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Zusammenfassung der Entscheidung Der Gläubiger erwirkte gegen die Schuldnerin vor einem belgischen Gericht ein Versäumnisurteil. Auf Antrag des Gläubigers erklärte das zuständige deutsche Gericht das Urteil für in Deutschland vollstreckbar. Dagegen wandte sich die Schuldnerin mit der Beschwerde. Sie trug unter anderem vor, der Gläubiger habe nach Erlass des Urteils auf ihre Bitte hin einen vorübergehenden Ausstand der Vollstreckung gewährt.
Das Oberlandesgericht Zweibrücken (DE) entscheidet, dass die Schuldnerin die mit der Gläubigerin über den Ausstand der Vollstreckung getroffene Vereinbarung nach § 13 Abs. 1 des deutschen Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) im Beschwerdeverfahren geltend machen könne. Nach § 13 Abs. 1 AVAG könne der Schuldner mit der Beschwerde, die sich gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung aus einer Entscheidung richte, auch Einwände gegen den Anspruch selbst geltend machen. Dies gelte, soweit die Gründe auf denen die Einwendungen beruhen, erst nach dem Erlass der Entscheidung entstanden seien. § 13 AVAG sei auch auf Vollstreckungsvereinbarungen anzuwenden. Die Zwangsvollstreckung dürfe hier also nicht vor dem Ablauf des vereinbarten Ausstandes beginnen.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die Zulässigkeit der Beschwerde des Schuldners unterliegt keinen Bedenken. Das Rechtsmittel ist gemäß Art. 36 des Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ) i.V.m §§ 11 Abs. 1, 35 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen vom 30. Mai 1988 (AVAG) statthaft. Es ist rechtzeitig innerhalb der Frist des Art. 36 EuGVÜ, § 11 AVAG eingelegt worden und entspricht der von § 12 Abs. 1 und 2 AVAG bestimmten Form.
In der Sache führt das Rechtsmittel lediglich zu einem geringen Teilerfolg.
1. Entgegen der Ansicht der Schuldnerin unterliegt es keiner Beanstandung, daß das Landgericht das Versäumnisurteil des Handelsgerichts von Gent vom 15. November 1996 für vollstreckbar erklärt hat.
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß sich die Vollstreckbarerklärung des belgischen Titels nach dem EuGVÜ und nicht etwa nach dem deutsch-belgischen Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 30. Juni 1958 richtet. Gemäß Art. 56 Abs. 1 EuGVÜ behalten die in Art. 55 EuGVÜ angeführten Abkommen und Verträge, zu denen auch das deutsch-belgische Abkommen zählt, ihre Wirksamkeit nur für solche Rechtsgebiete, auf die das EuGVÜ nicht anzuwenden ist. Dazu rechnen Zahlungsansprüche der hier vorliegenden Art nicht (vgl. BGH NJW 1986, 2197; Senat OLGR Zweibrücken 1997, 32).
Der belgische Titel stellt eine Entscheidung i.S.v Art. 25 EuGVÜ dar. Die, Bestimmung umfaßt auch Versäumnisurteile (Senat aaO; Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 5. Aufl. Art. 25 Rn. 14; Linke in Bülow/Böckstiegel/Geimer/ Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Art. 25 EuGVÜ Kap. II.2.d Gliederungsnummer 606.190, jeweils mwN).
Im ersten Rechtszug hatte der Gläubiger den Originaltitel vorgelegt. Damit ist dem Erfordernis aus Art. 46 Nr. 1 EuGVÜ Rechnung getragen. Der Umstand, daß der Titel nach Erteilung der Vollstreckungsklausel zurückgegeben worden ist, nötigt zu keiner anderen Betrachtungsweise. Der Titel muß nicht bei den Akten verbleiben, sondern kann dem Antragsteller nach Erteilung der Vollstreckungsklausel wieder ausgehändigt werden (vgl. BGHZ 75, 167., 169; Kropholler aaO Art. 46 EuGVÜ Rn. 1). Gegebenenfalls ist er – wie vorliegend geschehen – für die Überprüfung im Beschwerdeverfahren von neuem vorzulegen.
Gemäß Art. 47 Nr. 2 EuGVÜ ist für eine im Versäumnisverfahren ergangene Entscheidung überdies die Urschrift oder eine beglaubigte Ausfertigung der Urkunde vorzulegen, aus der sich die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes ergibt. Diesem Erfordernis ist mit der Vorlage der belgischen „Daagvarding“ und den Nachweisen über ihre im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht Landau in der Pfalz, Zweigstelle Bad Bergzabern erfolgte Zustellung an die Schuldnerin Genüge geleistet.
Der gemäß Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erforderliche Nachweis dafür, daß die Entscheidung des Handelsgerichts von Gent nach dem Recht des Urteilsstaats vollstreckbar ist, liegt hier schon in der Vorlage des Titels als solchem, in dem ausdrücklich ausgeführt wird, das Urteil sei ungeachtet der Anwendung aller Rechtsmittel wie auch immer und ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (vgl. hierzu Kropholler aaO Art. 47 EuGVÜ Rn. 2; MüKo zur ZPO/Gottwald, Art. 47 EuGVÜ Rn. 2; Schlafen in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze aaO Art. 47 EuGVÜ Kap. II.1 Gliederungsnummer 606.279). Der weiter gemäß Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ zu erbringende Nachweis über die Zustellung des Urteils ist mit dem Zustellungszeugnis des Amtsgerichts Landau, Zweigstelle Bad Bergzabern, vom 4. März 1997 geführt.
