I. Auf Antrag der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 29. Zivilkammer des Landgerichts München I mit Beschluss vom 03.04.2002 angeordnet, das am 08.09.2000 erlassene Urteil des Appellationsgerichtshofs von .../Frankreich, Az. Rg .../..., durch das eine ... KG zur Zahlung von 615.566,72 FF zuzüglich Zinsen und Kosten verurteilt worden ist, mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Antragstellerin die formellen Voraussetzungen für die Erteilung der Vollstreckungsklausel durch Vorlage der nach Art. 46 Nr. 1, 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderlichen Urkunden erfüllt habe und ein Anerkennungshindernis nach Art. 27, 28 EuGVÜ nicht ersichtlich sei.
Die daraufhin am 10.04.2002 von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erteilte Vollstreckungsklausel wurde am 15.04.2002 zusammen mit dem angefochtenen Beschluss der Antragsgegnerin zugestellt.
Am 14.05.2002 hat die Antragsgegnerin Beschwerde beim Oberlandesgericht München eingelegt.
Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt sie vor, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Die Antragsgegnerin habe sich in Frankreich weder auf das erstinstanzliche noch auf das Berufungsverfahren eingelassen. Bei der Entscheidung sowohl des erstinstanzlichen Gerichts als auch derjenigen des Berufungsgerichts handele es sich daher um eine Versäumnisentscheidung. Die Klageschrift sollte ihr durch formlose Übergabe mittels eines deutschen Rechtspflegers übergeben werden. Sie habe die Annahme jedoch verweigert, weil die Klageschrift nur in französischer Sprache abgefasst war, eine Übersetzung nicht beilag und sie in der Klageschrift nicht eindeutig als Partei identifizierbar gewesen sei. Denn als Beklagte sei eine „La SOCIETE ... KG Spezialfabrik für Anhängerkupplungen GmbH und Co“ aufgeführt. Im Anschluss daran sei ihr die Klageschrift auf dem Postwege wiederum ohne Übersetzung übersandt worden. Die Zustellung sei daher fehlerhaft gewesen, weil sie nicht den Vorschriften des Haager Zustellungsübereinkommens vom 15.11.1965 (HZÜ) entsprochen habe. Auch scheide eine wirksame Zustellung nach anderen Vorschriften aus. Auch eine wirksame Zustellung der Berufungsschrift der Antragstellerin liege nicht vor, weil auch diese nur auf dem Postwege ohne Übersetzung übersandt worden sei. Hierbei habe es sich zudem nicht um das verfahrenseinleitende Schriftstück gehandelt. Eine Heilung der Zustellmängel komme nicht in Betracht. Diese Möglichkeit beurteile sich nach dem vorrangig anzuwendenen HZÜ, das jedoch keine Heilungsmöglichkeit vorsähe. Damit liege ein Anerkennungshindernis gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vor.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Landgerichts München I vom 10.04.2002 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Appellationsgerichts von .../Frankreich vom 08.09.2000, Rg. .../... zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie meint, auf das Verfahren sei die seit dem 01.03.2002 anwendbare EuGVVO, die gemäß Art. 68 EuGVVO des EuGVÜ verdränge, anzuwenden. Aber auch ein Anerkennungshindernis nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ liege nicht vor. Zwar habe sich die Antragsgegnerin auf das französische Verfahren nicht eingelassen. Die Zustellung sei jedoch ordnungsgemäß und so rechtzeitig gewesen, dass die Antragsgegnerin sich noch verteidigen konnte, weil auf Grund der vorgelegten Urkunden nachgewiesen sei, dass die Ladung vom 27.10.1998 zum Termin vom 22.01.1999 vor dem Handelsgericht von ... und