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Zusammenfassung der Entscheidung Der Antragsteller erwirkte ein vorläufig vollstreckbares Urteil des Tribunal de Commerce de Marseille (FR), in dem die Antragsgegnerin zur Zahlung einer Geldsumme verurteilt wurde. Gegen dieses Urteil legte die Antragsgegnerin in Frankreich Berufung ein. Auf Antrag der Antragstellerin wurde das Urteil inzwischen vom zuständigen deutschen Landgericht für in Deutschland vollstreckbar erklärt. Dagegen wandte sich der Antragsgegner mit der Beschwerde.
Das Oberlandesgericht Köln (DE) führt aus, dass die Voraussetzungen des Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ erfüllt seien durch Vorlage der Bestätigung des von der Antragstellerin beauftragten Gerichtsvollziehers, dass dieser das Urteil nach den Vorschriften der französischen Zivilprozessordnung zum Zwecke der Zustellung der zuständigen Staatsanwaltschaft in Marseille übergeben habe (remise au parquet). Die von der Antragsgegnerin hilfsweise beantragte Aussetzung des Verfahrens nach Art. 38 Abs. 1 EuGVÜ komme nicht in Betracht, da eine Aussetzung grundsätzlich nur dann erfolgen sollte, wenn die zu vollstreckende Entscheidung ersichtlich fehlerhaft sei; andernfalls könne der Schuldner durch Anordnung einer Sicherheitsleistung ausreichend geschützt werden. Mangels Vorlage der Berufungsschrift könne das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels der Antragsgegnerin nicht beurteilen. Jedoch sei im vorliegenden Fall die Anordnung einer Sicherheitsleistung gemäß Art. 38 Abs. 3 EuGVÜ geboten, da ungünstige Nachrichten einer renommierten Kreditversicherungsfirma über die Bonität der Antragstellerin vorlägen. Einer weiteren Absicherung der Antragsgegnerin durch Beschränkung der Vollstreckung auf Maßregeln zur Sicherung nach Art. 39 EuGVÜ bedürfe es daneben nicht.
JURE Zusammenfassung, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Europäischen Kommission
Die von der Antragsgegnerin erhobene „Erinnerung gemäß § 732 ZPO“ ist in Verbindung mit der eingelegten „sofortigen Beschwerde“ gegen den Beschluß des Landgerichts Köln vom 10.07.1995 insgesamt als Beschwerde gegen die Vollstreckbarkeitserklärung des Urteils des Tribunal de Commerce de Marseille vom 22.05.1995 anzusehen; denn die Antragsgegnerin wendet sich nicht gegen die erteilte Vollstreckungsklausel, sondern gegen die durch Beschluß vom 10.07.1995 erfolgte Vollstreckbarkeitserklärung.
Die Beschwerde vom 21.08.1995 ist nach §§ 11, 12 des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen vom 30.08.1988 (AVAG – BGBl. I 1988, S. 662) zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat der Vorsitzende der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln im Beschluß vom 10.07.1995 die Erteilung der Teilvollstreckungsklausel zum Zwecke der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Tribunal de Commerce de Marseille vom 22.05.1995 in dem von der Antragstellerin beantragten Umfang angeordnet.
Die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarkeitserklärung gemäß Art. 31 – 34 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.09.1968 (EuGVÜ – BGBl. I 1972, S. 774) in Verbindung mit §§ 1 – 7 AVAG sind gegeben.
Die Antragstellerin hat insbesondere die gemäß Art. 33 Abs. 3, 46, 47 EuGVÜ erforderlichen Urkunden beigebracht. Die seitens der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren erneut vorgelegte Ausfertigung des Urteils des Tribunal de Commerce de Marseille vom 22.05.1995 ist beweiskräftig im Sinne von Art. 46 Nr. 1, 47 Nr. 1 EuGVÜ; nach französischem Recht, Art. 502 des Nouveau Code de Procédure Civile, wird die Vollstreckungsklausel auf die vollstreckbare Ausfertigung gesetzt, eine besondere Urkunde hinsichtlich der Vollstreckbarkeit ist entbehrlich (vgl. OLG Celle RIW/AWD 1979, 129). Da es sich ausweislich der Urteilsgründe um ein kontradiktorisches Urteil handelt, bedarf es nach Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ lediglich des Nachweises der Zustellung des Urteils. Dieser ist erbracht durch Vorlage der Bestätigung des von der Antragstellerin beauftragten Gerichtsvollziehers, daß dieser das Urteil am 02.06.1995 nach den Vorschriften des französischen Zivilprozeßrechtes zum Zwecke der Zustellung der zuständigen Staatsanwaltschaft in Marseille übergeben hat. Zudem ist durch Vorlage einer Kopie des von einem Vertreter der Antragsgegnerin unterzeichneten Rückscheins dokumentiert, daß diese am 12.06.1995 eine Kopie des Urteils erhalten hat.
