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Zusammenfassung der Entscheidung Die in Portugal ansässige Gläubigerin erwirkte gegen die in Deutschland wohnhafte Schuldnerin bei einem Gericht in Lissabon (PT) am 10.7.2000 ein Versäumnisurteil auf Zahlung und beantragte beim LG Bonn (DE) das Urteil für in Deutschland vollstreckbar zu erklären. Die Schuldnerin berief sich auf die nicht ordnungsgemäße Zustellung der Klage. Das Landgericht Bonn hat dem Antrag der Gläubigerin stattgegeben. Auf die Berufung der Schuldnerin hin hat das OLG Köln (DE) den Antrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.
Der BGH (DE) führt aus, dass sich der von der Gläubigerin verfolgte Antrag auf Vollstreckbarerklärung nach dem EuGVÜ beurteilt, da die Brüssel I-VO nur auf Klagen und öffentliche Urkunden anzuwenden sei, die nach dem 1.3.2003 erhoben bzw. aufgenommen worden seien. Mangels ordnungsgemäßer Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die Schuldnerin, sei eine Anerkennung der Entscheidung gem. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ausgeschlossen. Dieses Anerkennungshindernis entfalle jedoch in Anwendung des geänderten Art. 34 Nr. 2 letzter Halbsatz Brüssel I-VO in dem Fall, dass der Beklagte gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er dazu die Möglichkeit hatte. Das Gebot der einheitlichen Auslegung von EuGVÜ und Brüssel I-VO finde jedoch nur dort Anwendung, wo die Neufassung als Präzisierung der bisher geltenden Vorschrift zu verstehen sei. Art. 34 Nr. 2 letzter Halbsatz stelle jedoch eine wesentliche Änderung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 Nr. 2 dar. Bei der Prüfung der Vollstreckbarkeit von Klagen und öffentlichen Urkunden, die vor Inkrafttreten der Brüssel I-VO erhoben bzw. errichtet worden seien, komme eine Vorwirkung von Art. 34 grundsätzlich nicht in Betracht. Im vorliegenden Fall finde die in Art. 34 Nr. 2 letzter Halbsatz vorgesehene Ausnahme ohnehin keine Anwendung, da die Schuldnerin gegen die Entscheidung des Gerichts in Lissabon einen Rechtsbehelf eingelegt habe.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
I. Die in Portugal ansässige Antragstellerin als Gläubigerin erwirkte gegen die in Deutschland residierende Antragsgegnerin als Schuldnerin beim Amtsgericht Lissabon am 10. Juli 2000 ein Versäumnisurteil, das die Schuldnerin zur Zahlung von 5.254.473 Escudos zuzüglich Zinsen an die Gläubigerin verurteilte. Gegen dieses Urteil legte die Schuldnerin Berufung ein, die vom Berufungsgericht am 12. Juli 2001 zurückgewiesen wurde, weil das erstinstanzliche Urteil verfahrensrechtlich ordnungsgemäß ergangen sei.
Die Gläubigerin begehrt die Zulassung dieses Urteils zur Vollstreckung in Deutschland. Die Schuldnerin wendet ein, die Klage sei ihr nicht ordnungsgemäß zugestellt worden; denn sie habe sie mit einfacher Post als Einschreiben mit Rückschein erhalten, ohne Übersetzung in die deutsche Sprache. Der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts hat dem Antrag der Gläubigerin stattgegeben. Das Beschwerdegericht hat den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.
II. Das gemäß §§ 15 Abs. 1 AVAG, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist unzulässig; denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
1. Auf das Verfahren findet noch das Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ) Anwendung, weil die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) erst am 1. März 2002 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 66 Abs. 1, Art. 76 EuGVVO).
