I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob ein vor dem Landgericht Düsseldorf schwebender Patentverletzungsprozeß gemäß Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ wegen einer in Belgien erhobenen negativen Feststellungsklage auszusetzen ist.
1. Klägerin des vor dem Landgericht Düsseldorf geführten Rechtsstreits ist die C. Incorporated mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie nimmt die Beklagten (die als deutsche bzw. belgische Tochtergesellschaft zum S. Konzern gehören) aus dem deutschen Teil des europäischen Patents 0 527 753 auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung, Entschädigung und Schadenersatz in Anspruch. Die Klage richtet sich gegen den Vertrieb eines Keuchhusten-Schutzimpfstoffes, der von der Beklagten zu 2) in Belgien hergestellt und nach Deutschland exportiert und von der Beklagten zu 1) im Bundesgebiet unter der Bezeichnung „I.“ angeboten und in Verkehr gebracht wird.
Eingetragene Inhaberin des – am 15. Januar 1997 veröffentlichten – europäischen Patents 0 527 753 war ursprünglich die in Kanada ansässige C. Limited. Am 29. August 1997 – während des vorliegenden Rechtsstreits – ist das Klagepatent auf die Klägerin übertragen worden.
Anfänglich war die Klage dementsprechend auf eine (behauptete) Lizenz der Klägerin am Gegenstand des Klagepatents und eine von der damaligen Patentinhaberin (C. Ltd.) erteilte Prozeßführungsermächtigung gestützt. Mit am 18. Dezember 1997 zugestel1tem Schriftsatz vom 15. Dezember 1997 hat sich die Klägerin auf ihre zwischenzeitlich eigenen Rechte als Inhaberin des Klagepatents berufen.
Die Klageschrift ist der Beklagten zu 1) am 22. Mai 1997 zugestellt worden. Die Zustellung an die Beklagte zu 2) – gegen die die Klägerin ihre Klage mit Schriftsatz vom 13. Oktober 1997 nachträglich erweitert hat – ist am 21. Januar 1998 erfolgt.
2. Die Beklagte zu 1) ist zusammen mit weiteren S. -Gesellschaften Klägerin in einem Verfahren vor dem Tribunal de Premiére Instance in Brüssel. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Nichtigerklärung des europäischen Patents 0 527 753 für das Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien sowie die Feststellung des Gerichts, daß die Klägerinnen das Klagepatent in keinem der Benennungsstaaten verletzen. Der begehrte Feststellungsausspruch ist zunächst als Hilfsantrag deklariert gewesen. Mit Schriftsatz vom 30. September 1997 haben die Klägerinnen angekündigt, ihren bisherigen Hilfsantrag als zweiten Hauptantrag weiterzuverfolgen.
Erhoben war die Klage ursprünglich gegen die C. Ltd. als die damalige Patentinhaberin. Ihre Ladung zur Verhandlung über die angekündigten Anträge ist am 14. Januar 1997 erfolgt. Mit Schriftsatz vom 28. November 1997 hat die Beklagte zu 2) – S. S. A. – erklärt, daß sie als weitere Klägerin in das belgische Verfahren eintrete. Gleichzeitig haben die Klägerinnen ihre Klage auf die C. Inc. als die zwischenzeitlich neue Inhaberin des Klagepatents erstreckt.
3. Das Landgericht hat den bei ihm anhängigen Verletzungsprozeß gemäß Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ ausgesetzt, bis die Zuständigkeit des von den Beklagten angerufenen Tribunal de Premiére Instance geklärt ist. In der Begründung seiner Entscheidung (veröffentlicht in GRUR Int. 1998, 804 – Impfstoff) hat es die Auffassung vertreten, daß im deutschen und im belgischen Verfahren zwischen denselben Parteien über denselben Anspruch gestritten werde und das belgische Verfahren zeitlich vor dem deutschen Verfahren anhängig geworden sei. Gegen diese Beurteilung richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II. A. Die Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluß des Landgerichts ist zulässig.