die Klageschrift vom Gerichtsvollzieher an die zuständige Dienststelle der Staatsanwaltschaft der französischen Republik übergeben worden seien. Damit sei die Zustellung abgeschlossen gewesen. Die Staatsanwaltschaft habe dann die Ladung und Klageschrift entsprechend den Vorschriften des HZÜ an die zuständigen deutschen Behörden übermittelt. Der französische Gerichtsvollzieher habe zusätzlich die Klage und die Ladung an die Antragsgegnerin durch Einschreibebrief übersandt, dessen Eingang bei der Antragsgegnerin am 28.10.1998 bestätigt wurde. Damit sei die Zustellung ordnungsgemäß erfolgt („remise au parquet“). Dieses Verfahren habe der französischen Verfahrensordnung entsprochen. Nach französischen Vorstellungen regele das französische Verfahrensrecht die Zustellung, wohingegen die Mitteilung über die erfolgte Zustellung sich nach dem HZÜ beurteile. Eine Übersetzung der Urkunden sei gemäß Art. 683 f. n.c.p.c. nicht erforderlich. Die Zustellung sei auch nicht unter Verstoß gegen Art. 5 III HZÜ erfolgt. Danach kann die um Zustellung ersuchte deutsche Behörde eine Übersetzung verlangen. Unterlässt die deutsche Behörde dies, so könne daraus kein Zustellungsmangel abgeleitet werden. Der diesbezüglich erklärte allgemeine Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland in der Ratifikationsurkunde zum HZÜ rechtfertige keine andere Beurteilung, da er keinem in der HZÜ vorbehaltenen Vorbehalt entspreche. Das französische Ausführungsgesetz zum HZÜ sehe nicht vor, dass bei Auslandszustellungen eine Übersetzung angefertigt werden müsse. Das deutsche Ausführungsgesetz zum HZÜ hätten die französischen Behörden nicht zu beachten. Außerdem ergebe sich aus Art. 3 II der gemäß Art. 24 HZÜ weiter anzuwendenden Vereinbarung zwischen Deutschland und Frankreich vom 06.05.1961 (BGBI. 1961 II, S. 1041), dass die Übersetzung von deutschen Behörden anzufertigen sei.
II. Der Senat ist der Auffassung, dass die eingangs gestellte Frage zur Auslegung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vom 27.09.1968 in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 iVm Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ vom 27.09.1968 in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 für die Entscheidung wesentlich ist.
1. Auf das Verfahren zur Erteilung der Vollstreckungsklausel und das Beschwerdeverfahren findet vorliegend gemäß Art. 13 II des 4. Beitrittsübereinkommen zum EuGVÜ vom 29.11.1996 das EuGVÜ in der Fassung dieses Beitrittsübereinkommens Anwendung. Das EuGVÜ gilt in dieser Fassung seit dem 01.01.1999 für Deutschland und seit dem 01.08.2000 für Frankreich. Das Verfahren wurde zwar vor dem Inkrafttreten des Beitrittsübereinkommens in beiden Mitgliedstaaten eingeleitet, aber die zu vollstreckende Entscheidung erging nach dem Inkrafttreten des 4. Beitrittsübereinkommens für beide Staaten und auf Grund von Zuständigkeitsvorschriften, die dem EuGVÜ in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens entsprechen, nämlich nach dem EuGVÜ in der Fassung des 3. Beitrittsübereinkommens.
2. Die zum 01.03.2002 in Kraft getretene EuGVVO ist gemäß Art. 66 II EuGVVO noch nicht anzuwenden, weil die zu vollstreckende Entscheidung nicht nach dem Inkrafttreten der EuGVVO erlassen wurde (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 24. Aufl., Art. 66 Rn. 4).
3. Die gemäß Art. 36 I, 37 II EuGVÜ, 11 I AVAG statthafte Beschwerde wurde innerhalb der in Art. 36 I EuGVÜ, § 11 III AVAG vorgesehenen einmonatigen Beschwerdefrist frist- und formgerecht (§ 11 I, II AVAG) eingelegt.
