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Zusammenfassung der Entscheidung Die Kläger, deutsche Rentner, beauftragten die in London (UK) ansässige Beklagte zu 1 mit Börsentermingeschäften an der Londoner Börse. Hierfür richtete ihnen die Beklagte zu 1 Konten ein, die am 13.11.1997 einen Sollstand aufwiesen. Die Beklagte zu 1 trat ihre Forderungen daraus an die Beklagte zu 2, mit Sitz in London, ab, welche in London gegen die Kläger Klage auf Zahlung des Sollbetrags erhob. Die Kläger erhoben zeitlich später beim Landgericht D. (DE) gegen die Beklagten Klage auf Feststellung, dass sie den Beklagten nichts schulden und die Beklagte zu 1 ihnen zu Schadensersatz verpflichtet ist. Das Landgericht D. (DE) setzte das Verfahren gegen die Beklagte zu 2 gemäß Art. 21 EuGVÜ und das Verfahren gegen die Beklagte zu 1 gemäß Art. 22 Abs. 1 und 2 EuGVÜ aus. Dagegen legten die Kläger, soweit das Verfahren gegen die Beklagte zu 1 ausgesetzt wurde Beschwerde ein.
Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. (DE) hob daraufhin den Aussetzungsbeschluss im angefochtenen Umfang auf. Der Beschluss beruhe, soweit er sich auf Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ stützte, auf einem Ermessensfehler. Art. 22 EuGVÜ räume dem Zweitgericht – anders als Art. 21 EuGVÜ – ein Ermessen ein, in dessen Rahmen berücksichtigt werden müsse, ob die Entscheidung des Erstgerichts in Deutschland anerkannt werden könne; denn wenn feststehe, dass die Entscheidung im Staat des Zweitgerichts nicht anerkannt werde, habe diese Entscheidung keine Bedeutung für das Zweitgericht. Diese Anerkennungsprognose nahm das Zweitgericht bewusst nicht vor. Eine Anerkennung der Entscheidung des Erstgerichts verbiete hier Art. 28 Abs. 1 EuGVÜ, da die Entscheidung Art. 14 Abs. 2 EuGVÜ verletzen würde, denn die Klage vor dem englische Gericht betreffe eine Verbrauchersache im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ. Soweit sich der Beschluss auf Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ stütze, sei dies offensichtlich irrtümlich geschehen, da dessen Voraussetzung nicht vorlägen und die Norm für deutsche Gerichte unanwendbar sei.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Kläger, in Deutschland wohnende Rentner, beauftragten durch Vermittlung der deutschen P. KG die Beklagte zu 1), die ihren Sitz in London hat, mit Börsentermingeschäften an der Londoner Börse. Hierfür richtete ihnen die Beklagte zu 1) zwei Konten ein, die am 13.11.1997 einen Sollstand von insgesamt 40.192,34 englische Pfund aufwiesen. Die Beklagte zu 1) trat ihre Forderungen aus den Konten am 19.11.1997 an die Beklagte zu 2) ab, die ebenfalls ihren Sitz in London hat. Die Beklagte zu 2) erhob gegen die Kläger beim High Court of Justice in London Klage auf Zahlung der 40.192,34 englische Pfund. Die Kläger erhoben zeitlich später gegen die Beklagten beim Landgericht Darmstadt Klage mit dem Antrag, festzustellen, daß sie beiden Beklagten nichts schulden und darüber hinaus die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, den Klägern alle Schäden zu ersetzen, die ihnen im Zusammenhang mit der Forderungsabtretung vom 19.11.1997 entstanden sind und noch entstehen. Durch Beschluß vom 25.03.1999 hat das Landgericht das Verfahren, soweit es die Klage gegen die Beklagte zu 2) betrifft, gemäß Art. 21 Abs. 1 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.09.1968 (EuGVÜ) ausgesetzt und das Verfahren, soweit es die Klage gegen die Beklagte zu 1) betrifft, gemäß Art. 22 Abs. 1 und 2 EuGVÜ ausgesetzt. Gegen diesen Beschluß haben die Kläger mit Schriftsatz vom 23.12.1999 Beschwerde eingelegt, soweit durch ihn das Verfahren betreffend die Klage gegen die Beklagte zu 1) ausgesetzt worden ist. Sie beantragen, ihn insoweit aufzuheben.