Nach dem Wortlaut des Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ muß die Entscheidung nach dem Recht des Urteilsstaates zugestellt worden sein. Nach Art. 683 des Nouveau Code de Procédure Civile hat die Zustellung eines französischen Zivilurteils an eine nicht in Frankreich ansässige Partei durch Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung an die zuständige Staatsanwaltschaft in Frankreich zu erfolgen. Eine solche Zustellung durch „remise au parquet“ ist wirksam, ohne daß es weiterer Akte bedarf. Die nach Art. 684 ff des Nouveau Code de Procédure Civile bei einem im Ausland wohnenden Empfänger vorgesehene gleichzeitige Absendung einer mit dem Schriftstück übereinstimmenden Kopie dient lediglich der Information des Empfängers; zur Wirksamkeit der Zustellung bedarf es nach dem Vorstehenden insbesondere nicht der Beifügung oder Übermittlung einer Übersetzung (vgl. OLG Oldenburg IPrax 1992, 169).
Die Entscheidung des Landgerichts ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht auf verfahrensfehlerhafte Art und Weise zustande gekommen. Die Gewährung rechtlichen Gehörs vor einer Entscheidung über die Vollstreckbarkeitserklärung ist nicht erforderlich; nach § 5 Abs. 1 AVAG entscheidet der Vorsitzende der Zivilkammer grundsätzlich ohne Anhörung des Schuldners und ohne mündlichen Verhandlung.
Die Tatsache, daß gegen das für vollstreckbar zu erklärende Urteil Berufung eingelegt worden ist, schadet nicht. Dies ergibt sich schon aus Art. 38 EuGVÜ, der für den Fall der Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs gegen die für vollstreckbar zu erklärende Entscheidung eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens oder die Anordnung der Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung ermöglicht.
Die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gestellten Hilfsanträge der Antragsgegnerin sind nur teilweise begründet.
Eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens nach Art. 38 Abs. 1 EuGVÜ, § 37 Abs. 1 S. 1 AVAG im Hinblick auf die gegen das Urteil des Tribunal de Commerce de Marseille vom 22.05.1995 eingelegte Berufung kommt nicht in Betracht.
Das Gericht entscheidet über den Aussetzungsantrag nach pflichtgemäßem Ermessen; dabei hat es die mutmaßlichen Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Erststaat zu berücksichtigen; da das EuGVÜ die Vollstreckung vorläufig vollstreckbarer Entscheidungen zulassen will, sollte das Verfahren grundsätzlich nur ausgesetzt werden, wenn die zu vollstreckende Entscheidung ersichtlich fehlerhaft ist; anderenfalls kann der Schuldner durch die Anordnung einer Sicherheitsleistung ausreichend geschützt werden (Münch-Komm-ZPO/Gottwald, 1992, IZPR Art. 39, Rn. 4).
Da der Senat mangels Vorlage der Berufungsschrift die Erfolgsaussichten der Rechtsmittels der Antragsgegnerin nicht beurteilen kann, ist die Aussetzung des Verfahrens nicht geboten, weil dadurch dem Interesse der Antragsgegnerin an der weiteren Beschränkung der Vollstreckung auf Maßregeln zur Sicherung ohne sachlichen Grund vor dem der Antragstellerin an der Durchsetzung der titulierten Ansprüche der Vorzug gegeben würde.
Der Senat macht aber von der gemäß Art. 38 Abs. 3 EuGVÜ eingeräumten Befugnis Gebrauch, statt der Aussetzung des Beschwerdeverfahrens im Hinblick auf das in Frankreich anhängige Rechtsmittelverfahren die Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen.
Art. 38 EuGVÜ gibt den Gerichten des Vollstreckungsstaates die Möglichkeit, eine Sicherheitsleistung durch den Gläubiger anzuordnen, weil die Entscheidung im Urteilsstaat noch mit einem Rechtsmittel angegriffen ist. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung steht dem Grunde und der Höhe nach im Ermessen des Gerichtes; die Sicherheit soll dem Schuldner Deckung für den Schaden – §§ 29 ff AVAG – gewähren, der entsteht, falls Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die nach Abschluß des Anerkennungsverfahrens bis zur Befriedigung des Gläubigers zulässig sind, später infolge Aufhebung des Titels im Urteilsstaat wieder zu beseitigen oder im Wege des Schadensersatzes auszugleichen sind (BGH NJW 1983, 1979). Die Anordnung einer Sicherheitsleistung erscheint vor allem deshalb geboten, weil nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragsgegnerin der Firma H. Kreditversicherungs-AG ungünstige Nachrichten über die Bonität der Antragstellerin vorliegen. Obschon das Vorbringen zur Bonität der Antragstellerin nicht näher substantiiert worden ist, liegt nach Auffassung des Senates in der Mitteilung der renommierten Firma H. ein im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten der Antragsgegnerin zu berücksichtigender, beachtlicher Umstand, der eine Absicherung der Antragsgegnerin vor etwaigen, infolge der Vollstreckung entstehenden Schäden sachgerecht erscheinen läßt.
Der Höhe nach orientiert sich die angeordnete Sicherheitsleistung von 110.000,‑ DM an der zu vollstreckenden französischen Urteilssumme. Im Hinblick auf die nach Art. 38 Abs. 3 EuGVÜ angeordnete Sicherheitsleistung bedarf es einer weiteren Absicherung durch die von der Antragsgegnerin beantragte Beschränkung der Vollstreckung auf Maßregeln zur Sicherung bis zum Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde bzw. bis zu einer etwaigen Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht. Ein schützenswertes Interesse der Antragsgegnerin an einer Entscheidung nach Art. 39 EuGVÜ iVm § 24 Abs. 2 AVAG ist nicht ersichtlich.