4. Ob die Beschwerde auch begründet ist, hängt von der eingangs gestellten Frage ab.
a) Geht man davon aus, dass Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ vom 27.09.1968 in der Fassung des 4. Beitrittsübereikommens vom 29.11.1996 ausschließlich die Zustellung eines das Verfahren einleitenden gerichtlichen Schriftstücks in einen anderen Vertragsstaat regelt (so Rauscher IPRax 1991, 155; Stürner JZ 1992, 325/328 ff; OLG Karlsruhe EWS 1996, 109), hätte das Landgericht den Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel gemäß Art. 34 Abs. 2 iVm Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ abweisen müssen, weil die Antragstellerin nicht mit Urkunden gemäß Art, 47 Nr. 2 EuGVÜ eine ordnungsgemäße Zustellung des das Verfahren einleitenden Schriftstücks, vorliegend die Klageschrift, nachgewiesen hat. Unstreitig hat sich die Antragsgegnerin weder auf das erstinstanzliche noch auf das Berufungsverfahren eingelassen. Bei dem mit der Vollstreckungsklausel zu versehenden Urteil des Appellationsgerichts von Amiens handelt es um eine Säumnisentscheidung, weil die Antragsgegnerin sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und im Termin vor dem dortigen Gericht säumig war. In diesem Fall muss das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt worden sein. Bei diesem Tatbestandselement des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, auf das sich die Antragsgegnerin beruft, handelt es sich um eine eigenständige, kumulative Voraussetzung neben der Rechtzeitigkeit (EuGH EuZW 1993, 39).
Ob sich die Ordnungsgemäßheit der Zustellung ausschließlich gemäß Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ vom 27.09.1968 nach den zwischen den Mitgliedsstaaten des EuGVÜ geltenden Staatsverträgen beurteilt, ist jedoch zweifelhaft.
Bejaht man diese Frage, so ist zwischen Deutschland und Frankreich für Zustellungen seit dem 26.06.1979 (BGBI. 1979 II S. 779 und 1980 II S. 907) das Haager Übereinkommen über die Zustellungen gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965 (HZÜ) anzuwenden. Gemäß Art. 20 III EuGVÜ durfte das französische Gericht keine Entscheidung erlassen, bis es gemäß Art. 15 HZÜ festgestellt hat, dass die Zustellung dem Recht des Staates entspricht, in dem das Schriftstück zugestellt wird.
Hiergegen könnten die französischen Gerichte verstoßen haben. Die Voraussetzungen des Art. 5 II HZÜ liegen nicht vor, weil die Antragsgegnerin nach ihrem, von der Antragstellerin nicht bestrittenen Vortrag nicht zur Entgegennahme des Schriftstücks bereit war. Jedenfalls hat die Antragstellerin entgegen Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ kein Zustellungszeugnis einer deutschen Behörde nach Art. 6 HZÜ iVm § 5 AGHZÜ vorgelegt, aus der sich die Zustellung an die Antragsgegnerin ergibt. Für einen Rechtsmissbrauch der vorliegen könnte, wenn der Geschäftsführer der Antragsgegnerin der französischen Sprache mächtig ist (hierzu Schlosser, EuGVÜ, 1996, Art. 5 HZÜ Rn. 6), trägt die Antragstellerin keine ausreichenden Tatsachen vor. Hierfür reicht es nicht aus, die Geschäftsprache zu beherrschen, vielmehr muss die Prozesssprache die sich häufig von den sonstigen Sprachgepflogenheiten unterscheidet, verstanden werden.
Einen Nachweis für eine wirksame Zustellung nach Art. 5 I lit. a) HZÜ hat die Antragstellerin ebenfalls nicht vorgelegt, obwohl sie hierzu gemäß Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ verpflichtet wäre. Daher kann es dahin gestellt bleiben, ob die Zustellung mangels Übersetzung gemäß § 3 AGHZÜ, die die Bundesrepublik Deutschland auf Grund des Ermächtigungsvorbehalts in Art. 5 I lit. a) HZÜ verlangen durfte, ordnungsgemäß war oder ob die deutschen Behörden auf Grund der deutsch-französischen Vereinbarung vom 06.05.1961 verpflichtet war, die Übersetzung anzufertigen. Denn entscheidend ist, dass die Antragsgegnerin das Schriftstück ohne Verletzung von Zustellungsvorschriften tatsächlich erhalten hat.
