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Zusammenfassung der Entscheidung Die Antragstellerin erwirkte vor dem Tribunal de Grande Instance Thionville (FR) im französischen Adhäsionsverfahren (“action civile”) wegen Verletzung von elterlichen Besuchsrechten ein Zahlungsurteil gegen den Antragsgegner. Auf Antrag der Antragstellerin wurde das Urteil vom zuständigen deutschen Landgericht für in Deutschland vollstreckbar erklärt. Dagegen wandte sich der Antragsgegner mit der Beschwerde.
Das Oberlandesgericht Köln (DE) entscheidet, dass das Urteil als Urteil eines Strafgerichts, das nach seinem Recht im Adhäsionsverfahren über zivilrechtliche Ansprüche erkennen durfte, der Vollstreckung gemäß Art. 5 Nr. 4, 46 Nr. 1 EuGVÜ zugänglich sei. Eines besonderen Zustellungsnachweises gem. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ bedürfe es im vorliegenden Fall nicht, da die Zustellung des Urteils nach französischem Recht gemäß Art. 498 Code de Procédure Pénale durch die Verkündung („prononcé“) ersetzt sei. Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ sei einschränkend auszulegen, wenn das Recht des Ursprungsstaates vom Erfordernis der Zustellung des Urteils absehe. Die Entscheidung widerspreche nicht der deutschen öffentlichen Ordnung nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ. Ein immaterieller Schadensersatzanspruch nach französischem Recht für die Verletzung von Besuchsrechten eines Elternteils durch den anderen Elternteil widerspreche nicht einem deutschen Gesetz, mit dem aus staatspolitischen, sozialen oder wirtschaftlichen Gründen ein bestimmtes Ziel in einer die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens bildenden Frage verfolgt werde. Nach deutschem Recht sei die Verletzung von Besuchsrechten zwar nicht strafbar. Dies beruhe jedoch nicht auf den genannten grundlegenden staatspolitischen, sozialen oder wirtschaftlichen Gründen. Ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 170b StGB sei in einem solchen Fall in Deutschland ebenfalls denkbar.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die gemäß Art. 36 Abs. 1, 37 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (GVÜ) i.V.m. §§ 11, 12 des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (AVAG) zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat der Vorsitzende der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln mit dem angefochtenen Beschluß die Erteilung der von der Antragstellerin beantragten Vollstreckungsklausel zum Zweck der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Tribunal de Grande Instance de Thionville vom 27. Juni 1995 angeordnet.
Die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarkeitserklärung (Art. 33, 34 GVÜ, §§ 1-7 AVAG) sind gegeben. Die Antragstellerin hat insbesondere die nach Art. 33 Abs. 3, 46, 47 GVÜ erforderlichen Urkunden beigebracht.
Das vorliegende Urteil des Tribunal de Grande Instance de Thionville ist als Entscheidung eines Strafgerichts, das nach seinem Recht im Adhäsionsverfahren über zivilrechtliche Ansprüche erkennen durfte („action civile“, vgl. Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, 2. Aufl., Bd. 2, Rn. 2 0 52-63), der Vollstreckung gemäß Art. 5 Nr. 4, 46 Nr. 1 GVÜ zugänglich. Das Urteil ist auch nach französischem Recht vollstreckbar, Art. 31 Abs. 1, 47 Nr. 1 GVÜ; gemäß Art. 502 Nouveau Code de Procédure Civile wird die Vollstreckungsklausel – wie geschehen – auf die vollstreckbare Ausfertigung gesetzt, eine besondere Urkunde hinsichtlich der Vollstreckbarkeit ist entbehrlich (vgl. OLG Celle RIW/AWD 1979, 129).
Eines besonderen Zustellungsnachweises, Art. 47 Nr. 1 GVÜ, bedarf es entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht; die Zustellung des Urteils ist nach französischem Recht durch die Verkündung („prononcé“) ersetzt, Art.498 Code de Procédure Pénale.