Das Verfahren der Aussetzung ist im EuGVÜ nicht im einzelnen geregelt. Es richtet sich infolgedessen nach dem nationalen Prozeßrecht des Zweitgerichts, welches die Aussetzung angeordnet hat – in der Bundesrepublik Deutschland also nach § 148 ZPO (Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl., Art. 21 Rn. 23; Bülow/Saffering, Der internationale Rechtsverkehr in Zivil– und Handelssachen, Band 1, Stand: 1. Januar 1998, S. 606-426). Der Aussetzungsbeschluß kann dementsprechend in analoger Anwendung des § 252 ZPO mit der einfachen Beschwerde angefochten werden.
B. Ob die Aussetzungsanordnung des Landgerichts in der Sache zu Recht ergangen ist, hängt von der Auslegung des Art. 21 EuGVÜ ab. Vor einer Entscheidung über die Beschwerde hält es der Senat deshalb für geboten, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zu den im Beschlußtenor aufgeführten Fragen einzuholen (Art. 2 Nr. 2, Art. 3 Abs. 2 des Protokolls betreffend die Auslegung des Übereinkommens durch den Gerichtshof vom 3. Juni 1971 idF vom 26. Mai 1989) Das Beschwerdeverfahren ist bis dahin einstweilen auszusetzen (§ 148 ZPO).
1. Das angerufene Landgericht Düsseldorf ist für die bei ihm erhobene Patentverletzungsklage international zuständig. Die Beklagte zu 1) – S. Pharma GmbH – hat ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ, § 32, 35 ZPO); hinsichtlich der Beklagten zu 2) – S. Manufacturing S. A. – ist mit Rücksicht auf ihre Beteiligung an der behaupteten Verletzung des deutschen Teils des Klagepatents der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) gegeben. Die vorliegende Klage ist deswegen nicht schon mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig abzuweisen.
2. Für sie ist vielmehr die Frage einer Aussetzung nach Art. 21 Abs. 1 EuGVÜ) zu klären. Die zitierte Vorschrift bestimmt, daß, wenn bei Gerichten verschiedener Vertragsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht von Amts wegen die Aussetzung seines Verfahrens zu beschließen hat, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.
Im Streitfall hätte das Landgericht die Aussetzung mit Recht angeordnet, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verletzungsrechtsstreit anhängig gemacht worden ist, zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs in Belgien bereits ein Klageverfahren anhängig gewesen ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich für jede der Beklagten getrennt. Nach der Rechtsprechung des EuGH (JZ 1995, 616, 618 – The Tatry/The Maciej Rataj) verpflichtet Art. 21 EuGVÜ das später angerufene Gericht nur insoweit zur Aussetzung, wie die Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits auch Parteien des vor dem Gericht eines anderen Vertragsstaates früher anhängig gemachten Verfahrens sind. Stimmen die Parteien lediglich teilweise überein, schließt Art. 21 EuGVÜ es demgegenüber nicht aus, das Verfahren zwischen denjenigen Parteien, die nicht Partei eines in einem anderen Vertragsstaat zuvor anhängig gemachten Verfahrens sind, fortzusetzen. Hinsichtlich dieses Teils des Rechtsstreits kommt allenfalls eine fakultative Aussetzung nach Art. 22 EuGVÜ in Betracht (EuGH -. The Tatry/The Maciej Rataj, aaO). Das Zeitrangverhältnis zwischen dem deutschen und dem belgischen Verfahren ist demnach für die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) gesondert zu ermitteln.
a) Beklagte zu 1) – S. Pharma GmbH
aa) Sachstand am 22. Mai 1997 (Rechtshängigkeit der Verletzungsklage):
Ungeachtet des Gesetzeswortlauts besteht Einigkeit darüber, daß der in Art. 21 EuGVÜ verwendete Begriff „Anhängigkeit“ entsprechend dem in Staatsverträgen üblichen Sprachgebrauch im Sinne von Rechtshängigkeit zu verstehen ist (EuGH, NJW 1984, 2759 – Zelger/Salinitri; BGH, NJW 1986, 662; Kropholler, aaO, Art. 21 Rn. 1;.Bülow/Saffering, aaO, S. 606-418; Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 21 Rn. 1). Maßgeblich ist dabei für jedes der beteiligten Gerichte das jeweilige nationale Recht des Vertragsstaates (EuGH – Zelger/Salinitri, aaO; EuGH, NJW 1989, 665, 666 – Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo). In welchem Zeitpunkt die vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die Beklagte zu 1) erhobene Verletzungsklage rechtshängig geworden ist, bestimmt sich folglich nach den § 261, 253 ZPO. Stichtag ist somit der Zeitpunkt der Klagezustellung am 22. Mai 1997. An diesem Tag müßte, damit Anlaß zu einer Aussetzung besteht, in Belgien eine Klage wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien rechtshängig gewesen sein.