Anerkennungshindernisse i.S.v Art. 34 Abs. 2, 27, 28 EuGVÜ stehen der Vollstreckbarerklärung des Versäumnisurteils des Handelsgerichts von Gent nicht entgegen. Die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die Schuldnerin, die sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, genügt den gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ zu stellenden Anforderungen. Verfahrenseinleitendes Schriftstück war die Vorladung („Daagvarding“) vom 10. Mai 1996, mit der die Schuldnerin unter Mitteilung des Gegenstandes der Klage für den 15. November 1996 vor das Handelsgericht von Gent geladen worden war. Sie ist der Schuldnerin am 19. Juni 1996 zugestellt worden. Die Zustellung war ordnungsgemäß. Sie entsprach Art. 5 Abs. 2 des zwischen Belgien und der Bundesrepublik Deutschland geltenden Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 11. November 1965 (HaagZustÜbk). Zwischen der Zustellung und dem Terminstag lag ein Zeitraum von annähernd 5 Monaten, der es der Schuldnerin ohne weiteres gestattet hätte, Maßnahmen in die Wege zu leiten, um sich vor dem ausländischen Gericht gegen die Klage zu verteidigen.
In inhaltlicher Hinsicht kann das anzuerkennende Versäumnisurteil nur daraufhin überprüft werden, ob seine Anerkennung der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland widersprechen würde (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ). Dafür sind Anhaltspunkte weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Im übrigen ist es dem Senat gemäß Art. 34 Abs. 3 EuGVÜ verwehrt, die ausländische Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit nachzuprüfen. Daraus folgt, daß die Schuldnerin im Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung mit Einwendungen ausgeschlossen ist, die vor dem Erlaß des ausländischen Urteils entstanden sind (vgl. Kropholler aaO Art. 36 Rn. 15; Müller in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze aaO Art. 37 EuGVÜ Kap. III.1 Gliederungsnummer 606.252; MüKo zur ZPO/Gottwald, Art. 36 EuGVÜ Rn. 4, jeweils mwN). Sie kann deshalb nicht mit der Behauptung gehört werden, die Forderung sei bei Erlaß des belgischen Versäumnisurteils noch gar nicht fällig gewesen.
2. Die Vollstreckung aus dem belgischen Versäumnisurteil ist allerdings zur Zeit nicht zulässig.
Die Gläubigerin hat mit ihrem Schriftsatz vom 10. November 1997 nunmehr selbst eingeräumt, daß die Vollstreckung zur Zeit ruhe, weil sie der Schuldnerin auf deren Bitte Ausstand bis zum Ende des Monats November 1997 gewährt habe. Das darin liegende Versprechen, für einen begrenzten Zeitraum nicht zu vollstrecken, stellt eine – nach Erlaß der ausländischen Entscheidung getroffene – Vollstreckungsvereinbarung dar (vgl. dazu BGH NJW 1968, 700; Palandt/Heinrichs, BGB 55. Aufl. § 271 Rn. 13). Sie kann im hier zu entscheidenden Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung auf der Grundlage von § 13 Abs. 1 AVAG geltend gemacht werden (vgl. dazu OLG Saarbrücken NJW 1988, 3100, 3102 mwN). Diese Vorschrift, die die Geltendmachung von Einwendungen gegen den Anspruch selbst ermöglicht, wenn sie erst nach Erlaß der ausländischen Entscheidung entstanden sind, unterliegt den gleichen Auslegungsgrundsätzen wie die Bestimmung in § 767 ZPO, der sie nachgebildet ist (vgl. dazu BGH NJW 1983, 2773, 2774; OLG Saarbrücken aaO; OLG Koblenz NJW 1976, 488; Kropholler aaO Art. 36 EuGVÜ Rn. 17; Müller in Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze aaO Art. 37 EuGVÜ Kap. III.2 Gliederungsnummer 606.252; MüKo zur ZPO/Gottwald Art. 36 EuGVÜ Rn. 5; Schlosser, EuGVÜ Art. 36 Rn. 4, jeweils mwN). Sie muß mithin auch auf Vollstreckungsvereinbarungen Anwendung finden. Denn deren Geltendmachung wäre in entsprechender Anwendung von § 767 ZPO mit der Vollstreckungsabwehrklage möglich (vgl. BGHZ 16, 180, 182; BGH NJW 1968 aaO und NJW 1991, 2295, 2296; OLG Saarbrücken aaO; Zöller/Stöber, ZPO 20. Aufl. vor § 704 Rn. 25 und Zöller/Herget aaO § 767 Rn. 3 und 12 Stichwort: „Vereinbarungen“, jeweils mwN). Die Berücksichtigung der Vereinbarung beseitigt die Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils allerdings nicht schlechthin, sondern führt nur zu einer Feststellung der Voraussetzungen, unter denen die Zwangsvollstreckung stattfinden darf (vgl. BGHZ 16 aaO). Der Senat hat dies im Tenor dadurch zum Ausdruck gebracht, daß die Zwangsvollstreckung aus dem belgischen Versäumnisurteil nicht vor dem 1. Dezember 1997 beginnen darf.