2. Wie das Oberlandesgericht im einzelnen zutreffend ausgeführt hat, war die Zustellung unmittelbar per Post nach dem hier zu beachtenden Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 14. November 1965 (HZÜ) nicht ordnungsgemäß, weil die Bundesrepublik Deutschland der Anwendung von Art. 10 HZÜ widersprochen hat. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ein in einem Vertragsstaat ergangenes Versäumnisurteil nicht anzuerkennen, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Der Zustellungsmangel wird nicht dadurch geheilt, daß der Beklagte in der Lage gewesen wäre, einen zulässigen Rechtsbehelf einzulegen, dies jedoch unterlassen hat (EuGH EuZW 1990, 352, 354; 1993, 39, 40; BGH, Beschl. v. 18. Februar 1993 – IX ZR 87/90, NJW 1993, 2688).
3. Dies alles erkennt auch die Rechtsbeschwerde. Sie beruft sich jedoch darauf, daß nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO das Anerkennungshindernis entfällt, wenn der Beklagte gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er dazu die Möglichkeit hatte. Die Rechtsbeschwerde ist der Ansicht, daß diese Änderung sich unmittelbar auf das Verständnis von Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ auswirke und die Vorschrift nunmehr in entsprechendem Sinne einschränkend auszulegen sei (im Ergebnis ebenso OLG Köln IPRax 2004, 115, 116; Zöller/Geimer, ZPO 24. Aufl. Art. 34 EuGVVO Rn. 26). Damit vermag die Rechtsbeschwerde jedoch die Notwendigkeit einer erneuten Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht darzutun, so daß zugleich eine grundsätzliche Bedeutung der Sache zu verneinen ist. Im Streitfall ist eine Sachentscheidung auch nicht zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten.
a) Der Europäische Gerichtshof geht vom Gebot der einheitlichen Auslegung von EuGVÜ und EuGVVO nur dort aus, wo die Neufassung lediglich als Präzisierung der bisher geltenden Vorschrift zu verstehen ist, wie dies etwa für Art. 5 Nr. 3 EuGVVO im Vergleich zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ zutrifft (EuGH – Rs. C – 167/00, NJW 2002, 3617, 3619 Rn. 49). Demgegenüber enthält Art. 34 Nr. 2 letzter Halbsatz EuGVVO eine wesentliche Änderung der bisher geltenden Regelung.
Die Vorschrift bringt den Willen des Verordnungsgebers zum Ausdruck, die Versagungsgründe im Vollstreckbarkeitsverfahren einzuschränken und dadurch zu einer effizienteren Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen im Ausland zu gelangen. Die Neufassung wird daher im Schrifttum durchweg als „Korrektur“ der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ verstanden (vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 7. Aufl. Art. 34 Rn. 42; Schlosser, EU-Zivilprozeßrecht 2. Aufl. Art. 34 bis 36 EuGVVO Rn. 8; Stadler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ S. 37, 49 f). Demzufolge ist bei Prüfung der Vollstreckbarkeit solcher Klagen und öffentlichen Urkunden, die vor Inkrafttreten der EuGVVO erhoben bzw. aufgenommen – das heißt errichtet – worden sind (Art. 66 Abs. 1 EuGVVO), Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anzuwenden. Eine Vorwirkung von Art. 34 EuGVVO, wie sie die Antragstellerin vertritt, kommt zweifelsfrei nicht in Betracht. Daher besteht keine Veranlassung, den Europäischen Gerichtshof mit der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Rechtsfrage zu befassen. Dessen bisherige Rechtsprechung zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ist nach Auffassung des Senats zweifelsfrei mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar.
b) Davon abgesehen könnte im Streitfall selbst die Einbeziehung von Art. 34 Nr. 2 EuGVVO in die Auslegung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO erfaßt nur den Fall, daß der Schuldner gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Dies hat das Oberlandesgericht zutreffend gesehen. Da der Schuldner die Entscheidung des Amtsgerichts Lissabon mit einem Rechtsmittel bekämpft, also den Versuch unternommen hat, das verfahrensrechtlich fehlerhaft zustande gekommene Urteil im Erststaat zu beseitigen, wäre er mit dem Einwand mangelhafter Zustellung selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn Art. 34 Nr. 2 EuGVVO Anwendung fände.