(1) „derselbe Anspruch“
Nach der Rechtsprechung des EuGH (NJW 1989, 665, 666 Gubisch Maschinenfabrik/Palurnbo; JZ 1995, 616, 618 – The Tatry/The Maciej Rataj) müssen die Begriffe „derselbe Anspruch“ und „dieselben Parteien“ als autonom begriffen und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Brüsseler Übereinkommens verstanden werden. Bei der Auslegung ist dem Umstand Rechnung zu tragen, daß Art. 21 EuGVÜ dazu dient, im Interesse einer geordneten Rechtspflege innerhalb der Gemeinschaft Parallelverfahren vor Gerichten verschiedener Vertragsstaaten und daraus möglicherweise resultierende gegensätzliche Entscheidungen zu verhindern. Die Aussetzungsregelung soll (soweit als möglich) von vornherein eine Situation ausschließen, wie sie in Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ vorgesehen ist, nämlich die Nichtanerkennung einer Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung, die zwischen denselben Parteien in dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist (EuGH, aaO). Zur Erreichung dieser Ziele ist Art. 21 EuGVÜ grundsätzlich weit auszulegen (EuGH, NJW 1992, 3221 – Overseas Union/New Hampshire Insurance). Nicht die formale Identität der Klageanträge ist entscheidend; maßgeblich ist vielmehr, ob im Kern über dieselben Punkte gestritten wird (EuGH – Gubisch Maschinenfabrik/Palumbo, aaO; BGH, NJW 1997, 870, 872). In seinem Urteil „The Tatry/The Maciej Rataj“ (JZ 1995, 616, 618) hat der Gerichtshof dementsprechend ausgesprochen, daß eine Klage, die auf die Feststellung, daß der Beklagte für einen Schaden haftet, und auf dessen Verurteilung zur Zahlung von Schadenersatz gerichtet ist, denselben Anspruch betrifft wie eine von diesem Beklagten erhobene Klage auf Feststellung, daß er für den Schaden nicht haftet.
Bezogen auf den Streitfall führen die dargelegten Grundsätze zu folgendem Ergebnis: Der Hauptantrag des vor dem Tribunal de Premiére Instance geführten Verfahrens hat die Nichtigerklärung des belgischen Teils des Klagepatents zum Gegenstand. Er betrifft damit einen anderen Anspruch als die von der Klägerin angestrengte Verletzungsklage, die sich auf den deutschen Teil des Klagepatents (d.h. ein anderes Schutzrecht des europäischen Bündelpatents) stützt. Mit dem Hilfsantrag hingegen haben die Klägerinnen die Feststellung des Gerichts begehrt, daß die von ihnen vertriebenen Impfstoff-Präparate das Klagepatent in keinem der Benennungsstaaten verletzen. Mit Blick auf die Beklagte zu 1) und deren geschäftliche Aktivitäten im Bundesgebiet soll demnach im Wege der negativen Feststellungsklage geklärt werden, ob der Impfstoff „I.“ von der technischen Lehre des deutschen Teils des Klagepatents Gebrauch macht. Der Hilfsantrag betrifft mit diesem Inhalt – allein mit umgekehrten Parteirollen – dieselbe Frage der Patentverletzung, die auch im Verletzungsprozeß vor dem Landgericht zu entscheiden ist.