Die Zustellung durch die Post scheitert an Art. 10 lit. a) HZÜ i. V. m. § 6 AGHZÜ.
Da es an einer ordnungsgemäßen Zustellung fehlt, eine Heilung des Mangels auf Grund einer entsprechenden Regelung in dem HZÜ ausscheidet (BGH NJW 1991, 641), kommt es auf die Rechtzeitigkeit der Zustellung nicht an (EuGH EuZW 1990, 39).
b) Nach anderer Auffassung erfüllt jedoch die remise au parquet nach Art. 683 ff n.c.p.c. die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Zustellung. Nach Schlosser (EuGVÜ, 1996, Art. 27 – 29 EuGVÜ Rn. 14; Kropholler, EuGVÜ, 6. Aufl. Art. 27 Rn. 31) soll mit der Zustellung an den französischen Staatsanwalt die Zustellung bereits erfolgt sein („remise au parquet“) und alles andere nur eine Frage der Rechtzeitigkeit der Zustellung sein. Begründet wird dies damit, dass die französischen Gerichte von einer Inlandszustellung ausgehen. Der Zeitpunkt der Zustellung richte sich nach der Niederlegung bei der Staatsanwaltschaft. Konstitutiv für die Zustellung seien nur die Niederlegung und Absendung des Einschreibebriefs (Art. 693, 684 n.c.p.c.). Folgt man dieser Auffassung, so wäre die Zustellung ordnungsgemäß und rechtzeitig gewesen, so dass kein Vollstreckungshindernis nach Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ bestehen würde. Unschädlich ist, dass die Antragsgegnerin im Berufungsurteil unvollständig bezeichnet war. Denn in der zugestellten Klageschrift war sie hinreichend identifizierbar.
c) Der Senat konnte aufgrund des von ihm eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. ... vom 03.07.2003 nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass in Frankreich bei der grenzüberschreitenden Zustellung ausschließlich die Regeln des HZÜ anzuwenden sind.
d) Der Senat hat Zweifel, ob Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ es zulässt, dass bei einer Zustellung eines gerichtlichen, das Verfahren einleitenden Schriftstücks, noch die nationalen Zustellungsvorschriften anzuwenden sind. Dieselbe Frage würde sich auch im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten vom 29.05.2000 gemäß Art. 1 der V0 ergeben.
e) Selbst wenn man der zuletzt genannten Auffassung folgt, hat der Senat Zweifel, ob die französische remise au parquet mit dem in Art. 12 EG enthaltenen Verbot der Diskriminierung vereinbar ist. Denn sie soll dem französischen Kläger die Zustellung im Ausland ersparen, indem sie eine Inlandszustellung fingiert, um den französischen Kläger von Beschwerlichkeiten und Verzögerungen ausländischen Prozessierens zu verschonen. Da Art. 2 EuGVÜ den Beklagten grundsätzlich nur dort für gerichtspflichtig ansieht, wo er wohnt, muss er in den Fällen, in denen er vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats verklagt wird, in hinreichender Art und Weise von dem dortigen Prozess in Kenntnis gesetzt werden. Dies soll Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum EuGVÜ bewerkstelligen. Zwar werden auch französische Staatsangehörige durch die remise au parquet benachteiligt, wenn sie im Ausland leben, jedoch treffen die Nachteile dieser Zustellungsvorschriften typischerweise überwiegend ausländische Staatsangehörige. Denn das zu ihren Gunsten geschaffene Instrumentarium des HZÜ oder der VO (EG) 1348/2000 (insbesondere das Übersetzungserfordernis und die Prüfung der Rechtzeitigkeit unter Heranziehung der Kriterien des HZÜ) wird durch die geltende französische Regelung umgangen.