Das statthafte (§ 252 ZPO) und auch sonst zulässige Rechtsmittel ist begründet. Der angefochtene, Beschluß vom 25.03.1999 ist aufzuheben, soweit er angefochten ist.
Soweit sich der angefochtene Teil des Beschlusses auf Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ stützt, beruht er auf einem Ermessensfehler des Landgerichts. Die Verfahrensaussetzung nach Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ, der eine Kann- Vorschrift ist, hat im Ermessen des Landgerichts gelegen. Dieses Ermessen kann der Senat im Beschwerdeverfahren des § 252 ZPO auf Fehler überprüfen (vgl. OLG München, NJW-RR 1995, 779; OLG Celle, NJW 1975,2208; jeweils mit weiteren Nachweisen).
Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung des Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ grundsätzlich vor. Die Beklagte zu 2) hat bei einem Gericht in einem Vertragsstaat des EuGVÜ (Großbritannien) Klage gegen die Kläger erhoben, und die Kläger haben später bei einem Gericht in einem anderem Vertragsstaat des EuGVÜ (Bundesrepublik Deutschland) Klage gegen die beiden Beklagten erhoben. Die Klage der Beklagten zu 2) gegen die Kläger steht mit deren Klage gegen die beiden Beklagten im Zusammenhang im Sinne des Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ. Danach stehen Klagen im Zusammenhang, wenn zwischen ihnen eine so enge Beziehung gegeben ist, daß eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, daß in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Für einen solchen Zusammenhang genügt es, daß den jeweiligen Klagen ein übereinstimmender Lebenssachverhalt zugrundeliegt (Geimer in Zöller, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl. 1999, Art. 22 EuGVÜ Rn 4; so auch im Ergebnis Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl. 1998, Art. 22 EuGVÜ Rn 5). Das ist hier der Fall. Sowohl die Beklagte zu 2) als auch die Kläger stützen ihre Klage auf denselben Lebenssachverhalt, nämlich die Börsentermingeschäfte, welche die Beklagte zu 1) im Auftrag der Kläger vorgenommen hat. Dem Zusammenhang der Klagen steht nicht entgegen, daß die Beklagte zu 1) ihrerseits keine Klage gegen die Kläger erhoben hat. Da Art. 22 EuGVÜ nicht die Identität der Parteien in jedem der anhängigen Verfahren verlangt (Kropholler, aaO; Schlosser, Kommentar zum EUGVÜ, 1996, Art. 22 EuGVÜ Rn 3), ist es auch nicht erforderlich, daß alle Parteien des einen Verfahrens wiederum in dem anderen Verfahren auftreten müssen. Die Klagen der Beklagten zu 2) und der Kläger sind noch im ersten Rechtszug anhängig. Was die Klage der Beklagten zu 2) angeht, ist jedenfalls nichts Gegenteiliges bekannt.