Zur Aussetzung zwingt der Hilfsantrag freilich nur dann, wenn er vor dem 22. Mai 1997 rechtshängig geworden ist. Dies wäre zu bejahen, wenn – wie es das Landgericht getan hat – darauf abgestellt wird, daß der Hilfsantrag als solcher nach belgischem Recht mit der Zustellung der Ladung im prozeßrechtlichen Sinne rechtshängig wird. Dem Hilfsantrag käme alsdann die Priorität vom 14. Januar 1997 zu. Einer derartigen Betrachtungsweise könnten allerdings praktische Gesichtspunkte widersprechen. Sie führt nämlich dazu, daß der Verletzungsprozeß (mit entsprechenden Folgen für die Rechtsstellung des Patentinhabers) unter Umständen über geraume Zeit blockiert wird, obwohl möglicherweise nie über den („denselben Anspruch“ betreffenden) Hilfsantrag entschieden wird. Für die Auslegung könnte deswegen der Umstand in den Vordergrund zu rücken sein, daß der Hilfsantrag unter die Bedingung der Erfolglosigkeit des Hauptantrages gestellt ist und daß deshalb erst mit der Entscheidung über den Hauptantrag feststeht, ob der Hilfsantrag dem Gericht überhaupt zur Entscheidung anfällt. Bis dahin – so ließe sich argumentieren – könne keine Rede davon sein, daß der Hilfsantrag im Sinne von Art. 21 EuGVÜ „rechtshängig“ sei. Folgt man dieser (zweiten) Lösungsvariante, läge der Zeitrang des Hilfsantrages nach dem 22. Mai. 1997 (genau am 30. September 1997, zu dem der Hilfsantrag in einen weiteren Hauptantrag umgewandelt worden ist). Unbillige Konsequenzen ergäben sich dadurch nicht. Zwar könnte im Verfahren vor dem Landgericht eine Entscheidung über die Verletzungsfrage ergehen, obwohl der Hilfsantrag den belgischen Gerichten noch zur Entscheidung anfallen kann. Die letzteren wären jedoch gehalten, ihren Rechtsstreit, soweit er den Hilfsantrag betrifft, wegen der insofern schlechteren Priorität des belgischen Verfahrens gemäß Art. 21 EuGVÜ auszusetzen.
Die Entscheidung des Streitfalles hängt somit von der Antwort auf die Frage ab, ob der mit einem Hilfsantrag. verfolgte Anspruch bereits mit dem nach nationalem Prozeßrecht an sich seine Rechtshängigkeit begründenden Ereignis (hier: Zustellung der Ladung) im Sinne von Art. 21 EuGVÜ „anhängig“ wird oder erst in dem Zeitpunkt, in dem (zusätzlich) die prozessuale Bedingung eintritt, unter die der Hilfsantrag gestellt ist (Vorlagefrage zu 1).
(2) „dieselben Parteien“
Daß an dem deutschen und dem belgischen Verfahren „dieselben Parteien“ beteiligt sind, ist hinsichtlich der S. Pharma GmbH offensichtlich. Sie ist sowohl Beklagte im Verletzungsrechtsstreit vor dem Landgericht wie auch Klägerin im Verfahren vor dem Tribunal de Premiére Instance. Ihre jeweils unterschiedliche Parteistellung ist unerheblich. Es entspricht gesicherter Rechtsauffassung des EuGH (JZ 1995, 616, 618 – The Tatry The Maciej Rataj), daß der Kläger des ersten Verfahrens Beklagter des zweiten Verfahrens sein kann.
Probleme wirft demgegenüber die Tatsache auf, daß Klägerin im Verletzungsprozeß die C. Inc., Beklagte des belgischen Verfahrens hingegen – am 22. Mai 1997 – die C. Ltd. (als die zum damaligen Zeitpunkt materielle Inhaberin des Klagepatents) gewesen ist. Bei rein formaler Betrachtung würde es sich um verschiedene juristische Personen und dementsprechend unterschiedliche Parteien handeln. Eine Aussetzung käme nicht in Betracht. Im Rahmen des Art. 21 EuGVÜ könnte indessen von Bedeutung sein, daß die C. Inc. die Verletzungsklage als einfache Lizenznehmerin in Prozeßstandschaft für die Patentinhaberin (C. Ltd.) erhoben hat. Bei einer solchen Prozeßführung (im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung) wird zum Teil der Standpunkt vertreten, daß als „Partei“ im Sinne von Art. 21 EuGVÜ nicht der den Prozeß lediglich formal (gleichsam als Repräsentant) führende Prozeßstandschafter anzusehen sei, sondern der dahinter stehende materielle Rechtsinhaber, um dessen Ansprüche im Rechtsstreit gestritten werde und dessen Ansprüche durch eine gerichtliche Entscheidung zugesprochen oder aberkannt würden (BGH, NJW 1986, 662, 663; Kropholler, aaO, Art. 21 Rn. 4; Bü1ow/Saffering, aaO,. 606-424). Vorliegend hätte eine dahingehende Auslegung zur Konsequenz, daß Klägerin (Partei) des Verletzungsprozesses nicht die C. Inc., sondern die C. Ltd. wäre, gegen die auch die in Belgien erhobene Feststellungsklage gerichtet war. In beiden Verfahren ergäbe sich eine Parteiidentität, die zur Anwendung des Art. 21 EuGVÜ führen würde.