Art. 47 Nr. 1 GVÜ geht von dem Regelfall aus, daß der Zwangsvollstreckung die Zustellung des Titels vorauszugehen hat, damit der Schuldner Gelegenheit erhält, dem Urteil freiwillig nachzukommen. Soweit aber in besonderen Fällen das Recht des Urteilsstaates von dem Erfordernis der Zustellung absieht, verliert die Anwendung der Vorschrift ihren Sinn. Sie ist deshalb einschränkend auszulegen: In Übereinstimmung mit der Absicht des Übereinkommens, den Entscheidungen im Zweitstaat dieselbe Wirksamkeit und Effektivität wie im Urteilsstaat zu verleihen, ist daher in diesen Fällen der Zustellungsnachweis nach Art. 47 Nr. 1 GVÜ als entbehrlich anzusehen (vgl. Böckstiegel/Geimer/Schütze/Schlafen, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Bd. I 1995, 606/287 mwN).
Gemäß Art. 498 Code de Procédure Pénale hat sich die Zustellung des Urteils erübrigt, nachdem der über den Tag der Urteilsverkündung benachrichtigte Antragsgegner (Ord. Nr. 60-529 v. 4. Juni 1960) nicht zur Verkündung am 27. Juni 1995 erschienen ist und keine Berufung eingelegt hat.
Der für die angefochtene Entscheidung zuständige Vorsitzende der Zivilkammer (§ 5 Abs. 1 AVAG) durfte den Antrag auch nicht deshalb ablehnen, weil einer der Versagungsgründe nach Art. 27, 28, 34 Abs. 2 GVÜ vorgelegen hätte.
Nicht ersichtlich ist, daß das Gericht in Thionville eine der besonderen Zuständigkeitsregeln der Art. 7-16 GVÜ mißachtet hat (Art. 28 GVÜ). Sonstige Ablehnungsgründe sind ebensowenig gegeben.
Insbesondere widerspricht die Entscheidung des französischen Gerichts nicht der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland Art. 27 Nr. 1 GVÜ. Weil die Entscheidung nicht in der Sache selbst nachgeprüft werden darf, Art. 34 Abs. 3 GVÜ (Verbot der révision au fond), besteht Einigkeit darin, daß der ordre-public-Vorbehalt nur in seltenen Fällen zur Anwendung kommen kann (Böckstiegel/ Geimer/Schütze/Linke, aaO, 606/205; Zöller-Geimer, ZPO, 19. Aufl., § 328 Rn. 151 f.; jew. mwN), nämlich dann, wenn die erststaatliche Entscheidung einem deutschen Gesetz widersprechen würde, mit dem aus staatspolitischen, sozialen oder wirtschaftlichen Gründen ein bestimmtes Ziel in einer die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens bildenden Frage verfolgt wird. Das ist vorliegend nicht der Fall.
Soweit der Antragsgegner zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden ist, weil er seine Unterhaltspflicht verletzt hat, wäre dies auch in der Bundesrepublik Deutschland möglich gewesen, §§ 823 Abs. 2 BGB, 170b StGB. Eine doppelte Bestrafung – wegen eines vorher vollstreckten Unterhaltstitels – kann nicht festgestellt werden. Die Verletzung von Besuchsrechten ist in Deutschland zwar nicht strafbar, doch hat die fehlende Möglichkeit der Bestrafung offenbar keinen Bezug zu den Grundfragen staatlichen und wirtschaftlichen Lebens. Schließlich bestehen keine Bedenken an der Rechtsstaatlichkeit des in Frankreich durchgeführten Verfahrens, auf das sich der Antragsgegner und sein Verteidiger auch in Kenntnis der geltend gemachten zivilrechtlichen Forderungen eingelassen haben, Art. 27 Nr. 2 GVO (vgl. EuGH NJW 1993, 2091, 2093).