in Zöller, ZPO 20. Aufl. Art. 50 GVÜ Rn. 1) geht auf das Beispiel von Wechseln ein, die nach italienischem Recht – genau wie gemäß § 478 Abs. 1 Nr. 7 des dänischen Rechtspflegegesetzes – zwar vollstreckbare Titel seien, aber keine „öffentlichen Urkunden“ im Sinne von Art. 50 EuGVÜ.
Zu dem wortgleichen Art. 50 des in Lugano am 16. September 1988 geschlossenen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen liegt eine nähere Präzisierung des Begriffs der „öffentlichen Urkunde“ vor. Gemäß dem Bericht von Jenard/Möller Nr. 72 setzt sie unter anderem voraus, daß sie von einer Behörde beurkundet worden ist und die Beurkundung sich auch auf den Inhalt, nicht nur z.B. auf die Unterschrift bezieht. Diesem Bericht zufolge werden Wechsel und Schecks ebensowenig von Art. 50 erfaßt wie z.B. außergerichtliche Vergleiche (die gemäß § 478 Abs. 1 Nr. 4 des dänischen Rechtspflegegesetzes in gleicher Weise vollstreckbar sind wie Schuldscheine). Im Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens wären die hier fraglichen Schuldscheine deshalb nicht in anderen Vertragsstaaten vollstreckbar.
IV. Das Beschwerdegericht hat im vorliegenden Falle die zu 1. gestellte Frage offengelassen. Es hat statt dessen für entscheidend gehalten, daß der Schuldner jetzt nicht mehr im Gerichtsbezirk wohne.
1. Nach Auffassung des vorlegenden Senats ist diese Begründung nicht richtig. Gemäß Art. 32 Abs. 2 Satz 1 EuGVÜ wird die örtliche Zuständigkeit durch den Wohnsitz des Schuldners bestimmt. Der zweite Satz dieser Vorschrift behandelt sogar ausdrücklich den Fall, daß der Schuldner keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats hat (vgl. dazu auch Art. 36 Abs. 2); dann ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Maßgeblich können zunächst nur die Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung sein. § 261 Abs. 3 Nr. 2 der deutschen Zivilprozeßordnung bestimmt ausdrücklich, daß nach Rechtshängigkeit einer Klage die Zuständigkeit des Prozeßgerichts nicht durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände berührt wird. Auch ohne eine entsprechende ausdrückliche Vorschrift im europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen muß sich der Gläubiger auf die Verhältnisse im Zeitpunkt seiner Antragstellung verlassen können (ebenso Bülow/Böckstiegel/Müller, Der Internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Nr. 606 Bl. 238 f). Zu dieser Zeit wohnte der Schuldner noch im Bezirk des angerufenen Gerichts. Nachträgliche Veränderungen dürfen allenfalls bewirken, daß eine zunächst fehlende Zuständigkeit bis zum Zeitpunkt der Entscheidung noch herbeigeführt wird (ebenso OLG Saarbrücken IPRspr. 1992 Nr. 219).
Die Begründung des Beschwerdegerichts im vorliegenden Fall unterläuft im Ergebnis diese Zuständigkeitsregelung, indem sie dem Gläubiger ein rechtlich schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung seines Antrags abspricht, sobald der Schuldner aus dem Gerichtsbezirk fortzieht. Ein Rechtsschutzinteresse kann nach deutschem Prozeßrecht fehlen, wenn eine Partei aufgrund einer formalen Rechtsstellung ein Verfahren betreibt, das ihr im Einzelfalle keinerlei rechtlichen oder wirtschaftlichen Nutzen bringen kann. Solche Voraussetzungen sind hier nicht festgestellt. Der neue Aufenthaltsort des Schuldners ist unbekannt. Er kann später in den Gerichtsbezirk zurückkehren. Die Auffassung des Beschwerdegerichts würde dazu führen, daß jeder Schuldner sich schon der Vollstreckbarerklärung – als Voraussetzung für jede Zwangsvollstreckung – dadurch entziehen könnte, daß er kurz vor dem Ende des Anerkennungsverfahrens den Gerichtsstand verläßt, ohne einen neuen Aufenthaltsort mitzuteilen.
Die Auffassung des Beschwerdegerichts verstößt nach Meinung des vorlegenden Senats auch gegen Art. 32 Abs. 2 EuGVÜ. Danach ist schon das Gericht zuständig, in dessen Bezirk „die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll“. Überwiegend wird angenommen, daß hierzu die Absicht des Gläubigers genügt (so Geimer in Geimer/Schütze aaO § 150 XXI 3, S. 1142 f; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 5. Aufl. Art. 32 Rn. 4; Bülow/Böckstiegel/Müller aaO Bl. 237; Wolff aaO Rn. 229), daß der Schuldner also in diesem Bezirk gegenwärtig – noch – kein Vermögen haben muß (insoweit a.M. Nagel, Internationales Zivilprozeßrecht 3. Aufl. Abschn. XI Rn. 765; sowohl auch OLG Stuttgart Justiz 1980, 276, 277). Hat ein Schuldner bereits einmal in einem Gerichtsbezirk gewohnt und gearbeitet, so wird seinem Gläubiger nicht die Absicht abgesprochen werden können, in diesem Gerichtsbezirk künftig zu vollstrecken, sobald sich erneut eine Gelegenheit dazu bietet.
2. Der Senat hält jedoch eine vertragsautonome Entscheidung dieser Frage unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung auch der anderen Vertragsstaaten für geboten.
V. Die gestellten Vorfragen sind in folgender Weise entscheidungserheblich:
Wird die Frage zu 1. verneint, ist der von der Gläubigerin gestellte Antrag unbegründet, ohne daß es noch auf die Frage zu 2. ankäme. Wird die Frage zu 1. hingegen bejaht, so ist der Antrag des Gläubigers auf Vollstreckbarerklärung wenigstens dem Grunde nach gerechtfertigt, sofern nicht die Frage zu 2. bejaht wird. Andere Gründe stehen der Vollstreckbarerklärung jedenfalls nicht insgesamt entgegen, da der Anspruch allenfalls teilweise erfüllt sein kann. Der Einwand des Schuldners, Ratenzahlung sei vereinbart worden, dürfte unerheblich sein, weil er selbst nicht behauptet, irgendwelche Raten geleistet zu haben, und weil er der Gläubigerin auch seinen neuen Aufenthaltsort – soweit dargetan – nicht mitgeteilt hat.
Wird die Frage zu 2. bejaht, so ist die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin zurückzuweisen, ohne daß es auf die Frage zu 1. ankäme.