Wie im Streitfall zu entscheiden ist, hängt demnach davon ab, wer als „Partei“ anzusehen ist, wenn der Kläger aufgrund einer Prozeßführungsermächtigung des materiellen Rechtsinhabers dessen (fremde) Ansprüche im eigenen Namen geltend macht – der den Rechtsstreit führende Prozeßstandschafter oder der materielle Rechtsinhaber (Vorlagefrage zu 2)?
bb) Prozeßrechtliche Veränderungen während des Verletzungsverfahrens nach dem 22. Mai 1997:
Bei den bisherigen Erörterungen ist außer Betracht geblieben, daß das Klagepatent im Verlaufe des Rechtsstreits auf die Klägerin (C. Inc.) übertragen worden ist und diese – abgesehen von den vor dem Rechtsübergang bereits entstandenen Entschädigungs- und Schadenersatzansprüchen – seit dem 18. Dezember 1997 im Prozeß nicht mehr fremde Ansprüche der C. Ltd., sondern eigene Rechte als Patentinhaberin geltend macht. Ob und ggf. welche Konsequenzen diese verfahrensrechtliche Wendung für Art. 21 EuGVÜ hat, ist zweifelhaft.
Denkbar wäre zunächst, es bei dem allgemeinen Grundsatz bewenden. zu lassen, daß der Zeitrang der sich gegenüberstehenden Klageverfahren nach dem jeweiligen nationalen Prozeßrecht zu ermitteln ist. Im Streitfall wäre insoweit die Vorschrift des § 261.bs. 2 ZPO heranzuziehen, die bestimmt, daß die Rechtshängigkeit eines während des Prozesses erhobenen Anspruchs nicht bereits mit der Zustellung der Klage, sondern erst mit dem Zeitpunkt eintritt, in dem der neue Anspruch zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht oder ein den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechender Schriftsatz an den Gegner zugestellt wird. Da nach prozeßrechtlichem Verständnis der Übergang von der Geltendmachung fremder Ansprüche zur Verfolgung eigener Rechte als Einführung eines neuen Anspruchs (Streitgegenstands) in den Prozeß begriffen wird, käme der Verletzungsklage, soweit sie nachträglich auf eigene Ansprüche der Klägerin als Patentinhaberin gestützt ist, nicht die Priorität der ursprünglichen Klageerhebung (22. Mai 1997), sondern lediglich der spätere Zeitrang vom 18. Dezember 1997 zu.
Demgegenüber ist möglicherweise jedoch zu berücksichtigen, daß im Rahmen des Art. 21 EuGVÜ nicht der enge Streitgegenstandsbegriff des deutschen Verfahrensrechts gilt, sondern von einem grundsätzlich weiten Verständnis des Begriffs „derselbe Anspruch“ auszugehen ist. Entscheidend ist – wie oben dargelegt – nicht die konkrete Antragsfassung, sondern ob im Kern über dieselben Fragen gestritten wird. So gesehen könnte sich die Annahme verbieten, mit der bloßen Übertragung des Klagepatents an den Kläger (Prozeßstandschafter) sei ein anderer Anspruch zur gerichtlichen Entscheidung gestellt worden. Näher könnte stattdessen die Erwägung liegen, daß der schlichte Gläubigerwechsel die Identität des eingeklagten Anspruchs nicht berührt, weil nach wie vor über nichts anderes als über die Frage zu entscheiden sei, ob das angegriffene Impfstoff-Präparat von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht. Für die Ansicht, daß in den Fällen des Wechsels von einer Prozeßstandschaft zu, einer Verletzungsklage aus eigenem Recht der ursprüngliche Zeitrang der Klagezustellung erhalten bleibt, sprechen darüber hinaus praktische Gründe. Würde die Übertragung des Klagepatents nach ggf. mehrjähriger Verfahrensdauer erst unmittelbar vor der abschließenden mündlichen Verhandlung erfolgen, könnte sich die Notwendigkeit ergeben, den Verletzungsrechtsstreit allein wegen des Inhaberwechsels auszusetzen, selbst wenn die Sache (ggf. nach Einholung eines Sachverständigengutachtens) ansonsten entscheidungsreif ist und wegen des mit Blick auf die Klagezustellung gegebenen Zeitranges bisher kein Anlaß zu einer Aussetzung bestanden hat.