Jedoch hat das Landgericht bei Anwendung des Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ einen Ermessensfehler begangen. Er liegt darin, daß es im Rahmen seines Ermessens bewußt nicht berücksichtigt hat, ob die Entscheidung des englischen Gerichts in Deutschland anerkannt werden kann. Es hat in seinem Beschluß vom 25.03.1999 ausdrücklich ausgeführt, eine solche Anerkennungsprognose sei für eine Aussetzung gemäß Art. 22 EuGVÜ nicht vorzunehmen. Dem ist nicht zu folgen. Nach richtiger Ansicht (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl. 1998, Art. 22 EuGVÜ Rn 7 und 10; KG, Beschluß vom 21.03.2000 – 5 W 179/00 -, Anlage K 12 zum Schriftsatz der Kläger vom 03.04.2000), der sich der Senat anschließt, ist eine Anerkennungsprognose im Rahmen des Ermessens nach Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ durchaus zulässig. Das widerspricht nicht den Urteilen des Bundesgerichtshofs in NJW 1995, 1758 und des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in NJW 1992, 3221, die für Art. 21 EuGVÜ eine Anerkennungsprognose ausgeschlossen haben. Diese Rechtsprechung läßt sich nicht auf Art. 22 EuGVÜ übertragen, da Art. 21 EuGVÜ im Gegensatz zu Art. 22 EuGVÜ kein Ermessen des Zweitgerichts zuläßt. Die Prüfung der Anerkennungsprognose im Rahmen des Ermessens nach Art. 22 Abs. 1 EuGVÜ ist auch notwendig. Denn, wenn feststeht, daß die Entscheidung des Erstgerichts nicht im Staat des Zweitgerichts anerkannt werden wird, so hat diese Entscheidung keine Bedeutung für das Zweitgericht. Dann ist aber eine Aussetzung des beim Zweitgericht anhängigen Verfahrens in der Regel sinnlos und verzögert nur dieses Verfahren ohne Not (so auch KG, aaO; Geimer in Zöller, Kommentar zur ZPO, 21. Aufl. 1999, Art. 22 EuGVÜ Rn 6).
Im vorliegenden Fall steht nach bisherigem Sachstand fest, daß eine Entscheidung des High Court of Justice in London, vor dem die Beklagte zu 2) Klage gegen die Kläger erhoben hat, nicht in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt und damit für das Landgericht bedeutungslos sein wird. Eine Anerkennung verbietet Art. 28 Abs. 1 EuGVÜ, da die Entscheidung des englischen Gerichts Art. 14 Abs. 2 EuGVÜ verletzen würde. Nach dieser Vorschrift ist für die Klage der Beklagten zu 2) nur das Gericht zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Kläger ihren Wohnsitz haben, also das Landgericht Darmstadt. Denn die Klage der Beklagten zu 2) betrifft eine Verbrauchersache im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ, dessen Voraussetzungen hier vorliegen.
Die Kläger haben nicht im Rahmen beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit die Beklagte zu 1) mit den Börsentermingeschäften beauftragt. Die Börsentermingeschäfte, welche die Beklagte zu 1) für die Kläger vorgenommen hat, sind eine diesen erbrachte Dienstleistung (vgl. hierzu EuGH, ZIP 1994, 1632; BGH, WM 1991, 360; OLG Köln, ZIP 1989, 838). Den Aufträgen der Kläger ist eine Werbung der Beklagten zu 1) in der Bundesrepublik Deutschland vorausgegangen, darin bestehend, daß die Beklagte zu 1) die Werbung, welche die P. KG im Ergebnis für sie gemacht hat, gekannt und gebilligt hat. Schließlich haben die Kläger die zur Beauftragung der Beklagten zu 1) erforderlichen rechtsgeschäftlichen Erklärungen in der Bundesrepublik Deutschland abgegeben. Der alles dieses enthaltende Vortrag der Kläger ist unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO). Soweit die Beklagten lediglich vortragen, die Frage, ob ein Verbrauchergerichtsstand nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ eröffnet sei, sei „nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich streitig“ (Schriftsatz vom 14.02.2000 Ziffer 3 Abs. 2 S. 1), ist dieses Vorbringen viel zu unsubstantiiert, um beachtlich zu sein. Die Parteien tragen nicht vor, daß der High Court of Justice in London mit gegenteiligen tatsächlichen Feststellungen seine Zuständigkeit angenommen hat (Art. 8 Abs. 2 EuGVÜ).
Soweit sich der angefochtene Teil des landgerichtlichen Beschlusses vom 25.03. 1999 auf Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ stützt, ist dies offensichtlich irrtümlich geschehen. Denn das Landgericht hat sich nicht für unzuständig erklärt, die Parteien haben dies auch nicht beantragt, und Art. 22 Abs. 2 EuGVÜ ist für deutsche Gerichte unanwendbar, da § 147 ZPO die Verbindung von Verfahren nur gestattet, wenn sie bei demselben Gericht anhängig sind (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl. 1998, Art. 22 EuGVÜ Rn 8).