Bei der Bestimmung des dem Verletzungsrechtsstreit zukommenden Zeitrangs erhebt sich demgemäß die Frage, ob die Priorität einer vom Kläger in Prozeßstandschaft für den Patentinhaber erhobenen Verletzungsklage erhalten bleibt, wenn das Klagepatent im Verlaufe des Rechtsstreits auf den Kläger übertragen wird und dieser im Prozeß fortan nicht mehr fremde Ansprüche, sondern eigene Rechte als Patentinhaber geltend macht (Vorlagefrage zu 3).
b) Beklagte zu 2) – S. Manufacturing S. A.
Der Beklagten zu 2) gegenüber ist die Verletzungsklage mit der Zustellung des Klageerweiterungsschriftsatzes der Klägerin vom 13. Oktober 1997 am 21. Januar 1998 rechtshängig geworden. Im Rahmen der Aussetzung ist infolgedessen zu klären, ob in Belgien unter Beteiligung der Beklagten zu 2) zu diesem Zeitpunkt (21.01.1998) wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien ein Klageverfahren anhängig gewesen ist.
aa) Daß die negative Feststellungsklage „denselben Anspruch“ wie die vor dem Landgericht Düsseldorf erhobene Verletzungsklage betrifft, wurde oben bereits ausgeführt. Keine Probleme bereitet in diesem Zusammenhang die hilfsweise Antragstellung. Der ursprüngliche Hilfsantrag (auf Feststellung der Nichtverletzung des Klagepatents) ist bereits am 30. September 1997 – und damit lange vor Eintritt der Rechtshängigkeit im Verletzungsprozeß in einen zweiten Hauptantrag umgewandelt worden.
bb) Vor dem 21. Januar 1998 hat sich die Beklagte zu 2) auch als weitere Klägerin an dem belgischen Verfahren beteiligt. Der Beitritt ist am 1. Dezember 1997 – und demnach ebenfalls weit vor dem Stichtag des Verletzungsrechtsstreits – erfolgt.
cc) Fraglich ist allein, ob die Klägerin des Verletzungsprozesses (C. Inc.) am 21. Januar 1998 Partei des belgischen Verfahrens gewesen ist. Zwar ist die ursprünglich gegen die C. Ltd. erhobene Feststellungsklage mit Schriftsatz vom 28. November 1997 auf die C.Inc. (als die neue Inhaberin des Klagepatents) erstreckt worden. Unter Vorlage umfangreicher Privatgutachten streiten die Parteien jedoch darüber, auf welche prozessuale Weise und mit welchen Konsequenzen für die Rechtshängigkeit die C. Inc. in.das belgische Verfahren einbezogen werden kann – ob im Wege der Wiederaufnahme des Prozeßverfahrens (mit der Folge, daß die anfängliche Rechtshängigkeit weitergilt) oder im Wege der Heranziehung von Dritten (mit der Folge, daß Rechtshängigkeit im Verhältnis zur C. Inc. erst mit der positiven gerichtlichen Entscheidung über die Zulassung der Heranziehung eintreten würde).
Auf diese für den Senat nur durch Einholung eines Rechtsgutachtens zum belgischen Prozeßrecht zu klärende Frage käme es nicht an, wenn der Inhaberwechsel die Parteiidentität im Sinne von Art. 21 EuGVÜ unangetastet ließe. Dafür könnte sprechen, daß nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 19.05.1998 – Rechtssache C-351/96, Umdruck S. 10) der Parteibegriff nicht rein formal zu verstehen ist. So wie der Versicherer und sein Versicherungsnehmer als „dieselbe Partei“ angesehen worden sind, wenn ihre Interessen identisch und voneinander untrennbar sind, genauso könnten auch nominell verschiedene Inhaber desselben Patents im Rahmen des Art. 21 EuGVÜ als „dieselbe Partei“ zu behandeln sein. Die durch die Klage gegen den ursprünglichen Patentinhaber gesicherte Priorität bliebe alsdann auch dem späteren Patentinhaber erhalten. Dadurch würde verhindert, daß sich im Verlaufe eines bereits fortgeschrittenen Verfahrens nur deshalb ein Zwang zur Aussetzung ergibt, weil die negative Feststellungsklage schneller auf den neuen Patentinhaber umgestellt wird als der in einem anderen Vertragsstaat mit umgekehrten Parteirollen geführte Verletzungsprozeß.
Im Streitfall stellt sich mithin die Frage, ob der Zeitrang einer gegen den Patentinhaber erhobenen negativen Feststellungsklage, mit der geklärt werden soll, ob ein bestimmtes Produkt dessen Patent verletzt, fortgilt, wenn das Klagepatent während des Rechtsstreits übertragen wird und die negative Feststellungsklage daraufhin gegen den neuen Patentinhaber gerichtet wird (Vorlagefrage zu 4).
3. Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH erübrigt sich vorliegend nicht deshalb, weil die negative Feststellungsklage nach Ansicht der Klägerin rechtsmißbräuchlich erhoben ist und deswegen – unabhängig von allen Zeitrangfragen – keine Aussetzung der zulässig erhobenen Verletzungsklage rechtfertigt.
a) Zwar, besteht grundsätzlich gegenüber jedem zuständigen Gericht ein Anspruch auf Durchführung einer zulässigen Klage. Die Verpflichtung zur Justizgewährung in dem betreffenden Staat ist allerdings nicht schrankenlos. Eine Grenze ergibt sich aus den Bestimmungen des EuGVÜ. Sie beruht maßgeblich darauf, daß innerhalb der Gemeinschaft der Unterzeichnerstaaten jedes Urteil ohne besondere Prüfung anerkannt wird (Art. 26 Abs. 1 EuGVÜ). Aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit, d.h. um eine doppelte Inanspruchnahme von Gerichten, doppelte Kosten und Mühen, und einander widersprechende Entscheidungen in verschiedenen Vertragsstaaten zu vermeiden, ordnet Art. 21 EuGVÜ deshalb an, daß das zweite Verfahren ausgesetzt und, sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts festgestellt ist, abgewiesen wird. Das Übereinkommen betrachtet insofern jeden Gerichtsstand innerhalb der Vertragsstaaten als grundsätzlich gleichwertig mit jedem anderen. Für den Einwand des Rechtsmißbrauchs bleibt vor diesem Hintergrund allenfalls in Ausnahmefällen Raum. Seine Berücksichtigung kommt in Betracht, wenn das Verfahren vor dem Erstgericht nicht oder ohne Grund derart langsam vorangetrieben wird, daß das Recht des Klägers auf ordnungsgemäße Durchführung seines (nach Art. 21 EuGVÜ ausgesetzten) Verfahrens praktisch vereitelt wird (Bülow/Saffering, aaO, S. 606-428; Geimer, NJW 1984, 527, 529f.). Schlosser (aaO, Art. 21 Rn. 11) verweist in diesem Zusammenhang auf Art. 6 EMRK. Wenn sich die ausländische Entscheidung über ein nach Art. 6 EMRK nicht mehr erträgliches Maß hinaus verzögere, folge aus dieser Norm die Verpflichtung des inländischen Gerichts zur Justizgewährung.
b) Für einen solchen, den Vorwurf der Rechtsschutzverweigerung rechtfertigenden Sachverhalt bestehen im Streitfall (jedenfalls derzeit) keine zureichenden Anhaltspunkte.
Das Vorbringen der Klägerin, vor belgischen Gerichten sei in Patentstreitsachen bekanntermaßen ein Rechtsschutz in absehbarer Zeit nicht zu erlangen, entbehrt einer ausreichenden Substanz. Wegen der gesetzlich vermuteten Gleichwertigkeit aller Gerichtsorte im Geltungsbereich des EuGVÜ ist der Einwand der Klägerin überdies aus Rechtsgründen prinzipiell unerheblich.
Daß die negative Feststellungsklage bereits vor der Veröffentlichung des Klagepatents erhoben worden ist, vermag den Vorwurf rechtsmißbräuchlichen Verhaltens ebensowenig zu begründen. Das gilt schon deshalb, weil auch die Klägerin in der Lage gewesen wäre, vor dem 15. Januar 1997 zumindest den Entschädigungsanspruch anhängig zu machen, um sich so den zeitlichen Vorrang vor einer eventuellen Feststellungsklage der Beklagten in einem anderen Vertragsstaat zu sichern. Im Übrigen zielt das in Art. 21 EuGVÜ vorgeschriebene strenge Prioritätsprinzip darauf ab, die Chancengleichheit zwischen Gläubiger und Schuldner sicherzustellen. Durch schnelle Erhebung einer negativen Feststellungsklage soll der Schuldner die gleichen Möglichkeiten haben, sich das streitentscheidende Gericht auszuwählen, wie der Gläubiger (BGH, NJW 1997, 870, 872 mwN). Allein der Umstand, daß die Beklagte zu 1) mit ihrer Klage der Klägerin zuvorgekommen ist, kann deshalb noch keine Veranlassung geben, die Priorität des belgischen Verfahrens – entgegen den zwingenden Anweisungen des Art. 21 EuGVÜ – außer acht zu lassen.
Ohne Erfolg bleibt schließlich auch der Einwand der Klägerin, der mit der negativen Feststellungsklage unterbreitete Prozeßstoff sei, weil er sämtliche Benennungsstaaten und damit sämtliche nationalen Teile des Klagepatents umfasse, derart umfangreich, daß in absehbarer Zeit nicht mit einer gerichtlichen Sachentscheidung gerechnet werden könne. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß der von den S. Gesellschaften in Verkehr gebrachte Impfstoff in allen Benennungsstaaten identisch ist. Für sämtliche Länder steht mithin dieselbe angegriffene Ausführungsform in Rede. Der Schutzbereich des Klagepatents ist gleichfalls in allen Staaten gleich zu bestimmen. Auszugehen ist von der Fassung des Patents in der vom Anmelder gewählten Verfahrenssprache (Art. 70 Abs. 1 EPÜ); auszulegen ist das Patent nach Maßgabe des Art. 69 EPÜ und der ergänzenden Erläuterungen des Auslegungsprotokolls. Die Verletzungsfrage ist damit für alle Benennungsstaaten einheitlich zu beurteilen. Die vorgenommene Häufung der Feststellungsklagen führt deswegen nicht zu einem Prozeßstoff, der wegen seines Umfangs nicht mehr zu bewältigen wäre. Das gilt jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem – soweit ersichtlich – ausschließlich über eine wortsinngemäße Verletzung gestritten wird -und Äquivalenzfragen nicht zur Diskussion stehen.
Zwar treten die Klägerinnen dem Vorwurf der Patentverletzung im belgischen Verfahren auch mit der Behauptung entgegen, bereits vor dem Prioritätstag des Klagepatents im Erfindungsbesitz gewesen zu sein. Des weitern enthält das EPÜ zu dem (damit geltend gemachten) Vorbenutzungsrecht keine vereinheitlichten Rechtsvorschriften. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein die Rechtswidrigkeit der Patentbenutzung ausschließendes privates Vorbenutzungsecht anzuerkennen ist, richtet sich demgemäß nach dem jeweiligen nationalen Recht der Benennungsstaaten (Art. 64 Abs. 3 EPÜ). Daß und inwiefern die einzelnen gesetzlichen Regelungen voneinander abweichen, zeigt die Klägerin indessen nicht auf. Es läßt sich deshalb gegenwärtig auch nicht feststellen, daß die Behandlung des Vorbenutzungsrechts einen derartigen Aufwand erfordern würde, daß mit einem Abschluß des belgischen Verfahrens in absehbarer Zeit schlechterdings nicht zurechnen ist.